In: Home > DOSSIER > Spanien - Katalonien: Die Droge des Zentralismus
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Wolfgang Mayr
Bozen, 23. Oktober 2017
Kundgebung in Barcelona am 21. Oktober. Foto: Fotomovimiento via Flickr.
Die spanische Volkspartei PP hat mit ihrem kastilischen
Zentralismus das Land in die Krise gestürzt und die
katalanische Autonomie kassiert. Die spanische Regierung hat
inzwischen wieder die verfassungsmäßige Ordnung
hergestellt, das heißt die autonome Region Katalonien wird
kommissarisch verwaltet, die Finanzzahlungen an Barcelona
ließ die Regierung bereits einstellen, das Parlament in
Barcelona wird aufgelöst, der katalanische
Ministerpräsident Puigdemont von der liberalen Partei PDeCAT
und sein Vize Oriol Junqueras von der katalanischen Linken ERC
müssen sich wegen Hochverrats vor Gericht verantworten.
Möglicherweise könnten auch noch jene katalanischen
Parteien verboten werden, die die Unabhängigkeit als Ziel
verfolgen. Ähnliches passierte ja schon im Baskenland.
Aus der Traum der katalanischen Unabhängigkeit, die Zentrale
nimmt die Peripherie an die Kandare. Die katalanischen
Nationalisten haben sich von der konservativen spanischen
Volkspartei PP in die Sackgasse treiben lassen. Der
verfassungsmäßigen Revanche aber nicht genug: Im
Jänner soll das katalanische Parlament neu gewählt
werden, verkündeten die sozialdemokratische PSOE und die
liberale Partei Ciudadanos. Mit beiden Parteien setzte
Ministerpräsident Rajoy die Maßnahmen gegen die
katalanische Regionalregierung um und durch. Von den 135 Sitzen
im katalanischen Parlament halten die Sozialisten 16 und die
Liberalen 25 Sitze. Mit der Neuwahl, so die Hoffnung in Madrid,
verlieren die Unabhängigkeitsparteien ihre Mehrheit.
Vielleicht müssen die Katalanen so lange wählen, bis
Madrid das Ergebnis passt.
Die EU als Kartell der Nationalstaaten verweigerte eine
Vermittlung zwischen Madrid und Barcelona. Auf Seite des
spanischen Zentralstaates und der EU agieren auch die Konzerne,
mehr als tausende Firmen verlegten bereits ihre Hauptsitze aus
Barcelona. Das Kartell der Mächtigen hat
zurückgeschlagen, gegen den bürgerlichen Ungehorsam
jener Katalanen, die einen eigenen Staat fordern. Das mag zwar
anachronistisch sein, ist aber die Folge eines mehrjährigen
autonomiepolitischen Stillstandes. Gewollt und angestrebt von der
spanischen Volkspartei PP, der Verteidigerin des einheitlichen
Zentralstaates.
Kurz zurück in die Vergangenheit: In der Spanischen Republik
in den 30er Jahren zählte das weitgehend autonome Katalonien
zu den Stützen der demokratischen Republik, auch deshalb
rächte sich der faschistische Putschist Franco an den
Katalanen. Nach seinem Tod 1975 wagten die Reformer, ein
Bündnis aus Reform-Franquisten, Konservativen, Sozialisten,
Kommunisten und katalanischen, baskischen sowie galicischen
Nationalisten, den Bruch. Die neue Verfassung von 1978 ist ein
radikaler Gegenentwurf zum autoritären Zentralstaat. Die
Verfassung anerkennt die Völker Spaniens und ihr Recht auf
Autonomie. Eine Art Wiedergutmachung für die Verbrechen
während der Franco-Ära und ein Kompromiss zwischen der
Zentrale und den ethno-territorialen "Peripherien".
Nicht nur Katalanen, Basken und Galicier erhielten 1979
autonome Regionen, weitere 14 Regionen wurden mit
Autonomiestatuten ausgestattet. Auf diese Weise wurde die
Sonderrolle der Nationalitäten relativiert. Die meisten
Regionen drängten aber ebenso auf einen Umbau des Regional-
in einen Bundesstaat. Gegen diese Entwicklung putschten im
Februar 1981 Teile der Militärpolizei Guardia Civil, in der
Franco-Zeit ein Instrument der Repression.
Der Putsch blieb nicht folgenlos, die Franco-Sachverwalter in der
rechtskonservativen Alianza Popular (aus der später die
Volkspartei PP hervorging) und in der christdemokratischen UCD
sorgten dafür, dass die Verfassung "nachgebessert" wurde. Im
Artikel 8 heißt es: "Den Streitkräften obbliegt es,
die Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu
gewährleisten und seine territoriale Integrität und
verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen". Putschisten
als Mit-Autoren der Verfassung.
Die Regionen zeigten sich unbeeindruckt und forderten mehr
Kompetenzen. Die Staatsparteien UCD und PSO befürchteten
eine Machterosion. Sie vereinbarten, die Regionalisierung
einzufrieren: Mit dem Gesetz "Ley Organica para la Armonizacion
del Proceso Autonomico" (Loapa) sollte der Zentralstaat
ausgebaut, der Staat der Regionen zusammengestutzt werden.
Dieser Gesetzentwurf wurde nicht umgesetzt, weil aufgrund einer
Klage der baskischen und katalanischen Nationalisten das
Verfassungsgericht Teile als verfassungswidrig erklärten.
Trotzdem, die Regionalisierungsprozesse wurde eingefroren. Aus
der Reihe tanzten nur die Basken und Navarra, sie setzen eine
Finanzautonomie durch, gegen den Widertand der Madrider Zentrale.
Wahrscheinlich erzwangen auch die Wahlsiege von ETA-nahen
Parteien im Baskenland für ein Einlenken der spanischen
Regierung. Seitdem herrscht autonomiepolitischer Stillstand,
orchestriert von der spanischen Volkspartei PP und sekundiert von
den Sozialisten, die sich von ihren frühen bundesstaatlichen
Plänen verabschiedet haben. Die Droge Zentralismus
garantierte den gesamtstaatlichen Machterhalt.
1989, zehn Jahre nach der Ratifizierung des ersten
katalanischen Autonomiestatuts, verabschiedete das Parlament in
Barcelona eine Resolution für die Selbstbestimmung: Die
Anerkennung der Verfassungsordnung durch Katalonien bedeute nicht
ein Verzicht auf die Unabhängigkeit. 1990 verabschiedete das
baskische Parlament eine ähnlich lautende Resolution.
Hochrangige Militärs bekundeten während der
Militär-Weihnacht 1990 deshalb einmal mehr ihre
Bereitschaft, "die Einheit Spaniens mit allen notwendigen Mitteln
zu verteidigen" (El Pais, 7.1.190).
2003 kündigten Basken und Katalanen die Überarbeitung
ihrer erstarrten Autonomiestatute an, weitere Regionen wollten
sich anschließen. Ein gewaltiger Stress für die PP.
2005 wurde die katalanische Filiale der PSOE stärkste Kraft
im Parlament von Barcelona. Gemeinsam mit den unterlegenen
katalanischen Autonomisten wurde ein neues Autonomiestatut
ausgearbeitet.
Ein weitreichendes Statut mit 223 Artikeln, im Dialog
ausgehandelt, von den Parlamenten in Barcelona und Madrid
gutgeheißen, ebenso von den katalanischen Bürgern.
Widerspruch kam von der damals oppositionellen PP und ihrer
Parlamentsfraktion und von PP verwalteten Regionen. Das
Autonomiestatut wurde ausgesetzt. Das war 2010. Stillstand total.
Ein voller Erfolg für die nationalkonservative PP,
kastilisch national und zentralistisch.
Die Katalanen wählten die vom PSOE dominierte
Regionalregierung ab, Artur Mas von der CIU gewann die Wahlen,
die linke ERC unterstütze die Minderheitsregierung von Mas.
In seiner Amtszeit setzte Mas ein Referendum zur
Unabhängigkeit an, das Verfassungsgericht untersagte das
Referendum. Stattdessen führte die CiU-Regierung eine
unverbindliche Volksbefragung über die politische Zukunft
Kataloniens durch. Dafür wurde er vom obersten Gericht
Kataloniens zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem darf
er für zwei Jahre keine politischen Ämter
bekleiden.
Ähnlich entwickelte sich die Lage im Baskenland. Das vom
baskischen Parlament genehmigte neue Autonomiestatut wurde vom
spanischen Parlament 2005 wegen des Hinweises auf das Recht auf
Selbstbestimmung abgelehnt, auf Betreiben der PP wurde das
baskische Gesetz einer Volksbefragung über die Zukunft des
Baskenlandes 2008 vom Verfassungsgericht zurückgewiesen,
weil verfassungswidrig. Es fand kein Dialog statt zwischen Madrid
und Donostia/San Sebastian. Die Hüter der Verfassung, die
Richter am Verfassungsgericht, agieren wie ihre politischen
Auftraggeber, sie sind höchstrichterliche Vertrauensleute
der beiden großen Parteien. Katalanen, Basken und Galicier,
die immerhin ein Drittel der spanischen Bevölkerung stellen,
sind im Verfassungsgericht nicht vertreten.
Das Verfassungsgericht folgte der eigenen Vorgabe und
kassierte dann auch die Souveränitätserklärung des
katalanischen Parlaments, die eine Reaktion auf die Ablehnung des
neuen Autonomiestatuts war. In dem Urteil 2014 stellten die
Höchstrichter aber auch kritisch fest, dass es nicht
weiterhin instrumentalisiert werden will, "um bei der Lösung
von politischen Konflikten tätig zu werden". Die
Verfassungsrichter anerkennen die Wirklichkeit Kataloniens, es
sei aber nötig, über eine verfassungsrechtliche
Anerkennung die Katalanen zu einem rechtlichen Subjekt zu
erheben. Sie regten deshalb einen Dialog an, um die Verfassung zu
reformieren, auch zugunsten eines Staatsteils, der seinen
Rechtsstatus ändern will.
Der Dialog blieb aber aus, der Frust, die folgende Wut und die
anschließende nationalistische Militanz ließ die
Unabhängigkeitskoalition Junts pel Si aus der liberalen
Partei Convergencia Democratica de Catalunya (CDC) und die
linksrepublikanische ERC die katalanischen Parlamentswahlen
gewinnen. Die linksnationalistische CUP sicherte mit ihren
Mandaten der Koalition Junts pel Si die absolute Mehrheit im
katalanischen Parlament.
Der Präsident der Regionalregierung Carles Puigdemont verfolgte eine Politik des bürgerlichen Ungehorsams ohne Alternativen und möglichen Auswegen. Mit den bekannten Folgen. Die Rechnung der PP ging auf. Sie wird die nächsten Parlamentswahlen gewinnen, mit allen Auswirkungen auf den Staat der Autonomien, auf die eingefrorenen baskischen und katalanischen Autonomien. Vergessen sein werden die Prügelorgien der Guardia Civil vom 1. Oktober, die Verhaftungen und die Schließung von Webseiten.
Literatur
- "Autonomie und Selbstbestimmung in Europa und im
internationalen Vergleich", HG Peter Hilpold,
Nomos/Dike/facultas
- "Nationalismus und Demokratie - Politik im spanischen Staat der
Autonomien", Peter A. Kraus, Deutscher
Universitätsverlag
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2017/171023de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2017/171002de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2017/170922de.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/cata-span.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/cata-eu.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/safepack.html |
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/medien.html
* www: www.juntspelsi.cat | www.esquerra.cat | www.cup.cat | www.partitdemocrata.cat |
https://catalunya.podemos.info
| www.ppcatalunya.com |
www.socialistes.cat/es |
http://parlament-catalunya.ciudadanos-cs.org/es/
| web.gencat.cat/ca/inici/ |
www.parlament.cat/web/index.html
| www.omnium.cat | www.assemblea.cat | www.ccma.cat/tv3/ |
www.diplocat.cat/files/docs/170420-E02DE-HatKatalonienEinRechtAufSelbstbestimmung.pdf
| www.diplocat.cat/de/
| www.minority-safepack.eu