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Zum Internationalen Tag der Indigenen Völker

Indigene Völker - ausgegrenzt und diskriminiert

Von Yvonne Bangert, Ulrich Delius, Sarah Reinke, Kerstin Veigt

Göttingen, August 2006

Inhalt

Indigene Völker: Wer sind sie und wie ist ihre Stellung im internationalen Recht [ oben ]

Indigene Völker sind die Hüter der kulturellen Vielfalt der Erde. Ihr Reichtum sind ihre vielen Sprachen und Kulturen, die Weisheit ihrer Religionen und ihres Umgangs mit der Natur. Wo sie leben ist die Vielfalt an Pflanzen und Tieren besonders groß. Gebräuchlicher ist für sie die Bezeichnung "Ureinwohner". Der Begriff "indigen" leitet sich ab vom englischen indigenous. Er wurde 1995 von der Arbeitsgruppe zu Indigenen Bevölkerungen der Vereinten Nationen (UNWGIP) geprägt für Völker, die ein bestimmtes Territorium als erste besiedelt und genutzt haben, die aus freien Stücken eine kulturelle Besonderheit bewahren, welche die Sprache, Sozialorganisation, Religion, Spiritualität, Produktionsweisen, Gesetze oder Institutionen der Selbstverwaltung einschließen kann oder die sich selbst als eine von anderen verschiedene, geschlossene Gruppe verstehen und als solche von anderen Gruppen oder staatlichen Institutionen auch anerkannt werden. Weltweit wird derzeit von 350 bis 400 Millionen Menschen ausgegangen, die einem der ca. 5000 indigenen Völker in 75 Staaten angehören.

Unter ihnen stellen die Adivasi in Indien mit ca. 70-80 Millionen Menschen die größte Gruppe, gefolgt von den Ureinwohnern des Amerikanischen Kontinents mit mehr als 40 Millionen Angehörigen. Die Tuareg in den Sahara- Staaten gehören ebenso dazu, wie die Pygmäen im zentralafrikanischen Regenwald, die Penan in Malaysia, Bergvölker in Bangladesh und Burma, Ainu in Japan, sibirische Völker in Russland, Maori in Neuseeland, Aborigines in Australien, die Bewohner der pazifischen Inseln, Inuit in Alaska, Kanada, Grönland und Sibirien oder die Saami in Skandinavien und auf der russischen Kola-Halbinsel. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Situation der indigenen Völker im internationalen Recht grundlegend gewandelt. 1976 entstand als erste internationale Interessenvertretung der Welteingeborenenrat, gegründet von Indianern aus Nord-, Süd- und Mittelamerika, Saami, Maori, Inuit und Aborigines, und erwarb den Beraterstatus bei den Vereinten Nationen. 1977 hielt eine große Pan-Indianische-Delegation erstmals bei den Vereinten Nationen in Genf Einzug. Einige Delegierte aus allen Teilen des Kontinents kamen anschließend auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) nach Deutschland, wo sie vor Tausenden von Zuhörern das Klischee vom Wild-Westund Karl May-Indianer zurechtrücken konnten. Ab 1983 bot die UN-Working Group for Indigenous Populations WGIP während ihrer alljährlichen Konferenzen den Indigenen ein Forum und die Möglichkeit, sich untereinander und mit ihren Unterstützern zu treffen und die Institutionen der UNO für ihre Anliegen zu nutzen.

Zehn Jahre später entstand aus der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien heraus die Initiative für eine internationale Dekade der Indigenen Völker, die von der UN-Generalversammlung beschlossen und im Dezember 1994 ausgerufen wurde. Wichtige Erfolge dieser Dekade waren die Ernennung des Mexikaners Rodolfo Stavenhagen zum ersten UN-Sonderberichterstatter für indigene Belange und die Schaffung eines Permanenten Forums für indigene Belange PFII, das paritätisch von Vertretern der Staaten und der Indigenen besetzt ist und im Mai 2002 erstmals tagte. Sitz des Forums ist bei den Vereinten Nationen in New York. Die Arbeitsgruppe für die Erarbeitung einer Universalen Deklaration der Rechte indigener Völker, die Working Group for the Draft Declaration WGDD, konnte ihr Ziel, der UN-Menschenrechtskommission eine Deklaration für die Menschenrechte der Indigenen Völker zur Abstimmung vorzulegen, bis zum Ende der Dekade 2004 jedoch nicht erreichen. Viele Nationalstaaten wollten das allgemein übliche Individualrecht nicht um das Kollektivrecht der Ureinwohner als Gruppen oder Völker erweitern und interpretierten deren Wunsch nach Souveränität im Sinne von Selbstverwaltung als Sezessionismus.

Die zum Jahreswechsel 2004/2005 ausgerufene zweite UN-Dekade für die indigenen Völker der Welt brachte die Wende. Der Menschenrechtsrat (Human Rights Council HRC), der mit seiner ersten Sitzung im Juni 2006 an die Stelle der im Juni desselben Jahres aufgelösten Menschenrechtskommission rückte, folgte den Appellen von UN-Generalsekretär Kofi Annan, Sonderberichterstatter Stavenhagen und zahlreichen indigenen Delegierten und nahm am 29. Juni 2006 nach einer Kampfabstimmung die Deklaration - auch mit der Stimme der Bundesrepublik Deutschland - an. Nur Kanada und Russland stimmten mit Nein. 12 weitere Staaten enthielten sich, drei blieben der Abstimmung fern. Die Deklaration ist damit an die UN-Generalversammlung überwiesen, die sie bei ihrer nächsten Sitzung noch endgültig verabschieden muss. Dort aber haben auch Staaten Stimmrecht, die kein Mitglied des HRC sind und wie zum Beispiel die USA die Deklaration ablehnen. Es könnten also andere Mehrheiten entstehen. Deshalb ist auch weiter intensives Lobbying - auch der GfbV - vonnöten, um bei den UN-Mitgliedsstaaten für die Deklaration zu werben. Ungewiss ist die Zukunft der WGIP und der Institution des Sonderberichterstatters für indigene Belange, denn noch hat der HRC nicht darüber entschieden, ob er sie beibehalten wird und wie er grundsätzlich in Zukunft die Indigenen und ihre Menschenrechte in seine Arbeit einbeziehen will. Auch hier werden wir uns intensiv für die Wahrung der indigenen Interessen einsetzen. Dazu gehört, dass wir die Beibehaltung eines Sonderberichterstatters für notwendig halten. Auch werden wir gemeinsamen mit anderen Menschenrechts-NGOs den HRC bitten dafür zu sorgen, dass die Staaten in ihren Länderberichten ihre Politik gegenüber den indigenen Völkern zu einem der obligatorischen Bestandteile machen.

Bleibt die im September 1991 in Kraft getretene Konvention 169 der International Labour Organisation ILO, die inzwischen von 17 Staaten ratifiziert wurde (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dänemark, Ekuador, Fiji, Guatemala, Honduras, Domenica, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Paraguay, Peru und Venezuela) darunter mit Norwegen, Dänemark und den Niederlanden auch von drei europäischen. In 44 Artikeln legt sie Mindeststandards im Umgang mit Ureinwohnern und in Stämmen lebenden Völkern fest. Besonders wichtig sind das Recht auf kulturelle Identität und auf gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen (Art. 4), das Recht auf Land und Ressourcen (Art. 13-19), das Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20), das Konsultationsverfahren als solches und das Recht, an der Art der Entwicklung auf dem jeweiligen Territorium beteiligt zu werden (Art. 6 und 7). Auf Ebene der EU wird die Konvention als Wegweiser für die Planung und Durchführung von Entwicklungsprojekten betrachtet. Das Europäische Parlament forderte schon 1994 die EU-Regierungen (mit Entschließungsantrag A3-0059/94) auf, der ILO-Konvention beizutreten. 1998 verabschiedete die EU-Kommission mit ausdrücklichem Bezug auf die ILO-Konvention 169 ein Strategiepapier zur verbesserten, zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit zwischen EU und indigenen Völkern. Im selben Jahr verabschiedete auch der Ministerrat eine entsprechende Resolution (13461/98).

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 ebenfalls seit langem ein Thema. Schon 1996 sprach sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Strategiepapier ausdrücklich für die Berücksichtigung der ILO-Konvention 169 in der bundesdeutschen Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik aus. Bei dieser zustimmenden Haltung ist das Ministerium bis heute geblieben. Auch die damalige Regierung Kohl sah 1996 keine völkerrechtlichen Bedenken, ratifizierte aber dennoch nicht, da man davon ausging, dass die Konvention sich nur an Staaten wende, in deren Grenzen indigene Völker beheimatet seien. Eine Ratifizierung macht aber auch für Deutschland als Staat ohne eigene indigene Bevölkerung Sinn, denn mit ihrer Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik beeinflusst auch die Bundesrepublik die Lebensbedingungen von Angehörigen indigener Völker und Gemeinschaften unmittelbar. Beteiligungen deutscher Firmen und Banken am Staudammbau oder an Öl-Pipeline-Projekten sind dafür ebenso Beispiele wie die Einfuhr von Erdöl oder Erdgas. Deshalb ist Deutschland gefordert, Verantwortung für die Folgen solcher Projekte zu übernehmen. Eines, das 2005 besonderes Aufsehen erregte ist die Ostseepipeline, die noch von Altkanzler Schröder mit dem russischen Präsidenten Putin vereinbart wurde. Deutsche Firmen verdienen an dem Pipelineprojekt kräftig mit. Das Gas, für dessen Export sie gebaut wird, stammt von Ureinwohnerland aus Sibirien. Grund genug, dass sich Deutschland als Projektpartner Russlands Regeln für einen fairen Umgang mit den sibirischen Indigenen auferlegen sollte.

So forderte der Bundestag 2002 mit einer Resolution der Fraktionen der damaligen Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, die Konvention zu ratifizieren. Nachdem über die folgenden Jahre kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, diese Resolution umzusetzen, stellten die Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, nun als Opposition, am 28. Juni 2006 erneut einen Antrag an den Bundestag, die Bundesregierung zur Ratifizierung der ILO-Konvention 169 aufzufordern, der in erster Lesung in den Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen wurde. Unübersehbar sind die indigenen Völker weltweit aus dem Schatten herausgetreten. Sie können heute nicht mehr ohne weiteres übergangen werden. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass mit Ausnahme der ILO Konvention 169 die hier vorgestellten Mechanismen der Vereinten Nationen vom guten Willen der Nationalstaaten abhängig sind, denn es handelt sich um Absichtserklärungen der Regierungen. Moralisch kann man sie einfordern, juristisch einklagen oder Verstöße vor Gericht bringen kann man nicht. Die indigenen Völker werden daher auch in Zukunft eine starke Lobby unter Menschenrechtlern und Nichtregierungsorganisationen brauchen, um die Regierungen bei der Angst um ihr Image und vor Gesichtsverlust zu packen.

Sibirien: Reichtum Russlands - Fluch für die indigene russische Bevölkerung [ oben ]

Sibirien ist die Schatzkammer der Russischen Förderation. Neben Erdöl und -gas werden hier Gold, Diamanten, Silber, Kupfer und weitere Rohstoffe gefördert. Es ist auch die Heimat der indigenen Bevölkerung Russlands, die sich aus 43 Völkern mit jeweils weniger als 50.000 Angehörigen zusammensetzt. Insgesamt sind es rund 200.000 Menschen. Die rücksichtslose Öl- und Gasförderung durch die Sowjets und seit der politischen Wende auch vermehrt ausländische Konzerne hat zu schweren ökologischen Schäden geführt, vor allem in Westsibirien, dem Zentrum der russischen Ölindustrie. Dort leben die Chanten, Mansen und Nenzen. Ihre Lebenserwartung liegt rund zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt. In ihrer Republik sind über 100 Flüsse und Bäche verseucht. Durch das jahrzehntelange Abfackeln der Begleitgase ist die Luft so stark verschmutzt, dass Krebs- und Atemwegserkrankungen weit verbreitet sind. Die Arbeitslosigkeit unter den Indigenen ist extrem hoch, Kriminalität und Alkoholismus sind die Folgen.

Deutschland ist eines der Hauptabnehmerländer von russischem Öl und Gas. 30% des dort verbrauchten Öls und 38% des Gases kommen aus Russland - insbesondere aus Westsibirien. Der Gasanteil könnte bei Fertigstellung der Ostseepipeline, deren Aufsichtsratsvorsitzender Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist, sogar auf über 60% steigen. Um das Land noch stärker wirtschaftlich ausbeuten zu können, werden Land, Wasser und Wald privatisiert. Die indigenen Gruppen stellt dies vor neue existentielle Probleme. Neue Förderprojekte erschließen bislang weniger stark industrialisierte Regionen, zum Beispiel die Inseln Sachalin und Kamtschatka im äußersten Nordosten der Russischen Förderation. Rechte für die Ureinwohnergruppen sind zwar teils in der Verfassung verankert, werden jedoch auf regionaler Ebene nicht umgesetzt. Die ILO-Konvention 169 hat Russland bislang nicht ratifiziert, obwohl die Selbstorganisation der Indigenen RAIPON dies seit langem fordert.

Chanten, Mansen und Nenzen in Westsibirien
Im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen leben rund 6.500 Mansen, 12.000 Chanten und 1.100 Nenzen. Traditionell lebten sie alle von der Jagd, dem Fischfang und der Rentierzucht. Im Süden und Westen des Kreises haben die Mansen ihre traditionelle Lebensweise weitgehend aufgeben, im Norden und insbesondere im Osten versuchen sie aber auch heute noch, so zu leben wie ihre Vorfahren. Gerade im Osten, in den Bezirken Nischnevartowskij, Surgutskij und Neftejuganskij, hat die Ölförderung jedoch zugenommen. Deshalb kommt es dort zu schweren Konflikten zwischen den Indigenen und der russischen Mehrheitsbevölkerung, die die Ausbeutung der Ressourcen unterstützt. Kulturell sind die Mansen eng mit den Chanten verwandt, mit denen sie in vielen Gebieten auch zusammenleben. Wegen der Zerstörung ihrer Umwelt mussten viele Mansen Schritt für Schritt Jagd und Fischfang aufgeben. Seit den 1960er Jahren werden die Ölreserven im Bezirk der Chanten und Mansen ausgebeutet. Die Industrialisierung ging rasch voran, neue Städte wurden gebaut, Menschen aus Zentralrussland strömten in großer Zahl in den Kreis. Mansen wurden aus den Ölgebieten zwangsevakuiert und hatten große Schwierigkeiten, sich an neue Orte und eine neue Lebensweise zu gewöhnen. Die Selbstmordrate ist hoch, die Lebenserwartung liegt entsprechend nur bei 40 bis 45 Jahren. Oft kommt es zu Konflikten mit den Ölarbeitern, die Rentiere stahlen und wilderten.

Die Chanten teilen sich in mehrere Untergruppen auf, die an den Flüssen Ob und Irtysch leben. Die rücksichtlose Ölförderung und die daraus resultierende Zerstörung der Umwelt zwangen viele Chanten, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben, ihre Dörfer zu verlassen und sich in den Städten anzusiedeln, wo sie jedoch nur schwer heimisch wurden. Ihre Kultur ist durch die Ölförderung weitgehend zerstört. Denn im Gebiet der Chanten und Mansen mit seinen unzähligen Seen, Flüssen, Sümpfen und Überschwemmungsgebieten, die alle untereinander verbunden sind, ist die schleichende Ölverseuchung des gesamten Landes kaum aufzuhalten.

Durch Lecks in den Pipelines fließen seit Jahren große Mengen Öl in das Grundwasser und gelangen in die Nahrungskette. Zahlreiche Rentiere verenden an ölverschmutzten Flechten. Durch die latente Ölverseuchung der gesamten Umwelt nehmen Krankheiten bei Mensch und Tier rasch zu, besonders Leberkrankheiten. Mit den Fisch-, Vogel- und Wildbeständen verschwindet auch die Ernährungsgrundlage. Darüber hinaus fällt bei vielen Ölquellen nach einigen Jahren der natürliche Druck des Erdöls so stark ab, dass es nicht mehr von selbst aus der Erde sprudelt. Dann werden in Russland üblicherweise Unmengen von Wasser zusammen mit Salzsäure in die Erde gepumpt, um es nach oben zu pressen. Dies hat zum Beispiel bei dem Fluss Kasym zu einem starken Absinken des Wasserpegels geführt. Da Niederschläge in der borealen Waldzone geringer ausfallen als im gemäßigten Klima, sind Waldbrände an sich schon ein häufiges Phänomen. Durch menschliche Einwirkung nehmen sie heute rapide zu.

Die Nenzen sind mit insgesamt rund 35.000 Angehörigen das größte indigene Volk der Russischen Föderation. Rund 1.100 Nenzen leben im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen, 21.000 auf der Yamal-Halbinsel, die gleichfalls stark von Gasförderung betroffen ist. Ein Großteil der nenzischen Bevölkerung lebt auch heute noch in Nomadenzelten oder kleinen Dörfern in Tundra und Taiga. Rentierzucht ist das wichtigste Element ihrer Kultur, die ebenfalls durch Öl- und Gasförderung bedroht ist. Die deutsche Erdgasgesellschaft Wintershall AG und die russische Gasprom gründeten 2003 eine Joint Venture-Gesellschaft (Achimgas) zur Erschließung und Entwicklung der Achimow-Formation der Lagerstätte Urengoi auf der Yamal-Halbinsel. Das 1966 entdeckte Gasfeld Urengoi ist eines der größten zusammenhängenden Erdgasvorkommen der Welt. Es liegt im Autonomen Kreis der Yamal- Nenzen, 200 km südlich der Ob-Bucht. Die Förderung begann 1978. Von Januar 1984 an wurde über die Erdgaspipeline Urengoi - Uschorod (Ukraine) der Export nach Westeuropa aufgenommen. Derzeit werden etwa 200 Milliarden m Erdgas jährlich gefördert.

Eine auf der Yamal-Halbinsel geplante Eisenbahnstrecke soll die Gasfelder Charassawej und Bovanenko mit dem Ort Labytnang bei Salekhard verbinden. Entlang der Bahntrasse sollen ca. acht Pipelines verlaufen, die den Anschluss an bereits bestehende Erdgasleitungen weiter im Süden oder in der Barentsregion herstellen sollen, damit Westeuropa auch von der Yamal-Halbinsel aus beliefert werden kann. Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sehen sich die nenzischen Nomaden außerdem mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Vermehrt kommt es zu Niederschlägen, die sofort gefrieren und das Rentiermoos mit einer Eisschicht bedecken, so dass die Tiere es nicht mehr erreichen können. Heute gleicht die Situation der Rentier-Nomaden einem Wettlauf mit der Zeit. Täglich müssen sie ihre wachsenden Herden auf neue, immer kleinere Weiden führen. Seit Beginn der achtziger Jahre weisen weite Gebiete der südlichen Yamal-Halbinsel daher Zeichen der Überweidung auf. Russische Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Herden der Rentierzüchter bereits um das eineinhalb- bis zweifache größer sind als die Böden der Yamal- Halbinsel verkraften können.

Indigene Völker auf Sachalin und Kamtschatka
Auf der Insel Sachalin im äußersten Osten der Russischen Förderation leben 650.000 Menschen, unter ihnen 3.150 Angehörige der Nivchen, Nanai, Oroken, Orochen und Ewenken. Sie leben größtenteils als Selbstversorger, Fischer, Rentierhirten oder vom Sammeln von Wildpflanzen. Für Arbeitsplätze in der Ölindustrie sind sie in der Regel nicht ausreichend qualifiziert.

Die Nivchen sind traditionell vor allem Fischer. Sie leben im Norden Sachalins. Mit etwa 2.000 Angehörigen sind sie die größte Ureinwohnergruppe der Insel. In den 1930er Jahren wurde der Fischfang kollektiviert. Die Nivchen sollten sesshaft werden und in Fischfarmen arbeiten, die durch staatliche Subventionen künstlich am Leben erhalten wurden, obwohl sie unrentabel waren. Die Kinder der Farmarbeiter wurden wie die der anderen indigenen Gruppen in staatlichen Internaten erzogen. Dort verlernten sie bald ihre eigene Sprache und vergaßen vieles von ihrer Kultur, denn die Erziehung folgte ausschließlich russischen Maßstäben. Die etwa 1.000 auf Sachalin lebenden Ewenken sind traditionell teilsesshafte Rentierzüchter. Domestizierte Rentiere dienen dabei als Reit- und Lastentiere, wilde Rentiere werden bejagt. Auch die Ewenken wurden in der Sowjetzeit sesshaft gemacht und in Kollektive gezwungen. Ihr Sozialgefüge und ihre kulturellen Traditionen litten darunter. Inzwischen werden große Anstrengungen unternommen, den Nomadismus und die damit verbundene Selbstversorgerwirtschaft wieder aufleben zu lassen. Das Rentier ist noch immer das wichtigste Transportmittel. Auch die ca. 130 Oroken sind traditionell teilsesshafte Rentierzüchter, außerdem Jäger und Fischer. Die Oroken im Norden Sachalins wurden 1932 zwangskollektiviert und im Gebiet der Kollektivfarm Val, die sich auf Rentierzucht spezialisiert hatte, sesshaft. Die im Süden Sachalins lebenden Oroken gaben im 19. Jahrhundert die Rentierzucht auf und wurden als Fischer sesshaft. Bis zum 2. Weltkrieg gehörte dieser Teil Sachalins zu Japan. Den Oroken wurde auf beiden Seiten der Grenze mit Misstrauen begegnet. Als Sachalin bei Kriegsende an die Sowjetunion fiel, fürchteten einige von ihnen die Verschleppung in sowjetische Arbeitslager und wurden auf die Insel Hokkaido in Japan evakuiert.

Die etwa 170 Nanai sind traditionell sesshafte Fischer und Jäger. Die meisten von ihnen leben auf dem Festland, nur eine kleine Gruppe auch auf Sachalin. Heute betreiben vorwiegend alte Menschen noch den Fischfang. Die meisten stellten sich im Zuge der Kolchosen-Wirtschaft auf Landwirtschaft und Viehzucht um. Viele Nanai arbeiten auch in qualifizierten Berufen, z.B. als Lehrer. Auch die Orochen waren traditionell Fischer und Jäger. Die meisten leben im Süden des Khabarovski Kray auf dem Festland. Im 19. Jahrhundert zog eine Gruppe von ihnen auf die Insel Sachalin, wo heute noch etwa 210 Orochen leben. Sie sind in Dörfern sesshaft und leben vom Gemüseanbau und der Viehzucht. Manche jagen und fischen auch. Die Pelztierjagd ist infolge einer strengen Regulierung durch Jagdlizenzen stark zurückgegangen. Vor der Küste Sachalins lagern die größten noch zu erschließenden Öl- und Gasvorkommenden der Welt. Das Ölvorkommen wird auf 13 Billionen Barrel (ein Barrel gleich 159 Liter) geschätzt. Bereits erschlossene Öl- und Gasfelder sind Sachalin-1 bis Sachalin-6. Sie ziehen die Großinvestoren unter den internationalen Ölmultis nach Russland. Exxon-Mobil, Chevron-Texaco, BP und Royal Dutch/Shell haben sich mit weiteren Ölunternehmen zu Konsortien zusammengeschlossen.

Derzeit plant das Konsortium um Shell, Mitsubishi und Mitsui, das Sachalin-2 Projekt erheblich auszuweiten. Die zweite Phase des Projektes umschließt die Errichtung zweier neuer Öl- und Gasplattformen im Norden Sachalins sowie den Bau zweier 800 km langer Pipelines die sich der Länge nach durch die gesamte Insel ziehen werden. 10 Milliarden Dollar sollen dafür investiert werden. Die Pipelines sollen die bestehenden und geplante weitere Bohrinseln im Nordosten der Insel mit einem Hafen im Süden Nahe der Hauptstadt Juzhno-Sachalinsk verbinden, von wo Erdöl und Erdgas nach Nordamerika und Japan geliefert werden soll. Sie sollen teils über dem Meeresboden, teils auf Land verlaufen. Geplant ist ebenfalls der Bau einer Pipeline von über 200 Kilometer Länge für den Block Sachalin-1 im Norden der Insel. Hinzu kommt der Bau einer LNG-Station (Liquid Natural Gas Production Plant) für die Verflüssigung von Erdgas und eines dazu gehörenden Hafens in der Aniva Bucht. Sachalin-2 ist damit das weltweit größte Öl- und Gasprojekt mit der weltweit höchsten finanziellen Aufwendung. Nach und nach formiert sich Widerstand gegen die Ölförderung durch die internationalen Multis. Vertreter der Indigenen aber auch ihrer Organisationen, der Vereinigung der Urvölker auf Sachalin und des Dachverbands von 43 indigenen Völkern Sibiriens RAIPON (Russian Association of Indigenous Peoples of the North), haben versucht ihre Forderungen in Gesprächen mit russischen Behörden und Konzernvertretern durchzusetzen. Diese Verhandlungen sind jedoch im Dezember 2004 gescheitert. Danach sahen die Ureinwohner keine andere Möglichkeit mehr, ihre Rechte und die natürlichen Ressourcen ihrer Insel zu verteidigen, als die Bauarbeiten und Zufahrtsstraßen zu den Großprojekten zu blockieren. Sie haben auch an die an der Finanzierung der Vorhaben maßgeblich beteiligten Banken, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London und an weitere der Ölindustrie Kredit gewährende Banken in Tokio, London und Washington geschrieben und sie um Vermittlung gebeten. Sie wissen, dass sie die Ölförderung nicht aufhalten können. Aber sie wollen einen Kompromiss, der ihnen die Aufrechterhaltung einer eigenständigen Wirtschaft ermöglicht und sie an den Entscheidungen der Ölkonzerne angemessen beteiligt.

Selbstorganisation der indigenen Gruppen in Russland
RAIPON (Russian Association of Indigenous Peoples of the North, Siberia and the Far Esat) wurde 1990 als "Assoziation der Völker des Nordens in der UdSSR" gegründet. RAIPON ist der Dachverband für 43 indigene Völker, die insgesamt rund 200.000 Einzelpersonen ausmachen. Die Dachorganisation besteht aus 34 Unterorganisationen, die ihre Büros in den russischen Regionen haben. Von dort fließen Informationen in der Zentrale in Moskau zusammen, wo sie in Kampagnen und Lobbystrategien einmünden. RAIPON ist auch Mitglied im Arktischen Rat. Informationen zur Organisation und ihrer Arbeit sind auf der Internetseite www.raipon.ru zu finden. Eine zweite wichtige Organisation ist LIENIP / Lauravetlan, die während der vergangenen UN Dekade für indigene Belange gegründet wurde. LIENIP versteht sich als Informationszentrum für indigene Gruppen. Vor Ort werden Menschen in ihren Rechten und in Methoden, diese Rechte durchzusetzen geschult. Wichtig ist der Organisation Multiplikatoren auszubilden, im Moment in Zentren in Altaj, Karelien und Krasnojarsk. Weiteres ist auf der Internetseite www.indigenous.ru zu finden. Neben diesen gibt es weitere kleine Zusammenschlüsse, die teils als Unterorganisationen einzelner indigener Gruppen fungieren.

Die GfbV hat als eine der ersten Menschenrechtsorganisationen den indigenen Vertretern aus der früheren Sowjetunion eine Stimme gegeben und mittlerweile drei Ausgaben der Zeitschrift "bedrohte Völker-pogrom" ihren Problemen gewidmet. Wir haben Buchveröffentlichungen unterstützt und Kampagnen für die Indigenen Sibiriens durchgeführt, Lobbyarbeit bei Bundestag, Bundesregierung, UN, Europarat und beteiligten Ölfirmen und Banken geleistet und mit Menschenrechtsaktionen Öffentlichkeit geschaffen. Außerdem haben wir durch Einladungen und Begleitung von Vertretern der Indigenen zu Lobbyreisen nach Europa ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Interessen vor den europäischen Institutionen selbst zu vertreten. Praktische Überlebenshilfe für die Itelmenen auf Kamtschatka leisteten wir durch unser Projekt zum Wiederaufbau der Fischfangflottille dieser indigenen Gemeinschaft.

Finnland: Sámische Rentierzüchter fordern Landrechte und Schutz ihrer traditionellen Lebensweise [ oben ]

Die 7.000 innerhalb der finnischen Grenzen lebenden Sámi hoffen darauf, dass die finnische Regierung noch in diesem Jahr die seit langem umstrittene Landrechtsfrage rechtlich klärt und im Zuge dessen auch die ILO-Konvention 169 unterzeichnet. Mit der massiven Abholzung der alten Wälder im Norden des Landes durch die staatliche Holzwirtschaft, hat Finnland die Kultur und traditionelle Landnutzung der Sámi seit Anfang der 90er Jahre missachtet. Besonders die samische Rentierhaltung ist von dem intakten Lebensraum Wald abhängig. Im Herbst 2005 hatte die finnische Regierung den Einschlag in Nellim, in der Region Inari auf Empfehlung der UNMenschenrechtskommission unterbrochen, nachdem sich drei Sámi Hilfe suchend an diesen Ausschuss gewandt hatten. Doch nur die verfassungsrechtliche Anerkennung ihrer Rechte kann die Sámi, ihre Kultur und Wirtschaftsweise wirksam schützen.

Ein erschreckendes Bild bietet sich den Sámi in den ursprünglichen Wäldern von Kessi im östlichen Teil der Region Inari im nordfinnischen Lappland: Die Bäume sind gekennzeichnet worden. Markierungen für Schneisen und Einschlaggebiete zeigen die Zukunft der über Jahrhunderte gewachsenen Wälder von Kessi an. Das staatliche Forstunternehmen Metsähallitus bereitet hier für August 2006 die Wiederaufnahme des Holzeinschlags vor. Die Sámi selbst haben kein Besitzrecht auf das Land ihrer Ahnen und seine natürlichen Ressourcen, denn Finnisch- Lappland gehört heute zu 90% dem Staat. Auch die Forstwirtschaft ist in Staatsbesitz. Für die etwa 40% Rentierhalter unter den Sámi ist dieser Wald die Winterweide ihrer Tiere. Rentierhaltung ist tief in ihrer Kultur verwurzelt und nach wie vor von hoher sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung. Obwohl das staatliche Forstunternehmen um die Wichtigkeit der Wälder von Kessi für die dort ansässigen Rentierkooperativen weiß, hat sie diese weder konsultiert noch Verhandlungen mit ihnen aufgenommen.

Pekka Aikio, Präsident des finnischen Sámi-Parlaments und Rentierzüchter, der im Februar 2006 bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Deutschland zu Gast war, erklärt, weshalb die traditionelle Rentierwirtschaft der Sámi ohne die Urwälder nicht möglich ist: "Es geht nicht um die Bäume allein, sondern um eine ganze Nahrungskette. Die langen Bärte an den Bäumen spielen dabei eine besondere Rolle. Nur ganz alter Wald hat diese Flechten. Wenn der Schnee im Frühjahr zwei Meter hoch liegt, finden die Rentiere kein anderes Futter. Der Wald ist ein Garten und seine einzigen Früchte sind diese Flechten. Nur so überleben die Herden die lange kalte Zeit. Für zwei bis vier Monate ist das ihre einzige Nahrung."

Seit den 1990er Jahren hat der Staat den Einschlag vor allem in den alten Wäldern von Inari ausgebaut. Die Holz verarbeitenden Konzerne Metsaliitto, M-Real, Metsa-Botnia, Stora Enso und UPM haben Holz aus dieser Region bezogen. So spitzt sich der Konflikt um die Waldnutzung zwischen den samischen Rentierhirten und den staatlichen Forstbetrieben zu. Der Einschlag hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die traditionellen Rentierherden verschwinden werden, wenn Finnland die Rechtsansprüche der Sámi nicht endlich ernst nimmt und seinen Holzweg verlässt. Finnland gilt als das waldreichste Land der EU, doch von den ursprünglichen Wäldern sind nur noch knapp 5% erhalten. Die übrigen sehr viel jüngeren Wälder sind für die Rentierwirtschaft unbrauchbare Forstplantagen. Mit dem Verschwinden des Waldes ist die Lebensgrundlage der Sámi-Rentierhalter massiv beeinträchtigt, der Ertragswert der Herdenhaltung ist deutlich zurückgegangen. Die finnische Regierung behauptet, in Lappland ausgedehnte Waldflächen unter Schutz gestellt zu haben. Ein großer Teil der für die Sámi wichtigen Urwälder liegt jedoch außerhalb der Schutzzonen. Zudem ist in einigen Schutzzonen der Holzeinschlag durchaus erlaubt, denn sie kennzeichnen lediglich die Gebiete, in denen sich das wertvollste Holz befindet unabhängig davon, ob das Fällen von Holz erlaubt ist oder nicht. Nach wie vor scheint die finnische Regierung ihre wirtschaftlichen Interessen über die Rechte der indigenen Bevölkerung und die ökologische Nachhaltigkeit zu stellen. Dabei hat sie letzten Herbst in ihrer rigorosen Kahlschlag-Politik eingelenkt. Es bedurfte der gemeinsamen Proteste von Sámi und Umweltaktivisten sowie der Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission, um die Abholzung vorübergehend zu stoppen. So konnte zwar ein Erfolg verzeichnet und die Winterweide vorerst gesichert werden; die aktuellen Pläne, nun den Einschlag fortzusetzen, machen jedoch deutlich, dass es einer grundsätzlichen Lösung des Waldkonflikts und der damit verbundenen Landrechts- und Nutzungsfragen bedarf.

Die politische Vertretung der Sámi in Finnland, das Sámi-Parlament, hat den finnischen Staat wiederholt dafür kritisiert, ihnen keine Besitzrechte über Land und Ressourcen zu gewähren. Denn nur die offizielle Anerkennung ihrer Rechte kann die Sámi, ihre Kultur und Lebensweise sowie ihre Rentierhaltung wirksam schützen. In staatlichen Studien zu Nutzungsrechten und Verwaltung im traditionellen Sámigebiet wurde die Landbesitzfrage ausgeklammert. Grundsätzlich hat das finnische Parlament vermieden, zu den Landrechten der Sámi Stellung zu nehmen. Die Sámi müssen wie andere finnische Bürgerinnen und Bürger vor Gericht über Landrechtsfragen entscheiden lassen. Die Einigung wird staatlicherseits immer wieder mit dem Argument hinausgeschoben, man müsse diese Frage erst sorgfältig prüfen und eine juristische Studie durchführen. Aus offizieller Perspektive haben die Sámi dem Staat das Land freiwillig überlassen und von seinen Maßnahmen, wie z.B. dem Straßenbau, profitiert. Das Sámi-Parlament deutet die Geschichte der Kolonisierung des Landes jedoch anders und fordert Rechte auf seinen traditionellen Lebensraum. Solange diese nicht gewährleistet sind, steht das traditionelle Gebiet den wirtschaftlichen Interessen des Landes offen. Besonders vor dem Hintergrund der rücksichtslosen finnischen Forstpolitik ist es also von großer Dringlichkeit für die Sámi, dass ihre Forderung nach Landrechten endlich erfüllt wird.

Entscheidend wäre es, den Sámi die Wasser- und Landrechte in ihren traditionell bewohnten Gebieten offiziell zuzuschreiben. Bisher war Finnland dazu jedoch nicht bereit. Entsprechend hat es die ILO-Konvention 169 nicht ratifiziert, die das einzige internationale und völkerrechtlich verbindliche Abkommen ist, um indigenen Völkern die Grundrechte für ihr Überleben zuzusichern. Die unterzeichnenden Staaten der ILO Konvention 169 erkennen an, dass indigene Völker das Recht haben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, über Land und Ressourcen zu verfügen, an sie betreffenden Entscheidungen beteiligt zu werden, angemessene Arbeitsbedingungen zu haben und ihre Lebensweise und Kultur ohne Diskriminierung verwirklichen zu können. Die finnische Regierung hat argumentiert, sie könne die ILO Konvention 169 nicht ratifizieren, da die finnische Verfassung den Sámi keine speziellen Besitzrechte über ihr traditionelles Gebiet zugestehe, und da die Landrechte nicht geklärt seien. In Kürze jedoch wird ein neuer Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der die grundsätzliche Anerkennung der Landrechte der Sámi betrifft. "Dieses Gesetz wäre ein bedeutender Schritt für die Anerkennung unserer Rechte. Es ist wichtig für uns, dass der Entwurf angenommen und verwirklicht wird", erklärt Pekka Aikio.

Sámi-Organisation: Die Sámi in Finnland wählen alle vier Jahre das Sámi-Parlament als ihre politische Vertretung. Seine 20 Mitglieder sollen die Rechte und Interessen der Sámi vertreten, wahren und fördern. Das Sámi-Parlament hat jedoch allein beratende Funktion: www.samediggi.fi.

Kanada: Ausverkauf des Landes der Lubicon Cree Nation für die Teersandförderung [ oben ]

Die heute etwa 500 Cree vom Lubicon Lake in der kanadischen Provinz Alberta laufen Gefahr, ihr Land und damit ihre Lebensweise endgültig zu verlieren. Denn obgleich die Verhandlungen zwischen ihnen und den Regierungen der Provinz und der Bundesregierung in Ottawa keineswegs abgeschlossen sind, vergibt Alberta bereits Abbaulizenzen für Teile des umstrittenen Landes. Die Lubicon haben kein Landrechtsabkommen mit dem Staat abgeschlossen, denn als 1899 kanadische Beamte durchs Land reisten, um Verträge mit den First Nations, den Ureinwohnern Kanadas, auszuhandeln, wurden sie ganz einfach übersehen. 40 Jahre später wurden sie "entdeckt", man versprach ihnen ein Reservat, das sie nie erhalten haben. 1979 wurde im Norden Albertas Erdöl entdeckt. Die Provinz wurde zum Öl-Dorado Kanadas. Doch die Vorkommen gehen zur Neige, so dass nun die groß angelegte Ausbeutung der Teersandvorkommen folgen soll, die sich tief unter dem Land der Lubicon befinden. Dazu sind Verfahren notwendig, die extrem viel Land, Energie und Wasser verbrauchen.

"Einst war der Fluss blau. Jetzt ist er braun. Niemand kann in ihm mehr fischen oder das Wasser trinken. Die Luft ist schlecht. Das alles kam so schnell." Elsie Fabian, 63, stammt aus einer indianischen Gemeinde am Athabasca Fluss. "Es ist furchtbar", klagt sie, "wir sind von den Minen eingeschlossen". In Sichtweite ihres Heimes wird Teersand abgebaut, der neue Reichtum Kanadas. Er hat Alberta auf eine Stufe mit Saudi Arabien oder Venezuela katapultiert. Denn aus Teersand wird synthetisches Erdöl gewonnen. Teersand ist eine zähe Mischung aus teerähnlichem Bitumen (Erdpech) und Sand, die im Tagebau oder im sog. in-situ - Verfahren abgebaut wird. Die weltweit größten Vorkommen befinden sich in Venezuela und im Norden von Kanadas Provinz Alberta. Ausgebeutet werden derzeit die drei Lagerstätten Athabasca-Wabiskaw, Cold Lake und Peace River. Die Athabasca-Lagerstätten umfassen etwa 286 Kubikmeter oder 1,7 Billionen Barrel, die gemeinsam eine Fläche von etwa 140.000 Quadratkilometern abdecken und etwa 175 Milliarden Barrel unverarbeiteten Teersand enthalten.

Die Teersandschicht ist normalerweise 40 bis 60 Meter dick und ruht auf einem Sockel aus Kalkstein. Über dem Teersand liegen Schichten aus Torf, Ton und Sand. Im Tagebauverfahren werden sie abgetragen. Der Erde wird buchstäblich die Haut abgezogen. Die borealen Urwälder des Nordens, die Moore und Gewässerläufe, die gesamte ursprüngliche Landschaft werden zerstört. Dem Sand wird heißes Wasser zugeführt, der entstehende Schlamm wird zu einer Extraktionsanlage gepumpt, wo er gerührt, und das flüssige Bitumen oben abgeschöpft wird. Da Bitumen viel dickflüssiger ist als normales Rohöl, muss es entweder mit Petroleum gemischt oder chemisch gespalten werden, bevor es sich durch eine Pipeline transportieren lässt, um zu synthetischem Öl oder in spezialisierten Raffinerien direkt zu Erdölprodukten verarbeitet zu werden. Für jeden Barrel des synthetischen Öls werden mehr als 80 kg Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen und zwischen zwei und vier Barrel Abwässer in Rückhaltebecken gepumpt, die ihrerseits bereits 50 Quadratkilometer Wald- und Moorfläche bedecken.

Etwa 80 Prozent der Teersandvorkommen liegen jedoch so tief, dass sie nicht im Tagebauverfahren ausgebeutet werden können. Hier kommt das so genannte in-situ Verfahren zur Anwendung, d.h. heißer Wasserdampf wird in den Boden gepresst, um die Bitumenschicht unterirdisch zu verflüssigen, damit sie anschließend abgepumpt und weiterverarbeitet werden kann. Problematisch sind der enorme Verbrauch an Wasser und Energie zur Erzeugung des Wasserdampfs, die Entsorgung der Abwässer und noch nicht kalkulierbare unterirdische Umweltschäden durch das in-situ-Verfahren. Zur Anwendung kommen soll dieses Verfahren auch auf dem traditionellen Land der Lubicon Cree. Einst lebten sie von der Jagd. Ihre Wälder, Seen und Flüsse versorgten sie mit dem Lebensnotwendigsten. Außerdem betrieben sie Handel mit Pelzen. Die Natur versorgte sie mit Heilpflanzen. Doch die Regierungen in Edmonton und Ottawa ließen zu, dass transnationale Öl-, Erdgas- und Papierunternehmen im Land der Lubicon tätig wurden und die traditionelle Subsistenzwirtschaft der Indianer zerstörten, ohne ihnen im Gegenzug eine Landbasis zuzugestehen, die ihnen ein Überleben sichern könnte. Die kanadische Regierung blockiert immer wieder die Landrechtsverhandlungen, verweigert den Lubicon Cree damit ihr Recht auf Selbstbestimmung und macht sie von der staatlichen Sozialhilfe abhängig. Mittlerweile leben 94 Prozent der Lubicon vom Staat. In der Anfangsphase des Ölbooms 1981 waren es nur 10 Prozent.

"Wir hatten nie irgendwelche Annehmlichkeiten, aber wir mussten auch niemals hungern. Dann fanden sie Öl und wir standen plötzlich im Weg", so Bernard Ominayak, der Häuptling der Lubicon Cree. Heute arbeiten rund 1700 Ölpumpen im Umkreis von 25 km um Little Buffalo, der Hauptsiedlung des kleinen Volkes. Das Gebiet der Lubicon-Cree gehört zu den rohstoffreichsten Gegenden der Erde. Neben Öl und Gas werden auch Diamantenvorkommen in ihrem traditionellen Jagdgebiet vermutet. Die zu gewinnende Rohölmenge aus abbauwürdigem Teersand wird auf 1,6 Milliarden Barrel geschätzt. Bisher ist ungeklärt woher Wasser und Energie zur Erzeugung des Heißdampfs kommen sollen, die für die Anwendung des In-Situ-Verfahrens benötigt werden. Diskutiert wird unter anderem der Bau neuer Kernkraftwerke in Alberta, deren ausschließlicher Zweck darin bestehen soll Energie für die Teersandausbeutung zu produzieren. Auch ist davon die Rede, dass die drei großen Gasfelder im Norden der Nord-West-Territorien ausgebeutet und durch die gigantischen Mackenzie Valley Gas Pipeline mit dem Norden Albertas verbunden werden sollen, um Erdgas als Energie für die Teersandgewinnung zu nutzen. Mit der Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Lubicon gehen auch der Verlust vieler überlieferter Traditionen und der Zerfall ihres soziokulturellen Gefüges einher. Der Wildbestand in ihrem Jagdrevier ging um neunzig Prozent zurück. Der daraus folgende Mangel an hochwertiger Nahrung und die anhaltende medizinische Unterversorgung sind dafür mitverantwortlich, dass bei den Lubicon Cree erneut Tuberkulose ausgebrochen ist. In den vergangenen Jahren kam es innerhalb von nur 20 Monaten zu mehr als 20 Früh- und Totgeburten. Damit fällt praktisch eine ganze Generation aus. Die hygienischen Verhältnisse sind wegen der Raumenge in völlig veralteten Fertighäusern, fehlendem Zugang zu sauberem Trinkwasser und ohne Kanalisation katastrophal. Die Lubicon- Sozialhilfeempfänger müssen Wege bis zu 180 Kilometern zurückzulegen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen.

1987 und erneut 1990 nahm sich das UN-Menschenrechtskomitee (UN-Human Rights Committee) des Schicksals der Lubicon Cree an. Unter Berufung auf den Artikel 27 des Internationalen UN-Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) stellte es in seinem Abschlussbericht fest, dass Kanada die grundlegenden Menschenrechte der Lubicon Cree verletzte. Die wirtschaftliche Erschließung ihrer Ländereien würde "die Lebensweise und die Kultur der Lubicon Lake Cree bedrohen" (Friends of the Lubicon; www.tao.ca/~fol). Auch die von der kanadischen Regierung selbst beauftragte 'Royal Commission on Aboriginal People' bestätigte die katastrophalen Lebensbedingungen der Lubicon Cree und riet, ihnen ein Territorium zur wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entfaltung zu überlassen. 2005 bestätigte das Komitee diese Entscheidung und sah nun auch den Artikel 1 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte verletzt, der seinen Mitgliedsstaaten völkermordartige Handlungsweisen untersagt. Die Lubicon Cree selbst fordern die Einrichtung eines kleinen Reservats (250 qkm), einschließlich einer Gemeindesiedlung, die einfachen Standards genügt, ein Wald- und Wildschutzabkommen, welches das abzutretende Gebiet vor der weiteren völligen Zerstörung schützt, Entschädigung für widerrechtlich entnommene Bodenschätze in einer Höhe, die es ihnen erlaubt, eine sich selbst versorgende Gemeinde aufzubauen und Regelungen zur Selbstregierung im Rahmen der kanadischen Gesetze. Im Gegenzug würde Kanada bzw. die Provinz Alberta die rechtlich gesicherte Hoheit über 9750 qkm extrem rohstoffreichen Landes erhalten. Doch die Regierung der durch die Rohstoffe sehr wohlhabenden Provinz Alberta und die Bundesregierung streiten sich um die Zuständigkeiten für mögliche Vertragsabschlüsse und schieben sich immer wieder gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Versprechungen der im Januar 2006 abgewählten Regierung unter Premier Paul Martin, die Lubicon Frage endlich mit Vorrang zu behandeln, blieben unerfüllt. Auch die amtierende Regierung unter Stephen Harper hat bisher keinen grundlegenden Wandel in der Verhandlungsstrategie erkennen lassen.

Im Frühjahr 2006 kam dann auch das UN-Komitee für wirtschaftliche und soziale Rechte ECOSOC zu dem Schluss, dass Kanada gegenüber den Lubicon Cree den Pakt über wirtschaftliche, soziale und politische Rechte verletzt , forderte Kanada auf, dies umgehend einzustellen und endlich die Verhandlungen mit den Lubicon Cree wieder aufzunehmen. Diese liegen seit 2003 brach. Versuche ihres Chiefs Bernhard Ominayak mit der Regierung ins Gespräch zu kommen scheiterten bereits daran, dass der Minister nicht einmal den Erhalt der zurzeit zusammen vier Briefe des Häuptlings bestätigte. Auch die GfbV und die mehr als 5.000 Abonnenten ihres E-Mail-Newsletters haben im Frühsommer an Premier Harper appelliert, keine weitere Ausbeutung der Teersandvorkommen zuzulassen, bevor nicht die Landrechte der Lubicon Lake Cree abgesichert sind. Kanada solle seinen bislang guten Ruf in der Behandlung seiner Minderheiten nicht riskieren. Wir haben dazu beigetragen, dass eine Delegation der Lubicon Lake Cree in diesem Frühjahr in Genf bei den UN persönlich vorstellig werden konnte. Und wir haben in unserer Zeitschrift bedrohte Völker den Sachverhalt dokumentiert. Diese Lobbyarbeit werden wir fortsetzen.

USA: Das Alaska National Wildlife Refuge ist für die Gwich'in der "Ort, an dem alles Leben beginnt" [ oben ]

Für die etwa 7000 Gwich'in Indianer in Alaska ist das Alaska National Wildlife Refuge (ANWR) heilig, denn hier bringen die Kühe der etwa 152.000 Tiere großen Porcupine Karibu Herde ihre Kälber zur Welt, hier ziehen sie sie auf. "Wir Gwich'in sind Menschen des Karibus", sagt Sarah James, ihre Sprecherin. "Die Pocupine-Herde ist Teil unserer Sprache, unserer Lieder und Geschichten." Die Heimat der Gwich'in sind 15 Dörfer, die südlich des Bergmassivs der Brooks Range entlang des Wanderwegs der Porcupine Herde im Nordosten Alaskas und Nordwesten Kanadas liegen. Der Gwich'in Darius Kassi sagt: "Unser ganzes Leben dreht sich um das Karibu. Es gibt uns mehr als 80 Prozent unserer Nahrung." Deshalb nennen die Gwich'in das ANWR "Izhik Gwats'an Gwandaii Goodlit" - "Ort, an dem alles Leben beginnt".

Für die US-Regierung von George W. Bush ist das ANWR, genauer das "Gebiet 1002" im Norden, zum Gegenstand eines erbitterten Tauziehens geworden, denn während die meisten Angehörigen der Demokratischen Partei, Umweltschützer und natürlich die Gwich'in es unbedingt als Schutzgebiet erhalten wollen, ist für die Regierung und die Mehrheit der Republikanischen Partei die Öffnung des ANWR für die Ölindustrie eine Frage des nationalen Interesses. Präsident Bush will das Öl aus dem ANWR und anderen heimischen Quellen nutzen, um die USA von Ölimporten aus dem Nahen Osten oder aus Venezuela unabhängiger zu machen und den Benzinpreis zu senken. Doch dafür ist das Ölvorkommen im ANWR viel zu klein. Da es außerdem noch mindestens 10 Jahre dauern würde, bis der erste Tropfen Öl an US-amerikanische Zapfsäulen gelangt, kann eine Ausbeutung des Vorkommens auch auf die derzeitige Preisgestaltung keinen Einfluss nehmen. Wenn im "Gebiet 1002" Öl gefördert werden sollte, wird die Lebensweise der Gwich'in untergehen, denn vermutlich werden die Karibus ihren Wanderweg in Gebiete verlagern, in denen die meisten Gwich'in sie nicht mehr erreichen. Die Herde wird dort in Gegenden kommen, in denen es schlechteres Futter für die Muttertiere gibt und zugleich mehr Raubtiere, die die Kälber jagen. Die ohnehin schon niedrige Geburtenquote der Porcupine Karibuherde wird daher vermutlich zurückgehen und es werden weniger Jungtiere überleben als heute. Für die Gwich'in ist das Leben ohne den Zyklus, den die Wanderungen der Karibus vorgeben, kaum vorstellbar.

Sie verwerten Fleisch und Fett der Tiere als Nahrung, Fell und Leder für Kleidung und Schuhe, Knochen und Sehnen für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen. Das Karibu prägt auch ihre Weltsicht, ihre Spiritualität. Sie sind davon überzeugt, dass in jedem Karibu ein Teil vom Herzen eines Menschen schlägt und umgekehrt ein wenig Karibu in jedem Menschen ist. Alles, was die Porcupine Herde in Gefahr bringt, ist daher auch eine Bedrohung der Gwich'in. Für Alaska ist das Erdöl dagegen die wichtigste Einnahmequelle. Neben George W. Bush sind daher der Gouverneur von Alaska Frank Murkowski und die Senatoren Ted Stevens und Lisa Murkowski aus Alaska die wichtigsten Befürworter der Ölförderung in "Gebiet 1002". Sie wollen sie mit allen Mitteln durchsetzen, haben aber nur einen Teil der Regierungspartei auf ihrer Seite und die Demokratische Partei geschlossen gegen sich. .Mehrfach sind die Befürworter der Ölförderung bereits daran gescheitert, auf dem Gesetzeswege eine Öffnung des ANWR zu bewirken. Seit 1995 hat die Republikanische Partei jedes Jahr eine entsprechende Initiative im Repräsentantenhaus durchgesetzt, die im Senat, der gleichfalls zustimmen muss, regelmäßig abgelehnt wurde. Zuletzt wurde ein entsprechendes Gesetz am 25. Mai 2006 vom Repräsentantenhaus gebilligt. Der Senat hat noch nicht abgestimmt, aber eine Zustimmung gilt als unwahrscheinlich.

Ein anderer Weg der Öllobby ist das Verknüpfen einzelner Posten im jeweiligen Haushaltsgesetz mit Ausgaben bzw. Pachteinnahmen bezüglich der Ölförderung im ANWR. Zum Jahreswechsel 2005/2006, als der Haushalt 2006 zur Abstimmung kam, wurde das ANWR in einem Haushaltsposten versteckt, der sich ansonsten auf die Gelder für die Truppen im Irak innerhalb des Wehretats bezog. Die Abgeordneten, so die Hoffnung der Öl-Lobbyisten, würden das Schutzgebiet opfern, um nicht durch eine Ablehnung des gesamten Punktes als unpatriotisch zu gelten. Doch ging dies auch vielen Republikanern zu weit: Die nötige Stimmenmehrheit kam nicht zustande. Das Tauziehen um das ANWR ist damit nicht beendet, denn auch in den Debatten um den Haushalt 2007 steht das ANWR erneut zur Disposition. Hier hat der Senat einer Fassung, in der die Ölförderung eingeschlossen ist, zugestimmt. Das Repräsentantenhaus hat noch nicht abgestimmt. Im November 2006 könnten sich durch Parlamentswahlen in den USA die Mehrheitsverhältnisse unter den Abgeordneten allerdings verändern, denn bislang wird mit einem Stimmeneinbruch für die Republikanische Partei gerechnet. Dies könnte die Chancen für das ANWR, die Gwich'in und die Karibus deutlich erhöhen.

Organisationen der Gwich'in: Der Gwich'in International Council wurde 1999 von den in Kananda lebenden Gwich'in gegründet als Interessenvertreutng der Gwich'in in Alaska, USA, dem Yukon Territorium und dem Nordwestterritorium in Kanada: www.gwichin.org. Das Gwich'in Steering Committee ist bereits seit 1988 die Lobbyorganisation der Gwich'in aus Alaska und deren Sprachrohr im Kampf um den Erhalt des ANWR: www.gwichinsteeringcommittee.org.

Mexiko: Plan Puebla-Panama und Freihandelszone NAFTA gefährden das Überleben der indigenen Völker [ oben ]

Die etwa 10 Millionen Angehörigen von mehr als 56 indigenen Völkern sehen sich in allen Teilen Mexikos mit einer neuen Dimension von Landraub und Verlust der natürlichen Ressourcen konfrontiert. Grundbedürfnisse wie Wasser und Land werden nicht befriedigt, während die Regierung - v.a. im Rahmen des Plan Puebla-Panama - auf die Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe und Bodenschätze, Billiglohnfabriken, Ölförderung, Straßenbau und Staudämme setzt. Vielerorts wird den Indigenen die Lebensgrundlage durch Landenteignungen und Vertreibungen entzogen. Statt das vor 10 Jahren vereinbarte "Abkommen über indigene Rechte und Kultur" von San Andrés in die Tat umzusetzen verletzt Mexiko die Rechte der indigenen Völker systematisch. Wo sie sich wehren, reagiert der Staat mit Repression, v.a durch die Militarisierung der indigenen Gebiete. Die Entstehung einer starken indigenen Bewegung in Mexiko geht zurück auf den Aufstand der zapatistischen Bewegung (EZLN) im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der im Januar 1994 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) begonnen hat. "Ya basta!" "Es reicht!" - Dieser Aufschrei der Tzotzil, Tzeltal, Tojolabal, Chol, Zoque und Mam wurde zum Symbol ihrer Forderungen nach Land, Nahrung, Bildung, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.

Ein wichtiges Anliegen der indigenen Bewegung ist, dass die Regierung das Abkommen von San Andrés endlich in die Tat umsetzt, das am 16. Februar 1996 von der mexikanischen Regierung und der zapatistischen Bewegung (EZLN) unterzeichnet wurde. Es sollte Grundrechte der indigenen Völker Mexikos in der Verfassung verankern und ihnen die Mitbestimmung bei allen sie betreffenden Programmen und Wirtschaftsprojekten garantieren. Umgesetzt wurde dieses Abkommen nie, stattdessen verabschiedete die Regierung 2001 ein Ureinwohnergesetz (Ley Indígena), das statt indigener Selbstbestimmung die Voraussetzungen dafür schuf, die Privatisierung der Landwirtschaft fortzusetzen und indigenes Land für die im Rahmen des "Plan Puebla-Panama" (PPP) vorgesehenen Infrastruktur- und Großprojekte zu enteignen.<<br />
PPP ist das Kürzel für ein transnationales Megaprojekt des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox (2000 - 2006), das von der US-Regierung unter George W. Bush unterstützt wird und eine extensive Ausbeutung der reichen natürlichen Ressourcen und der Infrastruktur im Süden Mexikos vorsieht. Hier, wo die Armut der Menschen am größten ist, befindet sich zugleich der natürliche Reichtum des Landes: Erdöl, Edelmetalle, Mineralien, Süßwasservorkommen und eine besonders große biologische Vielfalt. PPP erstreckt sich auf die mexikanischen Bundesstaaten Guerrero, Puebla, Veracruz, Oaxaca, Tabasco, Chiapas, Campeche, Yucatán und Quintana Roo sowie grenzüberschreitend auf die anderen Staaten Zentralamerikas. Er sieht eine neoliberale Umstrukturierung der gesamten Region vor: Fabriken des Niedriglohnsektors und industrielle Garnelenzucht, Vermarktung der biologischen Vielfalt, Ölförderung und Staudammprojekte, wie "La Parota" im Bundesstaat Guerrero. Damit wird massiv eine Form der Entwicklung vorangetrieben, die für die indigenen Völker katastrophale Auswirkungen hat und ihre Lebensgrundlage und Lebensweise zerstört. Die geplanten Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte untergraben ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Die Enteignung von Land und die Zerstörung der Umwelt machen aus selbständigen indigenen Bäuerinnen und Bauern abhängige Lohnarbeiter für die transnationalen Unternehmen.

Katastrophale Folgen hat auch das Freihandelsabkommen NAFTA. So können z.B. die einheimischen indianischen Maisbauern mit den billigen US-Importen nicht konkurrieren. Für viele von ihnen bedeutete das Abkommen den Ruin. Hinzukommt, das in Mexiko genetisch veränderter Mais aus den USA auf den Markt kommt und die einst große Sortenvielfalt zerstört. Gerade im Süden Mexikos, sind Mais und die aus Mais hergestellte Tortilla für die armen Bevölkerungsgruppen nicht nur ein Grundnahrungsmittel, sondern auch von hoher kultureller und religiöser Bedeutung. Die Nachfahren der Maya bezeichnen sich hier noch heute als "Maismenschen". "Für die indigenen Völker Mittelamerikas ist der Mais unser Blut, unser Knochen, unser Fleisch. Ohne Mais sind wir nichts, ein Volk ohne Mais ist ein totes Volk. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass der Mais genetisch manipuliert und verunstaltet wird, dass man ihm sein Wesen raubt; dass man ihn tötet, dass man uns tötet", so Aldo González Rojas vom indigenen Volk der Zapoteco im Bundesstaat Oaxaca. "Das Sähen und Essen der einheimischen Maissorten ist für uns zu einer Widerstandshandlung gegen die neoliberale Globalisierung geworden."

Aber auch ganz elementare Grundrechte wie das Recht auf sauberes Trinkwasser sind für die indigenen Völker Mexikos keine Selbstverständlichkeit. 327.000 Mazahua im Bundesstaat Mexiko leiden zum Beispiel unter extremem Wassermangel, obwohl sie an dem sehr wasserreichen Fluss Lerma leben. Pro Sekunde pumpt die größte Trinkwasseraufbereitungsanlage Lateinamerikas 19.300 l Wasser aus dem Fluss und leitet sie ins 130km entfernte Mexiko-Stadt. Die Mazahua sind auf Tankwagen angewiesen oder müssen lange Wege zu verbleibenden Wasserstellen zurücklegen. Viele Quellen sind versiegt, das Wasser der kleinen Flüsse ist verseucht. Die Schadstoffe der Trinkwasseraufbereitungsanlage werden direkt in den kleinen Fluss Malacatepec eingeleitet. Dadurch ist sein Wasser für die Bewässerung der Felder, für die Versorgung der Tiere, zum Waschen und Baden unbrauchbar geworden. Tiere, die von diesem Wasser tranken, sind gestorben. Vor drei Jahren verloren die Mazahua 300ha landwirtschaftlicher Flächen, als einer der sieben Staudämme, die das Wasseraufbereitungssystem versorgen, überlief. Schadenersatzforderungen der Mazahua wurden ignoriert. Seitdem haben sich die Mazahua zum "Movimiento Mazahua para la Defensa del Agua"" (Mazahua-Bewegung zur Verteidigung des Wassers) zusammengeschlossen.

Die Mazahua fordern den Anschluss der Region an das Trinkwassernetz, die Rückgabe des enteigneten Landes, Schadensersatz und die Verwirklichung ökologisch nachhaltiger Projekte wie der Wiederaufforstung, um die ökologische Zerstörung wenigstens ansatzweise auszugleichen. Dies umfasst auch einen achtsamen Umgang mit dem Wald und den Ressourcen, eine höhere Lebensqualität, Würde, Gesundheitsversorgung und eine bessere Schulausbildung in der eigenen Sprache, die zunehmend verloren geht. Nur einem der fünf betroffenen Landkreise wurden in diese Richtung Zugeständnisse gemacht. Doch die Mazahua lassen sich nicht spalten: "Wir wollen Wasser für alle!" fordern sie.

In der Abschlusserklärung des IV. Indigenen Nationalen Kongresses CNI (Congreso Nacional Indígena) vom Mai 2006 heißt es: "So kämpfen wir gegen die Ausbeutung der Bodenschätze, gegen die Holzindustrie, gegen den Ausverkauf unserer Erde, gegen den Ausverkauf der Nahrung durch große Ketten wie wal mart und gegen die Privatisierung unseres Wassers und die staatlichen Gesetze, die die Gegenreform von 2001 legitimieren…Seit dem Verrat von 2001, als der mexikanische Staat beschlossen hat, die Rechte der indigenen Völker nicht anzuerkennen, haben wir begriffen, dass wir allein sind und unsere Rechte und unsere Autonomie selbst verwirklichen müssen." Die Indigenen glauben nicht mehr an den Staat und haben begonnen, ihre lokalen und regionalen Autonomiegebiete selbst aufzubauen. Mit seiner Politik verstößt Mexiko gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (International Labour Organisation / ILO), die das Land 1990 ratifiziert hat. Dieses bislang einzige Dokument des internationalen Rechts, in dem Grundrechte für indigene Völker verankert wurden, schreibt zum Beispiel Konsultation des jeweils betroffenen Volkes vor Umsetzung von Wirtschaftsprojekten und deren Mitbestimmung bei den Planungen vor.

Indigene Organisationen: Congreso Nacional Indígena CNI (Indigener Nationaler Kongresses) www.laneta.apc.org/cni/mh.htm (spanisch). Ejército Zapatista de la Liberación Nacional EZLN (Zapatistische Nationale Befreiungsarmee) www.ezln.org.mx (spanisch). Asamblea de Migrantes Indígenas de la Ciudad de México (Zusammenschluss der indigenen Migranten in Mexiko- Stadt) www.indigenasdf.org.mx (spanisch). Movimiento Mexicano de Afectados por las Presas y en Defensa de los Ríos" MAPDER (Mexikanische Bewegung der Betroffenen von Staudämmen und zur Verteidigung der Flüsse) www.mapder.org (spanisch). Red de Información Indígena (Indigenes Informationsnetzwerk) (englisch und spanisch) www.laneta.apc.org/rci/ing/.

Ecuador: Huaorani werden von Holzfirmen und Ölkonzernen überrannt [ oben ]

Die etwa 2500 Huaorani leben in einem Gebiet des ecuadorianischen Regenwaldes, das sich mit dem weltberühmten Yasuní-Nationalpark überschneidet. Aufgrund seiner weltweit größten Artenvielfalt wurde Yasuní bereits 1979 zum Nationalpark erklärt. 1989 deklarierte die UNESCO den Park zum Biosphären-Reservat. Einige Huaorani-Gruppen wie die Tagaeri und Taromenane leben in freiwilliger Isolierung und lehnen jeden Kontakt mit der Außenwelt ab. Die Huaorani werden gerade von einer Invasion durch illegale Holzfirmen und transnationale Ölkonzerne wie die brasilianische Petrobas und den spanisch-argentinischen Repsol YPF überrannt. Die seit Jahren andauernde Ausbeutung von Holz, Öl und anderen Ressourcen ging wiederholt mit Massakern einher, die bisher ungeahndet geblieben sind.

Wo immer die Huaorani durch ihr angestammtes Regenwaldgebiet im Yasuní Nationalpark und seiner Umgebung streifen, um zu jagen und zu sammeln, zu fischen oder Feldbau zu betreiben, treffen sie heute auf Bohrlöcher, verseuchte Flüsse, auf Straßen und gerodeten Wald. Illegale Holzfäller schlagen die Bäume, transnationale und nationale Ölkonzernen teilen das Gebiet in Blöcke auf, die sie dann ausbeuten: Der spanisch-argentinische Konzern Repsol YPF ist in Block 16, der französische Perenco in Block 7 und 21, agip aus Italien in Block 10, der brasilianische Petrobras in Block 31 und Andes Petroleum, bestehend aus den staatlichen chinesischen CNPC und Sinopec, in Block 17 tätig. Die ecuadorianischen Unternehmen Tecpecuador und Petroecuador haben im Mai 2006 Block 15 von der US-amerikanischen Occidental übernommen. Zudem sucht die ecuadorianische Regierung nach Investoren für einen neuen als ITT (Ishpingo-Tapococha-Tiputini) bezeichneten Block im Osten des Yasuni-Parks. Das ecuadorianische Militär sichert die Ölförderanlagen und reagiert entsprechend entschieden auf Proteste gegen die Verseuchung.

Dennoch versucht ein Teil der Huaorani, die über die drei Provinzen Orellana, Napo und Pastaza verteilt in 37 Gemeinden leben, sich mit politischem Widerstand gegen die massive Zerstörung ihrer Lebensgrundlage zu behaupten. "Selbst wenn die Regierung den Yasuní Nationalpark nicht schützt - wir sind hier, um unser Land zu verteidigen!", erklärt der Huaorani-Sprecher Moi Enomenga. 1990 hat er die Huaorani-Vereinigung ONHAE gegründet. Sie fordert, dass die Ölfirmen die verseuchten Gebiete wieder säubern, und kritisiert die ecuadorianische Regierung dafür, mit den Ölfirmen zu verhandeln, ohne die Huaorani in die Entscheidungen einzubeziehen. Die Huaorani bekommen keine Entschädigung für die Zerstörung ihrer Umwelt und Gesundheit, keinen Ausgleich für die Landverluste und die Verseuchung ihrer Nahrungsgrundlagen.

Der Widerstand vor Ort wird vor allem von den Huaorani-Frauen getragen, die sich in der Frauen-Assoziation AMWAE organisiert haben. Alicia Cahuiya, Präsidentin der AMWAE, sagt: "Wir bekommen die Auswirkungen der Ölförderung vielfach zu spüren. Das Wasser ist verseucht, es gibt viele Krankheiten, die Tiere und der Wald sind geschädigt worden. Wir sind als Mütter aktiv, die die Kinder und den Wald schützen wollen. Und wir werden keine weitere Ölförderung in unseren Gemeinden akzeptieren." Die ANWAE konnte letzten Sommer einen Teilerfolg verzeichnen: Petrobas gab sein Vorhaben, entlang des Flusses Napo eine Straße zu bauen, nach ihren intensiven Protestaktionen auf. Alicia Cahuiya und Moi Enomenga wollen mehr, sie wollen erreichen, dass Petrobas und die anderen Ölfirmen das Gebiet verlassen und die Ölförderung gestoppt wird. Dieses Ziel vertraten sie auch bei der diesjährigen Sitzung des Permanenten Forums für Indigene Angelegenheiten der UN im Mai 2006 in New York. "Ich kämpfe gegen die Einflüsse der Ölkonzerne und dabei kämpfe ich auch gegen die Regierung, mit Papier als Waffe, damit wir ruhig leben können. Ich möchte, dass die Organisationen sich zu einer stärkeren Macht vereinigen, damit sie uns helfen können, unser Territorium zu verteidigen. Sonst werden wir bald verschwunden sein. Wir brauchen die Unterstützung der Weltöffentlichkeit, damit wir respektiert werden. Wir müssen Kontrolle übernehmen, um sicher zu gehen, dass nicht noch mehr Fremde in unser Territorium eindringen," ist Moi Enomenga überzeugt.

Doch die Veränderungen haben die Huaorani gespalten. Manche arbeiten für die Holzfäller und führen sie durch das Gebiet, um ihr Überleben durch den Geldverdienst zu sichern. Andere Gruppen wie die Tagaeri und die Taromenane haben sich gegen jeden Kontakt mit einer Welt entschieden, die sich ihnen ausschließlich zerstörerisch nähert, und leben in freiwilliger Isolation. Doch die Intervention der Ölkonzerne bedroht das tief im Wald gelegene Gebiet, wohin sie sich zurückgezogen haben, da es sich mit Block 17 überlappt. Das bisher größte Problem stellen die illegalen Holzfäller dar, die von den Straßen der Ölkonzerne profitieren und das Holz über Kolumbien vermarkten. Die Tagaeri und Taromenane verwenden ihre Jagdpfeile und -speere, um Eindringlinge von sich fernzuhalten. So griffen sie Mitte April zwei in ihrem Wald arbeitende Holzfäller mit Speeren an und töteten einen von ihnen. Daraufhin kam es zu einem Massaker an etwa 30 Tagaeri und Taromenane. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission forderte die ecuadorianische Regierung im Mai 2006 dazu auf, den Schutz der Tagaeri und Taromenane zu gewährleisten.

Das Leben der Huaorani hat sich seit Ende der 50er Jahre rapide verändert. Damals kamen Missionare des "Summer Institute of Linguistic" in das Gebiet. Ihrer Evangelisierung auf der Spur folgten die Ölkonzerne. In den 1980ern baute Texaco eine 100 km lange Straße durch den Wald, die nach der abwertenden Fremdbezeichnung der Huaorani als "aucas" (Wilde) "Auca-Straße" genannt wurde. Bereits 1985 vergab die ecuadorianische Regierung die erste Bohrlizenz für den Block 16 an den US-amerikanischen Ölkonzern Conoco (heute ConocoPhillips). In den 1990ern öffnete Maxus das Huaoranigebiet für die umfassende Ölförderung. 1990 haben die Huaorani nach Widerstandaktionen im Rahmen der indigenen Dachorganisation CONAIE ein 672.000 ha großes Gebiet als Huaorani-Territorium zugesprochen bekommen, das an den Yasuní Nationalpark angrenzt - allerdings unter der Bedingung, dass Ölkonzerne hier tätig werden dürfen. Der Widerstand gegen die Ölförderung könnte also den Verlust dieses Landes mit sich bringen.

Indigene Organisationen: ONHAE - Organizacion de la Nacionalidad Huaorani de la Amazonia Ecuatoriana (Organisation der Nationalität der Huaorani des ecuadorianischen Amazonasgebiets) www.onhae.org (spanisch). AMWAE: Associación de Mujeres Waorani de la Amazonia Ecuatoriana (Vereinigung der Waorani-Frauen des ecuadorianischen Amazonasgebiets) www.saveamericasforests.org/Yasuni/Indigenous/AMWAE/index.htm (englisch und spanisch).

Brasilien: Landraub und Morde an indigenen Völker [ oben ]

"Die indigenen Völker fühlen sich allein gelassen und von den Behörden verfolgt", heißt es im Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenangst und jeglicher Formen der Diskriminierung Doudou Diène vom, den er nach einer im Oktober 2005 durchgeführten Reise durch das Land im Februar 2006 vorlegte. "Ein Dialog zwischen Indigenen und Regierung findet nicht statt und das Verhältnis zur staatlichen Indianerbehörde FUNAI ist angespannt. Der Präsident der FUNAI behauptet, dass das Treuhandverhältnis noch immer existiert und bricht damit geltendes Recht, er äußert sich diskriminierend gegen die Indianer, entscheidet selbst, wer Indianer ist und wer nicht und verletzt damit die Konvention 169 zu Indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der International Labour Organisation, und er leistet den Indigenen nicht die erforderliche Unterstützung." Die ILO Konvention 169 ist von Brasilien im Juli 2003 ratifiziert worden. Die ILO ist Mitgliedsorganisation der UNO. Ihre Konvention 169 sichert als einziges Instrument des internationalen Rechts Grundrechte indigener Völker ab.

Die Situation der fast 740.000 Angehörigen von 235 indigenen Völkern Brasiliens ist nach wie vor katastrophal. Armut und Landraub haben mehr als die Hälfte von ihnen in die Elendsviertel der städtischen Siedlungszentren vertrieben. Gemessen an der Gesamtbevölkerung leben 15,5 % der Bevölkerung Brasiliens in extremer Armut, unter der indigenen Bevölkerung sind es 38 % (Zahlen nach der letzten Erhebung des Brasilianischen Instituts für Geografie und Statistik von 2000). Das Leben derjenigen Ureinwohner, die noch außerhalb der Städte leben, ist von ständiger Unsicherheit geprägt. Sie sind auf gesicherten Landbesitz angewiesen, um ihre stark an die Natur angepasste Lebensweise aufrechterhalten zu können. Doch der Prozess, die indianischen Anspruchsverfahren abzuwickeln, verläuft sehr schleppend. Zwar hatte eigentlich der Prozess der Demarkierungen des indianischen Landes laut Verfassung bis 1993 abgeschlossen sein müssen, aber laut UN-Berichterstatter Diène war dies bis Ende 2005 nur bei 37 % der Verfahren tatsächlich der Fall. Im Durchschnitt sechs Demarkationsverfahren pro Jahr hatte die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva seit 2003 in Angriff genommen, mehr als 200 weitere Verfahren sind noch gar nicht begonnen worden.

Doch auch gesicherter Landbesitz schützt nicht vor Willkür. So erkannte die FUNAI 1967 den Tupinikim und Guarani 18.070 Hektar Land im Bundesstaat Espirito Santo zu, der nördlich von Rio de Janeiro an der Küste Brasiliens liegt. Wirklich nutzen können die Indianer nur 7.061 Hektar. Die übrigen 11.009 Hektar hält das Unternehmen Aracruz Celulose besetzt. Es nutzt in Espirito Santo insgesamt 150.000 Hektar Land für den Anbau von Eukalyptus-Monokulturen für die Herstellung von Zellstoff. Seit Mai 2005 warten die Indianer nun darauf, dass der Justizminister Brasiliens ihnen auch diese restlichen 11.009 Hektar Land durch ein Demarkationsgesetz endgültig zuerkennt. Vier Expertenkommissionen der FUNAI haben in den vergangenen zehn Jahren festgestellt, dass dieses Land seit alters her von den Tupinikim und Guarani genutzt wird. Studien der FUNAI beweisen, dass das physische und kulturelle Überleben der Indianer von der ungestörten Nutzung dieses Landes abhängt. Doch die Aracruz Celulose will es nicht wieder herausgeben und hat bei der FUNAI Protest gegen die Demarkierung des Gebiets eingelegt. Hauptabnehmer von Aracruz ist der US Konzern Procter and Gamble (P&G), der zum Beispiel Tempo-Taschentücher, Babywindeln oder Toilettenpapier herstellt, auch mit Zellstoff aus Brasilien.

Die Bedrohung der Tupinikim und Guarani Indianer durch die Zunahme der Eukalyptus-Monokulturen auf ihrem traditionellen Land war Thema einer Tagung in der Hafenstadt Vitória am 1. Juni 2006, die mit der "Erklärung von Vitória" endete. Diese Erklärung fordert von der Regierung, die Artikel 231 und 232 der Verfassung von 1988 einzuhalten, in denen auf die Rechte der indigenen Einwohner des Landes Bezug genommen wird, und sich an die Regularien der Konvention Nr. 169 der ILO zu halten. Die "Erklärung von Vitória" fordert außerdem, dass der Justizminister Brasiliens die Demarkation des Indianerlandes ohne weitere Verzögerung besiegelt und dass die FUNAI ihren eigenen Studien folgt und sich eindeutig auf die Seite der Indigenen stellt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat diesen Aufruf unterstützt und hat im Sommer eine E-Mail-Kampagne mit diesen Forderungen über ihren Newsletter und die GfbV-Website gestartet. Unter Präsident Lula da Silva, der im Oktober 2002 zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde und als großer Hoffnungsträger für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen galt, hat sich die Situation der Ureinwohner Brasiliens nicht wesentlich verbessert. Ganz im Gegenteil belegt ein Bericht des Indianermissionsrates CIMI, der wichtigsten Menschenrechtsorganisation Brasiliens für die indigenen Völker, dass Landkonflikte seit 2003 wieder zunehmen www.cimi.org.br. Kam es 2003 noch zu 26 gewaltsamen Landkonflikten, so waren es 2004 schon 41 und allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 bereits 31 Fälle. Schwerpunkt war der Bundesstaat Mato Grosso do Sul, der an Paraguay und Bolivien grenzt. Holzfäller, Reisbauern und Großgrundbesitzer dringen hier illegal in das Indianerland ein. Tragisch ist das Schicksal der Guaraní-Kaiowà in diesem Bundesstaat. Sie waren traditionell Nomaden und leben heute auf kleinen Flecken Land, oft am Rande von Straßen und manchmal auch mit anderen Ureinwohnergruppen auf deren bereits demarkiertem Land. Sie sind es nicht gewohnt, zusammengedrängt auf einem kleinen Stück Land zu sein, das sie außerdem noch nicht einmal ernähren kann. Viele Männer müssen deshalb außerhalb der Ortschaften Arbeit suchen. Manche Guaraní-Kaiowà halten dieses Leben nicht aus und begehen Suizid. 2003 waren es 22, 2004 dann 18 und 2005 suchten schon 28 von ihnen Zuflucht in der Welt der Ahnen, im "Land ohne Sünde", wie sie es nennen.

Auffällig hoch ist auch die Zahl der Morde an Angehörigen indigener Völker. 38 Indianer wurden im Jahr 2005 gewaltsam zu Tode gebracht, 28 von ihnen in Mato Grosso do Sul. Ein anderes Beispiel sind die Xukuru in Pernambuco, nördlich von Bahia an der Küste gelegen. Sie hatten, so UN-Berichterstatter Diène, große Probleme, die Anerkennung ihres Landtitels durchzusetzen, weil ihr Land wegen seiner Schönheit auch das Interesse von Investoren auf sich zog. 1998 wurde der Führer der Xukuru ermordet. Auch sein Sohn und Nachfolger erhielt Morddrohungen und entging 2003 nur knapp einem Anschlag, bei dem zwei seiner Freunde getötet wurden. Trotz Intervention der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte wurde nichts zu seinem Schutz unternommen. Der UN-Sonderberichterstatter traf mehrfach mit indianischen Gemeinschaften zusammen, die existentiell bedroht waren und trotzdem vergeblich die FUNAI um Hilfe für die Rückgewinnung ihres Landes baten. Noch zehrt die Regierung Brasiliens von einem liberalen Image, das die Verfassung oder die Tatsache, dass Brasilien die ILO Konvention 169 ratifizierte, zu bestätigen scheinen. Die Realität hält diesem schönen Schein jedoch nicht stand.

Chile: Mapuche ohne Rechte - Indianische Führer werden zu "Terroristen" gemacht [ oben ]

Die Mapuche, die mit rund 1,3 Millionen Angehörigen fast zehn Prozent der 15,8 Millionen Einwohner Chiles stellen, kämpfen um ihr Land, das sie Jahrhunderte lang gemeinschaftlich und nachhaltig genutzt haben. Sie sind das größte der indigenen Völker Chiles. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ihr Land mit der Entstehung der Staaten Chile und Argentinien in mehr als 3.000 kleine Reservate aufgeteilt. Durch die Landreform unter der Regierung Salvador Allende (1970-1973) hatten sie zwar 700.000 Hektar zurückerhalten. Doch nach dem Putsch von Diktator Augusto Pinochet, der Chile zwischen 1973 und 1989 regierte, wurden sie meist wieder enteignet. Wo ihre Urwälder einst wuchsen, pflanzen heute Großunternehmer in Holzplantagen schnell wachsende Bäume wie Kiefern und Eukalyptus vor allem für die Zellstoffindustrie an. Beides sind keine einheimischen Arten. Gerade Eukalyptus verbraucht viel zu viel Wasser, schädigt die Böden, senkt den Grundwasserspiegel und führt letztlich zur Erosion.

Inzwischen befinden sich alle Plantagen und 70% der Urwälder in privatem Besitz. Die beiden Konzerne Arauco S.A. und EMPRESAS CMPC S.A., zu 55% im Besitz der Industriellenfamilie Matte, sind für 47% des Holzeinschlages verantwortlich. Arauco ist dabei auch über seine Tochterfirma Mininco bekannt. Klein- und Mittelbetriebe spielen kaum eine Rolle. "Das Vorgehen der Forstwirtschaft und des Staates stellt eine klare Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Mapuche dar", meinte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für indigene Belange, Rodolfo Stavenhagen in seinem Bericht nach einem Besuch Chiles 2003. Mapuche, die sich gegen den Landraub wehren, werden kriminalisiert. Einige ihrer Wortführer wurden nach dem umstrittenen Anti-Terrorismusgesetz (Ley 18.314) zu hohen Geld- und Haftstrafen verurteilt. Die im Januar 2006 gewählte Präsidentin Chiles Michelle Bachelet, bezeichnete im Wahlkampf eine Besserstellung der indigenen Völker Chiles ausdrücklich als eines ihrer wichtigsten Vorhaben. Doch auch sie hat bislang weder das auch von internationalen Menschenrechtlern heftig kritisierte Anti-Terrorismusgesetz abgeschafft oder wenigstens mit dem Mechanismus einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung versehen, noch den Ureinwohnern Chiles durch Ratifizierung der Konvention 169 der International Labour Organisation endlich Grundrechte und Verfassungsrang gegeben.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) setzt sich seit langem für Mapuche ein, die nach Ley 18.314 als Terroristen verurteilt und inhaftiert wurden. Sie fordert, dass das Gesetz abgeschafft, alle auf seiner Grundlage gegen Mapuche gefällten Urteile überprüft und die Verurteilten unverzüglich freigelassen werden müssen. Vier von ihnen - Patricia Troncoso Robles (36), Patricio Marileo Saravia (31), Jaime Marileo Saravia (27) und Juan Carlos Huenulao Lienmil (39) - erhielten eine Strafe von je zehn Jahren Haft und enorm hohe Geldstrafen von mehr als 400 Millionen Chilenischen Pesos (ca. 620.000 Euro), die auf die oft bitterarmen Mapuche zynisch wirken müssen. Damit werden sie zum Beispiel für Sachbeschädigungen bei Holzkonzernen bestraft, wenn bei Landbesetzungen Holzstapel in Brand gesetzt oder Forstmaschinen sabotiert werden. Die Schuld ist den Angeklagten in der Regel nicht nachzuweisen. Verurteilt werden sie dennoch, denn das Anti-Terrorismusgesetz erlaubt die Verwendung so genannter "gesichtsloser", d.h. anonymer Zeugen, deren Aussagen von der Verteidigung nicht überprüft werden können. Die Anonymität von Zeugen fördert zudem das Denunziantentum. Ein Recht auf Dolmetscher für ihre Sprache Mapudungun haben die Mapuche vor Gericht nicht. Ein fairer Prozess nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit ist so kaum möglich.

Am 13. März 2006 begannen Patricia Troncoso Robles, die Brüder Patricio und Jaime Marileo Saravia sowie Juan Carlos Huenulao Lienmil einen Hungerstreik, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen und eine Überprüfung ihrer Urteile zu erreichen. Die GfbV unterstützte diese Forderung mit einem Aufruf an die ca. 5.000 Abonnenten unseres E-Mail Newsletters, sich bei Präsidentin Bachelet für die vier Gefangenen zu verwenden, bat die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczoreck-Zeul, die Deutschland bei der Amtseinführung der Präsidentin Chiles vertrat, und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei dessen Antrittsreise nach Chile um ihre Intervention.

Die große weltweite Aufmerksamkeit, die dieser Hungerstreik bewirkte, führte dann immerhin dazu, dass der gerade ernannte Innenminister Chiles, Andrés Zaldivar Larrain, im Frühjahr 2006 öffentlich erklärte, in Zukunft werde das Gesetz 18.314 nicht mehr in Verfahren gegen Mapuche angewendet. Aber die bereits bestehenden Urteile wurden nicht geprüft. Die Verurteilten blieben in Haft und setzten deshalb ihren Hungerstreik fort. Erst nachdem eine nach ihrem Vorsitzenden, dem Abgeordneten Alejandro Navarro, benannte Kommission, der auch vier Mapucheführer angehören, einen Gesetzesvorschlag einbrachte, der das Ley 18.314 um die Möglichkeit erweitern soll, Verurteilte vorzeitig auf Bewährung zu entlassen, brachen die vier Mapuche den Hungerstreik bis auf weiteres ab. Völlig entkräftet wurden sie in ein Krankenhaus in Temuco eingeliefert. Dort wurden sie auch von GfbV-Repräsentant Vicente Mariqueo betreut, der sich dafür einsetzte, dass die vier Mapuche von einem Arzt ihres Vertrauens betreut werden konnten. Mariqueo ist selbst Mapuche, überlebte die Pinochet- Diktatur im Exil in Großbritannien und baut in Temuco im Herzen des Mapuchelandes derzeit ein Büro für die GfbV auf.

Auf das Ley Navarro setzen die vier Gefangenen nun alle Hoffnungen, endlich in Freiheit zu kommen, doch die Debatte hat sich festgefahren. Mittlerweile sind zwei Monate vergangen und das Gesetz ist noch immer nicht verabschiedet. So scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Patricia Troncoso Robles, Patricio Marileo Saravia, Jaime Marileo Saravia und Juan Carlos Huenulao Lienmil den Hungerstreik wieder aufnehmen und die Mapuche in Chile wieder mit Solidaritätsdemonstrationen auf die Straße gehen, wie sie es im Frühjahr 2006 bereits gemacht haben.

Zentralafrika: Pygmäen werden wie "Untermenschen" behandelt [ oben ]

250.000 Angehörige indigenen Völker in den zentralafrikanischen Ländern werden unter der abwertenden Bezeichnung "Pygmäen" zusammengefasst. Batwa, Efe, Mbuti, Baka und andere Gruppen leben in den heutigen Grenzen der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo, in Gabun, Kamerun, Ruanda, Burundi, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik. Durch die massive Abholzung der Wälder, in denen sie seit Tausenden von Jahren als Jäger und Sammlerinnen einer halbnomadischen Lebensweise nachgegangen waren, sind die Pygmäen vielerorts ihrer Lebensgrundlage beraubt und vertrieben worden. Die Jagd ist traditionell der Aufgabenbereich der Männer, das Sammeln von Nahrung derjenige der Frauen. Den Mehrheitsgesellschaften gelten sie als "Untermenschen", und sie werden diskriminiert und ausgebeutet. Gleichzeitig werden sie - z.B. bei Gesundheitsversorgung und Schulbildung - vollständig ignoriert. Als ärmste und verletzlichste gesellschaftliche Gruppen sind sie Gewalt und Krieg in besonderem Maße ausgesetzt. Von vielen Regierungen werden Pygmäen noch nicht einmal als Staatsbürger anerkannt.

Die indigenen Jäger und Sammlerinnen-Kulturen Zentralafrikas gehören seit Tausenden von Jahren zum Regenwald. Er ist die unersetzliche Grundlage ihrer Lebensweise. Doch die zentralafrikanischen Wälder werden massiv von transnationalen Konzernen, wie dem deutsch-schweizerischen Konzern Danzer (Reutlingen) und dem deutschen Unternehmen Feldmeyer (Bremen), der niederländischen Wijma Firma und den französischen Konzernen Rouchier, Thanry und Becob abgeholzt. Der Großteil des Holzes wird nach Europa exportiert. Durch diesen Kahlschlag sind die meisten Pygmäen vertrieben worden und leben heute ohne eigenes Land und ihrer ursprünglichen Lebensweise entfremdet, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch wo Naturschutzparks und Reservate eingerichtet worden sind, ist der Schutz der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner nicht berücksichtigt worden. So sind die letzten heimlich als Jäger und Sammlerinnen lebenden Batwa, bzw. Twa in Ruanda in den 90er Jahren aus ihren Wäldern vertrieben worden, als der Parc des Volcans in Ruhengeri und der Gishwati National Forest in Gisenyi zu Reservaten und Nationalparks erklärt wurden. Auch als der Nyungwe National Forest in Cyangugu 1998 in einen Nationalpark und ein Militärgebiet verwandelt wurden, mussten die Batwa das angestammte Land verlassen, ohne in irgendeiner Weise entschädigt oder unterstützt zu werden. Seitdem leiden sie unter extremer Armut, leben als Bettler, vom Verkauf ihrer Töpferwaren oder verdienen sich ihren Unterhalt in der Landwirtschaft. Etwa 33.000 Batwa-Pygmäen leben heute in Ruanda und bilden damit die dritte und kleinste Bevölkerungsgruppe des Landes. "Unsere Rechte wurden missachtet. Die Twa wurden immer ohne Entschädigung aus ihrer natürlichen Umwelt vertrieben. Wir haben keine Bildung erhalten. Unsere Kultur ist bedroht," erklärt Kalimba Zephyrin, Sprecher der Batwa-Organisation "Communauté des Autochtones Rwandais" (CAURWA).

Durch den Genozid in Ruanda 1994 hat sich die Lage der Batwa zusätzlich extrem verschlechtert. Ein Drittel der Batwa hat die Massaker nicht überlebt. Doch sie werden nicht einmal als Opfer wahrgenommen. Für die ruandische Regierung gibt es keine Minderheiten oder indigenen Völker. Sie argumentiert, auf diese Weise "Divisionismus" und eine mögliche "Ideologie des Genozids" verhindern zu wollen. Entsprechend hat die Regierung die 1995 gegründete Batwa-Organisation CAURWA nicht offiziell registriert. Für sie widerspricht deren politische Arbeit als explizit "indigene", bzw. Batwa-Organisation der Verfassung und wird als Straftat angesehen. Das hat dazu geführt, dass die Batwa von staatlichen Programmen und Projekten ignoriert wurden. Sie sind von jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens und der politischen Teilhabe ausgeschlossen, die nur unter Hutu und Tutsi aufgeteilt wird. CAURWA geht daher davon aus, dass nur ein Politikwechsel, der die Batwa als indigene Minderheit anerkennt, ihre Situation verbessern kann. CAURWA setzt sich vor allem für eine stärkere politische Selbstbestimmung der Batwa ein. Außerdem geht es der Organisation darum, neue sozio-ökonomische Möglichkeiten zur Bewältigung der neuen Lebensbedingungen zu schaffen.

In allen acht Ländern werden Pygmäen-Gruppen mit einer starken gesellschaftlichen Stereotypisierung als rückständige, unzivilisierte Unter-Menschen belegt. Oft ist es gesellschaftlich nicht akzeptiert, dass sie mit den Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaften zusammen essen oder auch nur in ihrer Nähe sitzen. Neben dieser Diskriminierung und Segregation bleiben den Pygmäen z.B. in Ruanda, der Republik Kongo und der Demokratischen Republik Kongo grundlegende politische und zivile Rechte vorenthalten. Die meisten Pygmäen sind noch nicht einmal als Staatsangehörige anerkannt. In der Verfassung bleiben sie gänzlich unerwähnt. "Obwohl die Pygmäen diejenigen sind, die am längsten im Kongo leben, hat nie eine Zählung stattgefunden, um ihre Anzahl zu erfahren. Sie haben weder Personalausweise noch Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunden bekommen.", kritisiert Dieudonnée Kapupu Diwa Mutimanwa der Pygmäen-Dachorganisation "Ligue Nationale des Associations Autochtones Pygmèes du Congo" LINAPYCO (Nationales Bündnis Indigener Pygmäen-Organisationen in der Demokratischen Republik Kongo). Damit haben sie nur wenige Möglichkeiten, sich gegen Gewalt und Unrecht zu verteidigen. Die Kriege in Zentralafrika führen zu massiver Gewalt gegen die indigenen Minderheiten in dieser Region. Die etwa 150.000 Batwa und Bambuti in der Demokratischen Republik Kongo sind durch die Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen v.a. in den östlich gelegenen Provinzen Ituri, Süd-Kivu und Nord-Kivu Ermordungen und Vergewaltigungen ausgesetzt. Bambuti, die tief im Wald in Ituri den marodierenden Rebellengruppen und der Ausbeutung ausgeliefert sind, werden sogar Opfer von Kannibalismus durch MLC-Soldaten (Milizen der größten Rebellengruppe). In Ituri gibt es ein großes Vorkommen an Coltan und Gold. Im Kahuzi-Biega-Nationalpark in Kivu, wo Coltan abgebaut wird, werden die Batwa teils aus dem Park vertrieben, teils arbeiten sie unterbezahlt bei der Gewinnung des Rohstoffes.

Den Selbstorganisationen in den verschiedenen Ländern geht es zum einen darum, das gnadenlose Abholzen ihrer Wälder und die Vertreibungen aus ihrem Lebensraum, z.B. mittels der Anerkennung ihrer Landrechte, zu stoppen; zum anderen muss die aktuelle Situation, verbessert, und z.B. Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und neuen Einnahmequellen geschaffen werden. Um ihre Menschenrechtssituation und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verbessern, müssen die Pygmäen verfassungsrechtlich als Minderheit anerkannt und muss ihr Minderheitenschutz gewährleistet werden. Als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sollen Batwa an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben. Sie sollen Akteure ihrer eigenen gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung werden. Ihre soziokulturellen Institutionen müssen entsprechend gefördert werden. Den von ihrem Land vertriebenen Frauen und Männern muss ein entsprechendes Stück Land zur Entschädigung zur Verfügung gestellt werden. Ihnen soll die Möglichkeit eröffnet werden, unter adäquaten Bedingungen ihr Leben fortsetzen zu können. Batwa- Land soll offiziell registriert werden, um erneute Landvertreibungen in der Zukunft zu verhindern.

Indigene Organisationen:
La Communaute des Autochtones du Rwanda (CAURWA), P.O. Box. 3809 Kigali, Rwanda
Tel.: 00 250 77 640, E-Mail: heritiers@yahoo.com, www.heritiers.org/caurwacartedevisiteangl.html (englisch, französisch).

Ligue Nationale des Associations Autochtones Pygmees du Congo, Avenue Kwango n. 7, B.P. 10306 Kinshasa 1, Kinshasa- Kintambo, Republique Democratique du Congo
Tel.: 0024 39866 8491, Email: linapyco@yahoo.fr.

Mali und Niger: Nomaden vom Hunger bedroht [ oben ]

3,5 Millionen Tuareg- und Peulh-Nomaden leben in Niger und Mali. Periodisch auftretende Hungersnöte, Überweidung und Vernichtung ihrer Viehherden, Konflikte um Land- und Weiderechte mit Bauern, Verelendung und mangelnde Unterstützung durch die Behörden bedrohen das Fortbestehen der Nomadengesellschaft. Für viele unter anhaltender Trockenheit leidende Regionen ist die nomadische Lebensweise die einzige Wirtschaftsform, die ökologisch vertretbar ist und die Böden nicht langfristig zerstört. Die große Flexibilität der Nomaden und geringe Kosten für die Unterhaltung der Herden waren lange vorteilhaft für den Ausbau dieses Wirtschaftszweiges. Weltweit wird ein Viertel allen Landes noch heute von Nomaden genutzt, deren 20 Millionen Haushalte 10 Prozent der globalen Fleischproduktion erzeugen. Doch wachsende Hygiene-Anforderungen, eine zurückgehende Nachfrage nach Milchprodukten und zunehmende Konkurrenz durch Billigfleisch-Importe aus Industrieländern bedrohen die Lebensgrundlage der Nomaden.

Zehntausende Tuareg- und Peulh-Nomaden standen nach der Hungerkatastrophe vom Sommer 2005 vor dem Nichts. In manchen Regionen Nigers waren 80 Prozent ihrer Tiere entweder aufgrund der Dürre verendet oder mussten notgeschlachtet werden. Besonders dezimiert wurden die Schafherden, die den größten Teil ihres Viehbestandes bildeten. Denn die Schafe gingen elendig beim Wiederkäuen zugrunde, da sie mit dem sehr kurz gewachsenen Gras auch Sand zu sich nahmen, den sie nicht vertragen. Widerstandsfähiger waren hingegen die Kamel- und Ziegenherden. Die Notschlachtung vieler Tiere führte zu einem Preisverfall auf den Viehmärkten, so dass die Nomaden mit den geringen Erlösen nicht ausreichend Nahrungsmittel für die kommenden Monate kaufen konnten. Denn auf den Märkten waren auch die Preise für Hirse und andere Nahrungsmittel aufgrund des geringen Angebots und von Spekulation drastisch gestiegen.

"Wir hatten nichts mehr zu essen, aber mit diesen Gutscheinen können wir nun wieder Reis und Öl bekommen", erklärte Djoda Horty. Die alte Viehzüchterin vom Volk der Peulh hatte wie viele in ihrem Dorf Oumdou Bammo fast ihr gesamtes Vieh verloren. Die 60jährige war zu geschwächt, um im Austausch für die Gutscheine zu arbeiten. Doch jüngere Viehzüchter in ihrem Dorf arbeiteten in so genannten "Nahrung für Arbeit"- Programmen der Hilfsorganisation OXFAM. So beseitigten sie die Kadaver verhungerter Tiere, bauten Feuerschneisen, um ihr Weideland vor Bränden zu schützen oder engagierten sich in Umweltschutzprojekten. Ohne Hilfe konnten die Nomaden im Sommer 2005 nicht überleben. Doch die humanitäre Unterstützung hatte auch ihre Kehrseite: So wurden Viehzüchter, die traditionell stolz auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit waren, zu Bittstellern internationaler Nahrungsmittelhilfe. Der Verlust ihrer Viehherden zerstörte somit nicht nur die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Nomaden, sondern auch ihre traditionelle Kultur und Lebensform.

Nach den großen Dürrekatastrophen im Sahel der Jahre 1973/74 und 1984/85 mussten die Nomaden schon einmal um ihre Existenz bangen. Damals hatten die Tuareg jahrelang vergeblich auf angekündigte Hilfsprogramme gewartet und sich schließlich im Frühjahr 1990 mit Waffengewalt gegen die Regierungen des Niger und Malis erhoben. Angesichts der Verelendung und mangelnder staatlicher Hilfe erhoben sich die Tuareg im Norden Malis im Mai 2006 erneut. Dank der Vermittlung Algeriens konnte der Konflikt schnell beigelegt werden, so dass die Regierung Malis am 3. Juli 2006 mit den Aufständischen ein Abkommen schloss, in dem sie dem Norden des Landes größere Hilfe zusicherte.

Auch im Sommer 2005 kam die Hilfe für die Hungernden im Sahel nur schleppend in Gang. Dabei war es eine angekündigte Tragödie: Hilfsorganisationen hatten schon im Herbst 2004 vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit gewarnt. Als Journalisten im Frühjahr 2005 auf die drohende Katastrophe aufmerksam machten, warf ihnen die Regierung des Niger Panikmache und Verbreitung von Lügen vor. Journalisten wurden entlassen und gemaßregelt. Selbst auf dem Höhepunkt der Tragödie, leugnete Staatspräsident Mamadou Tandja noch öffentlich die Vorgänge. Dabei ist seine Regierung mit ihrer verfehlten Agrar- und Wirtschaftspolitik mitverantwortlich für das Ausmaß der Hungersnot.

Tuareg-Organisationen forderten neben der Einrichtung von Getreidedepots spezielle Förderprogramme für die Nomaden. So sollen die Viehzüchter kostenlos Futter für ihre verbliebenen Herden zur Verfügung gestellt bekommen, der Aufkauf von geschwächten Tieren soll finanziert und der Aufbau neuer Herden gefördert werden. Einige Hilfsorganisationen haben die Appelle der Tuareg aufgegriffen und besondere Programme zu ihrer Förderung entwickelt. Sie warnen vor den Langzeitfolgen des Herdenverlusts, denn damit büßten die Nomaden auch ihre gesamten Ersparnisse ein, so dass sie nun von der Hilfe ihrer Mitbürger und des Auslands abhängig sind. Daran hat sich auch ein Jahr nach der Hungerkatastrophe nichts geändert, denn der Aufbau neuer Viehherden nimmt Jahre in Anspruch.

Australien: Howard-Regierung setzt Entmündigung der Aborigines fort [ oben ]

Die meisten der etwa 500.000 Angehörigen der indigenen Völker Australiens, d.h. der Aborigine und Torres Strait Islander, werden durch die aktuelle Regierungspolitik immer stärker in die Rolle von Bittstellern gedrängt, die am Rande der weiß dominierten Gesellschaft in einer alarmierenden sozialen Situation leben. Ihr Alltag ist gekennzeichnet von gesundheitlichen Problemen, Sucht und häuslicher Gewalt. Alkoholmissbrauch oder Schnüffeln von Benzin oder Klebstoff sind verbreitet. Die Lebenserwartung der Ureinwohner liegt 17 Jahre unter derjenigen der Bevölkerungsmehrheit. Es mangelt ihnen an Bildung und Arbeit. Der Rassismus gegenüber den Ureinwohnern spiegelt sich auch in einem überproportional großen Anteil an indigenen Gefängnisinsassen und in Konflikten um Uranabbau und andere wirtschaftliche Nutzung des Landes, das für sie von zentraler religiöser Bedeutung ist, wider. Das staatliche Vorgehen gegen die Identität, Selbst-Vertretung, die eigenen Institutionen und politische Selbstbestimmung der Ureinwohner hat 2005 mit der Auflösung des halbstaatlichen indigenen Selbstverwaltungsorgans "Aboriginal and Torres Strait Islanders Commission" (ATSIC) einen aktuellen Höhepunkt gefunden.

15 Jahre lang verfügten die Aboriginal Australians mit der ATSIC über eine selbst gewählte und selbstverwaltete politische Vertretung. Dabei hatten viele Aborigines selbst Reformbedarf bei der ATSIC gesehen, doch statt mit ihnen zusammen notwendige Schritte zu deren Umgestaltung einzuleiten, schaffte die Regierung die Kommission kurzerhand ab. Nun wird nicht mehr von indigener Seite, sondern von den durch die Regierung eingesetzten Institutionen - v.a. durch das National Indigenous Council (NIC) auf nationaler sowie die Indigenous Cooperation Centres (ICC) auf regionaler Ebene - über die Indigenen und ihre Angelegenheiten verfügt. Einmal mehr zum Verstummen gebracht, finden die Aboriginal People mit dem Ende der ATSIC ihre Hoffnung auf eine selbstbestimmte, verbesserte Lebenssituation enttäuscht. Die paternalistische Behandlung der indigenen Bevölkerung durch die Regierung setzt sich fort.

Die verschiedenen Untersuchungen von Regierung, Wissenschaft und indigenen Organisationen zur Situation der Aboriginal People kommen zum gleichen Ergebnis: Die Lebensverhältnisse der Ureinwohner sind im Vergleich zu denen der Bevölkerungsmehrheit ungleich schlechter. Aborigine-Organisationen haben wiederholt auf den doppelten Standard im australischen Gesundheitswesen und die aufgrund der Armut schlechte Ernährung hingewiesen, die sich in der alarmierend niedrigen Lebenserwartung und der hohen Kindersterblichkeit widerspiegelt. Zwei- bis viermal so viele Aborigine-Babys als im Landesdurchschnitt sterben bei der Geburt. Viele Kinder leiden unter Krankheiten, die auf eine unzureichende Ernährung zurückzuführen sind. Die Arbeitslosigkeit ist in Aborigine-Gemeinden dreimal so hoch wie die der dominanten Gesellschaft, und in ländlichen Gebieten sind ganze Gemeinden von staatlicher Hilfe abhängig. Alkoholismus und andere Suchterkrankungen sind weit verbreitet. Angemessene Wohnbedingungen bleiben angesichts grundlegender Mängel in Grundversorgung und Infrastruktur sowie einer 20fach höheren Obdachlosenrate für viele unerreichbar. In Zentralaustralien ist Mord die häufigste Todesursache von Aborigine-Frauen, welche ebenso wie die Kinder stark von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Im Juni 2006 entbrannte eine Diskussion um die soziale Misere und die erschreckend hohe Gewaltrate in den Aborigine-Gemeinden. Statt sie als Folge einer mehr als 200jährigen gewaltvollen Geschichte zu begreifen, in der die Ureinwohnerpolitik Australiens auf die Zerstörung der Identität der Aboriginal People ausgerichtet war, sieht die amtierende liberal-konservative Regierung unter John Howard die Ursache der gravierenden sozialen Situation jedoch zynisch in der Kultur der Aborigines selbst. Entsprechend plädiert der Gesundheitsminister Tony Abbott für einen "neuen Paternalismus" gegenüber den Ureinwohnern. Es sei an der Zeit, so Abbott, dass die Regierung die Kontrolle in den indigenen Gemeinden ausübe. So plane sie nun, Verwalter einzusetzen, um die indigenen Gemeinden zu beaufsichtigen. Diese Sichtweise auf Gewalt und soziale Ungleichheit vertauscht Ursache und Wirkung. Die Regierung bevormundet die Aborigines statt die gravierenden Fehler und Versäumnisse ihrer Indigenenpolitik einzugestehen und mit den Aborigines gemeinsam Wege zu finden, wie sie selbst mehr Verantwortung für ihr Leben übernehmen können. Der paternalistische Weg der Regierung ruft die Erinnerungen der Aborigines an die Praktiken der christlichen Missionare und andere Assimilierungs- und Entmündigungsstrategien ihrer Geschichte wach. Sogar die Idee, Kinder aus Gemeinden mit hoher Gewaltrate zu entfernen, kreist in Regierungsreihen. Doch die herrschende Ausweglosigkeit, die strukturelle und direkte Gewalt in den Ureinwohnergemeinschaften, ist auch auf die Traumatisierungen der "Stolen Generations" zurückzuführen.

Etwa 100.000 Aborigine-Kinder sind zwischen 1910 und 1970 aus ihren Familien und Gemeinden gerissen worden, um sie in staatlichen und missionarischen Institutionen zu assimilieren und sie über die Generationen zu "Weißen" 2. Klasse, zu Dienstboten in Haushalt und Landwirtschaft, zu erziehen. Viele von ihnen waren nicht einmal fünf Jahre alt, als sie ihren Familien weggenommen wurden. Neben dieser psychischen Gewalt erlitten die meisten Kinder auch physischen und sexuellen Missbrauch, dessen Traumata sich von Generation zu Generation fortsetzen. Noch 2002 berichteten mehr als ein Drittel der Aboriginal People entweder selbst als Kind verschleppt worden zu sein oder Verwandte zu haben, denen dieses Schicksal widerfuhr. Viele dieser Kinder haben ihre Familien niemals wieder gefunden. Dass heute nur noch 20 Prozent der Aborigines eine ihrer traditionellen Sprachen sprechen, ist ein sichtbarer Faktor der erzwungenen Entwurzelung, die Gewalt ein anderer. Empört reagieren die Aborigines darauf, dass die Howard-Regierung nach der Abschaffung ihrer politischen Selbstorganisation ATSIC auf nationaler Ebene nun auch auf lokaler Ebene die Entmündigung und Entrechtung festschreiben will.

Seit die Howard-Regierung, die 1996 an die Macht kam und seit 2004 sowohl im Unterhaus als auch im Senat die Mehrheit hat, wurden die Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Ureinwohner - angefangen mit der Einschränkung der Landrechte 1998 - immer weiter gekappt. Fortschritte im Versöhnungsprozess ("reconciliation process"), zu dem die australische Regierung 1991 aufgerufen hatte, und der ein neues Verhältnis zwischen schwarz und weiß hervorbringen sollte, wurden mit dem Ende indigener Selbst- Verwaltung im ATSIC wieder zunichte gemacht. Selbst beim Permanenten Forum für indigene Angelegenheiten der UN im Mai 2006 hat sich Australien gegen das Recht der indigenen Völker auf Selbstbestimmung ausgesprochen. Wirksame Veränderung auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene muss jedoch damit ansetzen, dass die Aborigines selbst überhaupt gehört und ernst genommen werden und ihre Interessen selbst vertreten dürfen. Davon ist Australien weit entfernt.

Aborigine-Organisationen: The Foundation for Aboriginal & Islander Research Action: www.faira.org.au. Aboriginal People of the Goldfields Region of Western Australia: www.glc.com.au. Larrakia Nation: www.larrakia.com. Central Land Council Northern Territory: www.clc.org.au (Landrechte). Northern Land Council: www.nlc.org.au.

Indien: Die Ureinwohner der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean sind akut bedroht [ oben ]

Indiens Regierung rühmt sich, die kleinen auf den Andamanen lebenden indigenen Völker ganz besonders wirksam zu schützen. Doch als sich im Frühjahr 2006 eine Masernepidemie unter den 322 Jarawa ausbreitete, wurde deutlich, wie wenig für das Überleben dieser 60.000 Jahre alten Volksgruppe tatsächlich getan wird. Denn wochenlang ignorierten die Behörden alle Warnungen von Hilfsorganisationen und Menschenrechtlern und spielten das Ausmaß der Epidemie herunter. Die in Krankenhäuser eingelieferten Jarawa litten unter "Wärmebläschen", erklärte lapidar die indische Verwaltung. Erst als Mediziner bestätigten, dass es sich wirklich um Masern handelte, entsandte Indien im Mai 2006 Ärzte zu dem von der Vernichtung bedrohten indigenen Volk. Inzwischen wurden mehr als 50 Kinder mit Masern-Symptomen in Krankenhäuser eingeliefert.

Das Archipel der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean besteht aus mehr als 500 Inseln, die von Indien verwaltet werden. Nur 36 der Inseln sind bewohnt. Zu den Ureinwohnern der Andamanen zählen besonders zurückgezogen lebende Gruppen von oft nur wenigen Dutzend Menschen (51 Groß-Andamaner, 322 Jarawa, 99 Onge, 389 Shompen, 100 Sentinelesen), die weltweit als die am meisten bedrohten Völker angesehen werden. Aufgrund ihrer Bedrohung stehen diese Gruppen unter dem besonderen Schutz Indiens. Per Gesetz ist jede Kontaktaufnahme von Fremden mit ihnen untersagt. Auf der Inselgruppe der Nikobaren leben rund 30.000 Nikobaresen, die regen Kontakt zur eingewanderten indischen Bevölkerung unterhalten.

Die indischen Behörden haben nichts gelernt aus der Erfahrung einer Maserepidemie, die 1999 schon einmal die Jarawa zu vernichten drohte. Auch damals leugneten die Behörden zunächst den Ausbruch der Epidemie, an der schließlich 108 Jarawa erkrankten, ein Drittel der Angehörigen dieses Volkes. Eingeschleppte Krankheiten wie Masern können für besonders zurückgezogen lebende indigene Völker lebensbedrohlich sein. In Amazonien gingen zahlreiche Völker aufgrund solcher eingeschleppten Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten zugrunde. Indische Umweltschützer und Ethnologen sind in großer Sorge um das Überleben der Jarawa. In einem an die Vorsitzende der Indischen Kongress Partei, Sonia Gandhi, gerichteten Brief protestieren sie gegen das Eindringen von Wilderern und Siedlern in die Schutzgebiete der Indigenen. Die Eindringlinge würden Tabak und Alkohol schmuggeln und im Gegenzug Sex von den Frauen der Jarawa erwarteten. Nach dem Bau einer von Umweltschützern und Menschenrechtlern massiv kritisierten 75 Kilometer langen Straße durch das Schutzgebiet der Jarawa habe deren Bedrohung deutlich zugenommen. Obwohl das Oberste Gericht Indiens den normalen Publikumsverkehr auf dieser Straße im Jahr 2002 untersagt hat, ist sie noch immer nicht gesperrt worden.

Massive Probleme haben auch die nicht so zurückgezogen lebenden 30.000 Ureinwohner auf den Nikobaren. Bei der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 hatten sie mit mehr als 3.000 Menschen die meisten Opfer unter den Bewohnern der Inselgruppe zu beklagen. Doch es kam noch schlimmer. Denn eine verfehlte Wiederaufbaupolitik hat sie nach der Naturkatastrophe zu Almosenempfängern und Slumbewohnern gemacht. Vergeblich baten sie um Werkzeuge, weil sie ihre traditionell mit Palmwedeln und Bambus bedeckten Holzhäuser wieder aufbauen wollten. Stattdessen wurden sie ohne Rücksprache in Wellblechhütten gepfercht, die für das Klima nicht geeignet sind und von den Ureinwohnern abgelehnt werden. Auf Sitten und Gebräuche sowie auf das traditionelle Sozialgefüge wird keine Rücksicht genommen. So benutzt Indien die Naturkatastrophe, um die indigenen Nikobaresen zu assimilieren. Eine viele Jahrhunderte alte Kultur droht unterzugehen.

Borneo: Kahlschlag des Regenwaldes gefährdet Penan und andere indigene Völker [ oben ]

In der malaysischen Provinz Sarawak auf der Insel Borneo leben 27 verschiedene ethnische Gruppen. Die Orang Ulu oder Dayak, wie die indigenen Völker zusammenfassend bezeichnet werden, stellen 5,5 Prozent der 2,2 Millionen Bewohner Sarawaks. Zu ihnen gehören unter anderem die Völker der Penan, Punan, Iban, Bidayuh, Kayan, Murut, Kenyah und Kelabit. Bedroht sind diese indigenen Völker durch die fortschreitende Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung ihres Lebensraumes.

Mit Blockade-Aktionen gegen Holzfäller wehren sich Penan-Ureinwohner seit Ende der 80er-Jahre gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes in der malaysischen Provinz Sarawak auf der Insel Borneo. Zuletzt am 16. Juni 2006 hatten Penan in der Region am mittleren Baram-Fluss Blockaden errichtet, um Holzfäller an der Rodung des Waldes zu hindern. Die Behörden entsandten daraufhin Polizisten, um die Verantwortlichen für die Straßensperren zu verhaften. Am 5. Juli räumten Mitarbeiter eines Holzkonzerns die meisten gesperrten Strassen frei. Doch einige werden noch immer von Penan blockiert.

Ein Großteil des Urwaldes ist trotz des Widerstands der Ureinwohner bereits in den letzten 15 Jahren gerodet worden. Heute lebt nur noch ein kleiner Teil der rund 10.000 Penan als Halbnomaden. Die meisten sind nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Zerstörung des Regenwaldes sesshaft geworden, weil ihr Lebensraum immer kleiner wurde. Neben den in Europa sehr bekannten Penan gibt es noch andere indigene Völker wie die rund 5.000 Punan, die auch heute noch als Halbnomaden in Sarawak leben.

Mindestens 2,7 Millionen Hektar Regenwald gingen in den 90er Jahren durch Rodungen in Malaysia verloren. Damit büßte das südostasiatische Land in nur einem Jahrzehnt mehr als 13 Prozent seines Waldbestandes ein. Heute sind nur noch 20 Prozent der Regenwälder Malaysias unberührt, so dass der Lebensraum der Halbnomaden stetig schrumpft. Denn wenn die Wälder sterben, können auch sie sich auch die Halbnomaden nicht mehr von der Jagd auf Wildschweine, Affen und Vögel sowie vom Sammeln von Wildfrüchten ernähren. Traditionell aßen die Penan weder Gemüse noch Wurzeln, wohl aber Sagomehl, das sie aus Palmenstämmen gewannen. Nur wenige Wochen hielten sie sich an einem Ort auf und lebten dort in kleinen Hütten aus Baumstämmen und Palmblättern, die Windschirmen ähnelten. Hatten sie in der Umgebung die älteren Sagopalmen gefällt und die Wildfrüchte geerntet, zogen sie weiter. Doch die meisten der nun sesshaft gewordenen Ureinwohner mussten diese traditionelle Lebensweise inzwischen aufgeben, da es kaum mehr Wildfrüchte gibt und auch der Wildbestand aufgrund des Kahlschlags der Wälder immer mehr zurückgeht. So haben die Holzkonzerne nicht nur das ökologische Gleichgewicht des Regenwaldes zerstört, sondern auch den indigenen Völkern in Sarawak die Lebensgrundlage entzogen.

Vertreter von 27-Penan Gruppen aus verschiedenen Regionen Sarawaks kamen am 19. Mai 2005 in Long Belok zusammen und verabschiedeten eine gemeinsame Resolution, um auf ihre alarmierende Lage aufmerksam zu machen. Holzkonzerne würden rücksichtslos die letzten Urwälder Sarawaks fällen. Massiv würden die Ureinwohner eingeschüchtert und bedrängt, um ihren Widerstand gegen die Rodung ihres Lebensraumes aufzugeben, kritisieren die indigenen Völker in ihrer gemeinsamen Erklärung. Die Holzkonzerne setzten ihren Kahlschlag auch in Waldgebieten fort, die Penan-Nomaden in den Regionen Sungai Bareh und Magoh von den Behörden offiziell zugesprochen worden seien. Systematisch missachteten die Holzfirmen malaysisches Recht, doch die Behörden blieben tatenlos. Stattdessen wäscht der Staat die Holzkonzerne von jeder Schuld rein und stärkt sogar noch ihre Stellung, in dem er ihre Bemühungen um eine fragwürdige Zertifizierung aller Holzexporte aus Malaysia fördert. Mit dem angestrebten Gütesiegel will der malaysische Holz-Zertifizierungsrat im Ausland alle Zweifel daran zerstreuen, dass die großflächigen Rodungen ökologisch vertretbar sind und mit den Menschenrechten der indigenen Völker im Einklang stehen. Am 6. Dezember 2005 appellierten 64 Nichtregierungsorganisationen aus 21 Ländern an die Europäische Union und die europäische Holzindustrie, die umstrittene Zertifizierung malaysischen Holzes nicht anzuerkennen.

Anders als viele Penan kämpfen die Kelabit noch immer gegen das Eindringen von Holzfällern in ihr Siedlungsgebiet. Sie bewohnen eines letzten Rückzugsgebiete von indigenen Völkern in Sarawak der im Bario-Hochland am Baram-Fluss. Doch auch hier wird der Regenwald bald zurückgedrängt werden, da der malaysische Holzkonzern Samling sich jüngst eine Konzession für Rodungen von mehreren Millionen Hektar Wald sicherte.

Diskriminierung und Verfolgung von Vietnams Ureinwohnern hält weiter an [ oben ]

Die 53 ethnischen Minderheiten Vietnams stellen heute rund 12 Millionen Menschen. Manche dieser ethnischen Gruppen umfassen wie die Odu nur 200 Angehörige, andere wie die Tay mehr als 1,5 Millionen. Drei Viertel dieser nicht der Kinh- Mehrheitsbevölkerung Vietnams zugehörigen ethnischen Gemeinschaften leben heute relativ zurückgezogen im Bergland Nordwestvietnams oder Zentralvietnams. Daher bezeichnet man sie seit der französischen Kolonialzeit auch als "Montagnards", Bergbewohner. Ihre Sprachen, Kulturen und Traditionen unterscheiden sich zum Teil sehr voneinander. Doch trotz dieser Vielfalt werden sie von der Mehrheitsbevölkerung oft abschätzig als unterentwickelte "Wilde" (Moi) angesehen.

Zwar bemüht sich die Staatsführung in den staatlichen Medien den Eindruck zu erwecken, die ethnischen Minderheiten würden besonders gefördert und könnten gleichberechtigt am sozialen und politischen Leben teilnehmen. Doch in Wirklichkeit ist in Vietnam die Armut nirgendwo größer als unter den Ureinwohnern: Während 1998 nur 31 Prozent der Mehrheitsbevölkerung nach amtlichen Statistiken unter der Armutsgrenze lebten, klagten 75 Prozent der Ureinwohner dem Weltentwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme) zu Folge über ärmliche Lebensbedingungen. In ihren Siedlungsgebieten fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, Straßen und Kommunikationseinrichtungen.

Die Analphabetenrate ist vergleichsweise sehr hoch. Angesichts ihrer fortschreitenden Verarmung, des Landraubes durch Kaffeebauern und staatliche Entwicklungsplaner, der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, der religiösen Verfolgung und der staatlichen Politik der Assimilierung wuchs Ende der 90er Jahre die Unzufriedenheit unter den in den Bergregionen Zentralvietnams lebenden Ureinwohnern. Die Verzweiflung über ihre wachsende Bedrohung und Entrechtung entlud sich im Februar 2001 in öffentlichen Protesten, die sich vor allem gegen den Landraub und die Verletzung ihrer Religionsfreiheit richteten. Mehr als 200 Ureinwohner wurden verhaftet, viele von ihnen wurden gefoltert. Kirchen wurden geschlossen, alle öffentlichen Veranstaltungen untersagt, systematisch wurde das gesamte Gebiet über Monate von der Außenwelt abgeriegelt. Im Dezember 2002 wurden alle Weihnachtsgottesdienste und andere Treffen der Ureinwohner im Bergland verboten. Immer wieder wurden Ureinwohner wegen ihrer Beteiligung an Protesten verhaftet. Viele der Festgenommenen mussten monatelang auf ihr Gerichtsverfahren warten, bis sie schließlich in einem unfairen Prozess ohne unabhängigen Rechtsanwalt unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "illegaler Migration" nach Kambodscha zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Am 22. Juni 2006 wurden erneut sechs Montagnards wegen ihrer geplanten Flucht nach Kambodscha zu Haftstrafen zwischen fünf und sieben Jahren verurteilt. Im Juli 2006 befanden sich mehr als 350 Montagnards aus politischen Gründen in Haft. Während des Oster-Wochenendes 2004 kam es erneut zu Unruhen. Tausende Indigene forderten in den Provinzen Dak Lak, Gia Lai und Dak Nong ein Ende der religiösen Verfolgung, Bewegungsfreiheit und die Anerkennung ihrer Landrechte. Wieder einmal reagierten die vietnamesischen Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Gewalt. Dutzende Menschen wurden getötet. Bis heute ist das wahre Ausmaß der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste nicht bekannt, da die vietnamesischen Behörden beharrlich jede unabhängige Untersuchung des Vorfalls ablehnen. Neun Ureinwohner wurden wegen ihrer Beteiligung an den Protesten am 13. August 2004 zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt. Am 22. November 2004 wurden gegen weitere zehn Ureinwohner wegen der Mitwirkung an den Demonstrationen und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verhängt.

Der Lebensstandard der indigenen Bevölkerung bessert sich kaum, weil sie aufgrund der Ansiedlung von Millionen Tieflandbewohnern in ihren Regionen in immer unwirtlichere Gebiete verdrängt werden. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden seit 1976 von staatlicher Seite in ihren Gebieten angesiedelt oder ließen sich auf eigene Initiative seither in der Bergregion nieder. Stellten die Montagnards 1940 noch einen Bevölkerungsanteil von 99 Prozent in der Region, so bilden sie heute nur noch knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung im Hochland. Angezogen vom Kaffeeboom haben sich seit 1996 mehr als 400.000 Angehörige der Mehrheitsbevölkerung Vietnams in der Provinz Dak Lak niedergelassen. Die traditionell von der Subsistenzwirtschaft lebenden Bauern werden immer mehr von den neuen Siedlern aus den Tieflandregionen verdrängt, die sich die fruchtbarsten Flächen aneignen. Denn Vietnam lässt mit Unterstützung der Weltbank und internationaler Geberländer seit den 90er-Jahren in den Hochlandgebieten die landwirtschaftliche Produktion für den Export ausbauen und dort riesige Kaffee-, Cashewnuss- und Pfefferplantagen anlegen.

Das größte Kaffeeanbaugebiet liegt heute in der Hochland-Provinz Dak Lak im Zentrum des Landes. Die Anbaufläche für Kaffee hat sich dort von 21.828 Hektar im Jahre 1975 auf inzwischen 163.000 Hektar Land ausgeweitet. Die Provinz verdient mit den Exporten täglich 800.000 US-Dollar, doch nur wenige Cent davon kommen der indigenen Bevölkerung zugute.

Kaffee zählt zu den zehn wichtigsten Exportgütern Vietnams. So führte allein Dak Lak 2004 mehr als 320.000 Tonnen Kaffee aus. In den 70er Jahren exportierte ganz Vietnam 6.000 Tonnen Kaffee jährlich, 2004 waren es bereits mehr als 800.000 Tonnen. Vietnam will diesen Ertrag sogar auf eine Million Tonnen Kaffee steigern. Allein die Kaffee-Ausfuhr brachte Vietnam im Jahr 2004 Einnahmen von 594 Millionen US-Dollar, eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vietnams Berglandprovinzen exportieren Kaffee in 59 Staaten. Deutschland und die USA sind die wichtigsten Absatzmärkte. 47 Prozent der Kaffeeproduktion Vietnams werden heute in die EU exportiert.

Der Kaffeeboom hat zu einer schwerwiegenden Schädigung des ökologischen Gleichgewichts im Bergland Zentralvietnams geführt. Umsiedler haben mehr als 74.000 Hektar Wald seit Mitte der 90er Jahre für die Anlage neuer Plantagen gerodet. Vietnams Wälder weisen eine große Artenvielfalt auf und beherbergen rund zehn Prozent des Artenreichtums der Welt. Doch dieses Weltnaturerbe ist massiv bedroht, da allein in den letzten zehn Jahren die Anbaufläche für Kaffee um 38 Prozent ausgeweitet wurde. Rund 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Böden sind ausgelaugt aufgrund von Rodungen, Erosion und intensivem, die Umwelt schädigenden Anbau. Außerdem wurde zur kurzfristigen Profitmaximierung weitgehend darauf verzichtet, die Kaffeepflanzen im Schatten von Bäumen gedeihen zu lassen. Inzwischen rächt sich dieser Raubbau an der Natur, da die nährstoffarmen Böden immer mehr Düngemittel benötigen.

Die Unruhen unter der Urbevölkerung im Jahr 2001 und 2004 machen deutlich, dass die indigenen Völker Vietnams ihre Marginalisierung nicht länger widerstandslos hinnehmen werden. Angesichts anhaltender religiöser Verfolgung und der fortschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlage der indigenen Völker wird sich die Lage in den Bergregionen Zentralvietnams erst beruhigen, wenn die Behörden ihnen die in der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit nicht länger vorenthalten und die Rechte der indigenen Völker anerkennen. Insbesondere sollten die Landrechte der Ureinwohner respektiert werden und der weitere Ausbau der Plantagenwirtschaft sollte nur in enger Abstimmung mit der indigenen Bevölkerung erfolgen.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/06report.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060807de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-nord/lubicon1.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/penan.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/pigmei-de.html | www.gfbv.it/3dossier/h2o/staud.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapu-mergen.html | www.gfbv.it/3dossier/australdt.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/tuareg.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasilien.html

* www: http://en.wikipedia.org/wiki/Indigenous_people | www.ohchr.org/english/issues/indigenous/groups/groups-01.htm

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