Bozen, 22. März 2002
Seit Jahresbeginn findet sich ein neuer Begriff im
hebräischen politischen Lexikon: "irrelevant". Irrelevant
steht für eine neue Phase des Duells zweier altgedienter
Gladiatoren, Ariel Sharon und Yasser Arafat. Sharon hat lauthals
verkündet, dass Arafat irrelevant geworden ist. Arafat
gelang es wieder einmal, die Weltöffentlichkeit auf sich zu
lenken. Dessen Haus ließ Sharon mit Panzern umstellen, die
Kanonen zielen auf die Fenster.
Sharon ging wohl davon aus, dass Arafat davonläuft oder gar
um sein Leben bettelt. Sharon kennt Arafat nicht. Ich habe ihn
1982 in West-Beirut getroffen, nach dem Einmarsch der
israelischen Armee unter der Führung von General Sharon.
Seine Spezialtruppen suchten die Stadt nach Arafat ab. Der
Auftrag lautet: Tötet Arafat. Dieser ließ sich aber
davon nicht beeindrucken. Aber auch Arafat täuschte sich
gewaltig. Er nahm wohl an, seine Rede an die Öffentlichkeit
beeindruckt Sharon, entwaffnet den General. Arafat kennt Sharon
nicht. Sharon lässt sich nicht aufhalten, nicht von
Hindernissen, nicht von Arafat. Sharon versucht es immer wieder,
um sein Ziel zu erreichen. Der israelisch-palästinensische
Konflikt ist eine Auseinandersetzung zweier großer
historischer Bewegungen, Sharon und Arafat sind deren Symbole.
Sharon ist der letzte Zionist. Arafat verkörpert die
palästinensische Nationalbewegung. Da prallen eine
unwiderstehliche Kraft und ein unbewegliches Objekt
aufeinander.
Auf einer Seite stehen die Zionisten, deren Ziel die
Wiedergewinnung verlorenen hebräischen Landes zwischen dem
Mittelmeer und dem Jordan für einen homogenen jüdischen
Staat ist. In Etappen wurde das Ziel umgesetzt, immer waren es
Siedler, die die Staatsgrenzen ostwärts verschoben. Auf der
anderen Seite agiert der palästinensische Nationalismus
für einen unabhängigen palästinensischen Staat auf
verbliebenem palästinensischen Land. Davon sind gerade mal
22 Prozent für die Palästinenser
übriggeblieben.
Sharon wurde mit dem Versprechen ins Amt des
Ministerpräsidenten gewählt, für Frieden und
Sicherheit zu sorgen. Sharon, der israelische De Gaulle, gab sich
schaf- und kinderliebend, gleichzeitig begann er seinen Krieg mit
verschiedenen Tricks. Sharon schert sich keinen Deut um Frieden
und Sicherheit, denn beide Begriffe stehen für Schwäche
und Verweichlichung. Mit der Parole Frieden und Sicherheit gewann
Sharon die Wahlen, seit Amtsantritt verfolgt Sharon aber nur ein
Ziel: den Oslo-Prozess zu stoppen und zu zerstören: Die
Zerschlagung der palästinensischen Autonomiebehörde und
deren Polizeiapparates, die Förderung der Siedlerbewegung.
Sharon täuschte die Weltöffentlichkeit damit, indem er
den Sozialdemokraten Perez zum Außenminister machte, um
seine wahren Beweggründe zu kaschieren.
Eigentlich war es aber frühzeitig klar, was Sharon will und
zwar seit der Besteigung des Tempelberges - dort oben
entzündete er sein Feuer. Viele glaubten, Sharon hat kein
politisches Konzept. Ganz im Gegenteil, Sharon verfolgt ein klar
umrissenes Konzept: Liquidierung der palästinensischen
Führung zugunsten von Hamas. Während Arafat und seine
PLO-Behörde trotz nationalistischer Rhetorik dialogbereit
war, ist dies Hamas nicht. Bei einer Hamas-Führung
könnte Sharon dann lauthals klagen, die Palästinenser
wollen mit den Israelis nicht mehr verhandeln. Sharon ist
verblendet, er geht davon aus, dass die Palästinenser ihr
restliches Land verlassen, fliehen, wie schon 1948 oder
resigniert aufgeben und sich in mehrere kleine, isolierte und von
Israelis umgebene Enklaven zurückziehen - in
Bantustans.
Und wie reagierte und agiert Arafat - sumud, ruhig also, auf
Überleben getrimmt. Bewegungslos, nicht bereit, aufzugeben.
Die Strategie: politische Aktionen lösen dipomatische
Aktivitäten ab, gefolgt von Gewalt. Mittel, um die
Palästinenser zu stärken. Sie halten die vielen
Strafaktionen aus, daran verzweifeln inzwischen israelische
Militärs. Die Konflikt ist noch lange nicht zu Ende, er wird
unentschieden enden und schlussendlich zu einem großen
historischen Kompromiss führen.
Aus pogrom-bedrohte Völker 211 (1/2002).