Bozen, Göttingen, 23. September 2005
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am
Freitag vor einem Gewaltausbruch in den
Ölfördergebieten Nigerias gewarnt, der weltweit die
Ölpreise in die Höhe treiben könnte. Die
Menschenrechtsorganisation forderte nach der Erstürmung
einer Öl- Pumpstation durch aufgebrachte Ureinwohner am
Donnerstag jetzt die sofortige Freilassung des am Dienstag
verhafteten Milizenführers Mujahid Dokubo-Asari. Er und sein
ebenfalls verhafteter Rechtsanwalt Uche Okoko sollen wegen
Hochverrates angeklagt werden, weil sie sich für die
Gründung eines unabhängigen Staates im seit Jahrzehnten
von der Bundesregierung Nigerias vernachlässigten Nigerdelta
einsetzen. "Statt endlich die Verelendung der unter der
Ölförderung leidenden Minderheiten im Nigerdelta zu
bekämpfen, wird der umstrittene Milizenchef mit der
Hochverrats-Anklage zum Märtyrer gemacht und so neues
Blutvergießen provoziert", warnte der GfbV-Afrikareferent
Ulrich Delius.
Ausdrücklich distanzierte sich die
Menschenrechtsorganisation von den gewalttätigen Protesten
der Ureinwohner und den Äußerungen des Milizenchefs.
"Doch die tief greifenden ethnischen, religiösen und
sozialen Probleme des Vielvölkerstaates Nigeria lassen sich
nicht dadurch lösen, dass man die Konflikte tabuisiert und
alle, die auf eine Lösung drängen, kriminalisiert",
erklärte Delius. Mehr als 20.000 Nigerianer seien seit 1999
ethnisch motivierter Gewalt zum Opfer gefallen. Mit großer
Besorgnis verfolge die GfbV, dass Nigerias Sicherheitskräfte
immer rücksichtsloser gegen Kritiker ihrer
Nationalitätenpolitik vorgehen. So seien am 7. September
2005 mehr als 200 Anhänger der "Bewegung für einen
unabhängigen Staat Biafra" (MASSOB) bei einer Demonstration
in dem an das Nigerdelta angrenzenden Bundesstaat Anambra
festgenommen worden. "35 Jahre nach dem Ende des
Völkermordes in Biafra ist der Genozid an mehr als einer
Million Biafranern in Nigeria noch immer tabu", kritisierte
Delius.
Auch auf die jüngsten Proteste im Nigerdelta nach der
Verhaftung des Chefs der Miliz "Niger Delta Peoples Volunteers
Forces" (NDPVF) reagierten die Behörden nur hilflos mit der
Entsendung von mehreren tausend Soldaten, Hubschraubern und
Kriegsschiffen. Die Anhänger des Milizenführers hatten
zuvor gedroht, Einrichtungen der Ölindustrie gewaltsam zu
schließen, um seine Freilassung zu erzwingen. Nach
Auffassung der GfbV trägt Nigerias Bundesregierung Mitschuld
an der Gewalteskalation, da sie jahrelang friedliche Proteste der
Ureinwohner ignoriert und den gewalttätigen Milizenchef
lange umworben und in seiner Macht gestärkt habe. Nigeria
zählt zu den acht bedeutendsten Ölförderstaaten
der Welt. Fast die gesamte Tagesproduktion von 2,5 Millionen
Barrel Rohöl wird im Nigerdelta gefördert.