Sehr geehrter Herr
Minister,
Sie haben sich letzthin in Interviews mit verschiedenen
Tageszeitungen in Südtirol immer wieder für
Minderheitenrechte in der neuen EU-Verfassung ausgesprochen.
Offen blieb aber bisher, wie weitreichend diese Rechte sein
sollen. Der Vertreter der italienischen Regierung im EU-Konvent,
der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini, hat
Ihre Anregungen bis jetzt nicht aufgegriffen. Offensichtlich ist
die Verankerung von Minderheitenrechten in der EU-Verfassung kein
wesentliches Anliegen Ihrer Regierung.
Als Menschenrechtsorganisation fordern wir Sie auf, Ihre mediale
Ankündigung endlich auch umzusetzen. Beauftragen Sie doch
Konvents-Mitglied Fini, einen entsprechenden Text
vorzulegen.
Nehmen Sie sich die italienische Verfassung als Vorbild. Die
Verfassungsväter, die antifaschistischen
Widerstandskämpfer, erhoben mit dem Artikel 6 den
Minderheitenschutz in Verfassungsrang. Leider dauerte es mehrere
Jahrzehnte, bis eine Regierung auch ein entsprechendes
Rahmengesetz erließ. Inwieweit sorgt Ihre Regierung
dafür, daß dieses Minderheitengesetz tatsächlich
auch umgesetzt wird?
Sie könnten als Außenminister zumindest den
Vizepräsidenten des Konvents, Giuliano Amato,
unterstützen. Er schlug vor, die Europäische
Menschenrechtskonvention in die EU-Verfassung zu intergrieren.
Damit wäre immerhin die Diskriminierung auch aufgrund der
"Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit"
ausdrücklich verboten (Art. 14 EMRK).
Die Gesellschaft für bedrohte Völker-International
verfolgt den Verfassungs-Prozess mit kritischem Wohlwollen:
Einerseits begrüßen wir es, dass der wachsenden Macht
der EU-Institutionen endlich Rechte ihrer Bewohner
gegenübergestellt werden. Andererseits gilt es
sicherzustellen, dass die Verfassung vollständig und
verbindlich ist.
Wir drängen auch deshalb darauf, dass die EU sich nicht
länger an Minderheitenfragen vorbeidrückt:
Immerhin bekennt sich die EU in den Artikeln 149 und 151 des
EG-Vertrages zum sprachlichen und kulturellen Pluralismus und
bekräftigt dieses Bekenntnis im Artikel 22 der
Grundrechtecharta. Außerdem hat ein Großteil der
EU-Staaten sowohl die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler
Minderheiten und die Charta der Regional- und
Minderheitensprachen des Europarates ratifziert.
Genauso haben vor Jahren die meisten westeuropäischen
Länder den "Internationalen Pakt über bürgerliche
und politische Rechte" ratizifiert (Art 27: "In Staaten mit
ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf
Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht
vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer
Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene
Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen
Sprache zu bedienen").
Es soll daran erinnert werden, dass die UN-Vollversammlung am
18. Dezember 1992 im Konsens die Minderheiten-Resolution 47/135
angenommen hat. Diese Resolution ergänzt Artikel 27 des
UN-Menschenrechtspaktes mit der Aufforderung an die Staaten,
"günstige Bedingungen zu schaffen, um Minderheiten die
Äußerung ihrer Eigenheiten und die Entwicklung ihrer
Kultur, Sprache, Religion, Tradition und Bräuche zu
ermöglichen".
Wir fordern Sie auf, Taten zu setzen. Sorgen Sie dafür,
daß in der EU-Verfassung enthalten sind:
- ein wirksames Diskriminierungsverbot, das auch für
Nicht-EU-Bürger gilt, dazu gehört auch die
Möglichkeit einer Förderung von faktisch
benachteiligten Gruppen ("affirmative action");
- Einen als Indivdualrecht formulierten Artikel zum Schutz von
sprachlichen und ethnischen Minderheiten;
- ein Verbot von Vertreibungen, das ein Recht auf Heimat und das
Recht auf sichere Rückkehr umfasst;
Wir schlagen folgende Artikel vor:
1) Die Union anerkennt und gewährleistet die
unverletzlichen Rechte des Menschen, sei es als Einzelperson, sei
es als Angehöriger sozialer, sprachlicher, kultureller oder
religiöser Gruppen,
2) Alle Bürger der Union haben die gleiche gesellschaftliche
Würde und sind vor dem Gesetz ohne Unterschied des
Geschlechts, der Hautfarbe, der Sprache, des Glaubens, der
politischen Anschauungen, der persönlichen und sozialen
Verhältnisse gleich. Es ist Aufgabe der Union, die
Hindernisse wirtschaftlicher, sozialer und sprachlicher Art zu
beseitigen, die durch eine tatsächliche Einschränkung
der Freiheit und Gleichheit der Unions-Bürger der vollen
Entfaltung der menschlichen Person und der wirksamen Teilnahme an
der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung der
Union im Wege stehen.
3) Die Union anerkennt und fördert mit besonderen
Bestimmungen die Minderheiten. Angehörige von sprachlichen
oder ethnischen Minderheiten haben das Recht, gemeinsam und
öffentlich ihre eigene Sprache zu gebrauchen und ihre eigene
Kultur zu pflegen.
Warum ein Diskriminierungsverbot
Selbst in den westeuropäischen Demokratien werden Menschen
wegen ihrer Hautfarbe, Kultur, Herkunft, Religion usw.
diskriminiert. Zwar enthält die leider unverbindliche und
nicht einklagbare EU-Grund-Rechte-Charta ein Verbot von
Diskriminierung, doch müssen wir unbedingt sicherstellen,
dass dieses nicht nur für die Bürger der Union, sondern
für Drittstaatenangehörige, d.h. für alle Menschen
gilt, die hier leben.
Wie z.B. aus der Diskussion um die Gleichstellung von Mann und
Frau bekannt ist, ist die faktische Benachteiligung ganzer
Gruppen oft nur schwer auszumerzen. Deshalb fordern wir, dass der
Artikel zum Diskriminierungsverbot um folgenden Absatz
ergänzt wird, der eine "affirmative action" ermöglichen
soll:
"Angehörige von Gruppen, die faktisch benachteiligt werden,
sollen besonders gefördert werden."
Die GfbV setzt sich dafür ein, dass z.B. auch die
Bildungsinstitutionen von alteingessenen sprachlichen und
ethnischen Minderheiten durch Brüssel bzw. unter dem
rechtlichen Schirm Brüssels besonders gefördert
werden.
Vertreibungsverbot
Angesichts des Völkermordes an den bosnischen Muslimen
(1992-95) und der anhaltenden Massenvertreibungen im Kosovo erst
der Albaner und heute der Serben sowie der Roma, Aschkali und
Kosovo-Ägypter ist von der EU zu fordern, dass sie solche
und andere schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
verhindern trachtet. Deshalb schlägt die GfbV folgende
Formulierung vor:
"Die EU setzt sich für die Verhütung bzw. Beendigung
und Strafverfolgung von Angriffskrieg, Völker- und
Sozialschichtenmord, Massenvertreibung und anderen schweren
Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein."
Was das Verbrechen der Vertreibung angeht, so gibt es im
Völkerrecht bereits Vorlagen für eine Formulierung
eines Abwehrrechtes, das Individuen und Gruppen
gleichermaßen begünstigt.