von Christine Frauer
Israel und die palästinensischen Gebiete sind in jeder
Hinsicht Regionen voller Gegensätze: kulturell und
politisch, aber auch hinsichtlich der Vegetation und der
Klimazonen. In diesem kleinen Land ist es kein Problem, in der
Wüste zu wandern und dies mit einem Bad in frischem
Quellwasser zu verbinden, oder innerhalb von zwei Autostunden von
grünen Bergen am See in eine karge, trockene
Steinwüstenlandschaft zu gelangen.
Trotz der grünen Partien ist deutlich: Das Land gehört
zu den wasserarmen Ländern der Erde. Trotz seiner Lage am
Mittelmeer wird das Klima vor allem durch die Nähe der
großen Wüstengebiete im Süden und Osten
beeinflusst. Dazu kommt, dass die Wasserressourcen räumlich
und zeitlich sehr ungleich verteilt sind. Dreiviertel der
Niederschläge fallen in den vier Wintermonaten November bis
Februar, während sechs Monate im Jahr praktisch regenlos
sind. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge schwankt zwischen
400 und 800 mm jährlich in den nördlichen und
westlichen Regionen des Landes und nimmt nach Süden und
Osten bis zu Null ab. 60% des Landes sind wasserarme Regionen, in
denen Landwirtschaft nur bei ganzjähriger künstlicher
Bewässerung betrieben werden kann.
Damit steht die Wasserversorgung vor der Herausforderung, alle
verfügbaren Wasserressourcen zu erschließen und
dennoch in einem ökologisch verantwortlichen Maß zu
nutzen und einen Ausgleich zwischen wasserarmen und wasserreichen
Regionen, Jahreszeiten und Jahren zu schaffen. Dies jedoch
gelingt um so weniger, je mehr die Bevölkerung zunimmt. Bis
zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die einzige verfügbare
Wasserquelle Oberflächenwasser aus Seen und Flüssen.
Grundwasser konnte nur dort genutzt werden, wo es durch
natürliche Quellen zu Tage trat oder die Wasser
führende Schicht so nahe an der Oberfläche lag, dass
einfache Brunnen gebaut werden konnten. Dadurch beschränkte
sich die Landwirtschaft auf den nordwestlichen Teil des Landes
und die Küstenebene. Die massive Zuwanderung jüdischer
Immigranten ab 1920 erforderte eine intensivere Landwirtschaft
und damit ein effizientes Bewässerungssystem, das die
Nutzung der trockenen Regionen ermöglichen konnte. Nicht
umsonst bestand der Traum der zionistischen
Gründerväter wie David Ben Gurion darin, "die
Wüste zum Blühen zu bringen" und damit die Lebenskraft
des neuen jüdischen Staates zu versinnbildlichen. Durch
moderne Bohrungstechniken wurden nun die Grundwasserressourcen
erschlossen und ein Wasserleitungssystem gebaut, mit dem Wasser
aus dem Norden in den Süden gepumpt werden konnte.
Die Wasserressourcen und ihre Nutzung
Das größte Oberflächenwassersystem ist das
Jordan-Becken, zu dem auch der See Genezareth gehört. Auf
dieses Wassersystem haben gemäß internationaler
Vereinbarungen Israel, die Palästinenser, Jordanien, Syrien
und der Libanon Wasserrechte. Seit 1976 versucht Israel, die
Niederschlagsmenge im Gebiet des Oberen Jordan und des Sees
Genezareth durch Beschießung der Wolken mit Silberjodid und
Aceton zu erhöhen. Das soll den Kristallisationsprozess
beschleunigen und die Wolken zum Abregnen bringen. Der
Niederschlag soll sich durch dieses Verfahren um 15-18%
erhöht haben. Da das Jordanbecken durch den Zusammenfluss
verschiedener Flüsse entsteht, von denen einer auch
über die Golanhöhen fließt, ist aus der Sicht
Israels eine Rückgabe des Golan aus wasserstrategischer
Sicht unmöglich. Zu groß ist die Angst vor einem neuen
Versuch Syriens, Israel das Wasser abzugraben, wie dies vor dem
Sechs-Tage-Krieg der Fall war. Außerdem sind israelische
Politiker der Meinung, dass Syrien das Wasser des Golan durch
Abwässer verunreinigen und damit den See Genezareth
gefährden würde (inwieweit diese Befürchtungen
realistisch sind, ist schwierig zu beurteilen). Er ist der
einzige Frischwassersee Israels und für die Wasserversorgung
des Landes der zentrale Punkt. Vom israelischen Wasserwerk
Mekorot werden jährlich ca. 400 Mio. Kubikmeter (MCM)
abgepumpt. Aufgrund mehrerer trockener Winter wurde allerdings im
Oktober erstmals die kritische Rote Linie erreicht. Trotzdem
wurde weiter abgepumpt, und der Pegel sank weiter. Im Jahr 2000
wurde die Abpumprate daher auf 235 MCM reduziert. Dennoch war
Anfang August 2001 die Linie schon wieder erreicht... und wurde
daraufhin von der Wasserkommission tiefer angesetzt, es musste ja
weiter abgepumpt werden.
Der See ist jedoch ein empfindliches Ökosystem, das durch
die Verschlechterung der Wasserqualität massiv
gefährdet ist. Verschmutzung durch intensive Landwirtschaft
und durch ungeklärte Haushaltsabwässer sowie
Erhöhung des Salzgehaltes durch salzige Quellen rund um den
See wirken sich bei niedrigem Wasserstand um so stärker aus.
Wie eine Untersuchung der israelischen Menschenrechtsorganisation
B´Tselem berichtet, ist die Wasserqualität des aus dem
See herausfließenden Unteren Jordan bereits so schlecht,
dass es ohne vorherige Entsalzung kaum genutzt werden kann.
Wasser fehlt folglich auch dem Toten Meer, dessen Pegel durch den
geringen Zufluss in den letzten Jahren um mehr als 16 m gesunken
ist.
Die Grundwasserressourcen, die von besonders hoher Qualität
sind, werden aus den verschiedenen "Aquiferen", den
wasserführenden Schichten, abgepumpt. 80% der
größten Wasservorkommen (der sogenannte "Western
Aquifer") liegen auf dem Gebiet der West Bank, während
jedoch fast alle Wasserspeichergebiete auf israelischer Seite
liegen. Pro Jahr entnimmt Israel 350 MCM, die
palästinensische Seite jedoch nur 22 MCM. Die
Wiederauffüllung des Aquifers durch Niederschläge wird
aber nur auf 360 MCM pro Jahr geschätzt, so dass die
Abpumpraten langfristig unbedingt gesenkt werden müssen,
wenn der Grundwasserspiegel nicht noch weiter absinken
soll.
Aus den Wasservorkommen nahe der Küste wurde jahrelang mehr
abgepumpt als die Niederschläge wieder auffüllten.
Deshalb konnte Meerwasser eindringen, wodurch der Salzgehalt sich
enorm erhöht hat. Für den dicht besiedelten
palästinensischen Gazastreifen ist dieser sogenannte Coastal
Aquifer jedoch die einzige Wasserquelle, weshalb die Abpumprate
aufgrund des starken Bevölkerungswachstums sogar noch
erhöht werden muss - ungeachtet des Salzes und der hohen
Chlorid- und Nitratkonzentration. Während der
europäische Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser bei
45mg/l liegt, ist er in Israel schon auf 90mg/l erhöht
worden, und selbst dieser Grenzwert wird bereits stellenweise
überschritten. Eine zu hohe Nitratkonzentration kann vor
allem bei Babys zu Methemoglobie ("Blue-Baby-Disease")
führen. Nur 7% des Wassers des Gaza Aquifers für
Haushaltszwecke werden nach WHO-Standards als gut eingestuft, 38%
haben mittlere, 55% schlechte oder sogar sehr schlechte
Qualität, so der Bericht von B´Tselem.
Neben Oberflächen- und Grundwasser sind die Sammlung von
Regenwasser, der Ausbau der teuren und energieaufwändigen
Meerwasserentsalzungsanlagen und die Wiederaufbereitung von
Abwässern Versuche, die Wasserknappheit abzumildern. Nicht
nur der Wassermangel jedoch, auch und gerade die ungerechte
Verteilung des kostbaren Gutes ist ein Hauptproblem zwischen
Israel und den besetzten Gebieten.
Die Wasserkrise in den palästinensischen
Gebieten
Das Jordanbecken und das Grundwasser des Mountain Aquifer sind
die beiden Quellen, die Israel nach internationalem Recht mit den
Palästinensern teilt. Geographisch liegt das Gebiet des
Mountain Aquifer hauptsächlich auf palästinensischer
Seite, doch Israel nutzt 79% des Wassers für sich, für
die Palästinenser bleiben 21%. Das Jordanbecken können
die Palästinenser seit 1967 überhaupt nicht mehr
nutzen. Neben privat gesammeltem Regenwasser bleiben den
Palästinensern nur die Grundwasser des Mountain Aquifer und
des salz- und nitrathaltigen Coastal Aquifer. Daher sind sie
schon seit Jahren gezwungen, Wasser von Mekorot abzukaufen.
Der durchschnittliche Wasserverbrauch der Westbank beträgt
für Haushalte, urbane Zwecke und Industrie derzeit 60 Liter
pro Person und Tag. Demgegenüber verbraucht ein Einwohner in
Israel für die gleichen Zwecke 350 Liter pro Tag, der
Wasserverbrauch in den jüdischen Siedlungen in Westbank und
Gazastreifen wird sogar auf 584 Liter am Tag geschätzt. Die
WHO nennt als empfohlene Mindestmenge 100 Liter pro Tag. Wasser
für den Agrarsektor ist darin noch nicht enthalten.
Während alle Haushalte in Israel trotz der Wasserkrise
(noch?) mit einer unbegrenzten Menge sauberen Wassers versorgt
werden, ist die Wasserversorgung der Palästinenser oft
unzureichend, sowohl was Menge, als auch was Qualität des
Wassers betrifft, und unzuverlässig - im Sommer können
einige Städte manche Bezirke nur stundenweise oder nur
manche Tage pro Woche mit Wasser versorgen.
Diese ungleiche Verteilung des Wassers geht bereits in die
Fünfziger Jahre zurück. Das technisch und
ökonomisch weiter entwickelte Israel pumpte bereits zu
dieser Zeit aus Aquiferen ab, die mehrheitlich auf
palästinensischem (damals jordanischem) Gebiet liegen. Als
Israel 1967 die Kontrolle des Wassersektors von Ägypten und
Jordanien übernahm, wurde es nach internationalem Recht auch
verpflichtet, die "natürlichen Ressourcen" der besetzten
Gebiete verantwortlich zu verwalten. Stattdessen hat Israel eine
Entwicklung, die dem steigenden Wasserbedarf der Westbank gerecht
geworden wäre, durch mangelnde Investitionen in diesem
Bereich und durch Einschränkungen und Verbote verhindert.
Einige Studien konnten nachweisen, dass die Menge der
öffentlichen Ausgaben in den besetzten Gebieten geringer als
die von Israel eingenommene Steuermenge war. Die
Erschließung neuer Brunnen für die Westbank wurde
durch langwierige und oft erfolglose bürokratische Prozesse
erschwert, so dass bis 1996 weniger Brunnen neu erschlossen
wurden, als bereits vorhandene versiegten. Uneinigkeit besteht in
der Frage, ob durch die Bohrung von Tiefbrunnen für
israelische Siedlungen die flacheren Brunnen der
palästinensischen Nachbarschaft zum Versiegen gebracht
worden sind - dies behaupten palästinensische Forscher. Die
israelischen Forscher erkennen das nur in einem Fall an und
vertreten in den anderen Fällen die Ansicht, dass die
tieferen Grundwasserschichten der israelischen Brunnen keine
Verbindung zu den flacheren hätten. Ab 1975 regelte Israel
durch Quoten die Menge des Wassers und die Tiefe der Brunnen,
ohne dabei auch nur annähernd dem Bedarf der
Bevölkerung gerecht zu werden. Seit 1967 hat Israel nun auch
Zugang zum Mountain Aquifer, den es vor der Eroberung der
Westbank nicht nutzen konnte.
Die Verträge des Friedensprozesses Anfang der Neunziger
Jahre haben zwar große Hoffnungen ausgelöst, die
Wasserversorgung der Palästinenser aber kaum verändert.
Zwar erhielt die palästinensische Autonomiebehörde die
Verantwortung für die existierenden Brunnen und
Wasserleitungen auf ihrem Gebiet. Alle neuen Projekte
bedürfen aber der Zustimmung durch das Joint Water
Committee, das paritätisch mit Israelis und
Palästinensern besetzt ist und Entscheidungen nur bei einem
Konsens aller Mitglieder fällt, so dass Israel die
palästinensische Seite immer blockieren kann.
Außerhalb der kleinen A-Gebiete bedarf es ohnehin der
Zustimmung der israelischen Zivilverwaltung, auf die oft
jahrelang gewartet werden muss, wenn sie überhaupt kommt.
Die einzige konkrete Verbesserung war die Einigung auf
zusätzliche 28,6 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr, die
in geteilter Verantwortung erschlossen werden sollte. Doch davon
sind bis heute nur 16 Millionen Kubikmeter zur Verfügung
gestellt worden. Uneinigkeit besteht darüber, welche Seite
für die Verzögerung der Erschließung der
restlichen Menge verantwortlich ist. Die palästinensische
Seite gibt mangelnde finanzielle Mittel und Verzögerungen
wegen fehlender Genehmigungen von israelischer Seite als Grund
an.
Ein großes Problem in den palästinensischen Gebieten
ist der Wasserverlust durch defekte Leitungen. Die letzte Studie
der israelischen Menschenrechtsorganisation B´Tselem gibt
für die Westbank einen Verlust von 25% an, für Gaza
sogar 35%. Verantwortung trägt hier seit 1995 die
palästinensische Autonomie, doch auch Israel hat durch
mangelnde Investitionen in den Erhalt und die Erneuerung von
Leitungen in der Zeit der Besatzung zu dieser Lage
beigetragen.
218 Gemeinden mit insgesamt 197.000 Einwohnern sind gar nicht an
das Wasserversorgungsnetz angeschlossen. Gesammeltes Regenwasser,
Quellwasser oder die Belieferung mit Tankwagen bleiben als letzte
Möglichkeiten. Doch seit Beginn der zweiten Intifada hat
Israel die Bewegungsfreiheit in den palästinensischen
Gebieten stark eingeschränkt. Die Versorgung von Gemeinden
durch Tankwagen ist dadurch enorm erschwert. Die Fahrten sind
durch die zahlreichen Checkpoints lange und kompliziert geworden.
Wie B´Tselem berichtet, haben israelische Soldaten in
einigen Fällen Tankwagen an Checkpoints zurückgewiesen
oder sogar deren Inhalt verschüttet.
Zukunftsperspektiven
Der Bevölkerungszuwachs in Israel lässt mit einem
steigenden Wasserbedarf von 30 MCM pro Jahr rechnen. In den
besetzten Gebieten, die jetzt schon unter Wassermangel leiden,
wächst die Bevölkerung noch schneller. Doch bereits
jetzt sind fast alle verfügbaren Ressourcen des Landes voll
ausgeschöpft. Wenige trockene Jahre würden
genügen, um einen extremen Notstand herbeizuführen.
Entwicklungsmöglichkeiten gibt es nur noch bei der
Abwasseraufbereitung und der Meerwasserentsalzung, doch beides
ist kostenintensiv und erfordert langfristige Planungen, die sich
bisher noch nicht erkennen lassen. Daneben existieren
Verträge mit der Türkei, von der Wasser importiert
werden soll. Doch die praktische Umsetzung dieses Projektes ist
noch nicht geklärt.
Langfristig sind nur durch Wassersparmaßnahmen und
drastische Einschränkungen der Wasserzuteilung für die
Landwirtschaft ein verantwortlicher Umgang mit dem knappen Gut
und eine gerechtere Verteilung zwischen Israel und den
palästinensischen Gebieten zu erreichen. Bisherige Versuche,
durch Kampagnen und gesetzliche Auflagen die Bevölkerung zu
einem sparsameren Umgang mit Wasser zu bewegen, waren nicht
besonders erfolgreich. Zu gering scheint das ökologische
Bewusstsein, und viele Immigranten aus den grünen Regionen
Europas und Nordamerikas sind nicht bereit, auf öffentliche
und private Grünflächen zu verzichten. Zu groß
ist auch die Lobby derer, die noch immer den zionistischen Traum
von der Urbarmachung der Wüste träumen und die
landwirtschaftliche Selbstversorgung Israels für
unentbehrlich halten. Noch immer wird der Wasserpreis für
die Landwirtschaft subventioniert, wenngleich Berechnungen
ergeben haben, dass der durch den Verkauf von
landwirtschaftlichen Produkten erzielte Gewinn teilweise geringer
ist als die Kosten, die für die Bereitstellung des Wassers
aufgewandt werden müssen.
Das bedeutet, dass weiterhin die natürlichen Ressourcen
über das verträgliche Maß genutzt werden, was
sicher langfristig schwere Folgen für das ökologische
Gleichgewicht in der Region haben wird.
Christine Frauer war Praktikantin im GfbV-Büro; sie hat zwei Jahre lang (1997-98/2001-02) in Israel gelebt. Aus pogrom-bedrohte Völker 222 (6/2003).