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Wolfgang Mayr
Bozen, 8. November 2017
Kundgebung in Barcelona am 21. Oktober. Foto: Fotomovimiento via Flickr.
Nach dem Tod des Diktators Franco wurden seine kriminellen
Anhänger generalamnestiert. Die spanische Justiz verfolgt
hingegen baskische und katalanische Nationalisten mit aller
Härte.
Der von der spanischen Regierung abgesetzte katalanische
Regionen-Präsident Puigdemont und seine Minister kommen vor
Gericht. Anklage: Rebellion, sie haben damit die Einheit des
Staates gefährdet. Die ist laut Verfassung sakrosant. Vor
die Richter kommen auch Mitarbeiter der Regionalregierung sowie
Jordi Sanchez vom Katalanischen Nationalkongress und Jordi
Cuixard von Omnius Cultural. Der Staat und seine Justiz greifen
durch, gegen die Initiatoren des illegalen
Unabhängigkeitsreferendums. Wehrhafte Verteidigung der
Demokratie?
Ein Missverständnis. Die demokratische Justiz des spanischen
Rechtsstaates hat einen Geburtsfehler. Nach dem Tod von General
Franco 1975 sorgten die politischen Vertreter des Militärs,
der Sicherheitskräfte und der Franco-Partei erfolgreich
dafür, dass 1977 eine Generalamnestie erlassen wurde. 2014
verlangte Argentinien von Spanien die Auslieferung von 20
ehemaligen Vertretern des faschistischen Franco-Regimes (zu den
Beschuldigten gehören die früheren Minister Rodolfo
Martín Villa und José Utrera Molina). Wegen
Verbrecher an der Menschlichkeit zwischen 1939 und 1975. Die
spanische Republik lehnte das Ansuchen ab. Es gelte seit 1977
eine Amnestie.
Ohne diese Amnestie hätte es 1977 wahrscheinlich keinen
demokratischen Neustart gegeben. Der Franco-Apparat sorgte auch
dafür, dass die territoriale Integrität Spaniens und
die Einheit des Vaterlandes als oberster Verfassungsgrundsatz
gelten. Die Franco-Erben führten den Krieg gegen die Feinde
von damals, die Verteidiger der spanischen Republik in den 30er
Jahren, fort - mit der Heiligsprechung des Vaterlandes.
Franco hatte 1936 gegen die Republik geputscht, links regiert
mit Unterstützung der baskischen und der katalanischen
Nationalisten. Franco führte einen Krieg mit Hilfe aus dem
faschistischen Italien und aus dem nationalsozialistischen
Deutschland. Eine halbe Million Menschen wurden abgeschlachtet.
Viele der 500.000 Opfer sind bis heute nicht gefunden.
Während der Diktatur zwischen 1939 und 1975 verschwanden
zehntausende Regimekritiker. Auch diese Toten bleiben
ungesühnt.
Die Gefallenen der putschistischen Seite wurden fast alle
exhumiert und bestattet, ihre Familienangehörigen materiell
und sozial entschädigt. Der Feind hingegen sollte ein
für alle Mal aus Spanien verbannt, sollte real und ideell
"mit der Wurzel ausgerottet" werden.
Spanien kopierte offensichtlich erfolgreich das
Nachkriegs-Deutschland und das Nachkriegs-Italien. Bundeskanzler
Adenauer hatte 1963 gesagt, die NS-Strafverfolgung ist für
das Ansehen Deutschlands in der Welt unerträglich. Deshalb
wurden von 170.000 Beschuldigten wegen NS-Verbrechen nur 7.000,
von 6.500 SS-Leuten der KZ-Truppe in Auschwitz gerade mal 30 in
Deutschland verurteilt. Von den insgesamt 200.000
österreichischen und deutschen Holocaust-Tätern wurden
von den West-Allierten, von den Osteuropäern und den
Deutschen 100.000 verurteilt. Die Mörder blieben
unbehelligt, wie auch die Bürokraten des Holocausts, viele
machten im neuen Deutschland Karriere.
Deutschland als Vorbild für das Spanien nach Franco. Die neu
entstandenen Parteien nach dem Tod des Diktators, die Union de
Centro Democratio, die Alianza Popular (die Keimzelle der heute
regierenden spanischen Volkspartei PP) des ehemaligen
Franco-Ministers Manuel Fraga und die Sozialisten von der PSOE,
einigten sich auf einen Pakt des Schweigens. Niemand wurde
für die Verbrecher zur Verantwortung gezogen. Nach dem
Schweigen folgte das Vergessen.
Der spanische Staat verweigert eine Aufarbeitung der
mörderischen Franco-Vergangenheit. Das 1977 erlassene
Amnestiegesetz sichert allen Franco-Tätern Straffreiheit zu,
Forderungen nach strafrechtlicher Aufarbeitung und
Wiedergutmachung werden wegen der geltenden Amnestie abgelehnt.
Der einzige spanische Richter, der es wagte, ein
Ermittlungsverfahren einzuleiten, bezahlte dies 2012 mit einem
Berufsverbot. Es handelte sich um Spaniens bekannten Ermittler
Baltasar Garzón, der durch seine Jagd auf
südamerikanische Diktatoren wie den chilenischen Ex-Diktator
Augusto Pinochet weltberühmt wurde.
In einem Interview mit swissinfo sagte Carla del Ponte, ehemalige
Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes
für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien sowie
für den Völkermord in Ruanda in Den Haag: Die
Verbrechen, die während der Franco-Diktatur verübt
wurden, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber
gibt es keinen Zweifel. Wenn nun die Opfer Gerechtigkeit
verlangen, wäre es politisch richtig, die Amnestie
aufzuheben. Alles hängt vom Anspruch der Opfer ab". Das
schert die spanische Justiz nicht.
In Madrid - und nicht nur dort - gibt es bis heute mehr als
200 Straßen und Plätze, die nach Persönlichkeiten
der Franco-Zeit benannt sind, obwohl das "Gesetz des historischen
Andenkens" von 2007 entsprechende Umbenennungen vorschreibt.
Anfang 2016 wollte die damals der Podemos nahestehende
Stadtregierung von Bürgermeisterin Manuela Carmena diesen
Zustand ändern. Eine - mehrheitlich konservative
zusammengesetzte - Kommission einigte sich auf einen
Minimalkonsens: 52 Straßen sollten einen neuen Namen
erhalten. Bei der Gemeinderatssitzung am 15. September 2016
sprachen sich ehemalige Angehörige der Spanischen Legion -
eine Elitetruppe der Armee und in den 30er Jahren an der
Niederschlagung von Berber-Protesten in "Spanisch-Marokko"
eingesetzt - öffentlich gegen die Namensänderung aus
und bezichtigten Podemos des Terrorismus. Am 24. September
protestierten im Zentrum von Madrid etwa 300 Rechtsradikale gegen
die Namensänderung, unter anderem mit einem Plakat auf dem
ohne jede Ironie zu lesen war: "Gegen Rache und
Unterdrückung".
In der erwähnten Gemeinderatssitzung wandte sich auch die
konservative Volkspartei, Partido Popular (PP), gegen die
Namensänderung. Nach einem Mehrheitsbeschluss im Madrider
Stadtrat am 4. Mai 2017 aber schien der Neubenennung nichts mehr
im Weg zu stehen - bis am 24. Juli die Stadtregierung bekanntgab,
dass sie "eine richterliche Entscheidung" hinsichtlich der
Namensänderungen abwarten würde, da mehrere
Einsprüche gegen die Umbenennungen eingebracht worden waren.
Am 2. August schließlich verbot ein Richter
ausdrücklich die Umbenennung.
Nach dem Tod von Franco am 20. November 1975 versuchten
Vertreter des Franco-Apparates und Opposition Diktatur
reibungslos in eine Demokratie zu "transformieren". Basken und
Katalanen drängten auf Autonomie, Konservative und
Sozialdemokraten auf den Umbau, die Kommunisten für ihre
Zulassung als Partei. Die KP akzeptierte im Gegenzug die
Monarchie und die im wesentlichen von der Franco-Zeit
übernommene spanische Flagge. Der Aufbruch endete mit dem
Putsch des Oberstleutnants Tejero von der Guardia Civil am 23.
Februar 1981. Der gescheiterte Putsch zeigte deutlich, dass der
Franquismus und seine Hauptbastionen, das Militär, immer
noch mächtig waren. Ihre Forderung nach der Unteilbarkeit
des heiligen Vaterlandes musste in der neuen Verfassung
festgeschrieben werden. Die beiden großen Parteien,
Konservative und Sozialisten, begruben mit ihrem "Pakt des
Schweigens" die Aufarbeitung des Bürgerkrieges und der
Franco-Diktatur.
Die demokratischen Regierungen hatten kaum Interesse, die Spuren
des Franquismus auszulöschen: Münzen mit dem Konterfei
Francos waren bis in die 1990er Jahre im Umlauf, das letzte
Reiterstandbild des "Caudillo" wurde erst 2010 entfernt. 1996 zog
das rechte Lager einen Schlussstrich unter die eh schon
dürftige Vergangenheitsbewältigung. Im März gewann
die konservative Volkspartei PP unter José María
Aznar die Wahlen. Die Rechten holten die alten franquistischen
Mythen in die politische Öffentlichkeit, Fernseh- und
Radiosender, Verlage, Zeitungen und Internetportale
verherrlichten ungeniert die Franco-Ära.
Jene, die an die blutige Vergangenheit erinnern, sterben aus.
"Schluss mit der Straflosigkeit", "Wir wollen endlich
Gerechtigkeit!", verlangen die Überlebenden der Diktatur.
Die "Plattform gegen die Straflosigkeit" hatte vor dem
"Königlichen Posthaus" auf dem Platz "Puerta del Sol" in
Madrid protestiert. Während der Franco-Diktatur von 1939 bis
1975 befanden sich dort die Folterkeller der politischen Polizei.
Inzwischen residiert die konservative Regionalregierung in dem
prachtvollen Bau. Jede Woche ziehen Franco-Opfer und ihre
Angehörigen mit Transparenten über den Platz. "Wir
wollen, dass die Wahrheit aufgedeckt wird", steht auf einem
Plakat.
Der spanische Staat leistet hingegen keinerlei strafrechtliche
und eine nur unzureichende gesellschaftspolitische Aufarbeitung
der Verbrechen Francos, der die politischen Gegner während
Krieg (1936-1939) und Diktatur (1939-1975) systematisch
terrorisieren und vernichten ließ.
Die spanische Justiz kümmert sich also wenig um die
Putsch-Täter von damals, die die
verfassungsmäßige Ordnung zerstört hatten. Die
spanische Justiz geht hingegen gegen katalanische Politiker vor,
die mit dem Stimmzettel die Unabhängigkeit erreichen
wollten. Eine Rebellion gegen eine Verfassung, die Mitte der 70er
Jahre Vertreter des Franco-Regimes mitgeschrieben haben.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2017/171023de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2017/171002de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2017/170922de.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/catalan.html |
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/cata-eu.html |
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/safepack.html |
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/medien.html
* www: www.juntspelsi.cat | www.esquerra.cat | www.cup.cat | www.partitdemocrata.cat |
https://catalunya.podemos.info
| www.ppcatalunya.com |
www.socialistes.cat/es |
http://parlament-catalunya.ciudadanos-cs.org/es/
| web.gencat.cat/ca/inici/ |
www.parlament.cat/web/index.html
| www.omnium.cat | www.assemblea.cat | www.ccma.cat/tv3/ |
www.diplocat.cat/files/docs/170420-E02DE-HatKatalonienEinRechtAufSelbstbestimmung.pdf
| www.diplocat.cat/de/
| www.minority-safepack.eu