Bozen, Göttingen, Berlin, 9. März 2004
Anlässlich des 45. Jahrestages des Volksaufstandes gegen
die chinesische Herrschaft in Tibet (10. März 1959) hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Peking am
Dienstag vorgeworfen, die tibetische Sprache, Kultur und
Identität Tibets kontinuierlich zu zerstören. "Heute
metzelt man nicht mehr Menschen mit Waffengewalt nieder wie 1959,
sondern siedelt Zehntausende Han-Chinesen in Tibet an und
drängt die tibetische Sprache und Kultur durch diese
Sinisierung ins Abseits", stellte der GfbV-Asienreferent Ulrich
Delius fest.
In den Schulen Tibets werde die tibetische Sprache zugunsten des
Chinesischen immer weiter in den Hintergrund gedrückt, sagte
Delius. "Systematisch wird die tibetische Sprache aus dem
öffentlichen Leben verdrängt und die Tibeter verlieren
mit der Vernichtung ihrer Sprache auch ihre traditionelle
Kultur." Obwohl das chinesische Bildungsgesetz von 1995 in
Artikel 12 ausdrücklich die Unterrichtung von
Nationalitäten in ihren eigenen Sprachen vorsehe,
hätten die Behörden 1997 angeordnet, Chinesisch
müsse bereits in der ersten Klasse aller Grundschulen
unterrichtet werden. Durch Aufnahmeprüfungen in Chinesisch
werde Tibetern der Zugang zur Universität in der tibetischen
Hauptstadt Lhasa erschwert, an der immer mehr chinesische
Studenten studierten.
Auch die politische Verfolgung halte in Tibet unvermindert an,
ergänzte Delius. Die vorzeitige Freilassung der tibetischen
Nonne Phuntsog Nyidrol nach 15 Jahren Haft am 26. Februar 2004
könne nicht als Zeichen für eine Verbesserung der
Menschenrechtslage gewertet werden. Nachdem sich die Zahl der
politischen Gefangenen Ende der 90er Jahre verringert habe, sei
sie in den vergangenen drei Jahren insbesondere aufgrund von
Festnahmen in der Provinz Sichuan wieder angestiegen. Mindestens
144 namentlich bekannte politische Häftlinge würden
noch immer festgehalten. Allein seit August 2003 seien fünf
buddhistische Mönche, ein Lehrer und ein weiterer Tibeter
wegen Protesten gegen die chinesische Herrschaft zu
Gefängnisstrafen zwischen einem und zwölf Jahren
verurteilt worden.