Von Mateo Taibon
Der Begriff Ladinia (Ladinien) bezeichnet eine
sprachlich-kulturelle, aber keine politische Realität. Die
kleine Minderheit ist nämlich zersplittert. Jahrhunderte
lang gehörte Ladinien zu Tirol. Anerkennung hatten die
Ladiner unter Österreich zwar nie erhalten, es gab auch
seitens des Tiroler Nationalismus mehrere massive
Germanisierungsversuche, die bis heute ihre Spuren hinterlassen
haben. Dennoch war die kleine Sprachgemeinschaft wenigstens unter
einer einzigen Verwaltung.
Dies änderte sich mit dem Faschismus. Der Diktator Benito
Mussolini sah im Ladinischen einen rohen, alpinen italienischen
Dialekt, glaubte aber offenbar selbst nicht an diese These: Die
kleine Sprachgemeinschaft wurde 1923/1927 auf Veranlassung
Mussolinis auf drei Provinzen (und zwei Regionen) aufgeteilt. Val
Badia (Gadertal) und Gherdëina (Gröden) wurden der
Provinz Bozen zugeteilt, Fascia (Fassatal) der Provinz Trient,
Fodom (Buchenstein) mit Col de Santa Lizia und Cortina d'Anpezo
der Provinz Belluno. Das erklärte Ziel dieser Dreiteilung
war die rasche Assimilierung, die "Ausradierung des grauen
Flecks", wie Mussolini Ladinien nannte.
Nach dem Ende des Faschismus und des II. Weltkrieges wurde das
Unrecht der Dreiteilung nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil
noch verstärkt und politisch und kulturell zementiert. Jede
der drei Provinzen hat "ihre" Ladiner - eine verschwindend kleine
und politisch schwache Minderheit, so dass es die jeweilige
Mehrheit leicht hat, fundamentale Rechte zu verweigern. Noch
heute schlagen die Provinzen Bozen und Trient (Region
Trentino-Südtirol) sowie Belluno politischen Profit aus dem
faschistischen Unrecht, das vor allem in Südtirol vehemente
Verteidiger findet. In Südtirol wurde die Aufsplitterung
noch ausgeweitet: Die zwei ladinischen Täler wurden auch
noch in der lokalen Verwaltung - den so genannten
Talgemeinschaften - auseinander dividiert: Val Badia gehört
zum Pustertal, Gröden zu "Salten-Schlern". So haben die
Ladiner als Sprachgruppe keine Selbstverwaltung. In diesen
Talgemeinschaften ist Ladinisch die Minderheit, die Sprache
findet dem entsprechend bei Gemeinden übergreifenden
Angelegenheiten fast keine Anwendung.
Es ist der immer gleiche Widerspruch: Von Italien hatte
Südtirol die Selbstverwaltung gefordert und erhalten, weil
Sprache und Kultur andere sind als jene des "Staatsvolkes",
anderen gewährt man dieses Recht aber nicht. Die Ladiner der
Provinz Trient haben eine eigene Talgemeinschaft und damit
wenigstens ein Minimum an Selbstverwaltung.
Seit einige Jahren geistert zudem eine weitere Idee zur Trennung
der Täler durch die politischen Köpfe: Eine Maut
für die Dolomitenpässe. Um von einem ladinischen Tal
ins andere zu fahren, müsste auch die ansässige
Bevölkerung zahlen. Denn die Dreiteilung Mussolinis als
Diskriminierung reicht allemal nicht.
Keine (gemeinsame) parlamentarische
Vertretung
Die Dreiteilung verhindert eine gemeinsame politische Vertretung:
Politische Projekte über die Provinzgrenzen hinweg sind
nicht möglich. Den Ladinern ist es nicht möglich, einen
gemeinsamen Vertreter ins Parlament nach Rom zu entsenden. Die
Fassa-Ladiner hatten zwar einige Legislaturen lang einen
Parlamentarier, dieser durfte aber nur für die Ladiner
seines Tales sprechen: Für jene Südtirols bzw. gegen
sie sprechen die deutschen Abgeordneten Südtirols.
Wichtig wäre ein eigener Wahlkreis für alle Ladiner;
dieser wird aber von den Mehrheiten verhindert: sie brauchen die
ladinischen Stimmen für sich. Selbst ein eigener Wahlkreis
für die Landtagswahlen kam in Südtirol nicht zustande:
als in den 1960er Jahren Rom den Ladinern dieses Recht
gewähren wollte, erwirkte die Südtiroler Volkspartei
dessen Verhinderung. Einen eigenen Wahlkreis haben aber seit
wenigen Jahren die Ladiner in Fascia.
Verhinderte kulturelle Einheit
Schwer hat es auch die Kultur. Die Förderung wird von den
Provinzen vergeben, die Projekte beziehen sich meist auf die
einzelnen Täler. Vor allem die Institutionen werden strikt
getrennt und arbeiten nur für die Ladiner einer Provinz.
Projekte der Zusammenarbeit zwischen den Tälern
bedürfen so eines Sonderweges. Entsprechend geringfügig
ist ihre Zahl. Ein wichtiges Element des Zusammenhalts ist die
Wochenzeitung "La Usc di Ladins" (Die Stimme der Ladiner). Ihre
Förderung durch die öffentliche Hand ist aber - obwohl
es das einzige ladinische Printmedium ist und trotz der
Benachteiligung durch den kleinen Markt - höchst knausrig.
Vorschläge zur gesetzlich gesicherten (und höheren)
Förderung der Wochenzeitung wurde im Südtiroler Landtag
von der Mehrheit vom Tisch gefegt.
Ein wichtiges Bindeglied könnte die Schriftsprache sein,
die alle Idiome berücksichtigt. Dieses Element der Einheit -
und ein unerlässliches Instrument für das
Überleben der Sprachgemeinschaft - wird ebenfalls von
Südtirol boykottiert.
Kirche zieht mit
1964 werden, ohne jede Notwendigkeit, die Grenzen der
Diözesen an die Dreiteilung angeglichen, die Kirche segnet
so den Akt des Faschismus ab. Bislang gehörten Anpezo und
Fodom zur Diözese Brixen. Ohne vorherige Befragung der
Bevölkerung wurden die zwei ladinischen Dekanate von der
Diözese Brixen an die von Belluno abgetreten. Eine
jahrhundertelange Zugehörigkeit der beiden ladinischen
Dekanate zu Brixen war mit einem Federstrich zunichte gemacht
worden. "Von einer Einbindung der Ladiner in die Entscheidung ist
keine Rede gewesen", bedauert Lois Trebo, ein engagierter Lehrer
und Publizist. "Der damalige Dekan von Anpezo, Angel Dapunt, hat
aus der Presse erfahren müssen, dass sein Dekanat von Brixen
abgetrennt und der Diözese Belluno angegliedert worden war.
Damit waren die Dolomitenladiner nicht bloß in drei
Provinzen aufgesplittert, sondern auch noch in drei
Diözesen."
Die Behauptung, dass die Diözesangrenzen mit den
Landesgrenzen übereinstimmen mussten, ist aus der Luft
gegriffen. Heute sind noch viele italienische
Diözesangrenzen nicht identisch mit den Provinzgrenzen.
Union Generela: Angefeindet
Die Union Generela di Ladins dla Dolomites ist die einzige
Organisation, die sich für die Zusammenarbeit und den
Zusammenhalt aller Ladiner über die Verwaltungsgrenzen
hinweg engagiert. Aufgrund dieses Engagements wurde und wird der
Kulturverein oft angefeindet. Dieser grenzüberschreitende
Kulturverein ist der Herausgeber der Wochenzeitung "La Usc di
Ladins" (Die Stimme der Ladiner), dem einzigen ladinischen
Printmedium. Die SVP hat die Union Generela immer beargwöhnt
- als möglichen Ursprung nicht parteikonformer Ideen und vor
allem aufgrund des Engagements für die vom Faschismus
zertrümmerte ladinische Einheit. Die Provinz Trient hat die
Union Generela di Ladins dla Dolomites bereits als
Dachorganisation der Ladiner anerkannt. Das römische
Parlament hatte dies auch vor, die Südtiroler Volkspartei
aber sprang ein, um dies zu verhindern. Das Problem ist also
Südtirol - jenes Land, das für sich selbst alle Rechte
gefordert hat, für die ladinische Minderheit und ihre
Anliegen aber wenig Verständnis aufbringt - so wenig, dass
die Anstrengungen unternommen werden, nicht um die faschistische
Dreiteilung zu überwinden, sondern um sie zu zementieren und
jeden Einheitsgedanken im Keim zu ersticken.
Protest
Am 14. Juli 1946 versammelten sich mehr als 3.000 Ladiner auf
dem Sellajoch, um für die Wiedervereinigung zu
demonstrieren. Umsonst. Die Forderungen von damals blieben
größtenteils unerfüllt. 1996 fand wieder eine
Großkundgebung statt - mehr als eine politische war es
diesmal eine kulturelle Kundgebung. Seit 1996 wird am 14. Juli
der Tag der "ladinischen Einheit" begangen - den Tag jener
Einheit also, die es nicht gibt.
Zur Dreiteilung gesellte nach dem Ende des Faschismus die
Verunglimpfung jener, die sich gegen dieses faschistische Unrecht
engagieren. In Belluno wurde dies als "filonazismo" verleumdet,
denn in der NS-Besatzung war Ladinien mit Südtirol in der
"Operationszone Alpenvorland"; dass Ladinien vorher Jahrhunderte
lang unter Tirol war, wurde ausgeblendet. Die hartnäckigste
Ablehnung gab es aber auf Südtiroler Seite. Engagement
für die Einheit Ladiniens und gegen die faschistische
Dreiteilung wird bis heute häufig als Extremismus,
Fundamentalismus, Fanatismus, Separatismus und gar Faschismus
verunglimpft. Besonders rührig in der Angelegenheit waren
Kommentatoren der Tageszeitung "Dolomiten". Faschismus ist aber
dort, wo faschistisches Unrecht verteidigt wird.
Aus pogrom-bedrohte Völker 240 (1/2007)