Von Evelina Colavita
Bozen, 14. Juni 2005
Wie jedes Jahr habe ich auch 2005 meine Reise
nach Afghanistan unter schlechten Vorzeichen angetreten. Eine
Woche vor der Abreise ist eine Mitarbeiterin von Care
International entführt worden und eine afghanische
Journalistin ist am helllichten Tag in Kabul erschossen worden.
Trotzdem reise ich ab, denn ich weiss, in welchen Regionen die
Risiken relativ gering sind. Im Hazarajat, wo alle unsere
Projekte laufen, gibt es keine bewaffneten Konflikte. Es herrscht
abgrundtiefe Armut. Eine gewisse Sicherheit und Respekt erhalten
wir dadurch, dass unsere Autos mit einem Schild von Shuhada
versehen sind. Bis Zia Chog fahren die Autos aber ohne dieses
Schild, denn die ersten vier Stunden führt die Strasse durch
Pashtunengebiet. Hier ist Shuhada nicht bekannt. Vorsicht ist
geboten.
Der uralte Konflikt zwischen Paschtunen und Hazara hat sich nicht
gelegt. Der Paschtune Karzai ist als Sieger aus den
letztjährigen Präsidentschaftswahlen hervorgegangen.
Kabul ist in den Köpfen der Leute weit weg und die Hazaras
werden von den Paschtunen und Tadschiken nicht als
ebenbürtige Bürger angesehen. Sie, wurden im 19.
Jahrhundert als Sklaven nach Kabul verschleppt. In der neuen
Regierung in Kabul sind sie untervertreten und verfügen nur
über wenige nebensächliche Ministerien, obwohl ihr
Präsidentschaftskandidat Mohaqiq an den Wahlen dritter
geworden ist. In Afghanistan wählt man eben ethnisch und die
Hazaras sind die drittgrösste Volksgruppe im Lande. Im
September 2005 sind die Parlamentswahlen geplant und da
müssen alle Volksgruppen wohl oder übel vertreten sein.
Ich befürchte, die Wahlen im September 2005 werden nicht so
glimpflich über die Bühne gehen.
Mein erstes Ziel ist Yakawlang, wo wir letztes
Jahr 4 Schulen mit 525 Schülerinnen und Schülern
finanzierten. Inzwischen sind 4 dieser 5 Schulen vom Staat
übernommen worden und nur noch die Schule im abgelegenen
Sare Qul wird von uns finanziert. 135 Mädchen gehen hier zur
Schule und die hochschwangere Schulleiterin geht jeden Tag 2
Stunden zu Fuss von ihrem Dorf bis zum Schulhaus. Die Entwicklung
in Afghanistan geht langsam aber stetig voran, dies zeigt sich
auch daran, dass immer mehr Schulen vom Staat finanziert
werden.
Das gilt aber noch nicht für die ganz abgelegenen Distrikte
wie Sharistan, wo wir weiterhin Schulen für etwa 3500 Buben
und Mädchen unterhalten und den Distrikt Balkhab mit 2
Schulen für insgesamt 400 Mädchen. Die Strassen, oder
besser die Pisten, sind in einem desolaten Zustand und deshalb
kann ich diese Projekte nicht besuchen. Zwei Brücken sind
auf der Strecke von Yakawlang nach Balkhab wegen den starken
Regenfällen nicht befahrbar und die Dörfer wären
nur mit einem mehrstündigen Ritt auf den berühmten
Buzkashipferden erreichbar. In Balkhab gibt es ausserdem Unruhen,
denn die Bevölkerung hat sich gegen den Gouverneur
aufgelehnt und hat zu den Waffen gegriffen.
Trotz den idyllischen Bildern, wo die Bauern
mit den Ochsen die Felder pflügen, wo die Schafe und die
Ziegen weiden und die Frauen den Kuhmist zum trocknen auf die
Hausmauern legen, ist Afghanistan ein wildes Land, mit einer
blutigen Geschichte und ohne Vertrauen in die Institutionen.
Woher sollte auch ein solches Vertrauen kommen, immer hat der
stärkere gesiegt und Gerechtigkeit gibt es nur für
jene, die stark genug sind, sie sich selbst zu verschaffen.
Von Yakawlang geht es also weiter nach den Distrikten Lal und Ser
e Jungle in der Provinz Ghor, die letzten Winter monatelang von
der Aussenwelt abgeschnitten war. In Lal führen wir ein
Ambulatorium, in dem 2004 fast 12'000 Personen behandelt worden
sind. Die Hebamme des Ambulatoriums in Lal führt auch den
Geburtshelferinnenkurs, den wir finanzieren und bei dem 160
Frauen ausgebildet werden. In den Ambulatorien werden ausserdem
verschiedene Verhütungsmittel angeboten. Geburtenkontrolle
ist hier ein Thema und immer mehr Männer und Frauen werden
sich bewusst, dass sie nicht in der Lage sind, endlos Kinder
gross zu ziehen. Wichtig ist es, dass in jeder Familie mindestens
ein Sohn bis zum Erwachsenenalter überlebt, denn er wird
sich später um die Eltern sorgen müssen. Die
Töchter werden heiraten und zu den Familien ihrer
Ehemänner ziehen.
Das Ambulatorium in Ser e Jungle liegt weit ab
von den Verbindungsstrassen. Hier wurden 2004 rund 10'700
Personen behandelt. Auch hier läuft ein
Geburtshelferinnenkurs. Die Reise geht weiter nach Panjao, wo wir
letztes Jahr die Schulen für 412 Mädchen finanzierten.
Dieses Jahr sind es doppelt so viele. Panjao liegt an einer
Wegkreuzung zwischen den Provinzen Ghor, Dajkundi und Wardak. Das
UNAMA Gebäude ist mit Betonklötzen und Stacheldraht
gegen Selbstmordangriffe geschützt. Es mutet seltsam an,
wenn ich nebenan im Shuhada Gebäude ohne jede Bewachung
untergebracht bin. Hier ist eben Siedlungsgebiet der Hazara.
Einmal mehr zeigt sich, dass Shuhada, die Organisation von Frau
Dr. Sima Samar, hier hohes Ansehen geniesst.
Von Panjao fahre ich ins Dorf Khawat, im Distrikt Nahoor, Provinz
Jaghori. In unserem Ambulatorium in Khawat sind letztes Jahr rund
13'000 Patienten behandelt worden. Der Arzt verdient rund 100 USD
im Monat. Die Patienten werden gegen ein Entgelt von 45 Afghani
(50 Afghani = 1 USD) behandelt. Wer kein Geld hat, wird gratis
behandelt. In diesem Betrag sind die vom Arzt verschriebenen
Medikamente mit inbegriffen. Die Betriebskosten eines solchen
Ambulatoriums belaufen sich auf rund 20'000 USD im Jahr.
Nach Nahoor fahre ich weiter in der Provinz
Ghazni, Distrikt Jaghori. Es geht über eine riesige
Hochebene, auf der dieses Jahr Gras und Blumen wachsen, sie ist
von schneebedeckten Bergen umrahmt. Eigentlich sieht es hier ganz
romantisch aus, aber ich weiss, dass sich genau hier letztes Jahr
blutige Kämpfe zwischen den ansässigen Hazaras und den
nomadisierenden Kuchis zugetragen haben. Es ging um die
Weiderechte auf der Ebene, die letztes Jahr eine Sand- und
Salzwüste war. Dieses Jahr sind keine Kuchis zu sehen obwohl
es reichlich Weiden für die Schafe, Pferde und Kamele
gäbe.
Jaghori ist das Kerngebiet der Projekte von Shuhada. Hier liegt
das zweistöckige Spital, das Shuhada 1989 gebaut hat und
seit da Patienten aus weit entfernten Provinzen versorgt. In
Jaghori steht das Waisenhaus, dessen Bau von der Provinz Bozen
finanziert worden ist. Das Waisenhaus steht auf einem
weitläufigen mit einer hohen Mauer umgebenen Gelände
und verfügt über Annehmlichkeiten wie ein vom
Küchenofen geheiztes Badezimmer. Hier werden rund 100
Waisenmädchen untergebracht werden, unterteilt in "Familien"
von je 5 bis 6 Mädchen, um die sich dann je eine Witwe
kümmert. Die Mädchen besuchen die von uns finanzierte
Mädchenschule in Jaghori, die sogar über einen Schulbus
verfügt. Die Schule wird von rund 2000 Mädchen besucht
und gibt die Möglichkeit, nach dem 12. Schuljahr mit dem
Abitur abzuschliessen. Diese Möglichkeit bestand sogar
während der Jahre, in denen die Taleban ihr Unwesen trieben.
Die Schulleiterin der Mädchenschule von Jaghori hat ihren
Posten seit 11 Jahren und gerne erzählt sie wie sie die
Taleban, die weder lesen noch schreiben konnten, überlistet
hat. Allerdings muss auch angefügt werden, dass die
Abitur-Zeugnisse von Frauen, die die Prüfung während
des Taleban-Regimes abgelegt haben, an den Universitäten
nicht anerkannt werden. Denn während dieser Zeit war den
Frauen der Zugang zu den Schulen ja angeblich verschlossen.
Zwei Autostunden von Jaghori entfernt liegt die
Mädchenschule Tabqus mit insgesamt 675 Schülerinnen.
Der Schulbetrieb von Tabqus wird von Frau Margret Bergmann aus
Bozen, dank dem Erlös ihres Buchs "He du, grosser Komet"
finanziert. Die Schule in Tabqus ist überfüllt und ich
wünsche mir, das Geld für den Bau eines neuen
Schulhauses auftreiben zu können. Die letzte Etappe
führt nach Sari Ab, einem grossen Ambulatorium, das von
Médecins sans frontières gebaut worden ist und seit
2002 von Shuhada geführt und von uns finanziert wird. In
Sari Ab wurden letztes Jahr fast 14'000 Patienten behandelt. Die
Schule Rabia Balkhi in Quetta, Pakistan, wo rund 500 Buben und
Mädchen zur Schule gehen, habe ich aus Zeitmangel leider
nicht besuchen können.
Finanzierung unserer
Projekte
Omid Onlus (Italien) und Solidarietà Ticino Afghanistan
(Schweiz) finanzieren alle diese Projekte dank privaten
Zuwendungen und Patenschaften. Beide Vereine stützen sich
auf die freiwillige und unbezahlte Arbeit der Mitglieder. Die
Verwaltungskosten der Vereine werden von mir getragen. Fall Sie
ein Ambulatorium mitfinanzieren möchten, können Sie
sich mit 200 Euro oder 320 Sfr. jährlich mitbeteiligen.
Natürlich nehmen wir gerne Zuwendungen in jeder Höhe
zur Unterstützung der Projekte an.
Die Patenschaften kosten pro Jahr 150 Euro oder 240 Sfr. Der
Betrag unterstützt direkt das Projekt und geht weder an das
Patenkind noch an dessen Familie. Es handelt sich deshalb um eine
rein symbolische Patenschaft. Die Patin/der Pate erhält ein
Foto und eine Zeichnung eines Kindes. Foto und Zeichnung sind
rein symbolisch und es ist nicht möglich, mit den Kinder in
den abgelegenen Bergtälern einen Briefwechsel zu
unterhalten.
Evelina Colavita
OMID Onlus und Solidarietà Ticino Afghanistan
In der Schweiz: Solidarietà Ticino
Afghanistan, Conto corrente postale:
65-240698-1.
Conto corrente bancario: Banca Raiffeisen Balerna,
1877196 80272. Per ulteriori informazioni in
Ticino: Solidarietà Ticino Afghanistan, Via Monte Generoso
- 6874 Castel S. Pietro; oppure Mirka Studer, 6825 Capolago, tel.
091 648 27 63, e-mail: mstuder@ticino.com.
In Italien: OMID Onlus, Via Bonvicino 24a, 20025 Legnano, tel.
0331.542740, e-mail: evcolavi@tin.it, Evelina
Colavita e Maurizio Bada.
Conto corrente, Monte dei Paschi di Siena, agenzia di Legnano,
Intestato a OMID, No. 8408,31, ABI 1030, CAB
20200. Conto corrente postale
42703223.
Aus pogrom-bedrohte Völker 232 (4/2005)