Von Mateo Taibon
Wenn in Südtirol von Minderheit die Rede
ist, ist eigentlich immer nur die deutsche Volksgruppe gemeint.
Dass diese im Land jedoch Mehrheit ist und nicht Minderheit, wird
unterschlagen. Die Begriffsverwirrung ist zum Großteil
politisches Programm und also bewusste Irreführung. Dass es
im Land die ladinische Minderheit gibt, die politisch,
gesellschaftlich und kulturell diskriminiert ist, wird (wenn
überhaupt) nur am Rand und mit Widerwillen zur Kenntnis
genommen.
"Der Kampf um die eigenen Rechte hat die Sensibilität der
deutschen Südtiroler für schwächere Minderheiten
nicht verfeinert, sondern in vielen Fällen eher
vergröbert: Sie haben sich daran gewöhnt, unter
Minderheit zunächst einmal Deutschtum zu verstehen" -
schreibt der Journalist Hans Karl Peterlini, langjähriger
Chefredakteur des Wochenmagazins "FF". Und bleibt mit dieser
Einsicht recht einsam in Südtirol und nicht zuletzt in
seiner Branche: Die ladinische Minderheit erntet mit ihren
berechtigen Anliegen häufig Unverständnis, immer wieder
aber auch offene Anfeindung und Verleumdung. Dabei wünschen
die identitätsbewussten Ladiner nur einen Teil der Rechte,
die die deutsche Volksgruppe längst genießt.
Beobachter und Sprachrohr, aber auch Protagonisten der
Minderheitenfeindlichkeit sind die Medien, die sich in den
letzten Jahren und Jahrzehnten zu Rädelsführern einer
bedenklichen Verleumdungskampagne erhoben haben. Dazu gesellt
sich eine erschreckende Unwissenheit über die ladinischen
Nachbarn; so wird immer wieder Parteipropaganda übernommen.
Die Mehrheit behauptet (wie alle Mehrheit der Welt), dass die
Minderheit beispielhaft geschützt sei, was indes von
zahlreichen Normen und Gesetzestexten eindrücklich widerlegt
wird. Zu einer tiefer gehenden Analyse fehlt den meisten
Journalisten das Wissen. Und der Wille. Über die Ladiner
weiß man wenig, doch sich zu informieren hält man, in
einer Mischung aus Desinteresse und ethnischer
Überheblichkeit, nicht für nötig. So wissen die
meisten Journalisten in Südtirol nicht, dass die Ladiner nur
zwei Wochenstunden Unterricht der Muttersprache genießen,
ziehen aber rasch über die Ladiner her, wenn sie mehr als
dieses Minimum fordern.
Viele Rechte, die für die Deutschen eine
Selbstverständlichkeit sind, bleiben den Ladinern
verweigert, darunter auch unverzichtbare Grundrechte wie
angemessener Unterricht der Sprache in den Schulen bis hin zur
Universität, Verwendung der Sprache in der öffentlichen
Verwaltung, Anerkennung der Ortsnamen, Präsenz der Sprache
in den Medien, angemessene Förderung der Kultur,
Eigenverwaltung. Wenn Ladiner diese Rechte einmahnen, sind
Politik und Publizistik rasch mit der Kriminalisierung zuwege.
Auch faschistisches Unrecht findet dabei eine vehemente
Verteidigung.
Verteidigung faschistischen Unrechts
Ladinien ist 1923 von Faschismus in drei Provinzen aufgeteilt
worden. Das Ziel dieser Aufsplitterung der kleinen
Sprachgemeinschaft war deren Ausradierung. An diesem die
Minderheit schwächenden Unrecht hat sich bis heute nichts
geändert. Jene Ladiner, die sich gegen die Dreiteilung
aussprechen, wurden oft als Fundamentalisten, Extremisten und
Separatisten hingestellt. Besonders schweres Geschütz zur
Verteidigung der Dreiteilung und anderer Diskriminierungen fuhren
die Tageszeitung "Dolomiten" und die Wochenzeitung "Zett" des
Medienhausees Athesia auf. Kulturelle, politische und mediale
Exponenten der Ladiner wurden durch die Bank als Rassisten,
Extremisten, Faschisten, Nazis, Talebans, Jihad bezeichnet. Damit
ist nur ein Teil des gehässigen Repertoires abgedeckt. Wer
sich also das faschistische Unrecht der Dreiteilung engagiert,
wird nicht nur mit Schwerverbrechern gleichgesetzt, sondern mit
menschenverachtenden totalitären Systemen, die durch
Massenmord, Genozid, Krieg und Verwüstung für die
größten Schatten der Menschheitsgeschichte
verantwortlich sind.
Assimilierung in der Schule: Wer sich wehrt, ist ein
"Nazi"
Ein weiteres umkämpftes Thema ist der Ladinisch-Unterricht.
Die Ladiner haben ganze zwei Wochenstunden Unterricht der
Muttersprache (in der Oberschule gar nur eine). Keine Sprache der
Welt kann man mit zwei Wochenstunden erlernen (geschweige denn
mit einer); dass selbst dieses geringe Ausmaß hart
erkämpft werden musste, ist auch ein eigenes Kapitel
Südtiroler Germanisierungswut, die noch in den 1970er Jahren
rein deutsche Schulen in den ladinischen Tälern erzwingen
wollte; das unrühmliche Kapitel, das Parallelen zu den
Italianisierungsmaßnahmen des Faschismus aufweist, wird in
der Geschichtsschreibung geflissentlich verschwiegen. Oder aber
umgeschrieben.
Der Grad des Sprachzerfalls ist aufgrund des mangelnden
Unterrichts weit fortgeschritten. Interviews in Rundfunk und
Fernsehen belegen eine katastrophale Kenntnis der Muttersprache
seitens der Ladiner, häufig sind Wortschatz und Syntax stark
von Anleihen aus den Nachbarsprachen durchsetzt, oft sind noch
die Füllwörter und Flosken ladinisch.
Doch jene, die sich für mehr Ladinisch in der Schule und
damit für das Überleben der Minderheit engagieren,
werden ebenfalls - von Politik und Medien - verunglimpft. Nach
dem 2. Weltkrieg, als die Kampagne für die restlose
Germanisierung der Ladiner einsetzte, wurden die Befürworter
eines eigenen "ladinischen" Schulsystems (in Wirklichkeit ein
mehrsprachiges Modell mit einem angemessenen Ausmaß an
Ladinisch-Unterricht) als Faschisten hingestellt. Die Reste der
NS-Ideologie, die für eine solche Kriminalisierung des
Unterrichts der Muttersprache und des Widerstands gegen die
Germanisierung der Minderheit zeichnen, haben sich sehr lange
gehalten. Als der ladinische Schulamtsleiter Roland Verra 1999
den Versuch unternahm, den Unterricht der Muttersprache in den
Oberschulen von einer auf zwei Wochenstunden zu erhöhen,
trat die Tageszeitung "Dolomiten" eine Pressekampagne gegen diese
Absicht vom Zaun; im Zuge des medialen Gefechts wurde der
Schulamtsleiter mit dem DDR-Regime verglichen. Die
Südtiroler Landesregierung bewies ebenfalls, dass sie
für den Unterricht des Ladinischen wenig übrig hat und
sagte Nein zur verbindlichen Anhebung von einer auf zwei
Wochenstunden. Das nennt man dann in der Diktion der
Mehrheitspartei SVP "vorbildlichen Minderheitenschutz".
In der Regel wird als Argument für das geringe Ausmaß
des Muttersprachenunterrichts angeführt, dass die Ladiner
die anderen Sprachen lernen müssten. Doch kein Ladiner lehnt
es ab, andere Sprachen zu lernen. Warum das Erlernen der eigenen
Muttersprache bei den Ladinern - und nur bei ihnen - die
Erlernung der anderen Sprachen verhindern und schädlich sein
soll, hat bisher selbstverständlich keiner glaubhaft
darlegen können. Wie bis heute unterschlagen wird, dass die
Rätoromanen in Graubünden fünf Schuljahre lang
alle Fächer in der Muttersprache haben und dennoch (oder
gerade deswegen) polyglotter sind als die Südtiroler. Auf
deutscher Seite werden übrigens jene mutigen Lehrerinnen und
Lehrer, die in der Zeit des Faschismus den Unterricht der
deutschen Sprache garantiert haben, als Helden gefeiert - zu
Recht. Der Begriff ist jener der "Katakombenschulen" - die
Verteidigung des Deutschtums also ist der Religion
gleichgestellt. Wenn Ladiner jedoch mehr als eine bzw. zwei
Wochenstunden in ihrer Muttersprache fordern, sind sie allemal
Verbrecher und Mörder.
Für die Verleumdungs- und Kriminalisierungskampagnen
zeichneten meist Medien des angeblich christlichen Werten
verpflichteten Verlags Athesia - "Dolomiten" und "Zett". Doch
auch die "Neue Südtiroler Tageszeitung" hat manches auf dem
journalistischen Kerbholz. So wurden in einem Interview die
Exponenten der politischen Partei "Ladins" als Talebans
bezeichnet. Den als "Talebans" Hingestellten wurde nicht die
Möglichkeit gegeben, auf die Kriminalisierung zu antworten.
Im Gegenteil. Weil in der ladinischen Rubrik der italienischen
Tageszeitung "Alto Adige" die Kriminalisierung kritisiert wurde,
zog die Tageszeitung nach: Die Verleumdung wurde zwar
zurückgezogen, die Tageszeitung legte dafür noch einen
Scheit nach: Sie schrieb die Kritik an der Verleumdung den
"Berufsladinern" zu und wählte damit einen Begriff, der sich
an den Begriff der "Berufsjuden" anlehnt und der
"Berufsslowenen", der besonders bei den Rechtsextremen beheimatet
ist.
Gelegenheit, sich gegen die Kriminalisierung zu wehren, erhielten
verleumdeten Ladiner nicht. Vielmehr schob die Zeitung eine
Karikatur nach, in der Bin Laden mit einem ladinischen "Taleban"
gezeigt wurde. Die Ladiner haben bis heute kein einziges Attentat
verübt. Bezeichnenderweise kam Bin Laden kurz darauf wieder
in einer Karikatur vor: Bei den U-Bahn-Attentaten in London.
Denen, die als Verbrecher hingestellt worden war, wurde kein Wort
der Entgegnung gegönnt.
Rufmord
"Wenn es darum geht, den Reichtum der Kulturen zu loben und die
Vielfalt anzupreisen, ist Südtirol stolz auf seine Ladiner.
Aber fordern sollen sie bitte nichts. Von einer Minderheit, die
vor der Welt und mit Bomben ihr Recht angemahnt hat, wäre
etwas mehr Gefühl für die Bedürfnisse einer
anderen, noch dazu befreundeten Minderheit das Mindeste". So der
Journalist Hanskarl Peterlini. In der Tat, mit ihren Anliegen
ernten engagierte Ladiner meist Unverständnis, immer wieder
ist die Antwort Rufmord. Selbst haben die deutschen
Südtiroler Rechte eingefordert: mit Vehemenz und auch mit
Bomben. Die Attentäter werden als "Aktivisten" oder
"Freiheitskämpfer" bezeichnet. Wenn aber die Ladiner
gewaltfrei und mit demokratischen Mitteln Grundrechte einfordern,
die für die Deutschen längst eine
Selbstverständlichkeit sind, werden sie als Fundamentalisten
und Extremisten hingestellt und mit Schwerverbrechern und
Massenmord-Systemen gleichgesetzt.
Hauptakteure in dieser Rufmordkampagne sind Medien des Verlags
"Athesia". Mit aufschlussreichen Details. Immer wieder wurden
engagierte Ladiner als Faschisten hingestellt, immer wieder wurde
ihnen auch NS-Ideologie nachgesagt, wiederholt konnte die -
nachweislich falsche - Anschuldigung veröffentlicht werden,
man strebe die "Erhaltung der ladinischen Rasse" an. Von einer
"Erhaltung der ladinischen Rasse" war bei den Ladinern nie die
Rede - sehr wohl aber war in Südtirol von der Erhaltung der
deutschen Rasse die Rede. Dieses Kapitel jedoch wird von der
"Dolomiten" auffallend klein geschrieben.
Die "Dolomiten" hat jahrelang den Kriminalisierungen eine
Plattform geboten: Offenbar gehört die systematische
Verleumdung von Ladinern zur Blattlinie. Andere Stimmen
ließ (und lässt) die Zeitung kaum zu Wort kommen; die
Opfer der Rufmordkampagnen erhielten nicht die Gelegenheit, sich
gegen die Verleumdung zu wehren.
Wenn irgendwo ein NS-Muster oder Faschismus vorliegt, dann bei
diesen Hetzkampagnen gegen jene Vertreter der Minderheit, die
ihre Rechte demokratisch und gewaltfrei artikulieren. Nicht dort,
wo Minderheitenrechte gewaltfrei und demokratisch vorgebracht
werden, sondern dort, wo der Einsatz für die Rechte einer
benachteiligten, in einem Assimilierungsprozess langsam
verschwindenden Minderheit kriminalisiert wird, ist
faschistischer Geist am Werk.