Thomas Benedikter
Barcelona, 29. September 2005
SACHVERZEICHNIS
Allgemeiner Überblick | Einige spezifische Eigenschaften der
ausländischen Immigration in Südtirol | Auswirkungen auf die regionale Gesellschaft | Zusammenfassung
In Südtirol, wie im Rest von Italien, hat die Immigration
aus Drittländern (Gebiete außerhalb Italiens) seit
1990 erheblich zugenommen. Während 1990 gerade mal ca. 5000
ausländische Staatsbürger ihren dauerhaften Wohnsitz in
Südtirol hatten (ungefähr 1% der Bevölkerung, die
2005 480000 betrug), überschritt die Zahl der Immigranten,
die Ende 2004 in Südtirol wohnten, die Anzahl von 22000
(4,7% der Gesamtbevölkerung in der Provinz). So ist die von
Arbeitssuche motivierte Immigration ein ziemlich junges
Phänomen in dieser Region, welches aber nicht von
ungefähr auftrat, da unsere Wirtschaft in GDP und
Beschäftigungszahlen ausgedrückt, seit 30 Jahren, d.h.
seit Inkrafttreten des neuen Autonomiestatutes 1974, ständig
anwächst.
Von der ökonomischen Perspektive aus betrachtet, ist die
Autonomie in Südtirol ein Erfolg in der Geschichte, denn
noch in den 70er Jahren war unsere Provinz eine
Emigrationsprovinz. Tausende junge Südtiroler
verließen das Land und suchten Arbeit im Ausland. Es sollte
erwähnt werden, dass Südtirol in der Periode zwischen
den zwei Weltkriegen vor allem durch das Regime von Mussolini und
später in den 50er Jahren durch Italiens demokratische
Regierungen, Jahrzehnte der Zwangsimmigration aus Italien erfuhr.
Zweck der italienischen Zwangsimmigration war es, der deutschen
Bevölkerungsgruppe in ihrer eigenen Provinz
zahlenmäßig überlegen zu werden und folglich eine
dauerhafte italienische Dominanz in Südtirol herzustellen.
Auf diese Weise stieg der Anteil der italienischen
Bevölkerung, an der lokalen Gesamt-Bevölkerung, von
3-4% im Jahre 1910, auf ihren Höchststand im Jahre 1961 mit
34,3% an. 1970 kam die italienische Immigration in Südtirol
durch die neue Autonomie und aus demographischen Gründen zu
einem Halt und der Prozentsatz verringerte sich langsam (2001
waren es ungefähr noch 26%).
Der älteren Generation sind jene Jahre der
Zwangs-Immigration noch in lebendiger Erinnerung, während
sich die Leute mittleren Alters an die Emigrationszeiten der 50er
und 60er erinnern. Aus diesem Grund wird die neue Immigration von
der ansässigen Gesellschaft noch mit ein wenig Skepsis
beobachtet. Aber es muss doch darauf hingewiesen werden, dass
unsere benachbarten Regionen Nordtirol und Salzburg einen
Ausländer-Anteil von mehr als 9% an der
Gesamtbevölkerung und der benachbarte Schweizer Bezirk
Grischun/Graubünden sogar von 18 Prozent haben. So gesehen
ist Südtirol gerade dabei, entsprechend seiner weiterhin
beständigen Entwicklung des Arbeitsmarktes, mit einer
bestimmten Verzögerung, eine Entwicklung der ökonomisch
veranlassten Immigration zu nachzuholen.
Seit 1980 können drei Phasen der Immigration in
Südtirol beobachtet werden. Die erste Phase war durch
EU-Bürger gekennzeichnet. Noch immer zieht unsere Provinz
viele Rentner aus den reichen Regionen im Norden als
Alterswohnsitz an. Die zweite breitete sich während der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus, ausgelöst durch
die Kriege in den Balkangebieten und Migrationfaktoren in den
Maghrebländern. Schließlich entwickelte sich eine seit
1995 andauernde dritte Phase, nämlich die der Stabilisierung
durch eine hohe Rate von Familienzusammenschlüssen. Fast die
Hälfte der Immigranten in Südtirol sind heute Frauen
und etwa 20% Minderjährige was zeigt, dass sich die
Immigration langsam stabilisiert. Jedoch ist der Anteil der
Immigranten an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zum
benachbarten Nordtirol und auch zur autonomen Provinz Trentino
noch nicht so hoch.
Es gibt eine Vielzahl von Herkunftsländern der
Immigranten, die aber auf drei Hauptgebiete zusammengefasst
werden können. 2005 waren 6100 Ausländer Bürger
anderer EU-Länder, 8600 Nicht-EU-Bürger (meist aus
Osteuropa) und nur 7400 Bürger aus anderen Kontinenten in
Südtirol. Das bedeutet, dass mehr als zwei Drittel der
Immigranten in Südtirol Europäer sind . Die
relevantesten Regionen unter den Entwicklungsländern sind
Südostasien und Nordafrika. Eine bestimmte Merkmal der
einwandernden Bevölkerung ist der große Anteil von
Pakistanern. Nur in drei anderen Regionen Italiens scheint eine
höhere Anzahl von Pakistanern auf: in Lazium, Lombardei und
Emilia-Romagna, wobei diese Bevölkerung in den anderen
Regionen Italiens fast ganz fehlt. Eine wichtigere allgemeine
Eigenschaft ist die wachsende Dominanz der Immigranten aus
Osteuropa, aus EU und Nicht EU- Mitgliedsländern. Die Zahl
der Asylbewerber und Flüchtlinge in Südtirol ist
schließlich irrelevant, da sie in Übereinstimmung ist
mit Italiens allgemeiner Statistik der Personen mit Asylstatus,
die die 13000 Personen nicht übersteigt. Italien nimmt mit
Spanien eine der letzten Positionen auf der Rangliste der
europäischen Gastländer für Asylbewerber
ein.
Südtirols Immigranten oder dauerhaft ansässige
Ausländer sind, wie in den europäischen
Immigrationsländern und Regionen üblich, eine durchaus
junge Bevölkerung mit einem Altersdurchschnitt unter dem der
lokalen Bevölkerung. 70% der Immigranten werden
beschäftigt, während 25% der Aufenthaltspapiere
für Familienzusammenführung ausgestellt werden: Ein
Hinweis darauf, dass auch auf lokaler Ebene die Immigration ein
Strukturmerkmal unserer Gesellschaft geworden ist und sie bedarf
einer angemessenen Aufnahme- und Integrationspolitik . Ein
anderes Merkmal für die Stabilisierung ist die zunehmende
Zahl ausländischer Schüler in den Schulen (+18,5%
2002). Die Geburtenrate der Ausländer ist mehr als doppelt
so hoch wie die der einheimischen Bürger.
Es gibt zwei Bereiche der lokalen Wirtschaft, die auf
Drittlandimmigranten beruhen: der landwirtschaftliche Sektor,
begrenzt auf die Ernteperiode von August bis Oktober und der
Tourismussektor ( Hotels, Gaststätten und andere
Tourismusservices) mit einer 8- 9 monatigen Saison. Auch Jobs,
die nur eine geringe Qualifikation voraussetzen wie z. B. die in
gewisse Jobs in der Industrie oder im Dienstleistungssektor,
führen zu einer zunehmenden Anzahl von Immigranten. Ganz
allgemein ist Südtirols Arbeitsmarkt keine Ausnahme im
italienischen Arbeitsmarkt hinsichtlich der Art und Weise, auf
welche Immigrantenarbeitskräfte eingegliedert werden:
Horizontale und vertikale Trennung sind
Schlüsselbedingungen. Ersteres bedeutet die
Beschränkung auf bestimmte Beschäftigungsbereiche und
letzteres die Beschränkung auf niedrigstes
Qualifikationsniveau ohne Aufstiegsmöglichkeiten. Folglich
werden, wie in den meisten EU- Regionen, die Immigranten in
schlechten Jobs eingestellt, die durch "3 D' s " gekennzeichnet
sind: "dirty, dangerous and demanding (schmutzig, gefährlich
und anspruchsvoll)". Immigranten sind in einer Wirtschaft mit
einem hohen Anteil an Saisonarbeit, wie z.B. in Südtirol,
eine ideale flexible "Puffer"-Resource : ökonomisch
vorteilhaft, persönlich abhängig und wegen der
prekären Arbeitsverträge von begrenzbarer Dauer . In
Italien werden die Aufenthaltsgenehmigungen an die Dauer der
Arbeitsverträge gekoppelt, welche von den Arbeitgebern
ausgestellt werden. Entsprechend den strengen Gesetzen, die durch
die Regierung Berlusconi 2002 erlassen wurden können
arbeitslose Ausländer bis zum Ablaufen ihrer
Aufenthaltserlaubnis, - aber nicht länger als sechs Monate
ohne Beschäftigung -, in Italien bleiben.
Südtirol nimmt gemeinsam mit der Nachbarprovinz Trentino
weltweit eine führende Position im Bereich Saisonarbeiter
(2003 17.000, 28% der Gesamtzahl auf nationalem Niveau) ein,
wobei der Großteil in der Landwirtschaft (mehr als 8.000 in
der Ernte-Hochsaison) und im Tourismussektor beschäftigt
ist. Laut jährlichen durchschnittlichen Statistiken gibt es
nur sehr wenige eingetragene ausländische Arbeitslose: Die
Nachfrage an ausländischen Saisonarbeitern wächst
weiter, da die Einheimischen versuchen jene Jobs zu verlassen um
andere beständigere und besser bezahlte Arbeitsstellen mit
einem höheren sozialen Ansehen anzunehmen.
Was die sozialen Rechte der Immigranten in Südtirol
betrifft, genießen sie die selben Sozial- und Arbeitsrechte
wie EU-Bürger. Die Immigranten bilden jedoch, besonders wenn
sie nur Saisonverträge haben, keine stabile Gemeinschaft im
Gastland. Ihr Verhältnis zu Südtirol läuft
über ihre Arbeitgeber und ist an die Dauer ihrer
Beschäftigung gebunden. Die Art und Weise ihrer
Unterbringung in Pensionen oder Bauernhäusern schränkt
ihren Kontakt zur lokalen Bevölkerung ein. So bildet diese
Zahl von Immigranten keine eigene soziale Gemeinschaft, die ihre
Rechte oder Ihre kulturelle Identität kollektiv und mit
Nachdruck betont.
Was die Sozialen Rechte betrifft nimmt das Wohnen eine
Schlüsselrolle bei der Integration von Immigranten in die
lokale Gesellschaft ein. Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum
hängt sehr stark vom sozialen Satus der Immigranten ab und
wird auch von ethnischen, kulturellen und Rasse-Vorurteilen
beeinflusst. Das Bedürfnis der Gastarbeiter nach einer
Unterkunft wird in Südtirol oft missbraucht. Viele von ihnen
leben in Mietwohnungen von Substandart-Qualität und
überhöhten Mieten. Nur 25% leben in einer Wohnung, die
vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde. In vielen
Fällen werden Ausländer ausgenutzt und Wohnungen
überfüllt. Dieser Zustand hindert viele Ausländer
an der sozialen Integration, auch wenn sie dringend als
Arbeitskräfte benötigt werden.
Entsprechend den politischen Bemühungen
Wohnmöglichkeiten für Immigranten zu schaffen stehen
nur 500 Betten in öffentlichen Arbeiterunterkünften zur
Verfügung , was weit unter der Nachfrage liegt. Zugang zu
den öffentlich verwalteten Häusern hat nur ein
begrenzter Teil der eingewanderten Bevölkerung. Eines der
entschiedensten Kriterien für die Vermittlung von
Wohnbeihilfen und öffentlich finanzierten Wohnungen, ist die
Dauer des Wohnsitzes. Dadurch haben die meisten Einwanderer keine
große Chance, so eine Hilfe zu bekommen und suchen deshalb
auch gar nicht erst an.. In der Tat werden kaum. 100 von 11.000
zur Verfügung stehenden Wohnungen von Familien aus anderen
Ländern genutzt. Andererseits nimmt die Zahl der
Ausländer stark zu, die um eine Mietbeihilfe ansuchen, da
die durchschnittliche Miete in Südtirol zu hoch für sie
ist.
Das hauptsächliche soziale Problem in Südtirol ist die
vorläufige Unterbringung von Immigranten. Dadurch ist es
vielen Einwanderern, auch wenn sie in Südtirol regulär
arbeiten und einen durchschnittlichen Lohn verdienen, nicht
möglich ihre Familien zu sich zu holen. Die
"Verpflegungs-Häuser" als erste Aufnahmestruktur können
keine größere Anzahl von Immigranten über einen
längeren Zeitraum hinweg aufnehmen. Die Provinz Bozen hat
erst kürzlich entschieden, neue Wohnungsstrukturen für
eine längere Zeit zu ermöglichen, wie z. B.
Kleinwohnungen für Alleinstehende (ca. 40% der Einwanderer
sind Singles).
Bezüglich Sozialversicherungen und Unterstützung
für ausländische Einwanderer mit legalem Wohnsitz in
Südtirol, gelten nach dem EU-Gesetz die selben Regeln, wie
für Einheimische. Südtirol hat primäre
Gesetzgebungsbefugnis im Sozialwesen (Grundeinkommen,
Sozialwohnungen, Sozialdienste) und sekundäre
Gesetzgebungsbefugnis im Gesundheitswesen. Bedürftige
Einwanderer aber können die Sozialunterstützung
für Notsituationen nur während einem maximalen Zeitraum
von zwei Monaten im Jahr und im Falle eines Notstandes
beantragen. Wie dem auch sei werden Ausländer durch den
"Testo Unico" (Gesetz n.5/1998 und n.189/2002) vor
Benachteiligungen geschützt. Dieser verhindert, dass
Benachteiligungen am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, bei der
Ausbildung, in Sozialeinrichtungen oder allen anderen
öffentlichen Dienstleistungen entstehen.
Ist die soziale Integration von Ausländern im allgemeinen
Interesse, so ist die Ausbildung für Ausländer
äußerst wichtig. Im laufenden Schuljahr 2005/2006 sind
fast 2.000 Schüler aller Altersstufen in den verschiedensten
Schulen der Provinz eingeschrieben. Das Schulsystem in
Südtirol ist in drei Sprachgruppen unterteilt (Deutsch,
Italienisch, Ladinisch). Aus diesem Grund müssen auch
eingewanderte Familien eine dieser Sprachzweige wählen.
Statistisch werden 59% der Kinder in italienische, 40% in
deutsche und 1% in ladinische Schulen eingeschrieben. Die
Tatsache, dass mehr Kinder in italienische Schulen eingeschrieben
werden, liegt daran, dass viele Einwanderer vorher in einem
anderen Teil Italiens ansässig waren. Andererseits gleicht
die wachsende Anzahl ausländischer Kinder die abnehmende
Zahl der inländischen Kinder, d.h. der kinderärmeren
ital. Bevölkerungsgruppe aus.
Schule ist der beste Ort für Integration, da dort
ausländische Schüler und deren Familien gut eingebunden
werden können und wo Kulturaustausch stattfinden kann. Nur
eine Minderheit der ausländischen Familien jedoch pfleget
ein normales Verhältnis zur Schule ihrer Kinder. Die Eltern
kennen oft die in der Schule gesprochene Sprache nicht,
spüren das eigene Bildungsdefizit oder haben Angst, eine
Einmischung in die Entscheidungen der Lehrkräfte,
könnte zum Nachteil ihrer Kinder sein. Forschungen haben
ergeben, dass bei den meisten ausländischen Familien
Italienisch die erste Fremdsprache ist. Das ist ein weiterer
Grund, warum ausländische Kinder mehr in italienische als in
deutsche Schulen gehen.
Ein weiteres Problem in der Ausbildung ist: ein Viertel der
ausländischen Kinder hat kaum, ein weiteres Viertel nur
ungenügende Italienischkenntnisse. Das führt zu einem
Absinken des Niveaus in den mehr und mehr gemischten
italienischsprachigen Schulen. Ausländische Schüler
verfehlen öfter als Einheimische das Klassenziel (17% der
Ausländer, aber nur 1% der Einheimischen, schaffen die
Volksschule nicht problemlos). Italienische Schulvertreter
bemängeln demzufolge die Konzentration von eingewanderten
Schülern in italienischen Schulen. Andererseits wurden in
Südtirols Schulen eine Menge Initiativen zur Inklusion und
Integration der Immigranten-Familien in Zusammenarbeit mit
Hilfsorganisationen und Kultur-Mittlern gestartet, die spezielle
Sprachkurse und andere Dienste anbieten.
Im Jahr 2006 werden 5% der Bevölkerung in Südtirol
ausländische Mitbürger mit Wohnsitz in der Provinz
Bozen sein. Das sind weit weniger als durchschnittlich in der EU.
Ganz allgemein gesprochen werden durch die positive
wirtschaftliche Lage Südtirols zunehmend
Beschäftigungsmöglichkeiten, besonders für
Saisonarbeiter oder langfristig Beschäftigte aus dem
Ausland, angeboten, die sich dann in Südtirol niederlassen
Die Vorteile sind gegenseitig.: die Arbeitgeber profitieren von
den Tausenden Immigranten, die das Wachstum des regionalen BIP
fördern. Zusätzlich garantiert dies eine Entwicklung
der Sozialversicherungen, die wichtig für die heutige
Gesellschaft wird, da Menschen immer älter werden.
Südtirol folgt dem Beispiel vieler reicherer
europäischer Staaten, die ihren Wohlstand auch der harten
Arbeit von Gastarbeitern verdanken.
Immigranten können in Südtirol nicht nur Arbeit finden,
so lang gute Bedingungen am Arbeitsmarkt herrschen, sondern
erhalten auch Sozialunterstützung und Dienstleistungen von
hohem Standart, die von einer Landesregierung, die zu den
effizientesten Italiens gehört, zur Verfügung gestellt
werden. Seit einem Jahr ist Südtirol eines der zehn
reichsten Länder der EU (berechnet nach dem
Pro-Kopf-Einkommen). Daher verbessert die Immigration unsere
Wirtschaft und unser Sozialsystem. Gleichzeitig wird der
durchschnittliche Lebensunterhalt der nationalen Minderheiten
erhöht. Das Zusammenspiel des ökonomischen und sozialen
Wohlergehens Südtirols erleichtert auch die Koexistenz der
ethnischen Gruppen. Dies kann als Erfolg von Südtirols
autonomer Politik verbucht werden. Andererseits wird Emigration
durch Armut, Mangel an Arbeit und schlechter Regierung in einer
autonomen Region verursacht, wie es viele Jahre in Sardinien und
Sizilien der Fall war. Dies verletzt in entscheidendem Masse auch
den Minderheitenschutz.
Die Einwanderung neuer Nicht-EU-Bürger nach Südtirol
hängt von den Regelungen der Zentralverwaltung ab, die nur
so vielen Immigranten eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, als
der Arbeitsmarkt und die private Wirtschaft es erfordern. Die
Immigrationsgesetze Italiens verbinden in der Regel das Recht auf
eine Aufenthaltsgenehmigung mit einem Arbeitsvertrag. Sind
Ausländer über längere Zeit arbeitslos, verlieren
sie nach einer festgesetzten Obergrenze ihre
Aufenthaltsgenehmigung. Ausländer fungieren allgemein als
"Puffer" und als "Joker" auf dem Arbeitsmarkt, da sie häufig
flexibler als einheimische Kräfte sind. In Krisenzeiten
könnte der Staat Italien z.B. auf die Erneuerung von
zehntausenden Zwei-Jahres-Aufenthaltsgenehmigungen verzichten, um
die Zahl der Einwanderer zu verringern. Aber wir wissen auch,
dass Italien sowohl mittel- wie langfristig Ausländer
für die eigene Wirtschaft und das eigene Sozial-System
braucht. Was kann man über die politischen Rechte der
Immigranten in Südtirol sagen? Entsprechend der
gegenwärtigen Rechtslage, haben Ausländer nicht das
Recht zu wählen (weder bei politischen noch bei
administrativen Wahlen), obwohl eine direktere Teilnahme am
lokalen politischen Geschehen zweifellos die Verantwortlichkeit
erhöhen und die Integration im Gastland erleichtern
würde. In Südtirol tritt das aktive Wahlrecht auch fur
italienische Staatsbürger erst nach vier Jahren
Ansässigkeit in Kraft. Dieses Gesetz soll die nationalen
Minderheiten vor mutwilligen oder politisch motivierten
demographischen Veränderungen schützen, die, wie es in
der Vergangenheit öfters schon der Fall war, durch politisch
geförderte Immigration verursacht worden waren.
Es gibt jedoch einige Institutionen im städtischen Bereich
mit Beratungsfunktion, die versuchen, einige Formen des
politischen Miteinbezugs und institutioneller Vertretung (z. B.
"consulta degli stranieri") zu ermöglichen. Italien muss
sich anderen EU-Mitgliedstaaten anpassen, die Ausländern
bereits das Recht, bei lokalen Wahlen wählen zu dürfen,
zugestanden haben. Was können wir über das Recht auf
Wohnsitz und Staatsbürgerschaft und deren Auswirkungen auf
das regionale ethnische Gleichgewicht sagen? Derzeit ist die
maximale Gültigkeit einer Aufenthaltserlaubnis (Permesso di
Soggiorno) auf zwei Jahre begrenzt. Dadurch ist Immigranten
unmöglich, an ein langfristiges Arbeits- und
Aufenthaltsprojekt zu denken und sie werden nicht angeregt, sich
besonders um eine Integration zu bemühen. Die Zuwanderung
aus Arbeitsgründen ist durch ein nationales Quotensystem
reguliert, dessen jährlich festgelegte Quoten vom
Innenministerium bestimmt werden. Diese Quoten ziehen auch die
Familienzusammenführung in Erwägung. Die italienische
Rechts-Regierung schränkt die Ausgabe von Visas in
jüngster Zeit immer mehr ein.
Eine zweite Art der Aufenthaltserlaubnis ist die lange
Aufenthaltsgenehmigung (Carta di Soggiorno), die nach sechs
Jahren des legalen Wohnsitzes beantragt werden kann. Dafür
müssen die Immigranten ein rechtmäßiges
Beschäftigungsverhältnis vorweisen (Arbeits- oder
Studienplatz) und genügend Mittel für den
Lebensunterhalt nachweisen können. Mit dieser
Aufenthaltserlaubnis können Ausländer das Staatsgebiet
ohne Visum betreten und es werden ihnen somit alle Rechte
(ausgenommen dem Wahlrecht und dem Recht auf öffentliche
Arbeit) eines Staatsbürgers zuteil. Das Recht auf
italienische Staatsbürgerschaft wird in der Regel erreicht
durch:
- ein gewöhnliches Einbürgerungsverfahren, das einen
legalen Wohnsitz von mindestens 10 Jahren voraussetzt;
- ein Ehevertrag mit einem/r italienischen Staatsbürger/in
und einer mindestens 6-monatigen legalen Aufenthaltsdauer in
Italien, oder ein dreijähriger Ehevertrag, unabhängig
vom Wohnsitz.
Es gibt auch andere Formen der Einbürgerung, deren
Inanspruchnahme jedoch zahlenmäßig weniger wichtig
ist. Gegenwärtig erlangt die Mehrheit der Immigranten die
Staatsbürgerschaft durch Eheschließung. In den anderen
Fällen müssen Ausländer bestimmte Anforderungen
erfüllen, wie die Erfüllung steuerlicher
Verpflichtungen, sich keinerlei kriminelle Taten zuschulden
kommen lassen, über genügend ökonomische Mittel
verfügen und einen bestimmten Grad an Sprachkenntnissen
haben. In Südtirol sind die Zahlen der Einbürgerung von
Einwanderern noch sehr niedrig. In Italien, wie auch in anderen
EU-Mitgliedsländern wird vorausgesehen, dass die
Staatsbürgerschaftsgesuche mit der Stabilisierung der
Immigration wachsen werden. Südtirol hat keine Kompetenz in
der Bewilligung von Staatsbürgerschaften, um den wachsenden
Einwandererfluss in die Provinz zu begrenzen und zu
stabilisieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Entwicklung
in bestimmten Bereichen (Arbeits- und Wohnmarkt), den Zufluss
automatisch regulieren und so jegliche Bildung von Randgruppen
von arbeitslosen und armen Ausländern, mit einem
politisch-sozialen Konfliktpotenzial, verhindern wird.
Südtirols Kompetenzen liegen nicht im Bereich der
Immigration, sondern in denen der Wirtschaftspolitik, der
Sozialeinrichtungen, des Gesundheitswesens, der Infrastrukturen,
des sozialen Wohnungsmarktes, des Arbeitsmarktes und der
Ausbildung. Bisher stand die Landesregierung unter Druck und
wurde kritisiert, nicht wegen eines zu starken
Einwandererzuflusses und zweifellos nicht weil sie die Kontrolle
über den Einwandererfluss verloren hätte, sondern weil
sie riskierte, nicht genug Genehmigungen für Saisonarbeiter
aus den jährlichen Quoten zu erwerben, die durch die
Zentralverwaltung in Rom festgelegt werden. Der Einwandererzuzug
wird von zwei Märkten beeinflusst: Einerseits ist es der
Arbeitsmarkt, der besonders auf Saisonarbeiter in Tourismus und
Landwirtschaft ausgerichtet ist und andererseits ist es der
Wohnungsmarkt. Das enorm hohe Niveau der Immobilienpreise und
Mieten beugt einem großen Zufluss von Immigranten vor, da
diese nicht für dementsprechend hohe Lebenshaltungskosten
aufkommen können.. Es wird jedoch bereits darüber
diskutiert, dass eine wirklich autonome Region als letztes Mittel
effizientere gesetzliche Möglichkeiten haben sollte, um in
Zeiten einer Wirtschaftskrise, eine Kontrolle über die
Immigration zu haben.
Wenn wir einerseits die Bewahrung der kulturellen Identität
einer nationalen Minderheit und andererseits die Wahrung eines
friedlichen und kooperativen Gleichgewichts zwischen
unterschiedlichen ethnischen Gemeinschaften als Kernpunkt
für den Aufbau eines gemeinsamen Autonomiesystems in Europa
betrachten, so ist das Südtiroler Modell, das ja bekanntlich
auf einer Kombination von Integration und Segregation der
Sprachgruppen beruht, von der neuen Immigration noch nicht in
Frage gestellt worden. . Während der Prozentsatz der
italienischsprachigen Einwohner 2005 noch 26% der
Gesamteinwohnerzahl ausmacht und langsam sinkt, bleibt der
Prozentsatz der Deutschsprachigen und Ladiner gleich. Die fremden
Einwanderer ersetzen die Zahl der auf Grund demographischer
Faktoren immer weniger werdenden Italiener. Es gibt keinen
Nachweis dafür, dass die Ausländer eine Bedrohung
für den Schutz der alteingesessenen nationalen Minderheiten
sein könnten, während sie sicherlich eine Gelegenheit
bieten, um einen kreativen Prozess der Modernisierung der
Gesellschaft einzuleiten.
Dadurch, dass Ausländer kein Wahlrecht haben
(EU-Bürger ausgenommen), hat auch die langsame Erweiterung
des eingewanderten Bevölkerungsanteils keine Auswirkungen
auf die Politik. Sollten Immigranten zukünftig auch das
Recht erhalten, bei lokalen administrativen Wahlen teilzunehmen
(Landtagswahlen ausgeschlossen), so ist es doch unwahrscheinlich,
dass dies eine Veränderung des Gleichgewichtes unter den
drei amtlichen ethnischen Gruppen Südtirols mit sich bringen
würde. Wie schon in anderen EU-Regionen, würde ihre
Stimmen aufzeigen, wie sie sich auf pluralistische Weise auf die
verschiedenen Parteien verteilen und sich in die lokale
Gesellschaft integrieren.
Dadurch, dass Einwanderer gleiches Recht auf soziale Dienste und
Unterstützungen haben, ist voraus zu sehen, dass sie in
Zukunft eine größere Quote dieser Ressourcen
beanspruchen werden. Dies wird jedoch nicht zu Lasten der
ansässigen ethnischen Gruppen gehen, da die Kriterien zur
Verteilung sozialer Ressourcen nicht ethnisch ausgerichtet ist.
Zudem stützt sich das Südtiroler Autonomiesystem auf
zwei Hauptpfeiler, die als eine Art Schutz der vorhandenen
öffentlichen Gelder funktionieren: zum einen das
Zweisprachigkeitssystem in allen öffentlichen Bereichen und
zum anderen die Regel der ethnischen Proportionalität
für alle Stellen des öffentlichen Dienstes. Kann sich
die Immigration auf diese Basisregeln auswirken? In Bezug auf den
Gebrauch der Amtssprachen kann auch eine bedeutend
größere Anzahl von Einwanderern die bereits bestehende
juristische Regelung nicht verändern.
In Bezug auf öffentliche Arbeitsstellen (eingeschlossen der
lokalen - Gemeinden, Land, Region, andere - und der staatlichen
Verwaltung, wovon letztere z.Zt. nicht mehr als 18% der Jobs, die
von der öffentlichen Verwaltung vergeben werden. deckt)
müssen Einwanderer eine zusätzliche Hürde
überwinden : die Staatsbürgerschaft. Im
öffentlichen Dienst sind nämlich die bedeutendsten
Arbeitsstellen bisher allein Staatsangehörigen vorbehalten.
Nicht EU-Bürger können zwar in einigen
Arbeitsbereichen, z.B. als Sanitätspersonal, oder bei der
nationalen Eisenbahngesellschaft, oder auch auf der Basis
besonderer Arbeitsverträge eingestellt werden, aber im
eigentlichen Verwaltungsbereich können sie nicht arbeiten.
Auch wenn eine größere Anzahl von Einwanderern die
Staatsangehörigkeit bekommen sollte, bleiben die
Unterschiede in der Berufsausbildung, dem Grad des
Schulabschlusses und den Voraussetzungen für die
Zweisprachigkeit groß und fungieren als zusätzliche
Hürden. Für den Großteil der Einwanderer wird es
auch äußerst schwierig sein, bei öffentlichen
Arbeitsstellen Schritt mit lokalen Anwärtern halten zu
können, da in diesem Sektor eine schriftliche und
mündliche Kenntnis beider Amtssprachen gefordert wird.
Verschiedene Beobachter sehen bereits eine schwerwiegende
Diskussion über die UE-Kompatibilität des
Proportionalität-Prinzips und dem Prinzip der
Gleichberechtigung voraus, obwohl bisher Brüssel die
Zweisprachigkeitsregeln nie angefochten hat (mit Ausnahme der Art
und Weise auf welche der Zweisprachigkeitsnachweis erhalten
wird).
Die einschneidendsten Folgen auf die gegenwärtige Situation
der ethnischen Gruppen und damit auf die Qualität des
Minderheitenschutzes in Südtirol werden sich im
Südtiroler Schulsystem ergeben.. Wie die Erfahrung in
anderen Einwanderungsländern mit mindestens
zehn-jähriger Einwanderung, wie Österreich, Schweiz,
Deutschland, gezeigt hat, kann die Qualität des
Schulsystems, unter einer starken Mehrsprachigkeit in den Klassen
und wenn bestimmte Grenzen von Schülerzahlen
überschritten werden, die aus verschiedenen kulturellen und
sprachlichen Situation stammen, sehr leiden. Südtirol (im
Konkreten in den deutschsprachigen und ladinischen Schulen) ist
noch weit von diesem Grenzwert entfernt und die weitere
Entwicklung hängt in besonderem Maß von der Art und
Weise ab, in der Maßnahmen zur Integration und zur
Unterstützung im erzieherischen und sozialen Bereich
ergriffen werden. Man sollte auch hier von der Erfahrung anderer
Länder lernen.
Die Immigration in Südtirol wächst langsam, aber
kontinuierlich und nähert sich dem quantitativen Niveau
seiner benachbarten Regionen: im Norden (Nordtirol, Salzburg), im
Westen (Schweiz, Kanton Graubünden, Luxemburg, Katalonien)
und ist von zwei hauptsächlichen Aspekten
gekennzeichnet:
- ein starker saisonbedingter Charakter, und somit eine hohe
Flexibilität und eine begrenzte Aufenthaltsdauer des
größten Teils der Immigranten;
- eine ansteigende Bedeutung der Immigranten aus Osteuropa,
sowohl aus den neuen EU- Mitgliedsländern als auch aus den
nicht EU- Ländern.
Die Immigration in Südtirol begann erst spät, d.h. ca.
um 1990 und hat sich heute zu einer der größten
Gelegenheiten für ein Wirtschaftswachstum entwickelt, aber
auch für eine kulturelle Bereicherung und Öffnung, bis
hin zum "Global Village". Die Immigration trägt zur
beständigen positiven Entwicklung der Südtiroler
Wirtschaft und der Sozialversicherungsleistungen bei. Trotz der
generell positiven Auswirkungen, wirft die Immigration auch zwei
wichtige Grundsatzfragen auf:
- wer hat die politische Kontrolle über den
Einwandererzufluss (z.B. Wer kontrolliert unter welchen Kriterien
den Immigrantenzufluss)?
- wer trägt die Verantwortung für die Bemühungen
zur Integration?
Die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche
Wachstum kurbeln die Immigration in Südtirol an, sie kann
jedoch nur teilweise von der autonomen Landesregierung
beeinflusst werden. Die direkten Kompetenzen zur Regulierung des
Einwandererzuflusses liegen vollständig in den Händen
der italienischen Zentralverwaltung.
Andererseits gehören die Bemühungen zur Integration der
Einwanderer in die lokale Gesellschaft zu den Aufgaben der
lokalen Verwaltung, die volle Entscheidungsbefugnis in den
Bereichen der Ausbildung, des Gesundheitswesens, des sozialen
Wohnbaus und der Sozialhilfe hat. Deshalb wäre es notwendig,
die Kompetenzen der autonomen Regionen auf dem Gebiet der
Einwanderungspolitik zu verstärken, obwohl die allgemeine
Tendenz innerhalb der EU jene zu sein scheint, dass nach dem
Aufbau eines eher noch stärker koordinierten
Einwanderungssystems auf europäischer Basis, auch
Immigranten aus Dritt-Ländern volle Mobilität
garantiert wird. Um die Herausforderung der Integration in einer
mehrsprachigen Umwelt meistern zu können, benötigen
autonome Regionen mit ethnischen oder nationalen Minderheiten
durchaus spezifische legale, finanzielle und politische
Mittel.
Thomas Benedikter, Europäische Academie Bozen (29.9.2005). Übersetzung von Monika Christof, Veronika Schrott, Nadja Vulkan.