Bozen, Göttingen, Wien, 9. August 2006
Die Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) hat die Bundesregierung und die sie tragende Koalition der
beiden großen Parteien am Mittwoch dringend dazu
aufgefordert, ihre ausgezeichneten Beziehungen zur Türkei
dazu zu nutzen, das Welterbe von Hasankeyf im Südosten der
Türkei vor der Zerstörung zu retten. "Es ist
erschütternd, dass dieselben deutschen Politiker, die den
Wiederaufbau der Frauenkirche unterstützt und gepriesen
haben, jetzt mit dem Bau des Ilisu-Staudamms am Tigris den
Untergang eines 4000-jährigen weitläufigen Denkmals aus
Höhlen, Gassen, Läden, Medresen und Kirchen zulassen
wollen", sagte der Präsident der GfbV International, Tilman
Zülch am Mittwoch. "Um die Überflutung der historischen
Stadt mit ihren archäologisch bedeutenden Stätten zu
verhindern, bitten wir die Bundesregierung sowie die CDU und SPD
dringend darum, dem an dem Ilisu-Projekt beteiligten deutschen
Unternehmen Ed. Züblin AG in Stuttgart keine Hermes-
Exportkreditgarantien zu gewähren."
Gleichzeitig wandte sich die GfbV International an den
österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit
der Bitte, auf die österreichische Firma VA TECH Hydro
Escher Wyss einzuwirken, ihre Beteiligung bei der Errichtung des
Wasserkraftwerkes zurückzuziehen. Nach Informationen der
GfbV befindet sich die Bevölkerung der gesamten
Südosttürkei in Alarmstimmung, nachdem am vergangenen
Wochenende trotz langjähriger Proteste die Grundsteinlegung
für den Damm stattgefunden hat. "Die Kurden und christlichen
Assyro-Aramäer betrachten Hasankeyf als unverzichtbaren Teil
ihrer Identität, an der sie hängen und die sie
pflegen", berichtete der Nahostreferent der GfbV Deutschland,
Kamal Sido. Er wurde in seinen Telefongesprächen mit
Sprechern der Staudammgegner dringend um Hilfe gebeten.
"Deutsche Firmen dürfen sich nicht an dem Projekt
beteiligen. Deutsche Banken dürfen es nicht finanzieren",
drängte Abdulvahab Kusen, der Bürgermeister von
Hasankeyf, die GfbV, bei der Bundesregierung zu intervenieren.
"Wir sind frustriert. Wir haben die ganze Nacht im Freien vor den
Toren von Hasankeyf gegen den Bau protestiert. Sie haben trotzdem
damit begonnen. Die Bagger werden unser Herz zerreißen.
Unsere Hoffnung ist nur noch die europäische
Öffentlichkeit; vielleicht können Sie Ihre Firmen dazu
bringen, sich nicht an diesem schrecklichen Projekt zu beteiligen
", betonte Huseyin Agca von der Stadtverwaltung der
Provinzhauptstadt Diyarbakir. Für die geplante Aufstauung
des Tigris sollen etwa 55.000 Menschen ihren Besitz, ihre Felder
und Weideflächen aufgeben und zwangsumgesiedelt werden. Die
GfbV befürchtet, dass die Betroffenen keine nennenswerten
Entschädigungen erhalten und in die Elendsviertel der
größeren Städte wie Diyarbakir, Batman und Mardin
ziehen werden. In den Fluten des 300 Quadratkilometer
großen Stausees sollen außer der Stadt Hasankeyf auch
mindestens 73 Dörfer verschwinden.