Ulrich Delius
Die Lage in Tibet und Xinjiang hat sich weiter verschlechtert.
Unnachgiebiger denn je zuvor zerschlagen die chinesischen
Behörden in Tibet jeden Widerstand und schalten die
tibetische Gesellschaft gleich. Tausende buddhistische
Mönche wurden gezwungen, ihre Klöster zu verlassen,
weil sie nicht bereit waren, sich schriftlich von ihrem
religiösen Oberhaupt, dem Dalai Lama, zu distanzieren. Statt
sich um eine friedliche Konfliktlösung zu bemühen,
greifen die chinesischen und staatlich kontrollierten Medien mit
immer neuen Verbalattacken die tibetische Exilregierung des Dalai
Lama an.
In Xinjiang, Ostturkestan, wie es die Uiguren bezeichnen, werden
nicht nur die uigurische Sprache und Kultur unterdrückt,
sondern auch die muslimische Bevölkerung pauschal der
Unterstützung des Terrorismus verdächtigt. Moscheen und
Koranschulen werden geschlossen, muslimische Geistliche zur
Teilnahme an Umerziehungskursen gezwungen, um sie auf die
Parteilinie einzuschwören. Seit 1997 wurden mehr als 500
Uiguren aus politischen Gründen hingerichtet, 2004 wurden
mindestens 50 Uiguren zum Tode verurteilt und exekutiert.
Die Verletzung der Religionsfreiheit hat mit der brutalen
Verfolgung von Falun Gong sowie den willkürlichen
Verhaftungen von Gläubigen und Geistlichen der
protestantischen "Hauskirchen", die nur im Untergrund tätig
sein können, seit der Aufnahme des EU-Menschenrechtsdialogs
einen neuen Höhepunkt erlebt.
Mehr Menschen denn je zuvor wurden seit der Jahrtausendwende in
der Volksrepublik hingerichtet. Jährlich werden vermutlich
mehr als 10.000 Menschen hingerichtet. China wendet die
Todesstrafe – nach unfairen Gerichtsverfahren –
exzessiv an. Nach den Standards der Vereinten Nationen für
den Schutz der von Todesstrafe bedrohten Personen darf die
Todesstrafe nur für die Ahndung schlimmster Verbrechen
verhängt werden. In der Volksrepublik ist diese Strafe
jedoch für mindestens 65 Delikte vorgesehen, darunter auch
für zahlreiche weniger schwere Tatbestände und für
Verstöße gegen die Staatssicherheit.
Wurden Anfang der 90er Jahre 150.000 Menschen ohne formelles
Gerichtsverfahren in den 280 Umerziehungs- und Arbeitslagern
festgehalten, so waren im Jahr 2003 nach offiziellen chinesischen
Angaben mehr als 310.000 Menschen in diesen Lagern eingesperrt.
Der zweifelhafte "Boom" der Arbeitslager ist vor allem auf die
brutale Verfolgung von Falun Gong und von Christen, die nicht
offiziell anerkannten Kirchen angehören,
zurückzuführen. Die medizinische Versorgung vor allem
in den ländlichen Gebieten ist heute oft nicht mehr
gesichert. Das jahrelange Totschweigen und Leugnen der sich immer
mehr ausbreitenden Aids-Epidemie machte die Schwächen der
Gesundheitsversorgung in China sehr deutlich. Auch die Versorgung
mit den wichtigsten Medikamenten ist oft nicht gesichert.
Die Behörden verletzen in vielen städtischen Zentren
das Recht auf Wohnung ihrer Bürger. So reichen immer mehr
Chinesen Eingaben gegen die zwangsweise Räumung ihrer
Wohnungen und Häuser ein. 2003 verloren mehr als 11.000
Chinesen ihre Wohnung, weil ihre Häuser
Städtebauprojekten weichen mussten. In den Autonomen
Regionen Tibet und Xinjiang wird das Recht auf Bildung der
lokalen Bevölkerung verletzt, da die Sprachenrechte der
Tibeter und Uiguren nicht ausreichend berücksichtigt
werden.
Aus pogrom-bedrohte Völker 231 (3/2005)