Von Wolfgang Mayr
Bozen, 13. Juni 2005
Sonja Vogel prügelt (in konkret 4/2005) die Fuev
kurzerhand ins völkisch-deutsche Eck, schreibt die Fuev zu
einem gefährlichen Instrument der deutsche
Außenpolitik hoch und verbreit kaltschnäuzig Halb- und
Unwahrheiten. Das bundesdeutsche linksradikale Monatsblatt
"konkret" fährt mit Vorliebe über Minderheiten
drüber. Das Engagement zugunsten von Minderheiten wird als
völkisch abgetan, rechtsradikal. So als ob der
völkische Jörg Haider in Kärnten oder deutsche
Rechtsradikale Fürsprecher von Minderheiten wären. Das
Bild muß stimmen, dafür biegt sich "konkret" auch
einiges zurecht. Die Föderalistische Union Europäischer
Volksgruppen (Fuev) schreibt "konkret" seit Jahren zu einer
Vorfeldorganisation der deutschen Außenpolitik hoch.
Sonja Vogel wiederholt eine Menge Unsinn in Sachen Minderheiten
und Fuev, der schon öfters im "konkret" zu lesen war. Aber
auch permanent wiederholter Unsinn bleibt Unsinn. Die Mache ist
klar und deutlich: Allein schon der Titel gibt die Richtung vor.
Die minoritären Europäer sind keinen Deut besser als
rechte Europäer. Zugunsten dieser Analyse biegt sich Sonja
Vogel einen Teil der Geschichte zurecht.
Es war der rumänendeutsche Politiker Rudolf Brandsch, ein
demokratisch-bürgerlicher Politiker und
Unterstaatssekretär in der Regierung Iorga, der 1922 den
"Verband der deutschen Volksgruppen in Europa" gegründet
hatte. Der Verband bekannte sich ohne Vorbehalte zu den neu
entstandenen osteuropäischen Staaten. Brandsch war auch 1925
die treibende Kraft bei der Gründung des "Kongresses der
organisierten nationalen Gruppen in den Staaten Europas", des
"Nationalitätenkongresses". Mitglieder im Kongress waren
auch verschiedene jüdische Organisationen. Verband und
Kongress wehrten sich unter Brandsch-Nachfolger Hans Otto Roth
gegen die Nazi-Unterwanderung, protestierten bereits kurz nach
der Machtergreifung Hitlers gegen die Verfolgung der
jüdischen Deutschen. Roth und die Mitstreiter von Brandsch
legten 1934 aus Protest gegen die Nazis die Führung des
Verbandes nieder. Verband und Kongress wurden daraufhin von den
Nazis in ihre Außenpolitik einverleibt.
Die vom jiddischen Bund geforderte nationale und kulturelle
Autonomie für die jüdische Bevölkerung Ost-Europas
galt lange als die politische Richtschnur des Kongresses. Das hat
Sonja Vogel in ihrer Recherche glatt übersehen. Zugunsten
ihrer Analyse. Übersehen auch, dass an der Spitze der Fuev
erklärte Anti-Nazis standen. Der langjährige Senator
der Südtiroler Volkspartei, Friedl Volgger, wurde von den
Nazis 1943 nach Dachau verschleppt. Er versuchte den katholischen
Widerstand in Südtirol gegen die Nazis zu organisieren.
Zwanghaft versucht "konkret" der Fuev einen Nazi-Mantel
umzuhängen.
Damit verunglimpft "konkret" auch Mitgliedsorganisationen der
Aostaner und der Slowenen in Italien, der Slowenen und der
übrigen fünf Sprachminderheiten in Österreich,
getroffen wird damit aber auch der SSW in Schleswig-Holstein,
eine der Säulen der Fuev. Der SSW, plötzlich
völkisch und großdeutsch? Oder ist Sonja Vogel gar
nicht bekannt, dass der SSW Fuev-Mitglied ist wie eine Reihe
anderer Organisationen "slawischer" Minderheiten, der Sorben
beispielsweise? Eine Fata Morgana sind auch die von Sonja Vogel
zitierten Fuev-Kommunalbüros "im bereits erfolgreich
parzellierten Ex-Jugoslawien". Sie bemühen sich herzhaft,
der Fuev die erfolgreiche ethnische Parzellierung Jugoslawiens
unterzuschieben. Paul Parin und Marek Edelmann warfen dem
Milosevic-Regime vor, mit seinem Nationalismus die
Hauptverantwortung für die Zerstörung Jugoslawiens
(siehe Rudo Assuntino & Wlodek Goldkorn: Der Hüter
– Marek Edelmann erzählt) zu tragen. Nicht die Fuev.
Genausowenig ist die Fuev in Mazedonien aktiv, schon gar nicht
mit Kommunalbüros präsent. Sie verwechseln die OSZE mit
der Fuev.
Es gibt keine solcher Büros, es bedurfte nicht der
griechischen Proteste. Gern übersieht "konkret" die
chauvinistische Rolle Griechenlands in der Zypern-Frage,
Griechenland leugnet die Existenz von Sprachminderheiten im
eigenen Land. Ein Blick in die Berichte der
Menschenrechtsorganisation "minorithy rights group" genügt.
Ist "konkret" zur verlängerten Pressestelle des
Pressesprechers der griechischen Botschaft geworden? Während
des griechischen Bürgerkrieges 1946-1950 nahmen viele
Angehörige der mazedonischen Sprachgruppe auf Seiten der
Kommunisten am Aufstand teil. Eine Folge der rabiaten
Graecisierung – Personen- und Ortsnamen wurden
geändert, teilweise verbot man sogar die Sprache, und die
Ikonen mit kyrillischer Schrift wurden griechisch übermalt.
Die Kommunisten versprachen den Mazedoniern eine Anerkennung, wie
sie ihnen im Tito-Jugoslawien zuteil wurde. Nach der
kommunistischen Niederlage flohen mehr als 100.000 Mazedonier
nach Jugoslawien. Eine Art ethnische Säuberung. Da wird es
schwer, "´Minderheiten` zu entdecken, wo sie nicht
existieren".
"Konkret" zitiert immer wieder Frankreich als a-ethnischen
Staat. Frankreich unterstützte 1945 recht ungeniert die
aostanische Widerstandsbewegung gegen den italienischen
Faschismus, warb für einen Anschluß von Aosta an
Frankreich. Undurchsichtig blieb die französische Rolle
während der Auseinandersetzungen zur Schaffung des Kantons
Jura in der Schweiz, Charles De Gaulle jettete nach Quebec, um
das nationalstaatliche Bestreben der französischsprachigen
Bevölkerung zu unterstützen. Auch das ist
Frankreich.
Gleich fünf Mal hielt die Fuev in Frankreich ihre Kongresse
ab, 1949 in Paris und Versailles, 1973 in St. Malo, 1982 in
Straßburg und 1989 in Versailles. Der 1966 in Gorizia
geplante Fuev-Kongreß wurde von den italienischen
Behörden verboten. Der damalige christdemokratische
Ministerpräsident Amintore Fanfani wollte verhindern, dass
Vertreter der slowenischen Minderheit öffentlich Kritik an
der italienischen Regierung äußerten. Die slowenische
Sprachgruppe in der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien
zählte in der faschistische Ära zu den Opfern der
Repression, gewendete faschistische Hierarchen in der Democrazia
Cristina setzten ihre minderheitenfeindliche Politik fort. Gorzia
war damals eine geteilte Stadt zwischen Italien und Jugoslawien,
mit einer starken slowenischsprachigen Bevölkerung dies- und
jenseits der Trennungsmauer. Trotz Verbots des Kongresses hielt
die Fuev in Gorizia 1966 ihre Delegiertenkonferenz ab.
Fanfani-Nachfolger Giulio Andreotti hob das Kongress-Verbot als
unbegründet auf. Italienische Diplomaten holten
Fuev-Experten in den 90er Jahren in entsprechende Ausschüsse
des Europarates zu Minderheitenfragen, wo sie angehört
wurden. Der Einfluss der Fuev auf der Rahmenkonvention zum Schutz
nationaler Minderheiten und auf die Charta der Regional- und
Minderheitensprachen hielt sich trotzdem in Grenzen.
Spezialkonventionen zur Sicherung des Selbstbestimmungsrechts des
Europarates gibt es keine, außerdem hat sich die Fuev vom
traditionellen Selbstbestimmungsrecht schon lange verabschiedet.
Die Fuev wird von "konkret" gar als Mitglied des EU-Ausschusses
der Regionen zitiert. Absolut falsch und unkorrekt. In diesem
Ausschuss sitzen ausschließlich gewählte Vertreter
regionaler Regierungen, zum Beispiel aus Sizilien, Sardinien,
Katalonien, Wales, Schottland oder aus den französischen
Departements. Allein Italien mit seinen 22 Regionen stellt 24
Mitglieder dieses Ausschusses, der mit dem "Maastricht"-Vertrag
geschaffen wurde. Die entsprechende Grundlage ist in der
Gemeinschaftscharta der Regionalisierung des Europäischen
Parlaments zu finden.
Die von "konkret" zitierte Hauptintention "Dezentralisierung der
Staatsmächte und Zentralisierung der Wirtschaftsmacht" hat
nichts mit der Aufgabe des EU-Ausschusses der Regionen zu tun. Es
geht um Mitsprache der Regionen an der EU-Politik. In der
Regional-Autonomie sieht die Fuev deshalb auch eine konkrete
Chance der Mitbestimmung der minderheitlichen
Bevölkerungsgruppen an der EU. Die Ergänzung von
Demokratie und Menschenrechte mit regionaler Autonomie
fördert faktisch benachteiligte Gruppen, so begründete
der ehemalige Fuev-Vorsitzende Christoph Pan die Forderung nach
Autonomie. Eine Forderung, die der jüdische Bund im
zaristischen Russland erhob und auch später in der
polnischen Republik immer wieder formulierte. Der Europarat teilt
dieses Anliegen von Pan, die parlamentarische Versammlung
verabschiedet vor einem Jahr einen entsprechenden
Autonomie-Antrag des Schweizer Parlamentariers Andreas Gross von
der Sozialdemokratie.
Pan orientierte sich aber auch an der Politik der
US-Bürgerbewegung, die für faktisch benachteiligte
Gruppen wie Minderheiten einen "affermative action" erwirkte.
Eine solche gilt in Schleswig-Holstein seit 1949 dank der "Kieler
Erklärung", sie wurde verstärkt 1955 durch die
"Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärung", zudem bekennt
sich die Landeverfassung dank einer rot-grünen
Ergänzung zu Sonderrechten für Minderheiten. Eine
wohltuende Ausnahme in Deutschland, das ansonsten recht rüde
mit den Sprachminderheiten und auch mit den sogenannten neuen
Minderheiten umspringt. Rechts und links sind sich in dieser
Frage nicht unähnlich.
"Konkret" verschweigt die von der abgewählten
rot-grünen Landesregierung gesetzten Akzente in der
Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein, verlagert die
Aktivitäten der Landesregierung kurzerhand zur deutschen
Sprachgruppe nach Dänemark. Erst dann wird das gemalte Bild
stimmig – Kiel päppelt die mutmaßlichen
Nachfolger der NS-Bewegung hoch, den Bund der Nordschleswiger.
Der BdN wird zu NS-Erben erklärt, für konkret ist damit
der Fall klar. Der BdN stellte sich während der
anti-dänische Kampagne der deutschen Konservativen und
Rechten klar und deutlich auf die Seite des SSW, lange bevor im
Rest der Republik Solidarität bekundet wurde. Das blendet
Sonja Vogel bewusst aus, wie auch die Tatsache, dass
dänische Rechte vor einigen Jahren eine üble Kampagne
gegen den BdN lostraten.
Die politische Zurechnungsfähigkeit geht konkret aber dann
abhanden, wenn die Fuev, in der auch der BdN und der SSW Mitglied
sind, zu einer Vorfeldorganisation der deutschen
Außenpolitik aufgerüstet wird. Als Beleg zitiert Vogel
die Fuev-interne Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten,
weiß aber offensichtlich nicht, dass es auch eine
Arbeitsgemeinschaft slawischer Minderheiten (Sorben in
Deutschland, Slowenen und Kroaten in Österreich, Italien,
Ungarn) gibt. Die Fuev, eine Vorfeldorganisation Russlands? Die
extreme Gefährlichkeit der Fuev wird laut Vogel ersichtlich
in den regionalen Kulturprogrammen, in der Unterstützung
bilingualer Schulen. Sollten zwei- und mehrsprachige Schulen
nicht zum Regelfall in der EU werden? Das letzte Stück im
Anti-Fuev-Puzzle ist die Grünen-Anfrage von 1997, die sich
auf einen vertraulichen Brief des deutschen Außenministers
1961 bezieht. 1961. Der Außenminister spricht sich gegen
die Förderung der Fuev-Zeitung "europa etnica" aus. Also war
damals die Fuev keine Vorfeldorganisation der deutschen
Außenpolitik? 2005 einen Brief aus dem Jahr 1961 zu
zitieren ist aber wohl der Ausdruck von argumentativer
Hilflosigkeit.