Bozen, Göttingen, März 1999
INDEX
Europas China-Politik muß sich
ändern | Die Grenzen des "kritischen
Dialog" | Robinson-Reise war
Mißerfolg | Spielt Peking auf Zeit? |
China darf sich nicht "freikaufen" | Deutsche Chinapolitik ist gescheitert | EU-Menschenrechtsdialog mit China | Empfehlungen der GfbV
Angesichts neuer schwerer Menschenrechtsverletzungen an Tibetern, Uiguren, Mongolen und chinesischen Demokraten fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) einen eindeutigen Kurswechsel in der deutschen und europäischen Chinapolitik. Statt den "kritischen Dialog" mit der chinesischen Führung in Menschenrechtsfragen zu suchen, wie es die frühere Bundesregierung seit 1997 getan hat, muß Bonn jetzt endlich alle internationalen Menschenrechtsinstrumentarien nutzen, um einen Stopp der Menschenrechtsverletzungen durchzusetzen. Denn dieser "Dialog" hat bislang nur sehr geringe Erfolge gezeigt. Die GfbV fordert die Bundesregierung insbesondere auf, in der am 22. März 1999 beginnenden 55. Sitzungsperiode der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eine China-kritische Resolution vorzulegen. Ein Verzicht würde die Glaubwürdigkeit des deutschen Engagements für Menschenrechte in China stark beschädigen. Er wäre zudem ein falsches Signal an die Adresse der chinesischen Regierung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt und würde Peking ermutigen, seine Politik der Repression fortzuführen. Die Bundesregierung würde sich außerdem dem Verdacht aussetzen, daß in der deutschen Chinapolitik der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen Vorrang vor Menschenrechtsfragen hat.
Die
GfbV lehnt den "kritischen Dialog" mit Chinas Machtelite sowie
Kooperationsprogramme der Europäischen Union (EU) im Bereich
der Menschenrechte in China nicht grundsätzlich ab. Die
Grenzen eines solchen Meinungsaustausches sind jedoch inzwischen
deutlich geworden. Er mutet an wie der Dialog eines Blinden mit
einem Taubstummen. Denn die chinesische Führung
kriminalisiert jedes Eintreten für die Bewahrung der
traditionellen Kultur und Religion in Tibet und Xinjiang
(Ostturkestan) pauschal als "Separatismus" und verfolgt somit ein
deutlich anderes Rechtsverständnis, als die Vertreter der
Europäischen Union (EU).
Daß die chinesische Führung zu einem echten Dialog in
Menschenrechtsfragen nicht bereit ist, zeigt auch ihr
Versäumnis, auf die zahllosen Gesprächsangebote des
Dalai Lama einzugehen, an die von tibetischer Seite keine
Bedingungen geknüpft waren: Am 15. Februar 1999
erklärte die tibetische Exilregierung, daß Peking auch
alle informellen Kontakte abgebrochen hat.
Die EU-Regierungen sehen dennoch "Erfolge": So hat die
Volksrepublik China im Oktober 1998 den Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet.
Auch begrüßte die EU, daß Peking drei
Botschaftern aus EU-Staaten im Mai 1998 und der UN-Kommissarin
für Menschenrechte, Mary Robinson, im September 1998 den
Besuch von China und Tibet gestattete. Mehrere prominente
inhaftierte Dissidenten wurden freigelassen und die seit langem
angekündigte Justizreform wurde begonnen.
Sowohl die demokratische Opposition in China, als auch
Tibeter, Uiguren und Mongolen betrachten die Visite von Frau
Robinson trotzdem als Mißerfolg, da mehrere Dutzend
Geheimpolizisten sichergestellt hatten, daß die
UN-Kommissarin mit Oppositionellen gar nicht zusammentraf.
Stattdessen wurden ihr "Modellgerichte" und
"Modellgefängnisse" vorgeführt, mit denen sich China
positiv im Ausland darstellen wollte. Kurz nach ihrer Abreise
wurden zwei tibetische Mönche verhaftet, weil sie
beschuldigt wurden, einen Brief an die UN-Kommissarin gesandt zu
haben. Chu Hailan, die Frau des wegen der Gründung einer
unabhängigen Gewerkschaft inhaftierten Liu Nianchun, hatte
noch Glück. Sie wurde verhaftet, als sie versuchte, Frau
Robinson eine Petition zugunsten ihres Mannes zu übergeben,
und in der Haft geschlagen. Die UN-Kommissarin konnte jedoch ihre
Freilassung durchsetzen. Während des Besuchs der
EU-Delegation wurden bei der Niederschlagung von Protesten im
Drapchi-Gefängnis mindestens zehn tibetische Gefangene
getötet.
Auch die Freilassung der prominenten Regimekritiker Wei Jingsheng
und Wang Dan in den Jahren 1997/98 war lediglich ein geschickter
Publicity-Schachzug Pekings, um sein angeschlagenes
internationales Image in Menschenrechtsfragen zu verbessern. Mit
ihrer Abschiebung und Ausbürgerung entledigte man sich
zugleich unbequemer und von Krankheit gezeichneter Kritiker,
deren Tod in der Haft das größere Übel gewesen
wäre. Seit der Freilassung der prominenten Oppositionellen
wurden bereits erneut zahllose im Ausland unbekannte
Anhänger der Demokratiebewegung verhaftet. Auch vor dem
Besuch des britischen Premierministers Blair im Oktober 1998
ließ die chinesische Führung vorsorglich Anhänger
der Demokratiebewegung festnehmen.
Internationale Menschenrechtsorganisationen sind sich darin
einig, daß die Unterzeichnung des Internationalen Paktes
über bürgerliche und politische Rechte kurzfristig
keine positiven Auswirkungen haben wird. Seine Ratifizierung (d.
h. die Umsetzung in nationales Recht) wird voraussichtlich noch
Jahre in Anspruch nehmen. Alle Erfahrungen zeigen, daß die
Durchsetzung der Rechtsnormen des Paktes im Alltagsleben
Jahrzehnte dauern wird. Eine Zeit, die insbesondere die Tibeter
nicht mehr haben, da die chinesische Führung mit allen
Mitteln ihre traditionelle Religion, Kultur und Gesellschaft
zerschlägt. Im übrigen kündigte Peking bereits an,
es werde den Pakt nur unter Vorbehalt ratifizieren.
Deutsche Politiker sind sich nach eigenen Angaben der
äußerst schwierigen Situation in Tibet bewußt.
Daher müssen sie sich fragen lassen, ob sie durch ihren
Verzicht auf eine öffentliche Verurteilung nicht mitschuldig
an dem Völkermord in Tibet werden. Das öffentliche
Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen trägt zu der von der
EU zugleich beklagten Radikalisierung der Protestbewegungen in
Ostturkestan und Tibet bei, da sich die Betroffenen verraten und
verlassen fühlen.
Die Befürworter des "Dialogs" werben für ihre Position
mit der ebenso einfachen, wie unzutreffenden Formel: "Dialog
statt Konfrontation". Nicht die Frage, ob man einen "Dialog"
befürwortet oder nicht, ist entscheidend, sondern ob die EU
ausschließlich auf den "Dialog" setzt oder alternativ auch
auf andere Druckmittel zurückgreift. Die EU setzt dennoch
bereits seit 1995 auf Gespräche als ausschließliches
Mittel der Einflußnahme. 1997 folgten Deutschland, Spanien,
Italien und Griechenland dem Vorschlag Frankreichs,
China-kritische Resolutionen in der UN-Menschenrechtskommission
nicht zu unterstützen. Inzwischen hat sich die
Menschenrechtssituation weiter verschlechtert.
Die Volksrepublik China hat größtes Interesse daran,
den z.B. in der UN-Menschenrechtskommission geäußerten
multilateralen Druck auf sein Regime in der Menschenrechtsfrage
zu verringern. Deshalb fördert sie den bilateralen
Meinungsaustausch mit der EU, aber auch mit Brasilien, Kanada,
Australien und Norwegen. Aber nur öffentlicher Druck der
EU-Staaten wird die Machthaber in China zu maßgeblichen
Zugeständnissen bewegen können. Das Ringen
europäischer Politiker um in der Öffentlichkeit
vorweisbare Resultate des "Dialogs" war oft entwürdigend. Es
förderte auch nicht den Respekt der chinesischen Seite
gegenüber ihren europäischen Partnern, die auch dem
Ausverkauf grundlegender Menschenrechte zustimmten, solange
kurzfristige Medienerfolge erzielbar waren.
China wird in der Menschenrechtsfrage nur Entgegenkommen zeigen,
wenn auch die UN-Menschenrechtskommission ein entschlosseneres
Verhalten demonstriert. Die EU und die USA hatten diesem Gremium
zwischen 1990 und 1996 jedes Jahr China-kritische Resolutionen
zur Abstimmung vorgelegt, die jedoch alle nicht angenommen
wurden. Hinter den Kulissen hatte China durch Lobbying in Europa
und den Staaten der Dritten Welt jahrelang nichts unversucht
gelassen, um eine Verurteilung zu verhindern. Offenbar messen die
chinesischen Machthaber dem Votum der UN-Menschenrechtskommission
einiges Gewicht zu.
Die Volksrepublik beruft sich darauf, daß auf dem
Hintergrund ihrer Geschichte und Kultur ihr Verständnis der
Menschenrechte ein anderes sei, als in dem westlichen
Kulturkreis. Mit der Unterzeichnung der UN-Charta sowie auf der
UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 hat sie jedoch die
weltweite Bedeutung der grundlegenden Menschenrechte offiziell
anerkannt. Daran muß sich auch Peking messen lassen.
Willkürlich könnten sich sonst wirtschaftlich potente
Staaten unter Verweis auf ihre besondere Rechtsauffassung von
ihrer Berichtspflicht gegenüber der
UN-Menschenrechtskommission entbinden lassen und von Kritik
"freikaufen", während Menschenrechtsverletzungen nicht so
privilegierter Staaten mit Sanktionen geahndet würden. Dann
hätte der weltweite Menschenrechtsschutz seine
Glaubwürdigkeit verspielt. Der chinesischen Führung
muß deshalb mit allem Nachdruck deutlich gemacht werden,
daß sie keine Sonderrolle in der internationalen
Staatengemeinschaft beanspruchen kann. Insbesondere ist es nicht
akzeptabel, daß die chinesische Regierung weltweit
anerkannte Menschenrechtsstandards nach Belieben respektiert oder
mißachtet, wenn es chinesischen Interessen dient.
Das auch unter deutschen Politikern beliebte Leitmotto "Wandel
durch Handel" bietet ebenfalls keine Gewähr, daß sich
die Menschenrechtssituation in China tatsächlich bessert. So
nutzt die chinesische Führung die wirtschaftliche
Erschließung Tibets, um mit der massiven Ansiedlung von
Han-Chinesen die traditionelle Gesellschaft nachhaltig zu
zerstören. Auch in Ostturkestan haben die komplexen
Wirtschaftsbeziehungen Chinas zu den zentralasiatischen
Nachbarstaaten die Lage der Uiguren nicht verbessert. Staats- und
Parteichef Jiang Zemin hatte im September 1998 öffentlich
erklärt, die wirtschaftliche Entwicklung sei wichtiger als
die Verbesserung politischer Rechte. Wirtschaftliche Entwicklung
darf jedoch eine Demokratisierung der Gesellschaft nicht
ersetzen.
Gründlich gescheitert sei die Chinapolitik der Bundesregierung, erklärte 1996 Joschka Fischer und forderte einen "wirklichen Neuanfang" (FAZ, 26. Juni 1996). Anbiederung und Servilität sowie der Vorrang von Geschäften vor den Menschenrechten dürften nicht zur Grundlage einer künftigen Chinapolitik werden. Trotzdem fehlt es nach Auffassung der GfbV nicht nur in der EU, sondern auch in Deutschland an einer konsequenten Chinapolitik. Alle EU-Staaten bemühen sich auch auf Kosten ihrer Partner innerhalb der Union um einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu China. Peking kann also ohne Mühe die EU-Partner gegeneinander ausspielen.
1995 nahm die EU mit China den sog. "kritischen Dialog" zur
Menschenrechtsfrage auf. Als sich die EU 1996 weigerte, ihren
Entwurf für eine China-Resolution in der
UN-Menschenrechtskommission zurückzuziehen , setzte China
den Dialog aus. Erst als Frankreich, Deutschland und einige
andere EU-Staaten im April 1997 ihre Haltung in der Kommission
änderten, war Peking zu einer Wiederaufnahme des Dialogs
bereit. Am 23. Oktober 1997 wurde er in Luxemburg offiziell
wieder aufgenommen. Mehrfach wiesen Vertreter europäischer
Staaten und der EU-Kommission allerdings auch darauf hin,
daß die EU jedes Jahr neu darüber entscheiden werde,
ob sie innerhalb der UN-Menschenrechtskommission bei ihrer
derzeit passiven China-Position bleibt. So erklärte der
Vizepräsident der EU-Kommission, Leon Brittan, am 2. Februar
1998: "Ein Dialog ohne Ergebnisse wird bald zum Stillstand kommen
und von der öffentlichen Meinung in Europa nicht verstanden
werden."
Sieben Gesprächsrunden des Dialogs haben inzwischen
stattgefunden, die letzte im Februar 1999 in Berlin. EU-Vertreter
bescheinigten China mehrfach Fortschritte bei der Umsetzung der
Menschenrechte und erklärten, der Dialog sei "dichter"
geworden und habe an "Breite" und "Tiefe" gewonnen (FAZ, 26.
Februar und 24. Oktober 1998). Auch lobten sie die "Offenheit"
ihrer Gesprächspartner. Wirkliche Fortschritte konnten sie
allerdings nicht nennen. Außerdem waren sie offensichtlich
nur ungenügend über ihre Gesprächspartner
informiert. Statt den "Dialog mit der Zivilgesellschaft" zu
vertiefen, verhandelten die EU-Vertreter tatsächlich mit
Repräsentanten staatlicher Propaganda-Organisationen sowie
gleichgeschalteter Nichtregierungsorganisationen, deren einziges
Ziel es ist, die Kritik an der chinesischen Politik zu
relativieren.
Ein erfolgversprechender Dialog setzt aber voraus, daß
sämtliche Gesprächspartner tatsächlich an einem
Meinungsaustausch interessiert sind und nicht aneinander vorbei
reden. Deshalb sollte die EU endlich klare Ziele formulieren,
damit die Politik und Öffentlichkeit die Fortschritte der
Gespräche bewerten können. Nicht Gesten des guten
Willens werden von der chinesischen Führung gefordert,
sondern tiefgreifende strukturelle Reformen, die ein Ende der
Menschenrechtsverletzungen gegenüber Nationalitäten,
religiösen Minderheiten und der Demokratiebewegung bewirken
könnten. Auch sollte die EU ihre Menschenrechtspolitik mit
anderen Kritikern Chinas koordinieren, um zu verhindern,
daß Peking seine Kritiker immer wieder gegeneinander
ausspielen kann. Der Dialog kann nur Teil einer Gesamtstrategie
sein, um Menschenrechte in China zu verwirklichen. Ohne
öffentlichen Druck bleibt er Fassade und trägt zur
Aushöhlung des internationalen Menschenrechtsschutzes
bei.