Von Paul T. Colgan, 29.8.2004, Sunday Business Post
10 Jahre nach Verkündigung des ersten unbegrenzten Waffenstillstands der IRA am 31. August 1994 fehlen im Norden Irlands immer noch Menschenrechte, Gleichheit, eine gemeinsame Regierung, eine richtige Polizeireform und die Reduktion der übermächtigen britischen Militärpräsenz.
Für viele irische Nationalisten war der 31. August 1994
(der Tag der Verkündigung des ersten unbegrenzten
Waffenstillstandes der IRA) der Tag, der das Ende der jahrelangen
Diskriminierungen und Misshandlungen durch die nordirische
Polizei RUC und die britische Armee einläuten würde.
Neueste Statistiken zeigen jedoch, dass britische Armee und der
Police Service of Northern Ireland (PSNI) im letzten Jahr fast
15000 Personen angehalten und durchsucht hat.
Etwa 11000 von denjenigen, die durchsucht wurden, wurden von
britischen Soldaten aufgehalten. South Armagh und East Tyrone,
zwei fast ausschliesslich irisch-nationalistische Gebiete, sind
nach wie vor extrem militarisiert. Das Grenzgebiet in South
Armagh ist nach wie vor überladen mit militärischen
Wachtürmen, monströsen Militär-und
Polizeibarracken und militärischen
Helikopterlandeplätzen. Der erst kürzlich erschienene
Bericht der International Monitoring Commission macht darauf
aufmerksam, dass diese Gegend jeden Monat von mehreren tausend
Militärhelikoptern überflogen wird - trotz des Fehlens
einer erkennbaren paramilitärischen Bedrohung.
Kein einziger Polizist der PSNI und kein einziger britischer
Soldat ist seit 1998 (dem Jahr der Unterzeichnung des
Karfreitagsabkommens) durch Paramilitärs ums Leben gekommen.
Zwar folgte dem Waffenstillstand der IRA sechs Wochen später
eine Waffenstillstandserklärung des Combined Loyalist
Military Command (pro-britische Paramilitärs der UVF und
UDA). Diese beiden grössten loyalistischen (pro-britischen)
paramilitärischen Gruppen behielten jedoch ihre Waffen und
überziehen nach wie vor in unregelmässigen
Abständen katholische Viertel mit Gewalt.
Der Waffenstillstand der Ulster Defence Association (UDA) wurde
von der britischen Regierung für null und nichtig
erklärt, trotzdem wird der Führungsspitze der
Organisation erlaubt, weiter zu operieren. Gewalttätige
Auseinandersetzungen gab es in den vergangenen Jahren
hauptsächlich in loyalistischen Gebieten, wie z.B. in
Ostbelfast oder Norddown. Trotzdem konzentriert die britische
Armee ihre Anwesenheit auf die irisch-nationalistischen
Viertel.
1996 konnten Katholiken in Mid-Ulster die Gründung der
Loyalist Volunteer Force (LVF)miterleben - einer Abspaltung der
UVF, die schon bald in dutzende Mordversuche gegen Katholiken
verwickelt war. Man nimmt an, dass die LVF in hohem Masse von
Geheimagenten der Polizei RUC und der britischen Armee durchsetzt
ist. Es hängen immer noch viele Fragezeichen über der
Polizeireform. Die Geheimpolizei Special Branch, die
jahrzehntelang einen Krieg gegen irische Republikaner
führte, muss nach Meinung Sinn Fein's erst noch entmachtet
werden. Die Partei sagt, sie könne die neuen
Polizeistrukturen nicht akzeptieren, solange die Special Branch
nicht aus dem Verkehr gezogen und die Hoheit über Justiz und
Polizei nicht aus London nach Nordirland transferiert worden
ist.
Derzeit kann der (in London eingesetzte) Nordirlandminister
jederzeit mit der täglichen Polizeiarbeit interferieren.
Bedenkt man, dass in der Vergangenheit die Diskriminierung der
irisch nationalistischen Bevölkerung durch den nordirischen
Staat zu grossem Zuspruch für die Kampagne der IRA
geführt hatte, ist sehr erstaunlich, dass sich die britische
Regierung so ausserst zögerlich um die Kernpunkte
Menschenrechte und Gleichheit kümmert. Die beiden Gremien,
die aufgesetzt wurden, um sich um Gleichheit und Menschenrechte
zu kümmern, erwiesen sich weitgehend als ineffektiv.
Die Human Rights Commission (HRC), die 1999 ins Leben gerufen
wurde, wird von irischen Nationalisten wegen des Versagens, ihre
Menschenrechte zu schützen, schwer angegriffen. Die
Authorität der Kommission wurde völlig ausgehöhlt,
als der Vorsitzende Brice Dickson sich auf die Seite des
ehemaligen RUC-Chefs Ronny Flanagan und gegen die Eltern der Holy
Cross Grundschülerinnen stellte. (RUC ist der alte Name der
nordirischen Polizei.) Eltern eines der Kinder hatten die
Unterstützung der HRC für eine Klage gegen die RUC und
ihre Vorgehensweise während der Holy Cross Vorfälle
gewonnen.
Loyalisten waren damals nicht daran gehindert worden, die Holy
Cross Kinder auf dem Weg zur Schule zum Spiessrutenlaufen zu
zwingen. Sie bombardierten die Kinder mit Beleidigungen, Urin und
Rohrbomben. Dickson schrieb damals privat an Flanagan und
versicherte ihm, er stimme nicht mit der Entscheidung der HRC
überein, diesen Fall zu unterstützen. Eine
parlamentarische Kommission hat mittlerweile wegen dieser
Korrespondenz die Unabhängigkeit Dicksons in Frage gestellt.
Die derzeitige Menschenrechtskommission muss erst noch ihr
Hauptziel umsetzen, nämlich verbindlich Rechte
festzuschreiben. Vier Mitglieder sind seit der Gründung
zurückgetreten und etliche der nationalistischen Mitglieder,
die noch nicht zurückgetreten sind, nehmen nicht mehr an
Sitzungen teil. Eine Neuorganisation der Kommission ist für
dieses Jahr geplant.
Auch der Gleichheits-Kommission wurde vorgeworfen, dass sie
Arbeitnehmer nicht aussreichend in ihren
Anti-Diskriminierungsvorwürfen gegen Arbeitgeber
unterstützt. Im Jahre 2002 erregte die Kommission Aufsehen,
als sie Fällen Unterstützung entzog, die bereits in
Verhandlung waren. Dies führte damals zum Kollaps etlicher
Gerichtsverfahren. Erst kürzlich wurde enthüllt, dass
die Kommission zwar Statistiken zu rassistisch motivierten
Gewalttaten führt, aber keine Mechanismen hat, um sectarian,
also religiös-motivierte Gewalttaten zu
überwachen.
Die Reform des Strafrechts lässt ebenfalls auf sich warten.
Der für die Überwachung der Reform zuständige
Beauftragte hat im Juni berichtet, dass signifikante Reformen
noch ausstehen und hat angemahnt, dass die Frage der Reformen
nicht Gegenstand der Verhandlungen zur Wiederherstellung der
gemeinsamen Regionalregierung sein dürfe. Die erst
kürzlich etablierte Kommission zur Berufung von Richtern
soll die Transparenz bei der Einstellung von Richtern in
Nordirland verbessern - seit Jahren gehört der
Großteil der Richter fest zur unionistischen (d.h.
pro-britischen) Elite.
Keine dieser Kommissionen, nicht diese, nicht die
Menschenrechtskommission und auch nicht die Gleichheitskommission
wird von einem Vertreter der irischen Nationalisten geführt.
Die neue Wahlgesetzgebung, die angeblich eingeführt wurde,
um Wahlbetrug zu unterbinden, hat zehntausende ihres Wahlrechts
beraubt. Nach neuen Statistiken, die auf der jüngsten
nordirischen Volkszählung beruhen, war einer von 6
Wählern nicht in der Lage, bei der Wahl der
Regionalregierung im letzten November seine Stimme abzugeben.
Entweder war der Name aus dem Wahlregister gelöscht worden
oder die Identifizierung im Wahllokal war nicht
ausreichend.
Wähler sind nun verpflichtet, kontinuierlich (in
jährlichem Rythmus) ihr Wahlrecht neu zu beantragen. Dies
trifft vor allem die älteren und die Wähler in
benachteiligten Stadtvierteln. Schatten von 1967 zogen letzte
Woche auf, als die SDLP das nordirische Ministerium für
Regionalentwicklung beschuldigte, es würde nationalistische
Gebiete bei der Zuweisung von Wohnraum diskriminieren.
Diskriminierung bei der Zuweisung von Wohnraum war einer der
Hauptfaktoren für das Entstehen der
Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern. Und diese
Diskriminierung ist heutzutage - nach den Worten der SDLP - immer
noch existent.
Die Partei sagt, dass die Pläne des Ministeriums, Schaffung
von Wohnraum in vorwiegend katholischen Gebieten zu reduzieren,
dazu führen würde, dass junge Nationalisten aus
ländlichen Gebieten vertrieben würden. Und dies
könnte die Stimmverhältnisse gravierend ändern.
Die Pläne wurden von Gregory Campbell genehmigt, als er
für die DUP Minister in der Stormonter Regionalregierung
war. Dem irischen auswärtigen Amt wurden Statistiken von der
SDLP präsentiert, die hohe Defizite in der Schaffung von
Wohnraum in Gebieten wie Derry, Magherafelt und Newry zeigt.
Übersetzung: Uschi Grandel, 30. August 2004, Text in
Klammern dient der Erläuterung. Save the Good Friday
Agreement Coalition (Germany) unterstützt den
Friedensprozess in Nordirland [ www.info-nordirland.de
]
c/o Dr. Uschi Grandel, Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling,
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