Gesellschaft für bedrohte Völker LogoHOME | INFO | NEWS | >> DOSSIER | BACHECA / TERMINE | EDICOLA / KIOSK | LADIN

EU-Agentur für Grundrechte

Bemühung um Belanglosigkeit - Ein Schritt nach vorne, zwei zurück?

Mateo Taibon

Bozen, 31. Januar 2005

Die Anhörung zur künftigen EU-Agentur in Brüssel am 25. Januar war aufschlussreich, denn sie hat divergierende Ansichten mit unerwarteter Klarheit herauskristalliert. Kommissions-Vize-Präsident Franco Frattini erläuterte das Vorhaben der Umwandlung der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit EUMC in die "Agentur für Grundrechte" und beteuerte, dass Kommissionspräsident Barroso sich mit voller Überzeugung für diese Agentur engagieren werde. Im Mai 2005 soll der ausgearbeitete Vorschlag vorliegen, ab 2007 soll die Agentur arbeiten, so Frattini. Skepsis ist angebracht, denn die Kommission wird bei ihrer Entscheidung kaum den Stimmen der NGOs mehr Gewicht beimessen als den Stimmen der Regierungen, die in der Kommission selbst vertreten sind.

Die Vertreter der Regierungen, die bei der Anhörung anwesend waren, äußerten den Willen, die Agentur so klein als möglich zu halten und der politischen Kontrolle zu unterwerfen. Die Umwandlung der EUMC zu Agentur ist für viele ein willkommener Anlass, deren Kompetenzen zu beschneiden. Der Vertreter des österreichischen Außenministeriums forderte etwa, die Agentur dürfe nicht Monitoring der einzelnen Staaten betreiben, sondern dürfe nur der Kommission "beratend" zu Seite stehen. Mehr als eine Alibi-Funktion würde man der Agentur also nicht zugestehen. Dazu ist zu erwähnen, dass in Österreich viel Rassismus und Antisemitismus festgestellt wurde, nicht zuletzt in der Regierungspartei FPÖ, die darin ein ideologisches Hauptbetätigungsfeld hat. Auch die Asylpraxis in Österreich und die Asylgesetzgebung entsprechen nicht dem Mindestanforderungen der Menschenrechte, genauso stand in jüngster Vergangenheit die Polizei häufig durch rassistisches Vorgehen im Zentrum der Kritik. Der Vertreter des österreichischen Außenministeriums also handelte im Interesse der eigenen Regierung und der Behörden, nicht im Interesse der Grundrechte.

Eine auf die Reduktion der Agentur abzielende Wortmeldung kam auch vom französischen Justizministerium, das unter anderem die Ansicht vertrat, im Verwaltungsrat der künftigen Agentur müssten die Vertreter der Staaten sitzen - als Ausdruck des Willens dieser Staaten. Damit wäre die politische Kontrolle gewährleistet, nicht aber die Unabhängigkeit, die von anderen Teilnehmern mit besonderem Nachdruck gefordert wurde. Die politische Kontrolle der Agentur würde diese sinnlos machen. Dies hat nicht zuletzt der Bericht zum Antisemitismus in der EU gezeigt, dessen Veröffentlichung lange hinausgezögert wurde. Hervorgehoben wurde im Bericht u.a. der oft gewalttätige Antisemitismus in Frankreich, der vor allem unter muslimischen Einwanderern grassiert. Der Bericht war unbequem und wurde, aufgrund politischen Drucks, unter Verschluss gehalten - bis ein EU-Abgeordneter ihn auf seiner Homepage veröffentlichte.

Die häufigste Forderung seitens der verschiedenen Organisationen war denn auch die Unabhängigkeit der Agentur: Keine politischen Konditionierung, ein freies Sammeln von Informationen und deren Analyse sowie deren Publizierung ohne Hindernisse und Erschwernisse. Eine weitere klare Forderung war die der angemessenen Finanzierung. Die Signale der EU-Kommission sind diesbezüglich nicht ermunternd.

Die Menschenrechtsorganisationen und NGOs, die an der Anhörung teilnahmen, kritisierten außerdem die Grundschwäche des Projektes: Die Kommission hat den etwas schwammigen Begriff "Grundrechte" gewählt und den Begriff "Menschenrechte" vermieden. Das ist ein schlechtes Zeugnis für Europa, das sich weltweit als Lehrmeister der Menschenrechte aufspielt. Fast 60 Jahre nach Verabschiedung der Internationalen Menschenrechtserklärung sowie nach zahlreichen Zusatzkonventionen durch UNO, Europarat und EU selbst, ist die EU-Kommission nicht gewillt, den Begriff "Menschenrechte" zu verankern. Auch die "Grundrechte-Charta" dokumentiert dieses Versagen.

Die GfbV hat bei der Anhörung, zusätzlich zu den schriftlich eingereichten Forderungen (www.gfbv.it/3dossier/eu-min/ue-agen-de.html), zu verschiedenen Diskussionspunkten mündlich Stellung genommen. Gefordert wurde von der GfbV neben der unverzichtbaren Unabhängigkeit so vor allem die Verbindlichkeit der Erkenntnisse der Agentur: Wenn die Agentur Menschenrechtsvergehen feststellt - eine menschenrechtswidrige Gesetzgebung oder menschenrechtswidriges Verhalten seitens von Behörden -, so müssen der verwortliche Staat oder die Region (denn auch Regionen sind für Menschenrechtsverletzungen bekannt) oder auch die EU-Kommission selbst dazu verpflichtet werden können, diese Vergehen abzustellen, d.h. Gesetze abzuändern oder notfalls auch Politiker, Beamte oder Polizisten abzusetzen.

Die GfbV forderte außerdem, die Agentur müsse für alle Grundrechte zuständig sein, und zwar von allen Menschen, die sich in der EU aufhalten, also auch von Immigranten ohne EU-Staatsbürgerschaft, Immigranten mit EU-Staatsbürgerschaft und nicht zuletzt Asylanträgern. Zuständig sein muss die Agentur aber nicht zuletzt für die vielen EU-Bürger, die einer nationalen Minderheit angehören. Aus diesem Grund forderte die GfbV das Monitoring nicht nur von Individualrechten (wie dies z.B. Amnesty international tat), sondern auch von Kollektivrechten. Ein besonders wichtiger Zuständigkeitsbereich wäre jener der auf ganz Europa verteilten (und diskriminierten) Sinti und Roma.

Die Generalsekretärin des Europarats, Maud De Boer-Buquicchio, war hingegen gefordert worden, es dürfe keine Doppelarbeit geleistet werden, die Agentur dürfe nicht mit Kompetenzen betraut werden, die bereits vom Europarat wahrgenommen werden. Doch wird vom Europarat - wie von allen politischen Instanzen - das Thema Menschenrechte nach politischer Taktik und nach Kalkül behandelt, nicht nach Prinzipien. Die Kompetenz den politischen Instanzen allein überlassen heißt, sie dem Opportunismus überlassen. Außerdem bliebe in diesem Fall für die Agentur ein allzu geringer Kompetenzbereich übrig.

Was die geografische Kompetenz betrifft, sprach sich die GfbV zwar für eine Einschränkung auf die EU aus (Staaten außerhalb der EU können nicht verpflichtet werden, EU-Richtlinien umzusetzen). Dafür aber muss die Außenpolitik der EU monitoriert und korrigiert werden, etwa wenn EU-Regierungen oder die gemeinsame EU-Außenpolitik Menschenrechtsvergehen wirtschaftlich und politisch unterstützen. Was die Bezeichnung betrifft, regte die GfbV an, den Doppelbegriff "Grund- und Menschenrechte" zu verwenden, um den ausgesparten Begriff der "Menschenrechte" zurückzuholen.

Weiters forderte die GfbV die gesicherte Einbeziehung der NGOs bei der Einholung der Information über die einzelnen Staaten und Regionen (auch Regionen sind für Menschenrechtsvergehen verantwortlich). Es dürften nicht die Staaten Berichte über sich selbst verfassen und die Agentur dazu verpflichten, diese anzunehmen. Die Agentur muss außerdem das Potential haben, selbst Erhebungen vorzunehmen, was den Kreis zur Finanzierung schließt und die politische Unabhängigkeit voraussetzt. Dass die Mitarbeiter und der Verwaltungsrat ebenfalls anerkannte Fachleute sein müssen und nicht politisch besetzte Stellen, wie es auf staatlicher und regionaler Ebene häufig geschieht, versteht sich von selbst.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/ue-agen-de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/protok-oes.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/041209ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/041201de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/041025de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/041018de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040823de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040806de.html | www.gfbv.it/3dossier/3indice.html#eu-min

* www: europa.eu.int/comm/justice_home/news/consulting_public/fundamental_rights_agency/communication_com2004_693_de.pdf | europa.eu.int/comm/justice_home/news/consulting_public/fundamental_rights_agency/list_of_questions_de.pdf | eumc.eu.int/eumc/index.php | europa.eu.int/yourvoice/index_de.htm

Letzte Aktual.: 2.2.2005 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/ue-agen25-de.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

HOME | INDEX DOSSIER | Versione italiana