Von Fouad Ibrahim
Seit Februar 2003, dem Beginn des
Bürgerkrieges in der westlichen Region des Sudan in Darfur,
morden dort arabische Reitermilizen unterstützt durch die
Truppen der sudanesischen Zentralregierung. Es gibt inzwischen
mehr als zwei Millionen Binnenflüchtlinge, die Zahl der
Getöteten stieg auf über 70.000. Arglose Zivilisten,
Männer, Frauen und Kinder werden Opfer brutaler Gewalt, wenn
ihre Dörfer über Nacht geplündert und durch
Brandschatzen dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Felder
liegen brach, Vieh hat niemand mehr - außer den
Reitermilizen der Janjaweed mit ihren Kamelen. Weite Teile
Darfurs sind durch den Krieg verwüstet und menschenleer.
Viele Darfuris haben in den größeren Städten oder
im Nachbarland Tschad Zuflucht gesucht.
Kofi Annan entsandte eine hochrangige Kommission zur Untersuchung
der Situation und sprach anschließend von "versuchtem
Genozid". Im Juli und im September 2004 verabschiedete der
UN-Sicherheitsrat Resolutionen zur Deeskalation der Gewalt, denen
auch die sudanesische Regierung mit gewohnter
Doppelzüngigkeit zustimmte. Die Fakten des am 3. November
2004 vorgelegten Berichts des UNO-Generalsekretärs zeigen
deutlich, dass die sudanesische Regierung keineswegs geneigt ist,
die menschliche Katastrophe in Darfur zu beenden. Eher ist das
Gegenteil der Fall: Die Aufrüstung der Milizen wird
fortgesetzt und Massengräber werden beseitigt, um Spuren des
Völkermordes zu verwischen. Regierungstruppen zerstören
immer wieder Flüchtlingslager und zwingen diejenigen, die
dort Zuflucht gefunden haben, andere Lager aufzusuchen, in denen
sie den Übergriffen der Janjaweed noch stärker
ausgesetzt sind. Nach langem Zögern erlaubte die
sudanesische Regierung internationalen Hilfsorganisationen, in
Darfur tätig zu werden. Jüngst wurden die Helfer von
Staatspräsident Omar Al-Bashir jedoch als die "wirklichen
Feinde des Landes" bezeichnet.
Die internationale Gemeinschaft, die es sich selbst zur Aufgabe
gemacht hat, Genozid zu verhindern und dabei im Detail festlegte,
welche Maßnahmen in solch einem Falle zu ergreifen sind,
schaut den Gräueltaten in Darfur seit fast zwei Jahren
tatenlos zu und macht sich dadurch mitschuldig.
Hintergründe des Konflikts
Seit 50 Jahren, d.h. seit der Sudan
seine Unabhängigkeit erlangte, wurde Darfur
vernachlässigt. Diese Region im äußersten Westen
des Landes ist bis heute von der Hauptstadt aus auf dem Landweg
nur in mehrtägiger Reise über eine Piste zu erreichen,
und auch sonst fehlt jegliche Infrastruktur. Sie leidet mehr als
andere Teile des Landes an Unterentwicklung, worauf die
ungenannten Autoren des zweibändigen "Black Book" hinweisen,
das im Jahre 2000 erschienen ist und unter der Hand unter Leuten,
die sich für die Sache Darfurs engagieren, weiter gereicht
wurde.
Der Hauptgrund für die Marginalisierung Darfurs liegt darin,
dass seine Bewohner mehrheitlich Schwarzafrikaner sind, die von
den arabisch-stämmigen, zu denen auch die Machthaber in
Khartum gehören, nicht als Gleichwertige betrachtet werden.
Diese Haltung ist ein Erbe aus der Zeit, als die Araber unter den
Schwarzen Sklavenjagden verübten. Jahrhunderte des
Sklavenhandels ließen sie reich werden. Während der
Kolonialzeit verfestigte sich diese Hegemonie, insbesondere als
die Briten die Macht in die Hände nordsudanesischer
arabisch-stämmiger Gruppen legten. Diese Ungerechtigkeit
gegenüber allen nicht-arabischen Sudanesen führte schon
bald darauf zum Ausbruch des Bürgerkrieges im Südsudan,
der bis heute nicht wirklich beendet ist.
Die arabischen Ethnien wanderten vor einigen Jahrhunderten in den
Sudan ein. In Darfur stellen sie heute eine Minderheit dar. Ihr
Arabertum ist für sie das wichtigste
identitätsstiftende Merkmal, und sie werden gewöhnlich
als "'arab" bezeichnet, auch wenn einige von ihnen infolge von
Frauen- und Kinderraub aus anderen Ethnien negroide Züge
tragen. Weiße Ausländer können in der Regel die
unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht voneinander
unterscheiden, doch für die Einheimischen ist dies ebenso
leicht wie bedeutsam für ihre sozialen Beziehungen.
Der Bürgerkrieg in Darfur ist nicht mit demjenigen zu
vergleichen, der seit Jahrzehnten im Südsudan geführt
wird. In Darfur handelt es sich um einen Krieg, in welchem
Täter wie Opfer Muslime sind, eine Tatsache, die allerdings
den tief verwurzelten Rassismus nicht mindern konnte.
Wie kam es zur Eskalation der Gewalt?
Seit den 1990er Jahren verstärkte die sudanesische
Zentralregierung ihre Unterstützung der
arabisch-stämmigen Gruppen in Darfur. Sie rüstete unter
ihnen Milizen mit modernen Waffen aus und betrieb gleichzeitig
eine Politik der Landentfremdung unter der afrikanischen
Bevölkerung. So vergab sie beispielsweise 30 Omudiat
(Verwaltungsbezirke) des Masalit-Landes in Westdarfur an
arabische Nomaden. Den Widerstand der afrikanisch-stämmigen
Masalit hiergegen schlugen die Araber mit Unterstützung der
sudanesischen Armee nieder. Ähnliche Zwischenfälle
häuften sich in den Stammesgebieten der afrikanischen Fur
und in Dar Zaghawa. Als die Razzien der Araber in der Folgezeit
mit immer brutalerer Gewalt durchgeführt und ganze
Dörfer der afrikanischen Ethnien ausgeplündert und dem
Erdboden gleich gemacht wurden, versuchte die Regierung, die
selbst die Waffen geliefert hatte, die Sache herunterzuspielen
und sprach von "Banditen".
Um den schwer bewaffneten arabischen Milizen Widerstand leisten
zu können, organisierten sich schließlich die Fur und
die Zaghawa in Gruppen und nahmen den Kampf um ihre Rechte auf.
Sie bildeten die SLM/A (Sudan Liberation Movement/Army) und die
JEM (Justice and Equality Movement). Die sudanesische Regierung
sah in diesen Freiheitskämpfern eine Bedrohung für ihre
eigene Sicherheit und versuchte, sie auszulöschen. Sie
rüstete die arabischen Milizen, die Janjaweed, noch
stärker auf und entsandte die Armee zur Unterstützung.
Alle Dörfer, in denen man Sympathisanten der
Aufständischen vermutete, wurden durch Razzien, teils auch
durch Luftangriffe, gnadenlos zerstört. Innerhalb von 20
Monaten wurden mehr als 400 Dörfer niedergebrannt. Die
Regierung in Khartum setzt hier erneut ihre Politik der
verbrannten Erde ein, durch die sie seit den 1980er Jahren die
Dinka aus Bahr El-Ghazal vertrieb. In ähnlicher Weise
"befreite" sie ganze Landstriche zwecks Erdölförderung
durch Bombardierung von den dort lebenden Menschen. Die Gebiete,
in denen sich die niedergebrannten Heimatdörfer der
Flüchtlinge und ihre Ländereien befinden, werden
schließlich von Arabern kolonisiert werden. Die arabische
Minderheit hat letztlich ihre Machtbasis in der Regierung sowie
im gesamten Niltal, das den wirtschaftlichen Kernraum des Landes
darstellt. Lokale Vorposten innerhalb Darfurs stellen jedoch auch
die großen Städte dar mit ihren
arabisch-stämmigen reichen Händlern, den hochrangigen
Verwaltungsbeamten und den zahllosen Militärs und
Geheimpolizisten, die dafür sorgen, dass ein Aufstand der
afrikanischen Ethnien Darfurs chancenlos bleibt.
Bauernopfer der Weltpolitik
Die Aussichten sind düster. Machte die sudanesische
Regierung Zugeständnisse und erfüllte sie die
Forderungen der Darfuris auf mehr Anerkennung, Unterstützung
und Selbstbestimmung, so schüfe sie damit einen
Präzedenzfall für andere Regionen im Lande, wie etwa
die Nuba-Berge, Blue Nile oder Ostsudan, in denen es ebenfalls
brodelt. Anlässlich der Besuche von Colin Powell und Kofi
Annan in Khartum im Sommer 2004 versprach die sudanesische
Regierung, Sicherheitstruppen zur Kontrolle der Janjaweed nach
Darfur zu entsenden, obwohl es hinlänglich bekannt ist, dass
es eben diese Truppen sind, die die mörderischen Milizen
unterstützen und die Überfälle der einen nicht von
den Kampfhandlungen der anderen zu unterscheiden sind. Zur
realistischen Einschätzung der Erfolgsaussichten von
Friedensverhandlungen zwischen der Regierung in Khartum und den
Widerstandskämpfern in Darfur sollte man sich an den
Erfahrungen mit dem Bürgerkrieg im Südsudan
orientieren. Dort dauerten die Verhandlungen mehr als 15 Jahre -
der Friede ist immer noch nicht besiegelt.
Viele setzen ihre Hoffnungen auf den internationalen Druck
gegenüber der sudanesischen Zentralregierung. Dieser ist
zweifelsohne nötig - aber er wird immer begrenzt bleiben.
Die USA und ihre Verbündeten sind nicht willens, eine zweite
Kriegsfront zu öffnen, solange der Konflikt im Irak
andauert. Zudem hat sich Khartum in den letzten Jahren im Kampf
gegen den internationalen Terrorismus kooperativ gezeigt, weshalb
zumindest die USA zur Zeit nicht mit eiserner Faust durchgreifen
möchten. Viele an sich einflussreiche Länder wie z. B.
China zeigen starke wirtschaftliche Interessen im Sudan, seitdem
dort Erdöl gefördert wird. Nahezu alle afrikanischen
und arabischen Länder unterstützen die sudanesische
Regierung, weil sie selbst ähnliche innenpolitische Probleme
haben.
Marginalisierung der afrikanischen
Bevölkerung
Eine nachhaltige Lösung kann nur erzielt werden, wenn die
eigentliche Ursache des Problems beseitigt wird: nämlich die
Marginalisierung der afrikanischen Bevölkerung und die
Hegemonie der arabischen Gruppen. Ein Prozess der
Demokratisierung wäre bereits ein Schritt in die richtige
Richtung. Solange jedoch die Militärjunta mit Hilfe der
National Islamic Front in Khartum regiert, sind "good governance"
und Demokratie nicht denkbar. Die Regierung in Khartum sitzt
fester im Sattel denn je, nur durch einen Militärputsch, so
wie sie 1989 selbst an die Macht kam, kann sie gestürzt
werden. Die Probleme Darfurs wären damit jedoch keinesfalls
gelöst.
Man wird sich also mit Teillösungen begnügen
müssen, wozu eine Deeskalation des Konfliktes gehört.
Eine solche ist günstigstenfalls dann möglich, wenn die
Aufständischen in Darfur ihre Forderungen minimieren, so
dass die Zentralregierung weder ihr Gesicht verliert, noch ihre
Position in Darfur gefährdet sieht.
Traditionelle Aussöhnung zwischen den
Stämmen
In manchen Teilen der Welt vermögen traditionelle
Institutionen Frieden zu stiften, wo moderne Waffen und westliche
Diplomatie versagen. Ein eindrucksvolles Beispiel hiervon zeigte
sich im August 2004 am Beispiel des Großajatollah Ali
El-Sistani, des religiösen Oberhauptes der Schiiten im Irak,
dessen Eingreifen in eine ebenfalls mit brutaler Gewalt
ausgetragene Auseinandersetzung äußerst wirkungsvoll
war. Der gebrechliche alte Mann erreichte binnen Stunden, was den
Amerikanern und ihren Verbündeten in Monaten nicht gelungen
war.
Auch im Sudan gibt es funktionierende traditionelle Institutionen
zur Konfliktlösung und -bewältigung und zur
Aussöhnung zwischen Konfliktparteien. Eine von ihnen ist die
Stammeskonferenz. Im islamischen Milieu haben solche Konferenzen
eine tief religiöse Bedeutung. Dass in Darfur alle am
Konflikt beteiligten Parteien Muslime sind, würde sich als
Vorteil erweisen, denn die Sitzungen beginnen und enden mit
Rezitationen aus dem Koran, durch welche die Teilnehmer zu
rechtem Tun und zur Versöhnung aufgerufen werden. An solchen
Konferenzen nehmen nicht nur die Stammesoberhäupter der
Konfliktparteien teil, sondern auch die übrigen
Stammes-Chefs der wichtigsten Ethnien des Landes - allerdings
nicht unter Einschluss des Südsudans, wo es eigene
Stammeskonferenzen gibt. Die Anwesenheit von Oberhäuptern
der am Konflikt nicht beteiligten Ethnien hat den Sinn, die
Neutralität und Fairness der Verhandlungen sicherzustellen.
Zusätzlich zu diesen werden die so genannten "ajawid"
geladen. Diese sind weise Männer von hohem Ansehen. Unter
ihnen findet man religiöse Führer, insbesondere
Sufi-Scheikhs, ebenso wie Politiker und Gelehrte.
Voraussetzung ist, dass sie von allen am Konflikt Beteiligten
akzeptiert werden. Die eigentlichen Täter und die Opfer sind
bei solchen Stammeskonferenzen in der Regel selbst nicht
anwesend. Richtung weisend für die Verhandlungen sind
"schari'a" (islamische Gesetze) und "salif" (wörtlich
"Vergangenheit, Tradition"). Letzteres ist ein ungeschriebener
Korpus von Präzedenzurteilen aus früheren
Stammeskonferenzen der beteiligten Konfliktparteien. Danach wird
z. B. die Höhe der "dija" (Blutpreis) festgelegt, meist in
einer Anzahl von Rindern. Anders als bei dem westlichen
Rechtssystem geht es hier nicht um eine Bestrafung der
Täter, sondern um eine Entschädigung der Opfer bzw.
ihrer Familien sowie um eine Aussöhnung zwischen den
Konfliktparteien. Die Entrichtung der Entschädigung, die
auch symbolisch sein kann, liegt in der Verantwortung des
gesamten Stammes, dem der Täter angehört, und wird
durch dessen Oberhaupt sicher gestellt.
Konfliktschlichtung nach traditionellem Ritual ist im Sudan -
auch in Darfur - bis heute üblich. Wenn die im August 2004
in Khartum abgehaltene Konferenz sich als wenig produktiv erwies,
so liegt dies daran, dass eine Reihe von Rahmenbedingungen und
das gesamte Umfeld dort nicht stimmten.
Es ist überaus bedauerlich, dass die westlichen Politiker
ebenso wie die Vertreter der internationalen Hilfsorganisationen
an solchen Versöhnungskonferenzen nicht interessiert sind.
Es gibt dafür jedoch verschiedene Gründe: Einerseits
sind sie mit den tatsächlichen Verhältnissen in der
Region, den Gewohnheiten, der Mentalität und der
Religiosität der Menschen nicht vertraut. Deshalb glauben
sie nicht an die Bedeutung solcher Institutionen. Andererseits
sind sie auch nicht bereit, einige Wochen auf den Ausgang einer
Stammeskonferenz zu warten, die ihnen ohnehin Unbehagen bereitet,
weil sie außerhalb ihrer Kontrollsphäre liegt. Selbst
als Beobachter können sie Wesentliches nicht erfassen, weil
sie der Sprache nicht oder nicht hinlänglich mächtig
sind. Traditionelle Stammeskonferenzen würden zudem die
Arbeit vieler Organisationen und Personen überflüssig
machen, die jetzt vor Ort agieren. Man darf nicht übersehen,
dass die Entwicklungszusammenarbeit auch ein bedeutender
Arbeitsmarkt für die reichen Länder ist, so dass man
inzwischen von einer "Aid-Industrie" spricht.
Auch die organisierten Freiheitskämpfer in Darfur betrachten
solche Stammeskonferenzen zum gegenwärtigen Zeitpunkt als
ungeeignet. Sie befürchten eine Verwässerung ihres
Grundanliegens. Ihr Ziel ist nicht eine räumlich und
zeitlich begrenzte Deeskalation der Gewalt, sondern eine
nachhaltige Lösung für ein altes strukturell bedingtes
Syndrom, das aus der zentral-peripheren politischen Situation
erwachsen ist. Ihre Argumente sind zweifelsohne berechtigt. Es
ist in der Tat erforderlich, dass zwei verschiedene Strategien
verfolgt werden: Einerseits müssen die Verhandlungen mit der
Zentralregierung fortgesetzt werden, um eine nachhaltige
politische Lösung zu erreichen, durch die der
Benachteiligung der peripheren Räume und der
marginalisierten Gruppen des Sudan ein Ende gesetzt wird.
Gleichzeitig muss man jedoch durch eine Versöhnungskonferenz
traditioneller Art bewirken, dass die Tätergruppen ihre
Gewalt beenden und sich zu dem Geschehenen bekennen, so dass die
Opfer zumindest in minimalem Umfang entschädigt werden und
eine Aussöhnung erfolgt. Nur dann kann Darfur dauerhaft
Frieden finden.
Prof. Fouad Ibrahim, em. Professor für Geographie, Universität Bayreuth.
Aus pogrom-bedrohte Völker 228 (6/2004)