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China: Blackout für Wikipedia

Zuviele unbequeme Definitionen - Google zensiert sich selbst

Von Federico Rampini

Bozen, Göttingen, April 2006

Die jungen Chinesen, die das Internet als Nachschlagewerk verwendeten, um ihre Aufsätze, Universitätsprüfungen und Diplomarbeiten vorzubereiten, müssen nun ohne auskommen, das Fenster zur Welt wurde ihnen zugeschlagen. Die Regierung hat nämlich definitiv Wikipedia abgedunkelt und den Zugang zur berühmtesten Web-Universal-Enzyklopädie gesperrt. Unter den 225 Millionen enthaltenen Vokabeln befinden sich zuviele unbequeme Definitionen: Tienanmen 1989 und Demokratie, Tibet und Unterdrückung. Das chinesische Regime hat Angst vor den Worten, und auf Wikipedia können die Worte nicht kontrolliert werden. Fünf Jahre nach dessen Schaffung wurde das enzyklopädische Lexikon in 100 Sprachen übersetzt und es wird durchgehend von Millionen von Usern des gesamten Planeten in Anspruch genommen. Es ist ein Produkt der Freiheit.

Das Online-Lexikon entsteht als "offener Text", die Definitionen werden ununterbrochen zusammengebaut, korrigiert, aktualisiert durch den kostenlosen Beitrag der User-Community. Es ist kein politischer Web-Auftritt, es will nicht Meinung bilden, es ist nicht mehr als eine Ansammlung von Stichworten und Erklärungen, die durch Mausklick zugänglich sind. Aber für Peking war das zur Bedrohung geworden. Nun zeigt der Bildschirm in China bei jeder Suche nach einem Terminus auf Wikipedia, und sei er noch so banal, nur mehr die Nachricht an: "Aus technischen Gründen nicht verfügbar." Das Blackout von Wikipedia ist nur das letzte und am meisten Aufsehen erregende Diktat, das die Zensur in Peking dem Internet auferlegt. Um die Information zu kontrollieren, die im Internet kursiert, setzt die chinesische Regierung ein Heer von 30.000 Vollzeit-Technikern ein, die sich einer ausgeklügelten Software bedienen, um die Wörter zu "filtern", die Mitteilungen zu löschen, zensieren oder blockieren oder ganze Internetseiten abzudunkeln.

Das Center for Internet and Society der Harvard Universität nennt es das "das weltweit ausgeklügeltste System, um das Netz zu kontrollieren." Ein chinesischer Dissident, Xiao Qiang, hat diese Zensurmaschinerie studiert und die Software "extrahiert", die vom Peking benutzt wird. Sie enthält 1.041 verdächtige Wörter. In der Liste gehören 15% der Wörter zur Pornographie oder Pädophilie. Der Rest betrifft die politischen und religiösen Freiheiten und die Menschenrechte. Unter den 1.041 gefährlichen Wörter finden sich auch "Demokratie", "Freiheit" und alle zusammengesetzten Wörter und Ableitungen, in denen diese Wörter vorkommen (Free-China, Free-Net), "Korruption", "Kundgebung", "Streik", "unabhängiges Tibet", "Falun Gong". Man findet in der Liste aber auch "Söhne der Parteileiter", vielleicht um Versuche zu unterbinden, die Besitzverhältnisse der Familien zu eruieren, die Firmen, die sie besitzen, die Verwaltungsräte, in denen sie sitzen. Die 1.041 Wörter werden nicht notwendigerweise immer zensiert. Sie dienen auch als Alarmglocken, um die Überwachungsfilter zu aktivieren - den großen Firewall, wie ihn die chinesischen User definiert haben. Wenn jemand zu oft "freies Tibet" eingibt, wird die Internetverbindung unerklärlicherweise getrennt. Oder er wird auf die offiziellen Seiten der Regierung umgeleitet, auf denen der "friedlichen Befreiung Tibets" durch das chinesische Heer 1950 gehuldigt wird.

Gefängnis statt Pressefreiheit

2005 wurden weltweit mindestens 63 Journalisten und fünf Medienmitarbeiter während oder wegen ihrer Arbeit getötet. Mindestens 807 Journalisten wurden festgenommen, mindestens 1.308 attackiert oder bedroht, 1.006 Medien wurden zensiert. Dies die Bilanz der "Reporter ohne Grenzen" (Reporters sans frontieres). 2004 waren 53 Journalisten und 15 Medienmitarbeiter getötet worden, mindestens 907 Journalisten waren festgenommen, mindestens 1.146 attackiert oder bedroht und 622 Medien zensiert worden. Bereits im dritten Jahr in Folge ist der Irak das gefährlichste Land der Welt für Medien. Allein dort starben 24 Journalisten und 5 Medienmitarbeiter. Für die meisten Todesfälle sind Terroristen und aufständische Gruppen verantwortlich. US-amerikanische Soldaten waren am Tod von drei Journalisten beteiligt.

Auf den Philippinen starben sieben Journalisten wegen ihrer kritischen Berichte zu Amtsmissbrauch und Drogengeschäften. Hinter den Übergriffen stehen in erster Linie Politiker, Geschäftsleute oder Drogenhändler, die kaum zur Verantwortung gezogen werden. Auch in Afghanistan, Bangladesch, Nepal, Pakistan und Sri Lanka bezahlten Journalisten ihre Recherchen mit dem Leben. Auf dem afrikanischen Kontinent kamen Journalisten in der Demokratischen Republik Kongo, in Sierra Leone und in Somalia ums Leben. Die Täter kamen meist ungestraft davon. In Amerika steht Mexiko ganz oben auf der Liste. Zwei Journalisten wurden dort ermordet.

Auch in Russland und Weißrussland wurden Journalisten getötet. Offizielle Untersuchungen ruhren nur selten zum Erfolg. Sie werden häufig behindert oder politisch beeinflusst. Über 1.300 gewalttätige Übergriffe und Drohungen dokumentierte Reporter ohne Grenzen 2005. Am 1. Januar 2006 befanden sich 126 Journalisten und 70 Cyberdissidenten weltweit hinter Gittern. Die größten Gefängnisse für Journalisten sind nach wie vor China und Kuba, gefolgt von Äthiopien und Eritrea. Weltweit wurden 2005 mindestens 807 Journalisten verhaftet. Mindestens 1.006 Fälle von Zensur wurden im vergangenen Jahr registriert. Allein in Nepal wurden mehr als 567 Fälle verzeichnet. In China wurden Voice of Tibet, BBC, Sound of Hope und Radio Free Asia von der Regierung blockiert. Die technische Ausstattung dazu lieferte die französische Firma Thalès.

Aus pogrom-bedrohte Völker 236 (2/2006)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050909de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060125de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/tibet.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/tibet1.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/china.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/china1.html

* www: www.gfbv.de/quickfind.php?doctype=&land_id=15 | www.hrichina.org | www.freetibet.org | www.falunhr.org

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