Bozen, 5. Mai 2004
An die Präsidentin des Landtages, Dr. Veronika
Stirner-Brantsch,
An den stellvertretenden Präsidenten, Giorgio
Holzmann,
An die Vorsitzenden der Fraktionen, An die Abgeordneten des
Landtages.
Sehr geehrte
Abgeordnete!
Die Grundrechtecharta der EU verbietet ausdrücklich
rassisch, ethnisch, herkunftsbedingte und religiös
motivierte Diskriminierung. Entsprechende EU-Richtlinien sollen
die Umsetzung dieses Diskriminierungsverbotes ermöglichen.
Die Mitgliedsländer wurden aufgefordert, diese Richtlinien
in ihr Rechtsystem aufzunehmen.
Auch das autonome Südtirol sollte - trotz fehlender
Kompetenz in der Ausländer- und Flüchtlingsfrage - ein
eigenes Antidiskriminierungsgesetz zu erlassen. Daran gekoppelt
werden sollte auch ein Integrationsgesetz, das die "Aufnahme" der
"neuen Südtiroler" erleichtern sollte.
Viele Zuwanderer arbeiten saisonbedingt im Tourismus und in der
Landwirtschaft, andere im Gesundheitsdienst des Landes. Trotz
ihres Beitrages zum Südtiroler Wohlstand gibt es
genügend Fälle von Diskriminierungen. Arbeitnehmer
ausländischer Herkunft finden beispielsweise kaum Wohnungen
- eine rassisch motivierte Diskriminierung. Je länger
Diskriminierung geduldet wird, desto schwieriger wird es, sie zu
bekämpfen. Eine Gesellschaft, die Diskriminierung duldet,
zerbricht daran.
ANHANG:
Mit Artikel 13 des EG-Vertrages wurden die Organe der
Europäischen Union ermächtigt, "Diskriminierungen aus
Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft,
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen". Auf
dieser Grundlage wurden folgende Maßnahmen ergriffen: die
"Antirassismus-Richtlinie" [ 1 ], und die
"Rahmen-Richtlinie" [ 2 ], das Programm EQUAL,
und das Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Diskriminierung
2001 bis 2006.
Inhalt der Richtlinien
Die "Antirassismus-RL" verbietet Diskriminierung auf Grund der
"Rasse" und der ethnischen Herkunft in der Arbeitswelt, beim
Zugang zu Bildung und zu Waren und Dienstleistungen, insbesondere
Wohnraum. Die "Rahmen-RL" verbietet Diskriminierung auf Grund der
Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters
oder der sexuellen Ausrichtung in der Arbeitswelt. Beiden
gemeinsam ist also das Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt,
während nur die "Antirassismus-RL" Diskriminierung beim
Zugang zu Waren und Dienstleistungen (z. B. Wasser, Strom, Zugang
zu Lokalen, Kredite, Versicherungen ...) verbietet.
Dieses Diskriminierungsverbot wird durch eine Reihe von Ausnahmen
durchbrochen. Für MigrantInnen ist besonders die sehr
schwammige Bestimmung zu nennen, dass die Richtlinien
"unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der
Staatsangehörigkeit und eine Behandlung, die sich aus der
Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Staaten oder
staatenloser Personen ergibt", nicht betreffen. Darüber
hinaus sehen beide RL vor: Beweislasterleichterungen für
Personen, die behaupten, diskriminiert worden zu sein; Schutz
gegen Viktimisierung (gegen Benachteiligungen, die darauf
beruhen, dass jemand gegen seine/ihre oder fremde
Diskriminierung tätig wird); einen wirksamen Rechtsschutz;
positive Maßnahmen; sozialen Dialog (mit Organisationen der
ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen) und den Dialog mit
Nichtregierungsorganisationen (NGO).
Die Antirassismus-RL enthält darüber hinaus das Gebot,
eine oder mehrere Stellen zu bezeichnen, die Opfer von
Diskriminierung auf unabhängige Weise unterstützen,
ihrer Beschwerde nachzugehen; unabhängige Untersuchungen zum
Thema der Diskriminierung durchführen und unabhängige
Berichte zu veröffentlichen haben. Die größte
Stärke der beiden Richtlinien besteht in ihrer Existenz. Sie
bieten die Grundlage, um ergänzend zu altbekannten Mitteln
(Arbeitsrecht, Konsumentenschutz) Diskriminierungen abzustellen.
Trotz häufiger Behauptung stellen die beiden RL kein neues
Tugendgebot und keine Maßnahme der "Political Correctness"
dar, sondern zielen auf die Beseitigung von Behinderungen an der
gesellschaftlichen Teilhabe in zentralen Bereichen wie
Arbeitsmarkt (beide RL) und Wohnbereich (Antirassismus-RL)
ab.
Die Beweislasterleichterungen für Diskriminierungsopfer
tragen der Tatsache Rechnung, dass gerade im Arbeitsrecht
ArbeitgeberInnen "näher am Beweis" sind: Sie können
leichter beweisen, dass sie nicht diskriminiert haben, als
ein/e BewerberIn für einen Posten beweisen kann,
diskriminiert worden zu sein. Die Zusammenarbeit des Staates mit
Organisationen der Sozialpartnerschaft und der Zivilgesellschaft
betont die notwendige Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen,
politischen und wirtschaftlichen AkteurInnen. Darin liegt ein
weiteres Zeichen, dass es nicht um Lippenbekenntnisse,
sondern um gleichberechtigte Verteilung gesellschaftlicher
Ressourcen geht.
Mit anderen Worten: Genauso, wie eine funktionierende
Marktwirtschaft Kartelle, den Mißbrauch marktbeherrschender
Stellung oder den unlauteren Wettbewerb bekämpft, muß
sie auch sicherstellen, dass alle MitspielerInnen gleichen
Zugang zu Arbeit oder Wohnraum haben. Die RL schützen
(zumindest in der Arbeitswelt) vor Diskriminierung wegen aller in
Artikel 13 EG-Vertrag genannten Gründe. Leider fehlen
Definitionen. Zwei Szenarien sind denkbar: Entweder der
Europäische Gerichtshof (EuGH) definiert besonders so
problematische Begriffe wie "Rasse", Religion und Weltanschauung,
oder die Mitgliedstaaten definieren diese auf Grundlage (der
wenigen völkerrechtlichen und) ihrer unterschiedlichen
nationalen Bestimmungen.
Die Antirassismus-RL beinhaltet leider keine Verpflichtung zu
einer unabhängigen Stelle zur
Diskriminierungsbekämpfung, sondern nur eine oder mehrere
Stellen, die unabhängige Berichte, Untersuchungen und
Unterstützung anbieten. Die europäischen Vorreiter wie
Großbritannien haben aber gezeigt, dass eine
unabhängige Antidiskriminierungsstelle genauso wichtig ist
wie die Diskriminierungsverbote selbst. Ohne eine solche
unabhängige Stelle werden diese Rechte nicht bekannt und
kaum ernst genommen.
Die größte Schwäche der beiden Richtlinien
besteht aber in ihrer "Hierarchisierung": Für
unterschiedliche Diskriminierungsgründe gibt es
unterschiedliche Schutzniveaus. Diskriminierung auf Grund der
"Rasse" und ethnischen Herkunft ist auch beim Zugang zu Waren und
Dienstleistungen verboten, während alle anderen Gründe
nur in der Arbeitswelt keine Diskriminierungen begründen
dürfen. Das bedeutet: Beim Zugang zu Waren und
Dienstleistungen ist Diskriminierung aufgrund der Religion oder
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung nicht verboten. Es wird wohl nicht lange dauern, bis
es Anleitungen gibt, in welchen Bereichen auf Grund welcher
Kriterien diskriminiert werden darf.
1 - Richtlinie
2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der
ethnischen Herkunft, umzusetzen in nationales Recht bis 19. Juli
2003.
2 - Richtlinie 2000/78/EG des
Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen
Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf, umzusetzen in nationales Recht bis
2. Dezember 2003.