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Die "Nordgebiete" Gilgit und Baltistan begehren gegen die Kolonialmacht Pakistan auf

Balawaristan: Südasiens nächster Krisenherd

Von Thomas Benedikter

Bozen, 17.12.2005

INDEX

Einführung | Was bitte ist Balawaristan? | Kolonialmacht Pakistan | Neue Lösungen in Sicht? | Gespräch mit Maj Hussain Shah


Einführung [ oben ]

Karte der Kashmir.Karte der Balawaristan.Im Schatten der Erdbebenkatastrophe im pakistanischen Teil Kaschmirs ("Azad Kashmir") spielt sich weiter nördlich eine andere Tragödie ab. Seit dem 13. Oktober herrscht in Gilgit, der Hauptstadt der "Northern Areas", nach Ausschreitungen zwischen Sunniten und Schiiten Ausgangssperre. Der unmittelbare Anlass: am 11. Oktober waren zwei führende Persönlichkeiten der Schiiten bei einem Überfall extremistischer Sunniten aus der Nachbarprovinz getötet worden, ein neuer Höhepunkt der Gewalt gegen Schiiten in Gilgit. Schiitische Aktivisten sind seit Jahren Opfer von Mordanschlägen, allein 2005 schon in 81 Fällen, meist mit Duldung wenn nicht gar Komplizenschaft der pakistanischen Polizei. Am 13. Oktober die Eskalation: die Polizei eröffnete in Gilgit das Feuer auf eine friedliche Protestkundgebung und erschoss 7 Demonstranten. Anschließend ermordeten die in Gilgit verhassten paramilitärischen "Pakistan Rangers" einige politische Aktivisten in ihren Häusern. Unter den schiitischen Einheimischen staut sich die Empörung. In den nördlichen Gebieten Hunza und Nager demonstrierten 25.000 Menschen gegen den Einsatz der Pakistan Rangers. Der pakistanische Geheimdienst ISI verhaftete daraufhin die ganze Führungsspitze der schiitischen und sunnitischen Geistlichkeit und verfrachtete sie zum Verhör nach Rawalpindi. 41 aus politischen Gründen in Haft genommene Einheimische begannen daraufhin einen Hungerstreik. Die Lage spitzt sich zu.

Das Jahr 2005 hatte in Gilgit-Stadt schon gewaltsam begonnen: Am 8. Jänner waren 14 Sunniten gelyncht worden, nachdem zuvor eingeschleuste Extremisten den schiitischen Imam von Gilgit, Agha Ziauddin, ermordet hatten. Er hatte sich vehement gegen die neuen, stark sunnitisch geprägten Lehrpläne der öffentlichen Schulen gewandt. Zwei Wochen zuvor waren im nahen Chitral zwei Sanitätshelfer der in Gilgit und Hunza verbreitet tätigen ismailischen Aga Khan Stiftung getötet worden. Vorausgegangen waren seit 2003 Kampagnen der in der angrenzenden "North Western Frontier Province" regierenden islamistischen Mehrheit gegen die als "Abweichler" gebrandmarkten Ismailis, die dritte Gruppierung im Islam. Die in Pakistan immer wieder gewaltsam ausgetragenen Spannungen zwischen sunnitischer Mehrheit und schiitischer Minderheit drohen nun, voll auf Gilgit-Baltistan überzugreifen. Geschürt werden diese Spannungen durch den raschen Anstieg der sunnitischen Zuwanderer in den Nordgebieten, die sich als Polizisten, Militärs, Beamte und Kaufleute mit staatlicher Unterstützung ansiedeln. 1948 stellten die einheimischen Schiiten und Ismaili noch 85% der Bevölkerung, jetzt nur mehr die Hälfte. Diese von Islamabad geförderte Zuwanderung von Pashtunen und Punjabis aus den angrenzenden Provinzen Pakistans stößt bei den einheimischen Gilgiti, Balti und Hunza umso mehr auf Ablehnung, als ihnen selbst nahezu alle politischen Rechte in Pakistan seit 58 Jahren vorenthalten sind. Seit der Teilung von Jammu und Kaschmirs im Krieg mit Indien 1947/48 übergeht Pakistan auch in Gilgit-Baltistan die Interessen der Bevölkerung. Durch die Ansiedlung von Sunniten aus den angrenzenden Provinzen sollen die angestammten schiitischen Volksgruppen zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden. Nach blutiger Unterdrückung von politischen Protesten 1988 und 1993 - damals unter Federführung des heutigen Präsidenten Musharraf - waren tausende Bewohner Gilgits und Baltistans verhaftet worden und Zehntausende waren aus Angst vor neuer Gewalt abgewandert. Die neuen sunnitischen Lehrpläne des pakistanischen Erziehungsministeriums haben die Wogen seit 2003 wieder hoch gehen lassen. Die Antwort auf den Protest der Schiiten waren Morde, Entführungen, Anschläge sunnitischer Extremisten, mit Deckung der pakistanischen Behörden.

Sogar Indien zeigte sich im November 2005 besorgt über die Entwicklung in diesem Teil des historischen Jammu und Kaschmir. Abseits der Aufmerksamkeit internationaler Medien braut sich ein neuer Krisenherd in den Bergen des Karakorum zusammen. In einem Brief an UN-Generalsekretär Annan vom 17.10.2005 beklagt sich der Vorsitzende der Balawaristan National Front (BNF), Abdul Hamid Khan, bitter über die Brutalität der pakistanischen Polizei gegenüber den Einheimischen. "Mit internationaler Aufmerksamkeit", schreibt Hamid Khan, "ist erst zu rechnen, wenn eine politische Bürgerrechtsbewegung zu den Waffen greift. Die Bewohner von Balawaristan bleiben dennoch dem friedlichen Widerstand verpflichtet." Mit 70 weiteren Persönlichkeiten der Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegung Balawaristans riskiert er derzeit Verfolgung und Anklage wegen Hochverrat.

Was bitte ist Balawaristan? [ oben ]

Zwei Hunzakut mit der typischen Hunza-Mütze. Foto: Thomas Benedikter.Dieser weithin unbekannte Name des nördlichsten Teils Pakistans zwischen Karakorum und Hindukusch, könnte bald schon in die Schlagzeilen geraten. In der Geschichte hieß dieses Gebiet, mit 72.500 km2 so groß wie Irland, Gilgit und Baltistan, die nördlichsten Regionen Hunza und Nager. Bis zum 1. November 1947 war diese kaum zugängliche Bergregion ein Teil des Fürstenstaates Jammu und Kaschmir gewesen, jahrhundertelang in kleine Fürstentümer aufgeteilt. In Balawaristan, wie die Region von seinen indigenen Bewohnern auch genannt wird, werden sechs größere und einige kleinere Sprachen gesprochen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts drangen die Maharajas von Kaschmir von Süden her ein und besetzten das Land, ohne es je völlig zu kontrollieren. Auch die britische Kolonialmacht beanspruchte die rebellische Grenzregion und errichtete zu diesem Zweck die Gilgit Agency. Im Teilungskrieg 1947 befreiten sich die Einheimischen selbst vom Maharaja-Regime. Heute noch ist man stolz darauf, dass es Gilgiti-Kämpfer waren, die Anfang November 1947 die Soldaten des Maharaja in die Flucht schlugen. Doch bald darauf waren die Gilgiti gezwungen, die pakistanische Armee zur Abwehr der anrückenden indischen Truppen zu Hilfe zu rufen.

Die Pakistani blieben und seitdem wird die Region von Islamabad aus verwaltet. Im Unterschied zum Westteil Jammu und Kaschmirs, das als "Azad Jammu and Kashmir" eine Art Freistaat-Status im Rahmen Pakistans bekam, wurde Gilgit-Baltistan direkt und ohne politische Übereinkunft der Regierung Pakistans unterstellt: eine Art politischer Schwebezustand mit der Begründung, dass vor der Gesamtlösung des Kaschmirkonflikts Gilgit-Baltistan kein endgültiger Status eingeräumt werden könne. Dabei hatte seine Führungsschicht selbst um die gleichberechtigte Angliederung an Pakistan ersucht. Die Gilgiti, Balti und Hunza gerieten vom Regen in die Traufe. Eine Million Menschen mehrerer eigenständiger Völker befinden sich seitdem in einer politisch rechtlosen Lage und waren auch in keinerlei Gespräche über den Kaschmirkonflikt einbezogen. Eine Situation, die einem klassischen Kolonialstatus sehr nahe kommt.

Jetzt wehren sich die Bewohner, auf Dauer in Geiselhaft des Kaschmirkonflikts genommen zu werden. Mit anderen Widerstandsbewegungen fordert die 1992 gegründete BNF die Selbstbestimmung. Sie tritt für eine souveräne und unabhängige Republik Balawaristan bestehend aus drei Provinzen Gilgt, Baltistan und Hunza ein und verlangt die sofortige Gewährung aller politischen Freiheitsrechte an die Bewohner dieses Gebiets. Sein Vize Nawaz Khan Naji stellt in der BNF-Webseite fest: "Wir sind weder Pakistani noch Kashmiri. In einem Vertrag zwischen Azad Kashmir und Pakistan von 1949 wird die Frage Gilgit-Baltistans auf den Zeitpunkt der Gesamtlösung der Kaschmirfrage verschoben. Doch was haben wir mit Kaschmir zu tun? Wir brauchen unseren eigenen Staat. Sollte das Kaschmirproblem mit Indien gelöst werden, könnten wir mit Pakistan über eine Konföderation verhandeln. Doch können wir keine Provinz Pakistans werden. Wir fordern echte Autonomie. Wir hätten sie schon 1947 genauso wie Azad Kashmir bekommen müssen."

Kolonialmacht Pakistan [ oben ]

Ausschreitungen in Balawaristan. Foto: Thomas Benedikter.Heute ist Gilgit-Baltistan de facto ein Teil Pakistans. Die Regierung in Islamabad übt über das "Ministerium für Kaschmir und die Nordgebiete" die volle Staatsgewalt aus, erhebt Steuern, rekrutiert Soldaten, regelt das Schulwesen, siedelt laufend neue Zuwanderer an und hat sogar einen Teil des Gebiets China überlassen. Doch de jure ist dieses große Gebiet kein Teil Pakistans, sondern wird als Teil des ehemaligen Fürstentums Jammu und Kaschmir als "umstrittenes Gebiet" betrachtet. Seine Bürger haben keine Selbstverwaltung und sind auch im nationalen Parlament nicht vertreten. Der Chefgouverneur wird von der Regierung in Islamabad eingesetzt und residiert auch dort. Sein Stellvertreter wird zwar vom "Northern Areas Legislative Council" (NALC) nominiert, eine Art Lokalparlament. Doch weder er noch das NALC haben echte Regierungsmacht. Seine 24 männlichen Mitglieder werden seit 1994 direkt gewählt, zuletzt im Dezember 2004; sechs weibliche werden von den gewählten Männern bestimmt. Regiert werden die Nordgebiete nicht aufgrund eines Statuts, sondern aufgrund des "Rahmengesetzes für die Nordgebiete" von 1994, das die wenigen Befugnisse dieses Gremiums auflistet. Jede Regelung muss vom Minister genehmigt werden, um Rechtskraft zu erlangen. Die Verwaltung des Budgets erfolgt direkt durch das Kaschmir-Ministerium in Islamabad, das über die öffentlichen Mittel frei schalten und walten kann. So beschränkt sich die Rolle des NALC darauf, bereits in Islamabad getroffene Entscheidungen nochmals abzusegnen. Aufgrund der internen Konflikte ist der Vize-Gouverneur seit Ende 2004 noch gar nicht ernannt worden.

Dabei gäbe es genug zu tun. Wirtschaftlich ist Balawaristan völlig rückständig, drei Viertel seiner Bewohner leben in Armut. Das Jahresbudget für eine Bevölkerung von 1,1 Millionen Einwohnern beträgt rund 1 Milliarde Rupien, nicht mehr als 13,3 Millionen Euro, also eben 12 Euro pro Kopf. Die Bewässerungsanlagen verfallen, die Schulen sind vernachlässigt, die Mehrheit der Gilgiti, Balti und Hunza haben keinen Strom. Außer der berühmten Karakorum Highway sind kaum Straßen errichtet worden, Industrie gibt es außer einigen Ziegelwerken keine und in die Nutzung verschiedener Bodenschätze wird nicht investiert. Nachdem der Tourismus nach dem Afghanistankrieg in Krise geriet, bleibt für die jungen Einheimischen nur mehr die Armee als Beschäftigungschance, zumal der öffentliche Dienst fast gänzlich von Pakistani besetzt wird. Viele wandern aus, vor allem in die Golfstaaten. Hätte nicht die Aga Khan-Stiftung mit Hunderten von Entwicklungs- und Hilfsprojekten Geld und Infrastrukturen ins Land gebracht, wäre die Lage noch weit desolater.

Pakistan steht auf dem Standpunkt, dass eine Annexion des Gebiets eine Anerkennung der Teilung Kaschmirs gleichkommen würde. Implizit würde dadurch die quer durch Kaschmir verlaufende Line of Control als internationale Grenze anerkannt und die lange geforderten Volksabstimmungen unter UN-Aufsicht überflüssig. Pakistan betrachtet Gilgit-Baltistan zwar für einen Teil Pakistans, doch nutzt es dieses Gebiet als Reservekarte im Poker um Kaschmir. Die "Northern Areas" befinden sich im Zustand eines Kolonialgebietes, dem seit 58 Jahren das Recht auf Selbstbestimmung versagt wird. Die früheren Ansuchen um Eingliederung in den pakistanischen Bundesstaat - etwa als die 5. Provinz - sind immer abgelehnt worden, Verfassungsklagen auf Zuerkennung der grundlegenden politischen Rechte blieben ergebnislos. Nun lehnen ihrerseits immer mehr Bewohner Balawaristans die Umwandlung ihres Landes in die "5. Provinz Pakistans" ab. Die BNF kritisiert die pakistanische Verwaltung als völkerrechtswidrige Besatzung ohne jeglichen Konsens der Bevölkerung. Die pakistanische Vorgangsweise erinnert fatal an den modernen Neokolonialimus autoritärer Staaten in besetzten Gebieten wie etwa China in Tibet und Sinkiang, Indonesien in Westpapua und Aceh und Marokko in der Westsahara. Die lange Diskriminierung und Fremdbestimmung der angestammten Bewohner hat im traditionell multiethnischen Gilgit-Baltistan eine Art "nationale Identitätsbildung" ausgelöst. Immer mehr fühlt man sich von Islamabad betrogen und bedroht.

Neue Lösungen in Sicht? [ oben ]

Gilgit-Baltistan ist heute eine in jeder Hinsicht fremdbestimmte und abhängige Region. "Pakistan hat Balawaristan", so schreibt die BNF in ihrer Homepage, " seit der Besetzung am 16.11.1947 nichts anderes gegeben als religiöse Konflikte, Intoleranz, Armut, Verlust von Geschichtsbewusstsein und Kultur, terroristische Ausbildungslager, die Plünderung der Ressourcen und des Landes. Es hat unseren Frieden gestört und unsere Menschenrechte verletzt, es gesteht uns keine Gerechtigkeit zu und verhindert Meinungs- und Bewegungsfreiheit und hat unsere Helden und Märtyrer beleidigt." Nicht nur aus der Sicht der "Patrioten" des BNF bildet dies den Hintergrund für die grassierende Unzufriedenheit und die Forderungen nach Selbstbestimmung, sondern auch laut der pakistanischen Menschenrechtskommission. Der Ärger der schiitischen Einheimischen über den wachsenden Einfluss der sunnitischen Zuwanderer verstärkt diese Bewegung. Die profiliertesten Gruppen, die Gilgit Baltistan National Alliance, das Gilgit Baltistan United Action Forum for Self Rule und die Balawaristan National Front fordern ein autonomes Gilgit-Baltistan oder ein unabhängiges Balawaristan. Sie betrachten den Kaschmirkonflikt als für Gilgit-Baltistan nicht mehr relevant und versuchen, internationale Organisationen auf die prekäre Menschenrechtslage aufmerksam zu machen. Auf politischer Ebene haben sie kaum Spielraum, da eine Wahl zum lokalen Pseudoparlament, dem "Northern Areas Legislative Council", nur unter der Bedingung erfolgen kann, die Zugehörigkeit von Gilgit-Baltistan zu Pakistan anzuerkennen. Doch da die Form dieser Zugehörigkeit einen kolonialen Charakter hat, finden sich mehr und mehr politische Kräfte dazu nicht mehr bereit.

Nun hat Präsident Musharraf in seinem letzten Vorschlag zur Lösung der Kaschmirfrage die Aufteilung des gesamten früheren Fürstenstaats in 7 Regionen vorgeschlagen, die getrennt über ihren zukünftigen Status befinden sollten. Im gesamten Gebiet sollten nach Entmilitarisierung zusammen mit Indien Abstimmungen durchgeführt werden. Die BNF hat dem Vorschlag zugestimmt. Allerdings musste Musharraf unter dem Druck der nationalen öffentlichen Meinung und der Armee gleich darauf einen Rückzieher machen und die Entmilitarisierung Kaschmirs fallen lassen. Die Geschichte ist wiederum offen, und das Schicksal Gilgit-Baltistans bleibt an die vertrackte Situation Kaschmirs geknüpft. Da Indien auf dem Status quo beharrt, Pakistan aber genauso auf der fiktiven Zusammengehörigkeit des alten Staates, bleibt Gilgit-Baltistan eine Art Geisel des Kaschmirkonflikts, wie ein rechtloser Bauer auf dem Schachbrett der beiden regionalen Großmächte. Selbst die Hurriyat Conference, die Front muslimischer Parteien im indischen Teil Kaschmirs für die Selbstbestimmung, hat diesen unhaltbaren Zustand erkannt, obwohl man sonst ebenfalls auf der Einheit des historischen Jammu und Kaschmir beharrt. Man ist sich in Srinagar bewusst, dass es keine einheitliche Lösung für alle verschiedenartigen Teile des früheren Fürstenstaats mehr geben kann. Gilgit-Baltistan war schließlich nur eine Eroberung des Maharaja von Kaschmir gewesen, dann ein Jahrhundert lang Grenzkolonie und seit 1947 Jahren Kolonie Pakistans. Jetzt reicht es den Menschen in Balawaristan und damit schwelt ein neuer Krisenherd im Norden Pakistans.

Die wichtigsten Volksgruppen in Gilgit-Baltistan sind die Shina sprechenden Gilgiti, die Pashtunen bis ins Gebiet um Chilas, die mit den Ladakhi verwandten Balti und die Hunzakut, die Burushashki sprechen. Außerdem wird Khowar, Wakhi, Kohistani und Punjabi gesprochen und als Verkehrssprache Urdu. Das Gebiet ist völlig islamisch, doch im Unterschied zu Pakistan gehört die Mehrheit den Schiiten und Ismailis an.

Maj Hussain Shah, Praesident der MKOP Partei."Pakistan hat das Fehlen einer einheimischen Elite missbraucht"
Gespräch mit Maj Hussain Shah
[ oben ]

Hussain Shah, ein ehemaliger Offizier der pakistanischen Armee, ist Vorsitzender der Partei MKOP, die zur Allianz der Autonomiebefürworter in Gilgit-Baltistan gehört (Interview des Autors im Haus H. Shahs in Gilgit-Stadt. Der Steinbock ist das nationale Symbol für Balawaristan).

Warum weigert sich Pakistan, dem Wunsch Gilgit-Baltistans nach voller Eingliederung nachzukommen?
Maj Hussain Shah: Pakistan will das Recht der gesamten Bevölkerung des ehemaligen Fürstentums Jammu und Kaschmir auf ein Referendum aufrechterhalten, mit dem über eine definitiven Beitritt zu einem der beiden Staaten entschieden werden soll, wie es die UN-Resolution vom 5.1.1949 vorsieht. Darum befinden wir uns in einem permanenten Schwebezustand. Wir sind weder die 5. Provinz Pakistans, noch ein unabhängiges Gebiet, noch ein Teil Jammu und Kaschmirs. Bis 1971 sind wir sogar auf der Grundlage des "Frontier Criminality Rule" regiert worden, eines altkolonialen Polizeigesetzes. Dann gaben sie uns eine Art Vertretungsorgan ohne echte Machtbefugnisse, dessen Mitglieder von Islamabad ernannte Honoratioren waren. Erst seit 1995 können wir diesen Legislativrat wählen, bloß hat er kaum Befugnisse. So bleibt Gilgit-Baltistan unter der Direktverwaltung Islamabads und die Bevölkerung hat kein Recht auf Mitbestimmung.

Was hat Pakistan in der Befreiung von Gilgit-Baltistan falsch gemacht?
Maj Hussain Shah: Pakistan intervenierte militärisch und lieferte Indien und dem Maharaja von Jammu und Kaschmir den Vorwand, ihrerseits zu intervenieren. Während dieser Intervention sind die Menschenrechte der Bevölkerung verletzt und ihre politischen Ansprüche übergangen worden. Dann bestand Pakistan darauf, dass ein gleichzeitiges Referendum in allen Teilen des früheren Fürstentums stattfinden sollte mit der bloßen Entscheidung zwischen dem Anschluss an Pakistan oder Indien, denn Pakistan fürchtete den Einfluss von Sheikh Abdullah auf die Bevölkerung des Kaschmirtals. Pakistan hat das damalige Fehlen einer politischen Elite in unserem Land ausgenutzt, um die totale Kontrolle aufrechtzuerhalten. Vom demokratischen Standpunkt aus ist das völlig inakzeptabel.

Sie haben eine Partei gegründet, die für die Autonomie von Gilgit-Baltistan eintritt. Welchen Handlungsspielraum haben Sie überhaupt?
Maj Hussain Shah: Ich bin seit 1984 in dieser Partei tätig, doch werde ich in ganz Pakistan als ein Verräter der Interessen Pakistans diffamiert. Wir können jedenfalls in voller Legalität tätig sein. Unter den einheimischen Politikern fasst jetzt immer mehr die Überzeugung Fuß, dass wir uns aktiv für Selbstverwaltung und Autonomie einsetzen müssen. Einst bin ich an den Rand gedrängt worden, heute geben mir alle Recht. Seit Dezember 2004 sind wir auch im Legislativrat der Northern Areas vertreten.

Was will Ihre politische Allianz erreichen?
Maj Hussain Shah: Wir wollen Demokratie und Autonomie für Gilgit und Baltistan und zwar sofort, unabhängig von einem Referendum, über das völlige Ungewissheit herrscht. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für eine besondere Autonomie von Gilgit und Baltistan innerhalb Pakistans, lehnt andererseits die Perspektive ab, weiterhin als Teil von Jammu und Kaschmir zu gelten. Meine Allianz ist von den pakistanischen Parteien völlig unabhängig. Sie ist eine bodenständige und interethnische Kraft. Nur die Außenpolitik, die Verteidigung, die Währung und die Kommunikationspolitik sollen bei der Zentralregeirung verbleiben. Ich bin überzeugt, dass wir sogar unabhängig sein könnten. Ein unabhängiges Gilgit-Baltistan würde eine Puffer zwischen China, Indien und Pakistan bilden. Jedenfalls sind wir überzeugt, dass Pakistan kein Recht hat, Gilgit-Baltistan in diesem rechtlosen Schwebezustand zu halten. Wir haben uns auch an das pakistanische Verfassungsgericht gewandt um unsere Benachteiligung gegenüber Azad Kashmir und die Verweigerung von politischen Grundrechten anzufechten. Das Verfahren ist noch nicht endgültig entschieden.

Wie kann der Kaschmirkoinflit gelöst werden?
Maj Hussain Shah: Vor einiger Zeit haben sich in Islamabad alle politischen Kräfte des ehemaligen Fürstentums versammelt, von der Hurriyat Conference aus dem indisch besetzten Teil über die Parteien Azad Kashmirs bis hin zu Politikern aus Gilgit-Baltistans, doch ist keine Übereinkunft gefunden worden. Man stimmt nur darin überein, dass eine Volksabstimmung über den zukünftigen Status abgehalten werden soll, doch gibt es eine starke Minderheit, die nicht nur über die Zugehörigkeit zu einem der beiden Staaten Indien oder Pakistan entscheiden will, sondern auch über eine eventuelle Unabhängigkeit. Dies sollte möglichst auch in Form von Abstimmungen getrennt nach einzelnen Regionen erfolgen. Verschiedene Vorschläge liegen heute auf dem Tisch von der definitiven Teilung Jammu und Kaschmirs bis zur Einrichtung eines indisch-pakistanischen Kondominiums. Auf jeden Fall wäre die bloße Wiederherstellung der Autonomie für die moslemischem Kaschmiri heute keine ausreichende Lösung.

Thomas Benedikter: Il groviglio del Kashmir.Thomas Benedikter ist Mitarbeiter der Europäischen Akademie Bozen, Bereich Minderheitenschutzsysteme in Europa und Südasien in Zusammenarbeit mit südasiatischen Menschenrechtsorganisationen. Jüngste Veröffentlichungen zu den Hintergründen des Kriegs in Nepal ("Krieg im Himalaya", LIT, Berlin 2003) und zum Kaschmir-Konflikt ("Il groviglio del Kashmir", Editori Fratelli Frilli, Genova, 2005).

Aus pogrom-bedrohte Völker 239 (5/2006).


Siehe auch:
* gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2005/051027ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020312de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/azad-kashmir.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/nepal/nepal.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/srilanka/srilanka.html

* www: www.suedasien.net/news/2005/oktober/kashmir_erdbeben_ed.htm

Letzte Aktual.: 21.12.2006 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/asia/balawar-de.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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