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Über die Freiheit im Netz

Bloggernation Iran

Berit Stehr

Göttingen, März 2010

Iran: Alternative zu den streng kontrollierten konventionellen Medien - private Blogs im Internet. Iran: Alternative zu den streng kontrollierten konventionellen Medien - private Blogs im Internet.

Mit Ländern wie China, Ägypten und Burma befindet sich der Iran unter den "Top Ten" der Staaten, in denen Presse- und Meinungsfreiheit reine Utopie sind. Über Festnahmen und Hinrichtungen von Journalisten wird seit Jahrzehnten immer wieder berichtet. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die Gesellschaft für bedrohte Völker oder "Reporter ohne Grenzen" setzen sich für verfolgte Regimekritiker, Menschenrechtler und Journalisten ein – leider allzu oft ohne Erfolg. Mit der Entwicklung des World Wide Web zum Massenmedium, das selbst Menschen in abgelegenen Gebieten nutzen können, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Meinungsäußerung.

Das Internet ist zur Alternative zu den streng kontrollierten konventionellen Medien dar. Journalisten, Oppositionelle oder liberal Denkende können ihre Gedanken einfacher an die Öffentlichkeit bringen – dank der Unübersichtlichkeit und Anonymität des Netzes. Doch mittlerweile haben sich auch die Führungen zensurfreudiger Staaten mit den Geheimnissen der Online-Welt vertraut gemacht und sind in der Lage, unliebsame Blogger ausfindig zu machen. Wenn dies nicht gelingt, können Blogs zumindest gesperrt werden. Dies stellt jedoch das kleinere Problem für die meisten Cyberaktivisten dar, denn neue Accounts sind schnell angelegt. Brisanter wird es, wenn Behörden die Urheber "staatsfeindlicher Inhalte" aufspüren. Berichte von Abtransporten aus Internetcafés direkt zur nächsten Polizeistation oder gar ins Gefängnis sind keine Seltenheit.

Dennoch lässt sich die Bloggerszene nicht stoppen. Vor allem Exil-Iraner machen intensiven Gebrauch vom Netz, um die Missstände in ihrer Heimat anzuprangern. Protestaktionen wie Online-Petitionen zur Freilassung inhaftierter Journalisten sind unglaublich populär. Als 2005 die beiden Blogger Arash Sigarchi und Mojtaba Saminejad festgenommen wurden, folgten internationale Proteste, die vor allem über Blogs weitergetragen wurden. Der "Free Mojtaba and Arash Day” wurde ins Leben gerufen – zum ersten Mal mobilisierten sich Blogger weltweit gegen die Verhaftung von "Kollegen". Kein Wunder also, dass die Bloggercommunity dem iranischen Regime ein Dorn im Auge ist. Sie hat erkannt, welch starken und schwer zu kontrollierenden Einfluss diese Untergrundbewegung sowohl im Ausland als auch hinter verschlossenen Türen in Teheran hat.

Im November 2008 wurde Irans bekanntester, seit Jahren in Kanada lebender Blogger Hossein Derakhshan verhaftet, als er seine Heimat besuchte. Die Vorwürfe gegen ihn lauten "Spionage für Israel" und "Beleidigung der religiösen Führung". Er befindet er sich seit seiner Festnahme ohne offizielle Anklage in Haft. "Hoder" – so sein Cyber-Name – gilt als Symbolfigur und Begründer der iranischen Bloggerszene seit er 2001 anfing, auf http://i.hoder.com regierungskritische Inhalte zu veröffentlichen. Damit erreichte er vor allem junge Leute – und somit einen gewaltig großen Anteil der iranischen Gesamtbevölkerung: Etwa die Hälfte der 74 Millionen Einwohner des Iran sind unter 30. Viele von ihnen – darunter auch ein großer Teil Frauen, die ansonsten in der iranischen Öffentlichkeit nicht mehr viel zu sagen haben – folgten "Hoders" Beispiel und starteten eigene Blogs. Sowohl auf Persisch – der mittlerweile vierthäufigsten Blog-Sprache – als auch auf Englisch.

Gerade international stellen die Webtagebücher eine große Chance für eine einigermaßen freie Informationsweitergabe dar. Oft beschäftigen sie sich jedoch gar nicht unbedingt mit politischen Themen, sondern verfassen Inhalte rein privater Natur: Beziehungsprobleme, Musikrezensionen und Modetipps – was für uns harmlos klingt, kommt in einem Staat, der Privates in der Öffentlichkeit nicht duldet, bereits einer kleinen Revolution gleich. Richtig gefährlich wird es, wenn das, was im Privaten geschieht, gesetzlich verboten ist, wie z.B. das Ausleben von Homosexualität. Auch wenn Ahmadinedjad behauptet, es gäbe keine Homosexuellen im Iran – sie existieren sehr wohl und müssen sogar um ihr Leben bangen, denn im Iran steht auf Homosexualität die Todesstrafe. Während sie sich öffentlich bedeckt halten müssen und nur heimlich treffen können, haben sie im Internet die Chance, über ihre Probleme zu sprechen und sich auszutauschen. Ein kleines Stück Freiheit, wenn auch nur virtuell.

Mittlerweile nutzt im Iran nicht mehr nur die WWW-firme Jugend, sondern eine breite Masse auch jenseits der 30 die Möglichkeit, über das eigene Leben und auch immer wieder die Missstände im Land zu schreiben. Doch dies ist und bleibt gefährlich. 2008 landeten mehr als 20 iranische Blogger im Gefängnis, einige befinden sich noch heute dort.

Im März 2009 erlangte der junge Blogger Omid Reza Misayafi traurige internationale Berühmtheit: Er war der erste Blogger, der in einem iranischen Gefängnis starb. Die Umstände seines Todes sind ungeklärt. Während die Gefängnisverwaltung behauptet, es sei Selbstmord gewesen, ist sich die Familie des jungen Mannes sicher: Das Gefängnispersonal trägt die Schuld am Tod des unter Herzrhythmusstörungen leidenden Misayafi. Ihm war auf der dortigen Krankenstation eine Behandlung verweigert worden, mit der Begründung, er simuliere. Wenig später war er tot. Misayafi war unter anderem wegen Beleidigung Ajatollah Chameinis zu 30 Monaten Haft verurteilt worden. In seinem Blog hatte er sich hauptsächlich kulturellen Inhalten gewidmet, nur einige wenige satirische Einträge trugen politischen Charakter. Diese waren genug, um ihn als angeblichen Staatsfeind ins Gefängnis zu bringen.

Aus pogrom-bedrohte Völker 260 (3/2010)