GfbV Logo HOME | INFO | NEWS | DOSSIER | TERMINE / BACHECA | KIOSK / EDICOLA | LADIN

Österreich

Ein Präsident für Minderheiten

Bozen, 5. Juli 2004

An den Präsidenten der Republik Österreich, Dr. Heinz Fischer

Sehr geehrter Herr Bundes-Präsident,

Südtiroler Politiker, Persönlichkeiten, Parteien und Organisationen haben Ihnen zum Wahlsieg gratuliert. Wir schließen uns diesen Gratulanten an. Die Südtiroler baten Sie, sich für die Verankerung der österreichischen Schutzmachtfunktion für Südtirol in der neuen Verfassung zu engagieren. Sie gelten als Ansprechpartner Südtirols. Wir bitten Sie, als Präsident "aller Österreicher" der Ansprechpartner der Angehörigen der sechs Sprachminderheiten Österreichs zu sein.

Die GfbV appelliert deshalb an Sie, sich bei der "Harmonisierung" der österreichischen Verfassung für die Anliegen der Sprachminderheiten einzusetzen. Österreich ist nämlich säumig bei der Umsetzung der verschiedenen Verpflichtungen des Artikels 7 des Staatsvertrages von 1955. Damit wird der tägliche Verfassungsbruch geduldet. Das bestätigen recht unmissverständlich mehrere Urteile des Verfassungsgerichts.

Jüngst kritisierte auch der Rechnungshof die mangelnde staatliche Förderung der Sprachminderheiten. Seit zehn Jahren ist das Minderheiten-Budget gleich geblieben, offensichtlich eingefroren worden. Das kommt einem finanziellen Aushungern der Sprachminderheiten gleich. Offenbar wird Sprache und Kultur der sechs Minderheiten wenig "Wert" beigemessen. Der Rechnungshof bezeichnete die Arbeit der "Volksgruppenabteilung" im Bundeskanzleramt als wenig effizient.

Die GfbV-Südtirol unterstützt die Forderungen des Volksgruppenzentrums, den Minderheitenschutz gesetzlich neu zu ordnen. Das Verfassungsgesetz soll endlich die mediale Versorgung in den Minderheitensprachen, muttersprachliche Kindergärten, mehrsprachige Schulen und die gezielte Förderung "faktisch benachteiligter Gruppen" garantieren.

Wir fordern Sie auch auf, als Präsident Fürsprecher der bedrängten slowenischen Sprachgruppe in Kärnten zu sein. Bedauerlicherweise koaliert Ihre Partei in Kärnten mit Jörg Haider und seinen Freiheitlichen, eine Koalition, die von der ÖVP im Landtag unterstützt wird. Der ehemalige Fraktionssprecher der SVP im Südtiroler Landtag, Hubert Frasnelli, kritisierte diese gar nicht mehr klammheimliche Zusammenarbeit der großen Parteien als eine deutschnationalistische Allianz.

Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider hatte wiederholt (letzthin im Landtagswahlkampf) angekündigt, sich an den Urteilsspruch des Verfassungsgerichtes zu den zweisprachigen Ortstafeln nicht halten zu wollen. Außerdem rief er zum Sturz des Präsidenten des Verfassungsgerichts auf.

Enttäuschend wenige österreichische Politiker haben bisher die slowenische Sprachgruppe in Kärnten verteidigt. Zwar hat sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nach dem Urteil des Verfassungsgerichts über zweisprachige Ortstafeln und den folgenden Rücktrittsforderungen Haiders hinter den Präsidenten des Verfassungsgerichts gestellt, doch geschah dies äußerst spät und in einer zaghaften Sprache; außerdem gab es kaum solidarische Worte für die arg bedrängte slowenische Sprachgruppe in Kärnten.

Solidarität ist dringend notwendig. Die slowenische Minderheit in Kärnten ist wegen der Assimilierungspolitik von ehemals 43.000 (in der Zeit NS-Großdeutschlands 1939) auf 15.000 Sprecher geschrumpft. Nicht von ungefähr spricht deshalb der Politologe Anton Pelinka von einer "demografischen Vernichtung" der slowenischen Minderheit.

Landeshauptmann Haider veranstaltet eine Hatz gegen die slowenischen Bürger Kärntens. Er erpresst die Minderheit, mehr Ortstafeln - die vom Verfassungsgericht als Verpflichtung anerkannt wurden - führen laut Haider zur Schließung von zweisprachigen Kindergärten und Schulen sowie zur Reduzierung der Geldmittel für die Minderheit.

Die Einschüchterung der slowenischen Sprachgruppe durch Erpressung ist der Teil der Strategie auch des deutsch-nationalen Kärntner Heimatdienstes. Offensichtlich handeln die Kärntner Freiheitlichen und der Heimatdienst, mit heimlicher Schützenhilfe auch aus den Reihen der ÖVP und SPÖ, gemeinsam gegen die slowenischen Landsleute.

Aber nicht erst seit Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung beklagen die Minderheiten die von der Bundesregierung und den Kärntner, steirischen und burgenländischen Landesregierungen betriebene Politik der Diskriminierung. Die langjährige Regierungspartei SPÖ hatte wenig Verständnis für die berechtigten Anliegen der Minderheiten und hat gemeinsam mit der ÖVP und der FPÖ erfolgreich die Initiativen der Liberalen und der Grünen zugunsten der Sprachminderheiten verhindert.

Die Sozialdemokraten haben sich nicht bereit gefunden, das mehr als 29 Jahre alte Volksgruppengesetz (schon 1975 unter Druck des Kärntner Heimatdienstes verwässert) zu modernisieren. Ausgeschlossen aus jeder Schutzmaßnahme ist die slowenische Sprachgruppe in der Steiermark, obwohl diese im Artikel 7 des Staatsvertrages erwähnt ist. Die Politik behauptet einfach, es gäbe diese Minderheit gar nicht - die ÖVP hat nicht allein die Anerkennung verweigert, auch hier gab es eine stille große und erfolgreiche Koalition von SP, VP und FP.

Es ist bedauerlich, dass fast alle Verbesserungen für die minderheitlichen Sprachgruppen auf Urteile des Verfassungsgerichts zurückgehen. Erst auf Klagen von Angehörigen der Sprachminderheiten sind restriktive Gesetzesbestimmungen aufgehoben worden, wurden verfassungsmäßig verankerte Rechte auch gewährt.

Mit ihrer Minderheitenpolitik verletzten die Bundesregierungen übrigens die von Österreich ratifizierte Rassendiskriminierungskonvention der UNO. Darin verpflichtet sich die österreichische Regierung, "mit allen geeigneten Mitteln und unverzüglich eine Politik der Beseitigung der rassischen Diskriminierung und Förderung des Verständnisse unter allen Rassen zu verfolgen". Laut Artikel 2 dieser Konvention sind die Vertragsstaaten aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, "um die angemessene Entwicklung und einen hinreichenden Schutz bestimmter rassischer und ethnischer Gruppen oder ihnen angehörender Einzelpersonen sicherzustellen". In Kärnten hat sich Landeshauptmann Jörg Haider massiv in das dürftige zweisprachige Schulsystem der slowenischen Sprachgruppe eingemischt und sich gegen die Ernennung von zweisprachigen Direktoren für die zweisprachigen Grundschulen ausgesprochen. Haider wurde von der damaligen SPÖ-ÖVP Bundesregierung nicht gestoppt.

Das Österreichische Volksgruppenzentrum listet jährlich die Defizite der österreichischen Minderheitenpolitik auf. Obwohl das Verfassungsgericht die Sprachen der Minderheiten als Amtssprachen anerkannt hat, sind die Verwaltungen noch immer säumig bei der Umsetzung der Zweisprachigkeit. Angehörige der Sprachminderheiten erhalten laut Volksgruppenzentrum kaum Auskünfte in ihrer Muttersprache.

Das Volksgruppenzentrum hat seine Kritik teuer bezahlen müssen. Die ehemalige SPÖ/ÖVP-Bundesregierung hat dem Zentrum die Förderung gestrichen. 1997 hat außerdem das für Minderheitenfragen zuständige Bundeskanzleramt subventionsempfangende Minderheitenorganisationen ausschnüffeln lassen und schikaniert. Beamte des Kanzleramtes haben sich nach dem Verwandtschaftsgrad von Vorstandsmitgliedern der Vereine erkundigt, sie haben ohne Wissen der Betroffenen Abonnentenlisten der Minderheitenzeitung mitgenommen. Von weiteren Vereinen sind Listen von Kindern, die an Sprachferien, Bastelabenden und Radwanderungen teilgenommen haben, verlangt worden.

Das Bundeskanzleramt zögert zudem die Förderung hinaus und überlässt die Genehmigung von Projekten der Willkür der Beamten. Auch deshalb hat der Rechnungshof die Förderungspolitik des Bundeskanzleramtes für Minderheiten als hemmend und die Auszahlung der Mittel als schleppend kritisiert. Bundeskanzler Viktor Klima und seine Partei grenzten seit Jahren Vertreter von Minderheitenorganisationen aus, die Minderheitenrechte einfordern.

Landeshauptmann Haider stellte nach seinen Attacken der slowenischen Sprachgruppe in Kärnten einen Runden Tisch in Aussicht. Nicht aber, um die Wünsche der Minderheit zu hören, sondern um den Status quo einzufrieren oder gar nach unten zu schrauben. Haider kündigte außerdem an, zweisprachige Ortstafeln abzumontieren, sollte laut Volkszählung die Zahl der slowenischen Sprachgruppe weiter geschrumpft sein; eine Ankündigung eines verfassungswidrigen Verhaltens.

Sehr geehrte Herr Präsident, als oberster Vertreter der Republik und ihrer Verfassung sind Sie verpflichtet, von allen Politikern des Landes die Einhaltung der Verfassung zu fordern, und zwar mit deutlichen Worten und wenn nötig auch mit Taten (Amtsenthebung bei bewusst und vorsätzlich verfassungswidrigem Verhalten). Setzen Sie sich dafür ein, dass Artikel 7 des Staatsvertrages vollständig umgesetzt wird. Weisen Sie Haider in die Schranken, der mit einer Volksbefragung (oder auch ohne) Verfassungsrechte abschaffen will.

Herr Präsident, sorgen Sie dafür, dass das 29 Jahre alte "Volksgruppengesetz" zugunsten der Sprachminderheiten überarbeitet wird. Die Minderheiten in Österreich brauchen endlich ein "Minderheiten-Paket", das die Germanisierung der Sprachminderheiten beendet. Es war Bundeskanzler Bruno Kreisky, der das "Volksgruppengesetz" auf den Weg brachte. Setzen Sie dieses Erbe um, initiieren Sie ein neues Minderheitengesetz.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040701de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040220de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/031110de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/031110de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/oe-klestil.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/oe-konvent.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/regenbogen.html

* www: www.kv-roma.at | www.eblul.org | europa.eu.int/futurum/ | www.initiative.minderheiten.at | www.hravtskicentar.at | volksgruppen.orf.at

Letzte Aktual.: 5.7.2004 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040705de.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
HOME | NEWS | NEWS ARCHIV | NEWS 2004 | Versione italiana