Bozen, 2. Oktober 2006
Am 3. Oktober 1935 marschierten Armeeeinheiten des
faschistischen Italiens in Äthiopien ein. Mit diesem
Überfall begann laut dem Schweizer Antisemitismus-Forscher
Aram Mattioli einer der blutigsten und folgenreichsten Konflikte
in der von Massengewalt geprägten Epoche des 2. Weltkrieges.
Mattioli bezeichnet den faschistischen Eroberungskrieg als
Auftakt zum 2. Weltkrieg. Zwischen 1935 und 1941 sollen dem
faschistischen Angriffskrieg und Besatzungsregime zwischen
350.000 und 760.000 der zehn Millionen Abessinier zum Opfer
gefallen sein. Mattioli fordert wie linke Abgeordnete und
Senatoren Aufklärung und einen Tag der Erinnerung.
Mattioli beschreibt den Krieg in Abessinien als ein
"Experimentierfeld der Gewalt" - ein Modell für
Nazi-Deutschland und seines rassistischen Eroberungskrieges im
östlichen Europa. Er fordert in seinem Buch
"Experimentierfeld der Gewalt" Italien zu einer öffentlichen
Aufarbeitung des Faschismus auf. Es sei zu einfach, sich selbst
als "brava gente" hinzustellen: Weit verbreitet ist das
Selbstbild, man sei "gutmütig". Haben sich nicht die
Italiener in einer heldenhaften "Resistenza" von der deutschen
Wehrmacht und dem Duce-Faschismus befreit? Aber dieses Selbstbild
trügt und hält einer genaueren Untersuchung von
kollektiven Gewaltexzessen mit italienischer Beteiligung nicht
stand. Der "Resistenza-Mythos" wurde in den letzten Jahren durch
eine Unzahl von historischen Untersuchungen zumindest
relativiert. Und war da nicht auch noch etwas mit italienischen
Truppen Anfang der dreissiger Jahre in Afrika?
Kramt man in den Erinnerungen italienischer Familien, stösst
man in auffallend vielen Fällen auf Namen von Männern,
die in Afrika den "Heldentod" gestorben sind oder die dort
während der faschistischen Jahre gekämpft haben. Was
aber genau dort passiert ist, weiß man nicht mehr oder will
es auch nicht mehr wissen. Ein den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen ähnelndes Gerichtsverfahren hat es
nie gegeben. Inzwischen liegen jedoch über diese
Expansionszeit des italienischen Faschismus eine Unmenge an
Detailstudien vor, die Leugnungen oder Verdrängungen nicht
mehr erlauben. Es war vornehmlich der Historiker Angelo Del Boca,
der ebenso nüchtern wie obsessiv diesen weissen Fleck der
italienischen Geschichte im 20. Jahrhundert erforscht hat. Seine
Erkenntnisse über das barbarische Wüten italienischer
Soldaten in Afrika, vor allem im sogenannten "Abessinien-Krieg"
Mitte der dreissiger Jahre, wurden in der Öffentlichkeit
zunächst infrage gestellt oder relativiert.
Auf Del Boca stützt sich auch der Schweizer Zeithistoriker
Aram Mattioli, der seine eigenen Forschungen jetzt unter dem
Titel "Experimentierfeld der Gewalt" zusammengefasst hat. Von
Mussolini wird der Befehl überliefert, mit dem er seinen
Oberbefehlshaber Emilio de Bono in den Osten des afrikanischen
Kontinents geschickt hat: "Hauptsache ist, schnell machen und
kräftig draufhauen". Und dieser Befehl wurde auch
wörtlich ausgeführt. In der Zeit zwischen 1935 und 1941
fielen zwischen 350.000 und 760.000 Äthiopier einem
brutalen, einzig dem Expansionsdrang des faschistischen Italiens
geschuldeten Krieg zum Opfer. Chemische Waffen wurden gegen die
Zivilbevölkerung eingesetzt als handele es sich um
Ungeziefer - was ja wohl auch der Meinung der Obersten
Heeresleitung entsprach. Und dieser Ausrottungsfeldzug, so
jedenfalls die These von Aram Mattioli, war für die im 20.
Jahrhundert noch kommenden militärischen Grossverbrechen so
etwas wie ein "Experimentierfeld der Gewalt." Diese "Eroberungs-
und Pazifizierungskriege Italiens in Nord-und Ostafrika
müssen künftig als wichtige Wegmarken in einer
vergleichbaren Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts Beachtung
finden." Nicht von ungefähr verweist Mattioli auch auf die
faschistischen Kriegsverbrechen auf dem Balkan. Dort fielen
zwischen1941 und 1943 mehr als 350.000 Menschen der
faschistischen Besatzungsmacht zum Opfer. Trotz dieser Blut-Spur
des Mussolini-Faschismus relativiert Mattioli nicht die
Nazi-Kriegsverbrechen.