An die EU-Außenminister
An die Minister Franco Frattini, Joschka Fischer, Benita
Ferrero-Waldner
Bozen, 26. August 2003
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
unterstützt die Forderung der UN-Arbeitsgruppe für
indigene Völker (WGIP) nach einer humanen Globalisierung und
lehnt jede Form der Globalisierung ab, die indigene Völker
ausschließt, vergisst oder an den Rand drängt. Bisher
ist dies systematisch der Fall gewesen. Bezeichnend sind
besonders Verträge zwischen Regierungen und Konzernen, die
ohne Mitsprache der Bewohner der betreffenden Territorien
entstanden sind.
"Als Ureinwohner führen wir uns derzeit allein gelassen und
schutzlos", kritisierte die Arbeitsgruppe bei ihrem Treffen Ende
Juli 2003 in Genf. Die Regierungen haben vielfach nicht den
Willen, die Indigenen in die Entscheidungen einzubinden. In der
Deklaration von Kemberly 2003 ist ausdrücklich das Recht der
indigenen Völker festgeschrieben, jedes Projekt, das ihre
Tätigkeit oder ihr Land betrifft, annehmen oder ablehnen zu
können.. Doch die Realität sieht anders aus:
Regierungen entscheiden über ihre Köpfe hinweg.
Beispiel Wasser. "Wir erkennen das Wasser als Träger
des Lebens", erklärten die 40 indigenen Vertreter beim World
Water Forum (3. März 2003) im japanischen Kyoto.
Tatsächlich wird aber das Wasser verschmutzt, der sich
ankündigende Klimawandel wirkt sich bereits fatal aus:
Stürme, Fluten, Trockenheit und Hitze. Am meisten leiden die
indigenen Völker darunter, weil sie in den exponiertesten
und sensibelsten Ökosystemen leben.
"Wir sehen, dass unser Wasser zunehmend von einer schamlosen
Wirtschaft, von ausländischer und kolonialer Dominanz
vermarktet wird", stellten die Ureinwohner in Kyoto fest.
"Mittels Handelsabkommen und kommerziellen Praktiken werden wir
von unserem eigenen Ökosystem abgekoppelt."
Doch sie wollen das künftig nicht mehr wehrlos hinnehmen.
"Wir haben das Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie. Die
Selbstbestimmung schließt die Nutzung, Regulierung und
Bewahrung der Wasserquellen ein. Die Mitglieder der Vereinten
Nationen und der Welthandelsorganisation (WTO) haben die
rechtliche und moralische Verpflichtung, unsere fundamentalen
Menschenrechte zu respektieren, und sie müssen daher unsere
Interessen und Rechte am Wasser anerkennen."
In die Pflicht genommen werden besonders die Weltbank, der
Internationale Währungsfonds, alle regionalen Banken und
Investmentinstitute. Sie sollen künftig keine Kredite mehr
für solche Projekte vergeben. Außerdem verlangen sie
von den einzelnen Staaten, die bereits getroffenen
internationalen Vereinbarungen zum Schutz der indigenen
Völker einzuhalten. Die indigenen Völker fordern ihre Staaten auf, die
Identität zu respektieren und zu schützen. Ohne die
Anerkennung der Rechte der Ureinwohnervölker bleibt die
Globalisierung reiner Kolonialismus.
Deshalb unterstützt die GfbV die Forderung nach
Ratifizierung der ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener
Völker. Damit werden Rechte anerkannt und globalisiert. Das
EU-Parlament sprach sich für eine EU-Ratifizierung der
ILO-Konvention aus, die EU-Mitgliedsstaaten sollen die Konvention
ebenfalls mittragen. Italien, Deutschland und Österreich
müssen endlich dem Beispiel westeuropäischer Staaten
wie Dänemark, Niederlande und Norwegen folgen, "denn die
rund 300 Millionen Ureinwohner brauchen gesicherte Rechte."
Die ILO-Konvention 169 legt als einziges Instrument des
internationalen Rechts einen Katalog von Grundrechten für
die Angehörigen der weltweit etwa 5.000
Ureinwohnervölker fest. Abgesichert werden in der
Übereinkunft unter anderem das Recht auf kulturelle
Identität, gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen, auf
Land und Ressourcen, Beschäftigung und angemessene
Arbeitsbedingungen, Ausbildung und Zugang zu den
Kommunikationsmitteln, auf Beteiligung an diese Völker
betreffenden Entscheidungen sowie die Gleichberechtigung vor
Verwaltung und Justiz. Bisher haben 17 Staaten die ILO-Konvention
169 unterzeichnet.