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Von Wolfgang Mayr
Bozen, Mai 2021
Die zapatische Delegation. Foto: enlacezapatista.ezln.org.mx.
In einem Monat werden im Vigo in der autonomen Gemeinschaft
Galicien in Spanien mehr als 100 VertreterInnen aus Chiapas
erwartet. ZapatistInnen und Angehörige des Indigenen Rates.
Sie wollen 500 Jahre nach der Zerschlagung des aztekischen
Staates daran erinnern, aber auch an das anhaltende
Kolonialisierungsprojekt des mexikanischen und der übrigen
lateinamerikanischen Staaten.
In Lateinamerika wird noch immer am spanischen
Kolonialisierungsprojekt festgehalten. Die indigene
Bevölkerung wird assimiliert, ihre Sprachen, Kulturen und
Territorien zerstört. Der Untergang des "roten" Amerika
begann mit der Landung von illegalen spanischen Abenteuern und
Plünderern in der Karibik. Deren Nachfahren haben die
Alteingesessenen restlos enterbt und fast ausgerottet. Die
Denkmäler der Eroberer und Massenmörder wie Cortez und
Pizarro in vielen lateinamerikanischen Städten erinnern
daran.
Mit der Entdeckung Amerikas läutete Christoph Columbus 1492
das Ende der indianischen Selbständigkeit ein. Mit dem
siegreichen Marsch des spanischen Eroberers Cortez vor 500 Jahren
- im Sommer 1520 - ins Aztekenreich in Zentral-Mexiko begann die
Zerschlagung indianischer Stadtstaaten und der
eigenständigen Kulturen. 500 Jahre danach hält der
linke mexikanische Präsident am spanischen
Kolonisierungsprojekt fest. Präsident Obrador drückt
der indigenen Bevölkerung im Süden des Landes
Großprojekte auf. Im Schatten der Bajonette seiner
verrufenen Militärs und Sicherheitskräfte.
Columbus und seine goldgierigen kastilischen Soldaten und
"Edelleute" landeten mit ihren drei Segelschiffen auf den
heutigen Bahamas. Columbus erklärte das "entdeckte" Land zum
Eigentum der spanischen Krone. Columbus folgten viele weitere
königstreuer Spanier nach. Nach und nach kamen die
karibischen Inseln allesamt unter spanische Herrschaft. Die
"Entdecker" und Eroberer machten sich das Land untertan. Die
indigenen Menschen wurden versklavt, die Frauen vergewaltigt, es
gab Massenmorde.
Columbus machte es vor. Auf seinem Hauptquartier Hispaniola
sank die Zahl der indigenen Bevölkerung von einer Million
Menschen innerhalb von zehn Jahren auf 100.000. Ein
Völkermord unter dem Zeichen der katholischen spanische
Krone. 50 Jahre später gab es nur mehr 200 Tainos. Nach der
erfolgreichen Plünderung der Inseln und der Abschlachtung
der indigenen Menschen setzte Columbus die Suche nach weiterem
Reichtum fort, in Mittelamerika und am nördlichen Rand
Südamerikas.
Die Karibik-Insel wurden "indianerfrei", die indigene
Bevölkerung wurde von den illegalen Einwanderern, die sich
als Entdecker und Eroberer in Spanien feiern ließen,
ausgerottet. Die Politik der verbrannten Erde und Menschen war
äußert erfolgreich. Als Cortez von Kuba westwärts
segelte, folgte er Erzählungen von unglaublichen
Reichtümern in Meso-Amerika. Er und seine Mit-Eroberer, sie
verstanden sich als Vertreter der hohen spanischen Zivilisation,
staunten über die indigenen Städte und Dörfer und
deren Landwirtschaft an der mexikanischen Küste. Sie lobten
die Architektur und den landwirtschaftlichen Reichtum, trotzdem
zerstörten sie Städte, Tempel und
Bewässerungsanlagen, weil heidnischer Herkunft, in ihrem
Interesse stand ausschließlich die Suche nach Gold.
Bereits auf seinem ersten Zug 1519 ins mexikanische Landesinnere,
nach Tenochtitlan - der Hauptstadt der Azteken oder Mexica -
verbündeten sich die von Aztekten unterworfenen indigenen
Stadtstaaten mit den spanischen Eroberern. Die indigenen
Verbündeten waren ausschlaggebend für die erfolgreiche
Niederschlagung des aztekischen Staates. Die indigenen Partner
wollten ihre Unterdrücker loswerden, wehrten sich damit
gegen den aztekischen Totalitarismus und den Menschenopfern. Es
gab aber keine Befreiung. Nach der Eroberung begann das
große Projekt der totalen Unterwerfung der indigenen
Völker nicht nur in Meso-Amerika.
Bereits vor dem Fall von Tenochtitlan am 13. August 1521 starb
an den eingeschleppten Krankheiten aus Spanien und Europa fast
die Hälfte der mesoamerikanischen Bevölkerung.
Kriegsführung mit Viren. Die von den Krankheiten
geschwächte Bevölkerung war einer brutalen
militärischen Eroberung ausgesetzt. Die Spanier und ihre
indigenen Helfer terrorisierten Land und Leute, massakrierten,
vergewaltigen und versklavten die Überlebenden.
Tenochtitlan, von Cortez als die schönste Stadt der Welt
verherrlicht, wurde zerstört, von den 300.000 Einwohnern
starben 250.000 während der Angriffe auf die Stadt.
Die Eroberung zog sich über ein Jahr hin, erst im August
1521 - nach 75tägiger Belagerung - fiel die
Azteken-Haupstadt in die Hände der Eroberer. Mit dem
spanisch-indigenen Sieg und der aztekischen Niederlage begann in
Mexiko der Untergang des indigenen Amerika. Alle übrigen
Hochkulturen fielen der spanischen Eroberungswut zum Opfer, die
Maya, später in den equadorianischen, peruanischen und
bolivianischen Anden die Inka. Die Spanier waren erfolgreich,
weil ihre indigenen Verbündeten das Joch der jeweiligen
indigenen Reiche abschütteln wollten und die tödliche
Drecksarbeit für die Spanier erledigten.
Während die indigenen Hochkulturen den unterworfenen
Völkern Sprache, Kultur und Land ließen, eigneten sich
die neuen Herren das gesamte Land an. Aus den ehemaligen Partnern
wurden rechtlose Untertanen. Ihre Kulturen gingen unter. Die
spanischen Eroberer vernichten die indigene Architektur,
Städte mit ihrem Tempeln. Auf den Grundmauern der indigenen
Reiche entstand das spanische Kolonialreich. Nichts erinnert mehr
in Cuzco an die Inka-Architektur. Die Eroberer hatten wohl einen
Generalplan West im Kopf, die vollständige Vernichtung und
Eroberung der "Neuen Welt". Die spanischen Eroberer legten eine
Blaupause über den Kontinent. Dörfer und Städte
waren Kopien der spanischen Vorbilder.
In Lateinamerika sollen zur Zeit der sogenannten Entdeckung
Amerikas durch Columbus mehr als 40 Millionen Menschen gelebt
haben. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die indigenen
Bevölkerung Lateinamerikas auf zwei Millionen geschrumpft.
Columbus, Cortez, Pizarro, usw große Entdecker? 2017 sagte
der Präsident des öffentlichen spanischen Fernsehens
RTVE, Jose´ Antonio Sanchez, dass die spanische Eroberung
des Aztekenreiches keineswegs als kolonialistischer Akt, sondern
vielmehr als zivilisatorische und missionarische Leistung zu
werten sei (Zitat aus: Stefan Rinke, Conquistadoren und Azteken,
Cortes und die Eroberung Mexikos). Schließlich hätten
die Spanier Kirchen, Schulen und Krankenhäuser in die Neue
Welt gebracht sowie ein barbarisches und blutrünstiges
Staatsgebilde besiegt.
Erst spät wehrten sich die entrechteten indigenen
Völker. Sie waren die Träger der Revolution von Benito
Juarez 1854.Trotzdem gingen sie leer aus. Betrogen. Bei der
Revolution von Emiliano Zapata und Pancho Villa 1910 spielten die
indigenen Kämpfer eine herausragende Rolle. Die an die Macht
gekommene Partei der Institutionellen Revolution hielt sich auch
nicht an die Versprechen, Grund und Boden an die indigenen
Bauern, Anerkennung ihrer Sprache und Kultur sowie der Autonomie
der indigenen Gemeinschaften.
Formal erkennt der mexikanische Staat 62 indigenen Sprachen als
"Nationalsprachen" an. Laut der Volkszählung von 2010
sprechen sechs Millionen Mexikaner oder 7% der Bevölkerung
indigene Sprachen. Den elf Sprachfamilien gehören 68
linguistische Gruppen und 364 Dialekte an. Zu den Sprachen mit
der größten Sprecherzahl gehören Nahuatl (etwa
1,6 Millionen, https://de.wikipedia.org/wiki/Nahuatl),
Mayathan (etwa 800.000, https://de.wikipedia.org/wiki/Mayathan),
Mixtekisch (etwa 500.000, https://de.wikipedia.org/wiki/Mixtekisch),
Tzeltal (etwa 470.000, https://de.wikipedia.org/wiki/Tzeltal-Sprache),
Zapotekisch (etwa 460.000, https://de.wikipedia.org/wiki/Zapotekisch)
und Tzotzil (etwa 430.000, https://de.wikipedia.org/wiki/Tzotzil-Sprache).
Es gibt insgesamt 16 indigene Sprachen mit mehr als 100.000
Sprechern in Mexiko, mehr als in jedem anderen Land Amerikas. Den
größten Anteil an Sprechern gibt es im Süden
Mexikos in den Staaten Oaxaca, Yucatán und Chiapas.
In diesen drei Staaten ist der indigene Widerstand - ziviler
Ungehorsam, staatliche Verweigerung, freiwillige Isolierung -
noch immer lebendig. In Chiapas verwalteten die Zapatisten und
der Indigenen- Rat gemeinsam Gebiete und Regionen mit indigenen
Bevölkerungsgruppen. Mit einem theatralisch inszenierten
bewaffneten Aufstands 1994 demonstrierten die Zapatisten ihren
Willen zur Autonomie. Der mexikanische Staat und die weiße
Elite in Chiapas, Großgrundbesitzer und ihre Killer, jagen
die Zapatisten, vertreiben sie aus ihren Dörfern, ermorden
Wortführer, bedrohen das Leben der indigenen Menschen. Wie
schon vor 500 Jahren.
Der angeblich linke Präsident will die Zapatistenhochburg
Chiapas knacken. Er verlegte Soldaten und Polizisten in diesen
Bundesstaat, die mit den bewaffneten Schergen der
Großgrundbesitzer das Land terrorisieren. Präsident
Obrador will gleichzeitig mit teuren Großprojekten die
Autarkie aufbrechen, das Land modernisieren, kündigte er an,
um die Menschen aus der Armut zu befreien. In Planung sind
große Infrastrukturprojekte wie eine Ölraffinierie im
Südosten Chiapas und der "Tren Maya" durch Yucatan, der
Touristen ins südliche Land der Maya bringen soll. Die
indigenen Zapatisten lehnen diese Politik strikt ab.
Der deutsche Soziologe, Heinz Dieterich, berät die linke
mexikanische Regierung in ihrer Wirtschafts- und
Entwicklungspolitik. Für Dieterich, der als geistiger Vater
des sozialistischen Modells in Venezuela gilt, ist die
zapatistische Position einer öko-sozialen
genossenschaftlichen und selbstverwalteten Entwicklung eine
Blockade für den gesamten südöstlichen Raum
Mexikos und ein Hindernis für den Fortschritt in der
Region.
Und was macht Präsident Obrador mit dieser
kaltschnäuzigen Analyse? Er beauftragte das Militär mit
der Durchführung der Großprojekte. Chiapas wird im
Zeichen der angeblichen Entwicklung militarisiert. Das
vereinfacht den schmutzigen Krieg der mexikanischen
Sicherheitskräfte gegen die indigenen Zapatisten
Diese sind Ende April mit Schiffen in Richtung Europa
aufgebrochen. 500 Jahre nach der Zerstörung und Unterwerfung
des aztekischen Staates unter die spanische Krone besuchen
ZapatistInnen und Angehörige des Indigenen Rates von Chiapas
Europa. In Erinnerung an den Untergang des indigenen Amerika.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2021/210514de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2021/210510de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2020/201222de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/chiapas.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/0608report-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/garifuna-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/lateinam.html
in www: www.monde-diplomatique.de/artikel/!5697648
| www.ya-basta-netz.org/comunicado-die-route-von-ixchel/
|
https://enlacezapatista.ezln.org.mx/2021/01/01/gemeinsame-erklarung-eines-teils-des-europas-von-unten-und-der-ezln/
| www.weltmuseumwien.at