Von Yvonne Bangert, Ulrich Delius, Sarah Reinke, Kerstin Veigt
Göttingen, August 2006
Inhalt
Indigene Völker: Wer sind sie und wie ist ihre Stellung im internationalen Recht [ oben ]
Indigene Völker sind die Hüter der kulturellen
Vielfalt der Erde. Ihr Reichtum sind ihre vielen Sprachen und
Kulturen, die Weisheit ihrer Religionen und ihres Umgangs mit der
Natur. Wo sie leben ist die Vielfalt an Pflanzen und Tieren
besonders groß. Gebräuchlicher ist für sie die
Bezeichnung "Ureinwohner". Der Begriff "indigen" leitet sich ab
vom englischen indigenous. Er wurde 1995 von der Arbeitsgruppe zu
Indigenen Bevölkerungen der Vereinten Nationen (UNWGIP)
geprägt für Völker, die ein bestimmtes Territorium
als erste besiedelt und genutzt haben, die aus freien
Stücken eine kulturelle Besonderheit bewahren, welche die
Sprache, Sozialorganisation, Religion, Spiritualität,
Produktionsweisen, Gesetze oder Institutionen der
Selbstverwaltung einschließen kann oder die sich selbst als
eine von anderen verschiedene, geschlossene Gruppe verstehen und
als solche von anderen Gruppen oder staatlichen Institutionen
auch anerkannt werden. Weltweit wird derzeit von 350 bis 400
Millionen Menschen ausgegangen, die einem der ca. 5000 indigenen
Völker in 75 Staaten angehören.
Unter ihnen stellen die Adivasi in Indien mit ca. 70-80
Millionen Menschen die größte Gruppe, gefolgt von den
Ureinwohnern des Amerikanischen Kontinents mit mehr als 40
Millionen Angehörigen. Die Tuareg in den Sahara- Staaten
gehören ebenso dazu, wie die Pygmäen im
zentralafrikanischen Regenwald, die Penan in Malaysia,
Bergvölker in Bangladesh und Burma, Ainu in Japan,
sibirische Völker in Russland, Maori in Neuseeland,
Aborigines in Australien, die Bewohner der pazifischen Inseln,
Inuit in Alaska, Kanada, Grönland und Sibirien oder die
Saami in Skandinavien und auf der russischen Kola-Halbinsel. In
den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Situation der
indigenen Völker im internationalen Recht grundlegend
gewandelt. 1976 entstand als erste internationale
Interessenvertretung der Welteingeborenenrat, gegründet von
Indianern aus Nord-, Süd- und Mittelamerika, Saami, Maori,
Inuit und Aborigines, und erwarb den Beraterstatus bei den
Vereinten Nationen. 1977 hielt eine große
Pan-Indianische-Delegation erstmals bei den Vereinten Nationen in
Genf Einzug. Einige Delegierte aus allen Teilen des Kontinents
kamen anschließend auf Einladung der Gesellschaft für
bedrohte Völker (GfbV) nach Deutschland, wo sie vor
Tausenden von Zuhörern das Klischee vom Wild-Westund Karl
May-Indianer zurechtrücken konnten. Ab 1983 bot die
UN-Working Group for Indigenous Populations WGIP während
ihrer alljährlichen Konferenzen den Indigenen ein Forum und
die Möglichkeit, sich untereinander und mit ihren
Unterstützern zu treffen und die Institutionen der UNO
für ihre Anliegen zu nutzen.
Zehn Jahre später entstand aus der
Weltmenschenrechtskonferenz in Wien heraus die Initiative
für eine internationale Dekade der Indigenen Völker,
die von der UN-Generalversammlung beschlossen und im Dezember
1994 ausgerufen wurde. Wichtige Erfolge dieser Dekade waren die
Ernennung des Mexikaners Rodolfo Stavenhagen zum ersten
UN-Sonderberichterstatter für indigene Belange und die
Schaffung eines Permanenten Forums für indigene Belange
PFII, das paritätisch von Vertretern der Staaten und der
Indigenen besetzt ist und im Mai 2002 erstmals tagte. Sitz des
Forums ist bei den Vereinten Nationen in New York. Die
Arbeitsgruppe für die Erarbeitung einer Universalen
Deklaration der Rechte indigener Völker, die Working Group
for the Draft Declaration WGDD, konnte ihr Ziel, der
UN-Menschenrechtskommission eine Deklaration für die
Menschenrechte der Indigenen Völker zur Abstimmung
vorzulegen, bis zum Ende der Dekade 2004 jedoch nicht erreichen.
Viele Nationalstaaten wollten das allgemein übliche
Individualrecht nicht um das Kollektivrecht der Ureinwohner als
Gruppen oder Völker erweitern und interpretierten deren
Wunsch nach Souveränität im Sinne von Selbstverwaltung
als Sezessionismus.
Die zum Jahreswechsel 2004/2005 ausgerufene zweite UN-Dekade
für die indigenen Völker der Welt brachte die Wende.
Der Menschenrechtsrat (Human Rights Council HRC), der mit seiner
ersten Sitzung im Juni 2006 an die Stelle der im Juni desselben
Jahres aufgelösten Menschenrechtskommission rückte,
folgte den Appellen von UN-Generalsekretär Kofi Annan,
Sonderberichterstatter Stavenhagen und zahlreichen indigenen
Delegierten und nahm am 29. Juni 2006 nach einer Kampfabstimmung
die Deklaration - auch mit der Stimme der Bundesrepublik
Deutschland - an. Nur Kanada und Russland stimmten mit Nein. 12
weitere Staaten enthielten sich, drei blieben der Abstimmung
fern. Die Deklaration ist damit an die UN-Generalversammlung
überwiesen, die sie bei ihrer nächsten Sitzung noch
endgültig verabschieden muss. Dort aber haben auch Staaten
Stimmrecht, die kein Mitglied des HRC sind und wie zum Beispiel
die USA die Deklaration ablehnen. Es könnten also andere
Mehrheiten entstehen. Deshalb ist auch weiter intensives Lobbying
- auch der GfbV - vonnöten, um bei den UN-Mitgliedsstaaten
für die Deklaration zu werben. Ungewiss ist die Zukunft der
WGIP und der Institution des Sonderberichterstatters für
indigene Belange, denn noch hat der HRC nicht darüber
entschieden, ob er sie beibehalten wird und wie er
grundsätzlich in Zukunft die Indigenen und ihre
Menschenrechte in seine Arbeit einbeziehen will. Auch hier werden
wir uns intensiv für die Wahrung der indigenen Interessen
einsetzen. Dazu gehört, dass wir die Beibehaltung eines
Sonderberichterstatters für notwendig halten. Auch werden
wir gemeinsamen mit anderen Menschenrechts-NGOs den HRC bitten
dafür zu sorgen, dass die Staaten in ihren
Länderberichten ihre Politik gegenüber den indigenen
Völkern zu einem der obligatorischen Bestandteile
machen.
Bleibt die im September 1991 in Kraft getretene Konvention 169
der International Labour Organisation ILO, die inzwischen von 17
Staaten ratifiziert wurde (Argentinien, Bolivien, Brasilien,
Costa Rica, Dänemark, Ekuador, Fiji, Guatemala, Honduras,
Domenica, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Paraguay,
Peru und Venezuela) darunter mit Norwegen, Dänemark und den
Niederlanden auch von drei europäischen. In 44 Artikeln legt
sie Mindeststandards im Umgang mit Ureinwohnern und in
Stämmen lebenden Völkern fest. Besonders wichtig sind
das Recht auf kulturelle Identität und auf gemeinschaftliche
Strukturen und Traditionen (Art. 4), das Recht auf Land und
Ressourcen (Art. 13-19), das Recht auf Beschäftigung und
angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20), das
Konsultationsverfahren als solches und das Recht, an der Art der
Entwicklung auf dem jeweiligen Territorium beteiligt zu werden
(Art. 6 und 7). Auf Ebene der EU wird die Konvention als
Wegweiser für die Planung und Durchführung von
Entwicklungsprojekten betrachtet. Das Europäische Parlament
forderte schon 1994 die EU-Regierungen (mit
Entschließungsantrag A3-0059/94) auf, der ILO-Konvention
beizutreten. 1998 verabschiedete die EU-Kommission mit
ausdrücklichem Bezug auf die ILO-Konvention 169 ein
Strategiepapier zur verbesserten, zukünftigen
Entwicklungszusammenarbeit zwischen EU und indigenen
Völkern. Im selben Jahr verabschiedete auch der Ministerrat
eine entsprechende Resolution (13461/98).
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Ratifizierung der
ILO-Konvention 169 ebenfalls seit langem ein Thema. Schon 1996
sprach sich das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Strategiepapier
ausdrücklich für die Berücksichtigung der
ILO-Konvention 169 in der bundesdeutschen Außen-,
Wirtschafts- und Entwicklungspolitik aus. Bei dieser zustimmenden
Haltung ist das Ministerium bis heute geblieben. Auch die
damalige Regierung Kohl sah 1996 keine völkerrechtlichen
Bedenken, ratifizierte aber dennoch nicht, da man davon ausging,
dass die Konvention sich nur an Staaten wende, in deren Grenzen
indigene Völker beheimatet seien. Eine Ratifizierung macht
aber auch für Deutschland als Staat ohne eigene indigene
Bevölkerung Sinn, denn mit ihrer Außen-, Wirtschafts-
und Entwicklungspolitik beeinflusst auch die Bundesrepublik die
Lebensbedingungen von Angehörigen indigener Völker und
Gemeinschaften unmittelbar. Beteiligungen deutscher Firmen und
Banken am Staudammbau oder an Öl-Pipeline-Projekten sind
dafür ebenso Beispiele wie die Einfuhr von Erdöl oder
Erdgas. Deshalb ist Deutschland gefordert, Verantwortung für
die Folgen solcher Projekte zu übernehmen. Eines, das 2005
besonderes Aufsehen erregte ist die Ostseepipeline, die noch von
Altkanzler Schröder mit dem russischen Präsidenten
Putin vereinbart wurde. Deutsche Firmen verdienen an dem
Pipelineprojekt kräftig mit. Das Gas, für dessen Export
sie gebaut wird, stammt von Ureinwohnerland aus Sibirien. Grund
genug, dass sich Deutschland als Projektpartner Russlands Regeln
für einen fairen Umgang mit den sibirischen Indigenen
auferlegen sollte.
So forderte der Bundestag 2002 mit einer Resolution der
Fraktionen der damaligen Regierungsparteien SPD und Bündnis
90/Die Grünen die Bundesregierung auf, die Konvention zu
ratifizieren. Nachdem über die folgenden Jahre kein
ernsthafter Versuch unternommen wurde, diese Resolution
umzusetzen, stellten die Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian
Ströbele und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
nun als Opposition, am 28. Juni 2006 erneut einen Antrag an den
Bundestag, die Bundesregierung zur Ratifizierung der
ILO-Konvention 169 aufzufordern, der in erster Lesung in den
Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
überwiesen wurde. Unübersehbar sind die indigenen
Völker weltweit aus dem Schatten herausgetreten. Sie
können heute nicht mehr ohne weiteres übergangen
werden. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen,
dass mit Ausnahme der ILO Konvention 169 die hier vorgestellten
Mechanismen der Vereinten Nationen vom guten Willen der
Nationalstaaten abhängig sind, denn es handelt sich um
Absichtserklärungen der Regierungen. Moralisch kann man sie
einfordern, juristisch einklagen oder Verstöße vor
Gericht bringen kann man nicht. Die indigenen Völker werden
daher auch in Zukunft eine starke Lobby unter Menschenrechtlern
und Nichtregierungsorganisationen brauchen, um die Regierungen
bei der Angst um ihr Image und vor Gesichtsverlust zu packen.
Sibirien: Reichtum Russlands - Fluch für die indigene russische Bevölkerung [ oben ]
Sibirien ist die Schatzkammer der Russischen
Förderation. Neben Erdöl und -gas werden hier Gold,
Diamanten, Silber, Kupfer und weitere Rohstoffe gefördert.
Es ist auch die Heimat der indigenen Bevölkerung Russlands,
die sich aus 43 Völkern mit jeweils weniger als 50.000
Angehörigen zusammensetzt. Insgesamt sind es rund 200.000
Menschen. Die rücksichtslose Öl- und Gasförderung
durch die Sowjets und seit der politischen Wende auch vermehrt
ausländische Konzerne hat zu schweren ökologischen
Schäden geführt, vor allem in Westsibirien, dem Zentrum
der russischen Ölindustrie. Dort leben die Chanten, Mansen
und Nenzen. Ihre Lebenserwartung liegt rund zehn Jahre unter dem
russischen Durchschnitt. In ihrer Republik sind über 100
Flüsse und Bäche verseucht. Durch das jahrzehntelange
Abfackeln der Begleitgase ist die Luft so stark verschmutzt, dass
Krebs- und Atemwegserkrankungen weit verbreitet sind. Die
Arbeitslosigkeit unter den Indigenen ist extrem hoch,
Kriminalität und Alkoholismus sind die Folgen.
Deutschland ist eines der Hauptabnehmerländer von russischem
Öl und Gas. 30% des dort verbrauchten Öls und 38% des
Gases kommen aus Russland - insbesondere aus Westsibirien. Der
Gasanteil könnte bei Fertigstellung der Ostseepipeline,
deren Aufsichtsratsvorsitzender Altbundeskanzler Gerhard
Schröder ist, sogar auf über 60% steigen. Um das Land
noch stärker wirtschaftlich ausbeuten zu können, werden
Land, Wasser und Wald privatisiert. Die indigenen Gruppen stellt
dies vor neue existentielle Probleme. Neue Förderprojekte
erschließen bislang weniger stark industrialisierte
Regionen, zum Beispiel die Inseln Sachalin und Kamtschatka im
äußersten Nordosten der Russischen Förderation.
Rechte für die Ureinwohnergruppen sind zwar teils in der
Verfassung verankert, werden jedoch auf regionaler Ebene nicht
umgesetzt. Die ILO-Konvention 169 hat Russland bislang nicht
ratifiziert, obwohl die Selbstorganisation der Indigenen RAIPON
dies seit langem fordert.
Chanten, Mansen und Nenzen in
Westsibirien
Im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen leben rund 6.500
Mansen, 12.000 Chanten und 1.100 Nenzen. Traditionell lebten sie
alle von der Jagd, dem Fischfang und der Rentierzucht. Im
Süden und Westen des Kreises haben die Mansen ihre
traditionelle Lebensweise weitgehend aufgeben, im Norden und
insbesondere im Osten versuchen sie aber auch heute noch, so zu
leben wie ihre Vorfahren. Gerade im Osten, in den Bezirken
Nischnevartowskij, Surgutskij und Neftejuganskij, hat die
Ölförderung jedoch zugenommen. Deshalb kommt es dort zu
schweren Konflikten zwischen den Indigenen und der russischen
Mehrheitsbevölkerung, die die Ausbeutung der Ressourcen
unterstützt. Kulturell sind die Mansen eng mit den Chanten
verwandt, mit denen sie in vielen Gebieten auch zusammenleben.
Wegen der Zerstörung ihrer Umwelt mussten viele Mansen
Schritt für Schritt Jagd und Fischfang aufgeben. Seit den
1960er Jahren werden die Ölreserven im Bezirk der Chanten
und Mansen ausgebeutet. Die Industrialisierung ging rasch voran,
neue Städte wurden gebaut, Menschen aus Zentralrussland
strömten in großer Zahl in den Kreis. Mansen wurden
aus den Ölgebieten zwangsevakuiert und hatten große
Schwierigkeiten, sich an neue Orte und eine neue Lebensweise zu
gewöhnen. Die Selbstmordrate ist hoch, die Lebenserwartung
liegt entsprechend nur bei 40 bis 45 Jahren. Oft kommt es zu
Konflikten mit den Ölarbeitern, die Rentiere stahlen und
wilderten.
Die Chanten teilen sich in mehrere Untergruppen auf, die an den
Flüssen Ob und Irtysch leben. Die rücksichtlose
Ölförderung und die daraus resultierende
Zerstörung der Umwelt zwangen viele Chanten, ihre
traditionelle Lebensweise aufzugeben, ihre Dörfer zu
verlassen und sich in den Städten anzusiedeln, wo sie jedoch
nur schwer heimisch wurden. Ihre Kultur ist durch die
Ölförderung weitgehend zerstört. Denn im Gebiet
der Chanten und Mansen mit seinen unzähligen Seen,
Flüssen, Sümpfen und Überschwemmungsgebieten, die
alle untereinander verbunden sind, ist die schleichende
Ölverseuchung des gesamten Landes kaum aufzuhalten.
Durch Lecks in den Pipelines fließen seit Jahren
große Mengen Öl in das Grundwasser und gelangen in die
Nahrungskette. Zahlreiche Rentiere verenden an
ölverschmutzten Flechten. Durch die latente
Ölverseuchung der gesamten Umwelt nehmen Krankheiten bei
Mensch und Tier rasch zu, besonders Leberkrankheiten. Mit den
Fisch-, Vogel- und Wildbeständen verschwindet auch die
Ernährungsgrundlage. Darüber hinaus fällt bei
vielen Ölquellen nach einigen Jahren der natürliche
Druck des Erdöls so stark ab, dass es nicht mehr von selbst
aus der Erde sprudelt. Dann werden in Russland üblicherweise
Unmengen von Wasser zusammen mit Salzsäure in die Erde
gepumpt, um es nach oben zu pressen. Dies hat zum Beispiel bei
dem Fluss Kasym zu einem starken Absinken des Wasserpegels
geführt. Da Niederschläge in der borealen Waldzone
geringer ausfallen als im gemäßigten Klima, sind
Waldbrände an sich schon ein häufiges Phänomen.
Durch menschliche Einwirkung nehmen sie heute rapide zu.
Die Nenzen sind mit insgesamt rund 35.000 Angehörigen das
größte indigene Volk der Russischen Föderation.
Rund 1.100 Nenzen leben im Autonomen Kreis der Chanten und
Mansen, 21.000 auf der Yamal-Halbinsel, die gleichfalls stark von
Gasförderung betroffen ist. Ein Großteil der
nenzischen Bevölkerung lebt auch heute noch in Nomadenzelten
oder kleinen Dörfern in Tundra und Taiga. Rentierzucht ist
das wichtigste Element ihrer Kultur, die ebenfalls durch Öl-
und Gasförderung bedroht ist. Die deutsche
Erdgasgesellschaft Wintershall AG und die russische Gasprom
gründeten 2003 eine Joint Venture-Gesellschaft (Achimgas)
zur Erschließung und Entwicklung der Achimow-Formation der
Lagerstätte Urengoi auf der Yamal-Halbinsel. Das 1966
entdeckte Gasfeld Urengoi ist eines der größten
zusammenhängenden Erdgasvorkommen der Welt. Es liegt im
Autonomen Kreis der Yamal- Nenzen, 200 km südlich der
Ob-Bucht. Die Förderung begann 1978. Von Januar 1984 an
wurde über die Erdgaspipeline Urengoi - Uschorod (Ukraine)
der Export nach Westeuropa aufgenommen. Derzeit werden etwa 200
Milliarden m Erdgas jährlich gefördert.
Eine auf der Yamal-Halbinsel geplante Eisenbahnstrecke soll die
Gasfelder Charassawej und Bovanenko mit dem Ort Labytnang bei
Salekhard verbinden. Entlang der Bahntrasse sollen ca. acht
Pipelines verlaufen, die den Anschluss an bereits bestehende
Erdgasleitungen weiter im Süden oder in der Barentsregion
herstellen sollen, damit Westeuropa auch von der Yamal-Halbinsel
aus beliefert werden kann. Seit den neunziger Jahren des 20.
Jahrhunderts sehen sich die nenzischen Nomaden außerdem mit
den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Vermehrt kommt es zu
Niederschlägen, die sofort gefrieren und das Rentiermoos mit
einer Eisschicht bedecken, so dass die Tiere es nicht mehr
erreichen können. Heute gleicht die Situation der
Rentier-Nomaden einem Wettlauf mit der Zeit. Täglich
müssen sie ihre wachsenden Herden auf neue, immer kleinere
Weiden führen. Seit Beginn der achtziger Jahre weisen weite
Gebiete der südlichen Yamal-Halbinsel daher Zeichen der
Überweidung auf. Russische Wissenschaftler gehen davon aus,
dass die Herden der Rentierzüchter bereits um das
eineinhalb- bis zweifache größer sind als die
Böden der Yamal- Halbinsel verkraften können.
Indigene Völker auf Sachalin und
Kamtschatka
Auf der Insel Sachalin im äußersten Osten der
Russischen Förderation leben 650.000 Menschen, unter ihnen
3.150 Angehörige der Nivchen, Nanai, Oroken, Orochen und
Ewenken. Sie leben größtenteils als Selbstversorger,
Fischer, Rentierhirten oder vom Sammeln von Wildpflanzen.
Für Arbeitsplätze in der Ölindustrie sind sie in
der Regel nicht ausreichend qualifiziert.
Die Nivchen sind traditionell vor allem Fischer. Sie leben im
Norden Sachalins. Mit etwa 2.000 Angehörigen sind sie die
größte Ureinwohnergruppe der Insel. In den 1930er
Jahren wurde der Fischfang kollektiviert. Die Nivchen sollten
sesshaft werden und in Fischfarmen arbeiten, die durch staatliche
Subventionen künstlich am Leben erhalten wurden, obwohl sie
unrentabel waren. Die Kinder der Farmarbeiter wurden wie die der
anderen indigenen Gruppen in staatlichen Internaten erzogen. Dort
verlernten sie bald ihre eigene Sprache und vergaßen vieles
von ihrer Kultur, denn die Erziehung folgte ausschließlich
russischen Maßstäben. Die etwa 1.000 auf Sachalin
lebenden Ewenken sind traditionell teilsesshafte
Rentierzüchter. Domestizierte Rentiere dienen dabei als
Reit- und Lastentiere, wilde Rentiere werden bejagt. Auch die
Ewenken wurden in der Sowjetzeit sesshaft gemacht und in
Kollektive gezwungen. Ihr Sozialgefüge und ihre kulturellen
Traditionen litten darunter. Inzwischen werden große
Anstrengungen unternommen, den Nomadismus und die damit
verbundene Selbstversorgerwirtschaft wieder aufleben zu lassen.
Das Rentier ist noch immer das wichtigste Transportmittel. Auch
die ca. 130 Oroken sind traditionell teilsesshafte
Rentierzüchter, außerdem Jäger und Fischer. Die
Oroken im Norden Sachalins wurden 1932 zwangskollektiviert und im
Gebiet der Kollektivfarm Val, die sich auf Rentierzucht
spezialisiert hatte, sesshaft. Die im Süden Sachalins
lebenden Oroken gaben im 19. Jahrhundert die Rentierzucht auf und
wurden als Fischer sesshaft. Bis zum 2. Weltkrieg gehörte
dieser Teil Sachalins zu Japan. Den Oroken wurde auf beiden
Seiten der Grenze mit Misstrauen begegnet. Als Sachalin bei
Kriegsende an die Sowjetunion fiel, fürchteten einige von
ihnen die Verschleppung in sowjetische Arbeitslager und wurden
auf die Insel Hokkaido in Japan evakuiert.
Die etwa 170 Nanai sind traditionell sesshafte Fischer und
Jäger. Die meisten von ihnen leben auf dem Festland, nur
eine kleine Gruppe auch auf Sachalin. Heute betreiben vorwiegend
alte Menschen noch den Fischfang. Die meisten stellten sich im
Zuge der Kolchosen-Wirtschaft auf Landwirtschaft und Viehzucht
um. Viele Nanai arbeiten auch in qualifizierten Berufen, z.B. als
Lehrer. Auch die Orochen waren traditionell Fischer und
Jäger. Die meisten leben im Süden des Khabarovski Kray
auf dem Festland. Im 19. Jahrhundert zog eine Gruppe von ihnen
auf die Insel Sachalin, wo heute noch etwa 210 Orochen leben. Sie
sind in Dörfern sesshaft und leben vom Gemüseanbau und
der Viehzucht. Manche jagen und fischen auch. Die Pelztierjagd
ist infolge einer strengen Regulierung durch Jagdlizenzen stark
zurückgegangen. Vor der Küste Sachalins lagern die
größten noch zu erschließenden Öl- und
Gasvorkommenden der Welt. Das Ölvorkommen wird auf 13
Billionen Barrel (ein Barrel gleich 159 Liter) geschätzt.
Bereits erschlossene Öl- und Gasfelder sind Sachalin-1 bis
Sachalin-6. Sie ziehen die Großinvestoren unter den
internationalen Ölmultis nach Russland. Exxon-Mobil,
Chevron-Texaco, BP und Royal Dutch/Shell haben sich mit weiteren
Ölunternehmen zu Konsortien zusammengeschlossen.
Derzeit plant das Konsortium um Shell, Mitsubishi und Mitsui,
das Sachalin-2 Projekt erheblich auszuweiten. Die zweite Phase
des Projektes umschließt die Errichtung zweier neuer
Öl- und Gasplattformen im Norden Sachalins sowie den Bau
zweier 800 km langer Pipelines die sich der Länge nach durch
die gesamte Insel ziehen werden. 10 Milliarden Dollar sollen
dafür investiert werden. Die Pipelines sollen die
bestehenden und geplante weitere Bohrinseln im Nordosten der
Insel mit einem Hafen im Süden Nahe der Hauptstadt
Juzhno-Sachalinsk verbinden, von wo Erdöl und Erdgas nach
Nordamerika und Japan geliefert werden soll. Sie sollen teils
über dem Meeresboden, teils auf Land verlaufen. Geplant ist
ebenfalls der Bau einer Pipeline von über 200 Kilometer
Länge für den Block Sachalin-1 im Norden der Insel.
Hinzu kommt der Bau einer LNG-Station (Liquid Natural Gas
Production Plant) für die Verflüssigung von Erdgas und
eines dazu gehörenden Hafens in der Aniva Bucht. Sachalin-2
ist damit das weltweit größte Öl- und Gasprojekt
mit der weltweit höchsten finanziellen Aufwendung. Nach und
nach formiert sich Widerstand gegen die Ölförderung
durch die internationalen Multis. Vertreter der Indigenen aber
auch ihrer Organisationen, der Vereinigung der Urvölker auf
Sachalin und des Dachverbands von 43 indigenen Völkern
Sibiriens RAIPON (Russian Association of Indigenous Peoples of
the North), haben versucht ihre Forderungen in Gesprächen
mit russischen Behörden und Konzernvertretern durchzusetzen.
Diese Verhandlungen sind jedoch im Dezember 2004 gescheitert.
Danach sahen die Ureinwohner keine andere Möglichkeit mehr,
ihre Rechte und die natürlichen Ressourcen ihrer Insel zu
verteidigen, als die Bauarbeiten und Zufahrtsstraßen zu den
Großprojekten zu blockieren. Sie haben auch an die an der
Finanzierung der Vorhaben maßgeblich beteiligten Banken,
die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
in London und an weitere der Ölindustrie Kredit
gewährende Banken in Tokio, London und Washington
geschrieben und sie um Vermittlung gebeten. Sie wissen, dass sie
die Ölförderung nicht aufhalten können. Aber sie
wollen einen Kompromiss, der ihnen die Aufrechterhaltung einer
eigenständigen Wirtschaft ermöglicht und sie an den
Entscheidungen der Ölkonzerne angemessen beteiligt.
Selbstorganisation der indigenen Gruppen in
Russland
RAIPON (Russian Association of Indigenous Peoples of the North,
Siberia and the Far Esat) wurde 1990 als "Assoziation der
Völker des Nordens in der UdSSR" gegründet. RAIPON ist
der Dachverband für 43 indigene Völker, die insgesamt
rund 200.000 Einzelpersonen ausmachen. Die Dachorganisation
besteht aus 34 Unterorganisationen, die ihre Büros in den
russischen Regionen haben. Von dort fließen Informationen
in der Zentrale in Moskau zusammen, wo sie in Kampagnen und
Lobbystrategien einmünden. RAIPON ist auch Mitglied im
Arktischen Rat. Informationen zur Organisation und ihrer Arbeit
sind auf der Internetseite www.raipon.ru zu finden. Eine
zweite wichtige Organisation ist LIENIP / Lauravetlan, die
während der vergangenen UN Dekade für indigene Belange
gegründet wurde. LIENIP versteht sich als
Informationszentrum für indigene Gruppen. Vor Ort werden
Menschen in ihren Rechten und in Methoden, diese Rechte
durchzusetzen geschult. Wichtig ist der Organisation
Multiplikatoren auszubilden, im Moment in Zentren in Altaj,
Karelien und Krasnojarsk. Weiteres ist auf der Internetseite www.indigenous.ru zu finden.
Neben diesen gibt es weitere kleine Zusammenschlüsse, die
teils als Unterorganisationen einzelner indigener Gruppen
fungieren.
Die GfbV hat als eine der ersten Menschenrechtsorganisationen
den indigenen Vertretern aus der früheren Sowjetunion eine
Stimme gegeben und mittlerweile drei Ausgaben der Zeitschrift
"bedrohte Völker-pogrom" ihren Problemen gewidmet. Wir haben
Buchveröffentlichungen unterstützt und Kampagnen
für die Indigenen Sibiriens durchgeführt, Lobbyarbeit
bei Bundestag, Bundesregierung, UN, Europarat und beteiligten
Ölfirmen und Banken geleistet und mit Menschenrechtsaktionen
Öffentlichkeit geschaffen. Außerdem haben wir durch
Einladungen und Begleitung von Vertretern der Indigenen zu
Lobbyreisen nach Europa ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre
Interessen vor den europäischen Institutionen selbst zu
vertreten. Praktische Überlebenshilfe für die Itelmenen
auf Kamtschatka leisteten wir durch unser Projekt zum
Wiederaufbau der Fischfangflottille dieser indigenen
Gemeinschaft.
Finnland: Sámische Rentierzüchter fordern Landrechte und Schutz ihrer traditionellen Lebensweise [ oben ]
Die 7.000 innerhalb der finnischen Grenzen lebenden
Sámi hoffen darauf, dass die finnische Regierung noch in
diesem Jahr die seit langem umstrittene Landrechtsfrage rechtlich
klärt und im Zuge dessen auch die ILO-Konvention 169
unterzeichnet. Mit der massiven Abholzung der alten Wälder
im Norden des Landes durch die staatliche Holzwirtschaft, hat
Finnland die Kultur und traditionelle Landnutzung der Sámi
seit Anfang der 90er Jahre missachtet. Besonders die samische
Rentierhaltung ist von dem intakten Lebensraum Wald
abhängig. Im Herbst 2005 hatte die finnische Regierung den
Einschlag in Nellim, in der Region Inari auf Empfehlung der
UNMenschenrechtskommission unterbrochen, nachdem sich drei
Sámi Hilfe suchend an diesen Ausschuss gewandt hatten.
Doch nur die verfassungsrechtliche Anerkennung ihrer Rechte kann
die Sámi, ihre Kultur und Wirtschaftsweise wirksam
schützen.
Ein erschreckendes Bild bietet sich den Sámi in den
ursprünglichen Wäldern von Kessi im östlichen Teil
der Region Inari im nordfinnischen Lappland: Die Bäume sind
gekennzeichnet worden. Markierungen für Schneisen und
Einschlaggebiete zeigen die Zukunft der über Jahrhunderte
gewachsenen Wälder von Kessi an. Das staatliche
Forstunternehmen Metsähallitus bereitet hier für August
2006 die Wiederaufnahme des Holzeinschlags vor. Die Sámi
selbst haben kein Besitzrecht auf das Land ihrer Ahnen und seine
natürlichen Ressourcen, denn Finnisch- Lappland gehört
heute zu 90% dem Staat. Auch die Forstwirtschaft ist in
Staatsbesitz. Für die etwa 40% Rentierhalter unter den
Sámi ist dieser Wald die Winterweide ihrer Tiere.
Rentierhaltung ist tief in ihrer Kultur verwurzelt und nach wie
vor von hoher sozialer, kultureller und wirtschaftlicher
Bedeutung. Obwohl das staatliche Forstunternehmen um die
Wichtigkeit der Wälder von Kessi für die dort
ansässigen Rentierkooperativen weiß, hat sie diese
weder konsultiert noch Verhandlungen mit ihnen aufgenommen.
Pekka Aikio, Präsident des finnischen
Sámi-Parlaments und Rentierzüchter, der im Februar
2006 bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in
Deutschland zu Gast war, erklärt, weshalb die traditionelle
Rentierwirtschaft der Sámi ohne die Urwälder nicht
möglich ist: "Es geht nicht um die Bäume allein,
sondern um eine ganze Nahrungskette. Die langen Bärte an den
Bäumen spielen dabei eine besondere Rolle. Nur ganz alter
Wald hat diese Flechten. Wenn der Schnee im Frühjahr zwei
Meter hoch liegt, finden die Rentiere kein anderes Futter. Der
Wald ist ein Garten und seine einzigen Früchte sind diese
Flechten. Nur so überleben die Herden die lange kalte Zeit.
Für zwei bis vier Monate ist das ihre einzige
Nahrung."
Seit den 1990er Jahren hat der Staat den Einschlag vor allem in
den alten Wäldern von Inari ausgebaut. Die Holz
verarbeitenden Konzerne Metsaliitto, M-Real, Metsa-Botnia, Stora
Enso und UPM haben Holz aus dieser Region bezogen. So spitzt sich
der Konflikt um die Waldnutzung zwischen den samischen
Rentierhirten und den staatlichen Forstbetrieben zu. Der
Einschlag hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die
traditionellen Rentierherden verschwinden werden, wenn Finnland
die Rechtsansprüche der Sámi nicht endlich ernst
nimmt und seinen Holzweg verlässt. Finnland gilt als das
waldreichste Land der EU, doch von den ursprünglichen
Wäldern sind nur noch knapp 5% erhalten. Die übrigen
sehr viel jüngeren Wälder sind für die
Rentierwirtschaft unbrauchbare Forstplantagen. Mit dem
Verschwinden des Waldes ist die Lebensgrundlage der
Sámi-Rentierhalter massiv beeinträchtigt, der
Ertragswert der Herdenhaltung ist deutlich zurückgegangen.
Die finnische Regierung behauptet, in Lappland ausgedehnte
Waldflächen unter Schutz gestellt zu haben. Ein großer
Teil der für die Sámi wichtigen Urwälder liegt
jedoch außerhalb der Schutzzonen. Zudem ist in einigen
Schutzzonen der Holzeinschlag durchaus erlaubt, denn sie
kennzeichnen lediglich die Gebiete, in denen sich das wertvollste
Holz befindet unabhängig davon, ob das Fällen von Holz
erlaubt ist oder nicht. Nach wie vor scheint die finnische
Regierung ihre wirtschaftlichen Interessen über die Rechte
der indigenen Bevölkerung und die ökologische
Nachhaltigkeit zu stellen. Dabei hat sie letzten Herbst in ihrer
rigorosen Kahlschlag-Politik eingelenkt. Es bedurfte der
gemeinsamen Proteste von Sámi und Umweltaktivisten sowie
der Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission, um die Abholzung
vorübergehend zu stoppen. So konnte zwar ein Erfolg
verzeichnet und die Winterweide vorerst gesichert werden; die
aktuellen Pläne, nun den Einschlag fortzusetzen, machen
jedoch deutlich, dass es einer grundsätzlichen Lösung
des Waldkonflikts und der damit verbundenen Landrechts- und
Nutzungsfragen bedarf.
Die politische Vertretung der Sámi in Finnland, das
Sámi-Parlament, hat den finnischen Staat wiederholt
dafür kritisiert, ihnen keine Besitzrechte über Land
und Ressourcen zu gewähren. Denn nur die offizielle
Anerkennung ihrer Rechte kann die Sámi, ihre Kultur und
Lebensweise sowie ihre Rentierhaltung wirksam schützen. In
staatlichen Studien zu Nutzungsrechten und Verwaltung im
traditionellen Sámigebiet wurde die Landbesitzfrage
ausgeklammert. Grundsätzlich hat das finnische Parlament
vermieden, zu den Landrechten der Sámi Stellung zu nehmen.
Die Sámi müssen wie andere finnische Bürgerinnen
und Bürger vor Gericht über Landrechtsfragen
entscheiden lassen. Die Einigung wird staatlicherseits immer
wieder mit dem Argument hinausgeschoben, man müsse diese
Frage erst sorgfältig prüfen und eine juristische
Studie durchführen. Aus offizieller Perspektive haben die
Sámi dem Staat das Land freiwillig überlassen und von
seinen Maßnahmen, wie z.B. dem Straßenbau,
profitiert. Das Sámi-Parlament deutet die Geschichte der
Kolonisierung des Landes jedoch anders und fordert Rechte auf
seinen traditionellen Lebensraum. Solange diese nicht
gewährleistet sind, steht das traditionelle Gebiet den
wirtschaftlichen Interessen des Landes offen. Besonders vor dem
Hintergrund der rücksichtslosen finnischen Forstpolitik ist
es also von großer Dringlichkeit für die Sámi,
dass ihre Forderung nach Landrechten endlich erfüllt
wird.
Entscheidend wäre es, den Sámi die Wasser- und
Landrechte in ihren traditionell bewohnten Gebieten offiziell
zuzuschreiben. Bisher war Finnland dazu jedoch nicht bereit.
Entsprechend hat es die ILO-Konvention 169 nicht ratifiziert, die
das einzige internationale und völkerrechtlich verbindliche
Abkommen ist, um indigenen Völkern die Grundrechte für
ihr Überleben zuzusichern. Die unterzeichnenden Staaten der
ILO Konvention 169 erkennen an, dass indigene Völker das
Recht haben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, über Land und
Ressourcen zu verfügen, an sie betreffenden Entscheidungen
beteiligt zu werden, angemessene Arbeitsbedingungen zu haben und
ihre Lebensweise und Kultur ohne Diskriminierung verwirklichen zu
können. Die finnische Regierung hat argumentiert, sie
könne die ILO Konvention 169 nicht ratifizieren, da die
finnische Verfassung den Sámi keine speziellen
Besitzrechte über ihr traditionelles Gebiet zugestehe, und
da die Landrechte nicht geklärt seien. In Kürze jedoch
wird ein neuer Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der die
grundsätzliche Anerkennung der Landrechte der Sámi
betrifft. "Dieses Gesetz wäre ein bedeutender Schritt
für die Anerkennung unserer Rechte. Es ist wichtig für
uns, dass der Entwurf angenommen und verwirklicht wird",
erklärt Pekka Aikio.
Sámi-Organisation: Die Sámi in
Finnland wählen alle vier Jahre das Sámi-Parlament
als ihre politische Vertretung. Seine 20 Mitglieder sollen die
Rechte und Interessen der Sámi vertreten, wahren und
fördern. Das Sámi-Parlament hat jedoch allein
beratende Funktion: www.samediggi.fi.
Kanada: Ausverkauf des Landes der Lubicon Cree Nation für die Teersandförderung [ oben ]
Die heute etwa 500 Cree vom Lubicon Lake in der kanadischen Provinz Alberta laufen Gefahr, ihr Land und damit ihre Lebensweise endgültig zu verlieren. Denn obgleich die Verhandlungen zwischen ihnen und den Regierungen der Provinz und der Bundesregierung in Ottawa keineswegs abgeschlossen sind, vergibt Alberta bereits Abbaulizenzen für Teile des umstrittenen Landes. Die Lubicon haben kein Landrechtsabkommen mit dem Staat abgeschlossen, denn als 1899 kanadische Beamte durchs Land reisten, um Verträge mit den First Nations, den Ureinwohnern Kanadas, auszuhandeln, wurden sie ganz einfach übersehen. 40 Jahre später wurden sie "entdeckt", man versprach ihnen ein Reservat, das sie nie erhalten haben. 1979 wurde im Norden Albertas Erdöl entdeckt. Die Provinz wurde zum Öl-Dorado Kanadas. Doch die Vorkommen gehen zur Neige, so dass nun die groß angelegte Ausbeutung der Teersandvorkommen folgen soll, die sich tief unter dem Land der Lubicon befinden. Dazu sind Verfahren notwendig, die extrem viel Land, Energie und Wasser verbrauchen.
"Einst war der Fluss blau. Jetzt ist er braun. Niemand kann in
ihm mehr fischen oder das Wasser trinken. Die Luft ist schlecht.
Das alles kam so schnell." Elsie Fabian, 63, stammt aus einer
indianischen Gemeinde am Athabasca Fluss. "Es ist furchtbar",
klagt sie, "wir sind von den Minen eingeschlossen". In Sichtweite
ihres Heimes wird Teersand abgebaut, der neue Reichtum Kanadas.
Er hat Alberta auf eine Stufe mit Saudi Arabien oder Venezuela
katapultiert. Denn aus Teersand wird synthetisches Erdöl
gewonnen. Teersand ist eine zähe Mischung aus
teerähnlichem Bitumen (Erdpech) und Sand, die im Tagebau
oder im sog. in-situ - Verfahren abgebaut wird. Die weltweit
größten Vorkommen befinden sich in Venezuela und im
Norden von Kanadas Provinz Alberta. Ausgebeutet werden derzeit
die drei Lagerstätten Athabasca-Wabiskaw, Cold Lake und
Peace River. Die Athabasca-Lagerstätten umfassen etwa 286
Kubikmeter oder 1,7 Billionen Barrel, die gemeinsam eine
Fläche von etwa 140.000 Quadratkilometern abdecken und etwa
175 Milliarden Barrel unverarbeiteten Teersand enthalten.
Die Teersandschicht ist normalerweise 40 bis 60 Meter dick und
ruht auf einem Sockel aus Kalkstein. Über dem Teersand
liegen Schichten aus Torf, Ton und Sand. Im Tagebauverfahren
werden sie abgetragen. Der Erde wird buchstäblich die Haut
abgezogen. Die borealen Urwälder des Nordens, die Moore und
Gewässerläufe, die gesamte ursprüngliche
Landschaft werden zerstört. Dem Sand wird heißes
Wasser zugeführt, der entstehende Schlamm wird zu einer
Extraktionsanlage gepumpt, wo er gerührt, und das
flüssige Bitumen oben abgeschöpft wird. Da Bitumen viel
dickflüssiger ist als normales Rohöl, muss es entweder
mit Petroleum gemischt oder chemisch gespalten werden, bevor es
sich durch eine Pipeline transportieren lässt, um zu
synthetischem Öl oder in spezialisierten Raffinerien direkt
zu Erdölprodukten verarbeitet zu werden. Für jeden
Barrel des synthetischen Öls werden mehr als 80 kg
Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen und zwischen zwei
und vier Barrel Abwässer in Rückhaltebecken gepumpt,
die ihrerseits bereits 50 Quadratkilometer Wald- und
Moorfläche bedecken.
Etwa 80 Prozent der Teersandvorkommen liegen jedoch so tief,
dass sie nicht im Tagebauverfahren ausgebeutet werden
können. Hier kommt das so genannte in-situ Verfahren zur
Anwendung, d.h. heißer Wasserdampf wird in den Boden
gepresst, um die Bitumenschicht unterirdisch zu
verflüssigen, damit sie anschließend abgepumpt und
weiterverarbeitet werden kann. Problematisch sind der enorme
Verbrauch an Wasser und Energie zur Erzeugung des Wasserdampfs,
die Entsorgung der Abwässer und noch nicht kalkulierbare
unterirdische Umweltschäden durch das in-situ-Verfahren. Zur
Anwendung kommen soll dieses Verfahren auch auf dem
traditionellen Land der Lubicon Cree. Einst lebten sie von der
Jagd. Ihre Wälder, Seen und Flüsse versorgten sie mit
dem Lebensnotwendigsten. Außerdem betrieben sie Handel mit
Pelzen. Die Natur versorgte sie mit Heilpflanzen. Doch die
Regierungen in Edmonton und Ottawa ließen zu, dass
transnationale Öl-, Erdgas- und Papierunternehmen im Land
der Lubicon tätig wurden und die traditionelle
Subsistenzwirtschaft der Indianer zerstörten, ohne ihnen im
Gegenzug eine Landbasis zuzugestehen, die ihnen ein
Überleben sichern könnte. Die kanadische Regierung
blockiert immer wieder die Landrechtsverhandlungen, verweigert
den Lubicon Cree damit ihr Recht auf Selbstbestimmung und macht
sie von der staatlichen Sozialhilfe abhängig. Mittlerweile
leben 94 Prozent der Lubicon vom Staat. In der Anfangsphase des
Ölbooms 1981 waren es nur 10 Prozent.
"Wir hatten nie irgendwelche Annehmlichkeiten, aber wir mussten
auch niemals hungern. Dann fanden sie Öl und wir standen
plötzlich im Weg", so Bernard Ominayak, der Häuptling
der Lubicon Cree. Heute arbeiten rund 1700 Ölpumpen im
Umkreis von 25 km um Little Buffalo, der Hauptsiedlung des
kleinen Volkes. Das Gebiet der Lubicon-Cree gehört zu den
rohstoffreichsten Gegenden der Erde. Neben Öl und Gas werden
auch Diamantenvorkommen in ihrem traditionellen Jagdgebiet
vermutet. Die zu gewinnende Rohölmenge aus
abbauwürdigem Teersand wird auf 1,6 Milliarden Barrel
geschätzt. Bisher ist ungeklärt woher Wasser und
Energie zur Erzeugung des Heißdampfs kommen sollen, die
für die Anwendung des In-Situ-Verfahrens benötigt
werden. Diskutiert wird unter anderem der Bau neuer
Kernkraftwerke in Alberta, deren ausschließlicher Zweck
darin bestehen soll Energie für die Teersandausbeutung zu
produzieren. Auch ist davon die Rede, dass die drei großen
Gasfelder im Norden der Nord-West-Territorien ausgebeutet und
durch die gigantischen Mackenzie Valley Gas Pipeline mit dem
Norden Albertas verbunden werden sollen, um Erdgas als Energie
für die Teersandgewinnung zu nutzen. Mit der Zerstörung
der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Lubicon gehen auch der
Verlust vieler überlieferter Traditionen und der Zerfall
ihres soziokulturellen Gefüges einher. Der Wildbestand in
ihrem Jagdrevier ging um neunzig Prozent zurück. Der daraus
folgende Mangel an hochwertiger Nahrung und die anhaltende
medizinische Unterversorgung sind dafür mitverantwortlich,
dass bei den Lubicon Cree erneut Tuberkulose ausgebrochen ist. In
den vergangenen Jahren kam es innerhalb von nur 20 Monaten zu
mehr als 20 Früh- und Totgeburten. Damit fällt
praktisch eine ganze Generation aus. Die hygienischen
Verhältnisse sind wegen der Raumenge in völlig
veralteten Fertighäusern, fehlendem Zugang zu sauberem
Trinkwasser und ohne Kanalisation katastrophal. Die Lubicon-
Sozialhilfeempfänger müssen Wege bis zu 180 Kilometern
zurückzulegen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen.
1987 und erneut 1990 nahm sich das UN-Menschenrechtskomitee
(UN-Human Rights Committee) des Schicksals der Lubicon Cree an.
Unter Berufung auf den Artikel 27 des Internationalen UN-Paktes
über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) stellte
es in seinem Abschlussbericht fest, dass Kanada die grundlegenden
Menschenrechte der Lubicon Cree verletzte. Die wirtschaftliche
Erschließung ihrer Ländereien würde "die
Lebensweise und die Kultur der Lubicon Lake Cree bedrohen"
(Friends of the Lubicon; www.tao.ca/~fol). Auch die von
der kanadischen Regierung selbst beauftragte 'Royal Commission on
Aboriginal People' bestätigte die katastrophalen
Lebensbedingungen der Lubicon Cree und riet, ihnen ein
Territorium zur wirtschaftlichen, kulturellen und politischen
Entfaltung zu überlassen. 2005 bestätigte das Komitee
diese Entscheidung und sah nun auch den Artikel 1 des Paktes
über bürgerliche und politische Rechte verletzt, der
seinen Mitgliedsstaaten völkermordartige Handlungsweisen
untersagt. Die Lubicon Cree selbst fordern die Einrichtung eines
kleinen Reservats (250 qkm), einschließlich einer
Gemeindesiedlung, die einfachen Standards genügt, ein Wald-
und Wildschutzabkommen, welches das abzutretende Gebiet vor der
weiteren völligen Zerstörung schützt,
Entschädigung für widerrechtlich entnommene
Bodenschätze in einer Höhe, die es ihnen erlaubt, eine
sich selbst versorgende Gemeinde aufzubauen und Regelungen zur
Selbstregierung im Rahmen der kanadischen Gesetze. Im Gegenzug
würde Kanada bzw. die Provinz Alberta die rechtlich
gesicherte Hoheit über 9750 qkm extrem rohstoffreichen
Landes erhalten. Doch die Regierung der durch die Rohstoffe sehr
wohlhabenden Provinz Alberta und die Bundesregierung streiten
sich um die Zuständigkeiten für mögliche
Vertragsabschlüsse und schieben sich immer wieder
gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Versprechungen der im Januar
2006 abgewählten Regierung unter Premier Paul Martin, die
Lubicon Frage endlich mit Vorrang zu behandeln, blieben
unerfüllt. Auch die amtierende Regierung unter Stephen
Harper hat bisher keinen grundlegenden Wandel in der
Verhandlungsstrategie erkennen lassen.
Im Frühjahr 2006 kam dann auch das UN-Komitee für
wirtschaftliche und soziale Rechte ECOSOC zu dem Schluss, dass
Kanada gegenüber den Lubicon Cree den Pakt über
wirtschaftliche, soziale und politische Rechte verletzt ,
forderte Kanada auf, dies umgehend einzustellen und endlich die
Verhandlungen mit den Lubicon Cree wieder aufzunehmen. Diese
liegen seit 2003 brach. Versuche ihres Chiefs Bernhard Ominayak
mit der Regierung ins Gespräch zu kommen scheiterten bereits
daran, dass der Minister nicht einmal den Erhalt der zurzeit
zusammen vier Briefe des Häuptlings bestätigte. Auch
die GfbV und die mehr als 5.000 Abonnenten ihres
E-Mail-Newsletters haben im Frühsommer an Premier Harper
appelliert, keine weitere Ausbeutung der Teersandvorkommen
zuzulassen, bevor nicht die Landrechte der Lubicon Lake Cree
abgesichert sind. Kanada solle seinen bislang guten Ruf in der
Behandlung seiner Minderheiten nicht riskieren. Wir haben dazu
beigetragen, dass eine Delegation der Lubicon Lake Cree in diesem
Frühjahr in Genf bei den UN persönlich vorstellig
werden konnte. Und wir haben in unserer Zeitschrift bedrohte
Völker den Sachverhalt dokumentiert. Diese Lobbyarbeit
werden wir fortsetzen.
USA: Das Alaska National Wildlife Refuge ist für die Gwich'in der "Ort, an dem alles Leben beginnt" [ oben ]
Für die etwa 7000 Gwich'in Indianer in Alaska ist das
Alaska National Wildlife Refuge (ANWR) heilig, denn hier bringen
die Kühe der etwa 152.000 Tiere großen Porcupine
Karibu Herde ihre Kälber zur Welt, hier ziehen sie sie auf.
"Wir Gwich'in sind Menschen des Karibus", sagt Sarah James, ihre
Sprecherin. "Die Pocupine-Herde ist Teil unserer Sprache, unserer
Lieder und Geschichten." Die Heimat der Gwich'in sind 15
Dörfer, die südlich des Bergmassivs der Brooks Range
entlang des Wanderwegs der Porcupine Herde im Nordosten Alaskas
und Nordwesten Kanadas liegen. Der Gwich'in Darius Kassi sagt:
"Unser ganzes Leben dreht sich um das Karibu. Es gibt uns mehr
als 80 Prozent unserer Nahrung." Deshalb nennen die Gwich'in das
ANWR "Izhik Gwats'an Gwandaii Goodlit" - "Ort, an dem alles Leben
beginnt".
Für die US-Regierung von George W. Bush ist das ANWR,
genauer das "Gebiet 1002" im Norden, zum Gegenstand eines
erbitterten Tauziehens geworden, denn während die meisten
Angehörigen der Demokratischen Partei, Umweltschützer
und natürlich die Gwich'in es unbedingt als Schutzgebiet
erhalten wollen, ist für die Regierung und die Mehrheit der
Republikanischen Partei die Öffnung des ANWR für die
Ölindustrie eine Frage des nationalen Interesses.
Präsident Bush will das Öl aus dem ANWR und anderen
heimischen Quellen nutzen, um die USA von Ölimporten aus dem
Nahen Osten oder aus Venezuela unabhängiger zu machen und
den Benzinpreis zu senken. Doch dafür ist das
Ölvorkommen im ANWR viel zu klein. Da es außerdem noch
mindestens 10 Jahre dauern würde, bis der erste Tropfen
Öl an US-amerikanische Zapfsäulen gelangt, kann eine
Ausbeutung des Vorkommens auch auf die derzeitige Preisgestaltung
keinen Einfluss nehmen. Wenn im "Gebiet 1002" Öl
gefördert werden sollte, wird die Lebensweise der Gwich'in
untergehen, denn vermutlich werden die Karibus ihren Wanderweg in
Gebiete verlagern, in denen die meisten Gwich'in sie nicht mehr
erreichen. Die Herde wird dort in Gegenden kommen, in denen es
schlechteres Futter für die Muttertiere gibt und zugleich
mehr Raubtiere, die die Kälber jagen. Die ohnehin schon
niedrige Geburtenquote der Porcupine Karibuherde wird daher
vermutlich zurückgehen und es werden weniger Jungtiere
überleben als heute. Für die Gwich'in ist das Leben
ohne den Zyklus, den die Wanderungen der Karibus vorgeben, kaum
vorstellbar.
Sie verwerten Fleisch und Fett der Tiere als Nahrung, Fell und
Leder für Kleidung und Schuhe, Knochen und Sehnen für
die Herstellung von Gebrauchsgegenständen. Das Karibu
prägt auch ihre Weltsicht, ihre Spiritualität. Sie sind
davon überzeugt, dass in jedem Karibu ein Teil vom Herzen
eines Menschen schlägt und umgekehrt ein wenig Karibu in
jedem Menschen ist. Alles, was die Porcupine Herde in Gefahr
bringt, ist daher auch eine Bedrohung der Gwich'in. Für
Alaska ist das Erdöl dagegen die wichtigste Einnahmequelle.
Neben George W. Bush sind daher der Gouverneur von Alaska Frank
Murkowski und die Senatoren Ted Stevens und Lisa Murkowski aus
Alaska die wichtigsten Befürworter der Ölförderung
in "Gebiet 1002". Sie wollen sie mit allen Mitteln durchsetzen,
haben aber nur einen Teil der Regierungspartei auf ihrer Seite
und die Demokratische Partei geschlossen gegen sich. .Mehrfach
sind die Befürworter der Ölförderung bereits daran
gescheitert, auf dem Gesetzeswege eine Öffnung des ANWR zu
bewirken. Seit 1995 hat die Republikanische Partei jedes Jahr
eine entsprechende Initiative im Repräsentantenhaus
durchgesetzt, die im Senat, der gleichfalls zustimmen muss,
regelmäßig abgelehnt wurde. Zuletzt wurde ein
entsprechendes Gesetz am 25. Mai 2006 vom Repräsentantenhaus
gebilligt. Der Senat hat noch nicht abgestimmt, aber eine
Zustimmung gilt als unwahrscheinlich.
Ein anderer Weg der Öllobby ist das Verknüpfen
einzelner Posten im jeweiligen Haushaltsgesetz mit Ausgaben bzw.
Pachteinnahmen bezüglich der Ölförderung im ANWR.
Zum Jahreswechsel 2005/2006, als der Haushalt 2006 zur Abstimmung
kam, wurde das ANWR in einem Haushaltsposten versteckt, der sich
ansonsten auf die Gelder für die Truppen im Irak innerhalb
des Wehretats bezog. Die Abgeordneten, so die Hoffnung der
Öl-Lobbyisten, würden das Schutzgebiet opfern, um nicht
durch eine Ablehnung des gesamten Punktes als unpatriotisch zu
gelten. Doch ging dies auch vielen Republikanern zu weit: Die
nötige Stimmenmehrheit kam nicht zustande. Das Tauziehen um
das ANWR ist damit nicht beendet, denn auch in den Debatten um
den Haushalt 2007 steht das ANWR erneut zur Disposition. Hier hat
der Senat einer Fassung, in der die Ölförderung
eingeschlossen ist, zugestimmt. Das Repräsentantenhaus hat
noch nicht abgestimmt. Im November 2006 könnten sich durch
Parlamentswahlen in den USA die Mehrheitsverhältnisse unter
den Abgeordneten allerdings verändern, denn bislang wird mit
einem Stimmeneinbruch für die Republikanische Partei
gerechnet. Dies könnte die Chancen für das ANWR, die
Gwich'in und die Karibus deutlich erhöhen.
Organisationen der Gwich'in: Der Gwich'in
International Council wurde 1999 von den in Kananda lebenden
Gwich'in gegründet als Interessenvertreutng der Gwich'in in
Alaska, USA, dem Yukon Territorium und dem Nordwestterritorium in
Kanada: www.gwichin.org. Das
Gwich'in Steering Committee ist bereits seit 1988 die
Lobbyorganisation der Gwich'in aus Alaska und deren Sprachrohr im
Kampf um den Erhalt des ANWR: www.gwichinsteeringcommittee.org.
Mexiko: Plan Puebla-Panama und Freihandelszone NAFTA gefährden das Überleben der indigenen Völker [ oben ]
Die etwa 10 Millionen Angehörigen von mehr als 56
indigenen Völkern sehen sich in allen Teilen Mexikos mit
einer neuen Dimension von Landraub und Verlust der
natürlichen Ressourcen konfrontiert. Grundbedürfnisse
wie Wasser und Land werden nicht befriedigt, während die
Regierung - v.a. im Rahmen des Plan Puebla-Panama - auf die
Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe und Bodenschätze,
Billiglohnfabriken, Ölförderung, Straßenbau und
Staudämme setzt. Vielerorts wird den Indigenen die
Lebensgrundlage durch Landenteignungen und Vertreibungen
entzogen. Statt das vor 10 Jahren vereinbarte "Abkommen über
indigene Rechte und Kultur" von San Andrés in die Tat
umzusetzen verletzt Mexiko die Rechte der indigenen Völker
systematisch. Wo sie sich wehren, reagiert der Staat mit
Repression, v.a durch die Militarisierung der indigenen Gebiete.
Die Entstehung einer starken indigenen Bewegung in Mexiko geht
zurück auf den Aufstand der zapatistischen Bewegung (EZLN)
im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der im
Januar 1994 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) begonnen hat. "Ya
basta!" "Es reicht!" - Dieser Aufschrei der Tzotzil, Tzeltal,
Tojolabal, Chol, Zoque und Mam wurde zum Symbol ihrer Forderungen
nach Land, Nahrung, Bildung, Freiheit, Gerechtigkeit und
Frieden.
Ein wichtiges Anliegen der indigenen Bewegung ist, dass die
Regierung das Abkommen von San Andrés endlich in die Tat
umsetzt, das am 16. Februar 1996 von der mexikanischen Regierung
und der zapatistischen Bewegung (EZLN) unterzeichnet wurde. Es
sollte Grundrechte der indigenen Völker Mexikos in der
Verfassung verankern und ihnen die Mitbestimmung bei allen sie
betreffenden Programmen und Wirtschaftsprojekten garantieren.
Umgesetzt wurde dieses Abkommen nie, stattdessen verabschiedete
die Regierung 2001 ein Ureinwohnergesetz (Ley Indígena),
das statt indigener Selbstbestimmung die Voraussetzungen
dafür schuf, die Privatisierung der Landwirtschaft
fortzusetzen und indigenes Land für die im Rahmen des "Plan
Puebla-Panama" (PPP) vorgesehenen Infrastruktur- und
Großprojekte zu enteignen.<<br />
PPP ist das Kürzel für ein transnationales Megaprojekt
des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox (2000 - 2006), das
von der US-Regierung unter George W. Bush unterstützt wird
und eine extensive Ausbeutung der reichen natürlichen
Ressourcen und der Infrastruktur im Süden Mexikos vorsieht.
Hier, wo die Armut der Menschen am größten ist,
befindet sich zugleich der natürliche Reichtum des Landes:
Erdöl, Edelmetalle, Mineralien,
Süßwasservorkommen und eine besonders große
biologische Vielfalt. PPP erstreckt sich auf die mexikanischen
Bundesstaaten Guerrero, Puebla, Veracruz, Oaxaca, Tabasco,
Chiapas, Campeche, Yucatán und Quintana Roo sowie
grenzüberschreitend auf die anderen Staaten Zentralamerikas.
Er sieht eine neoliberale Umstrukturierung der gesamten Region
vor: Fabriken des Niedriglohnsektors und industrielle
Garnelenzucht, Vermarktung der biologischen Vielfalt,
Ölförderung und Staudammprojekte, wie "La Parota" im
Bundesstaat Guerrero. Damit wird massiv eine Form der Entwicklung
vorangetrieben, die für die indigenen Völker
katastrophale Auswirkungen hat und ihre Lebensgrundlage und
Lebensweise zerstört. Die geplanten Infrastruktur- und
Entwicklungsprojekte untergraben ihre wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Rechte. Die Enteignung von Land und die
Zerstörung der Umwelt machen aus selbständigen
indigenen Bäuerinnen und Bauern abhängige Lohnarbeiter
für die transnationalen Unternehmen.
Katastrophale Folgen hat auch das Freihandelsabkommen NAFTA. So
können z.B. die einheimischen indianischen Maisbauern mit
den billigen US-Importen nicht konkurrieren. Für viele von
ihnen bedeutete das Abkommen den Ruin. Hinzukommt, das in Mexiko
genetisch veränderter Mais aus den USA auf den Markt kommt
und die einst große Sortenvielfalt zerstört. Gerade im
Süden Mexikos, sind Mais und die aus Mais hergestellte
Tortilla für die armen Bevölkerungsgruppen nicht nur
ein Grundnahrungsmittel, sondern auch von hoher kultureller und
religiöser Bedeutung. Die Nachfahren der Maya bezeichnen
sich hier noch heute als "Maismenschen". "Für die indigenen
Völker Mittelamerikas ist der Mais unser Blut, unser
Knochen, unser Fleisch. Ohne Mais sind wir nichts, ein Volk ohne
Mais ist ein totes Volk. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass
der Mais genetisch manipuliert und verunstaltet wird, dass man
ihm sein Wesen raubt; dass man ihn tötet, dass man uns
tötet", so Aldo González Rojas vom indigenen Volk der
Zapoteco im Bundesstaat Oaxaca. "Das Sähen und Essen der
einheimischen Maissorten ist für uns zu einer
Widerstandshandlung gegen die neoliberale Globalisierung
geworden."
Aber auch ganz elementare Grundrechte wie das Recht auf sauberes
Trinkwasser sind für die indigenen Völker Mexikos keine
Selbstverständlichkeit. 327.000 Mazahua im Bundesstaat
Mexiko leiden zum Beispiel unter extremem Wassermangel, obwohl
sie an dem sehr wasserreichen Fluss Lerma leben. Pro Sekunde
pumpt die größte Trinkwasseraufbereitungsanlage
Lateinamerikas 19.300 l Wasser aus dem Fluss und leitet sie ins
130km entfernte Mexiko-Stadt. Die Mazahua sind auf Tankwagen
angewiesen oder müssen lange Wege zu verbleibenden
Wasserstellen zurücklegen. Viele Quellen sind versiegt, das
Wasser der kleinen Flüsse ist verseucht. Die Schadstoffe der
Trinkwasseraufbereitungsanlage werden direkt in den kleinen Fluss
Malacatepec eingeleitet. Dadurch ist sein Wasser für die
Bewässerung der Felder, für die Versorgung der Tiere,
zum Waschen und Baden unbrauchbar geworden. Tiere, die von diesem
Wasser tranken, sind gestorben. Vor drei Jahren verloren die
Mazahua 300ha landwirtschaftlicher Flächen, als einer der
sieben Staudämme, die das Wasseraufbereitungssystem
versorgen, überlief. Schadenersatzforderungen der Mazahua
wurden ignoriert. Seitdem haben sich die Mazahua zum "Movimiento
Mazahua para la Defensa del Agua"" (Mazahua-Bewegung zur
Verteidigung des Wassers) zusammengeschlossen.
Die Mazahua fordern den Anschluss der Region an das
Trinkwassernetz, die Rückgabe des enteigneten Landes,
Schadensersatz und die Verwirklichung ökologisch
nachhaltiger Projekte wie der Wiederaufforstung, um die
ökologische Zerstörung wenigstens ansatzweise
auszugleichen. Dies umfasst auch einen achtsamen Umgang mit dem
Wald und den Ressourcen, eine höhere Lebensqualität,
Würde, Gesundheitsversorgung und eine bessere
Schulausbildung in der eigenen Sprache, die zunehmend verloren
geht. Nur einem der fünf betroffenen Landkreise wurden in
diese Richtung Zugeständnisse gemacht. Doch die Mazahua
lassen sich nicht spalten: "Wir wollen Wasser für alle!"
fordern sie.
In der Abschlusserklärung des IV. Indigenen Nationalen
Kongresses CNI (Congreso Nacional Indígena) vom Mai 2006
heißt es: "So kämpfen wir gegen die Ausbeutung der
Bodenschätze, gegen die Holzindustrie, gegen den Ausverkauf
unserer Erde, gegen den Ausverkauf der Nahrung durch große
Ketten wie wal mart und gegen die Privatisierung unseres Wassers
und die staatlichen Gesetze, die die Gegenreform von 2001
legitimieren…Seit dem Verrat von 2001, als der
mexikanische Staat beschlossen hat, die Rechte der indigenen
Völker nicht anzuerkennen, haben wir begriffen, dass wir
allein sind und unsere Rechte und unsere Autonomie selbst
verwirklichen müssen." Die Indigenen glauben nicht mehr an
den Staat und haben begonnen, ihre lokalen und regionalen
Autonomiegebiete selbst aufzubauen. Mit seiner Politik
verstößt Mexiko gegen die Konvention 169 der
Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen
(International Labour Organisation / ILO), die das Land 1990
ratifiziert hat. Dieses bislang einzige Dokument des
internationalen Rechts, in dem Grundrechte für indigene
Völker verankert wurden, schreibt zum Beispiel Konsultation
des jeweils betroffenen Volkes vor Umsetzung von
Wirtschaftsprojekten und deren Mitbestimmung bei den Planungen
vor.
Indigene Organisationen: Congreso Nacional
Indígena CNI (Indigener Nationaler Kongresses) www.laneta.apc.org/cni/mh.htm
(spanisch). Ejército Zapatista de la Liberación
Nacional EZLN (Zapatistische Nationale Befreiungsarmee) www.ezln.org.mx (spanisch).
Asamblea de Migrantes Indígenas de la Ciudad de
México (Zusammenschluss der indigenen Migranten in Mexiko-
Stadt) www.indigenasdf.org.mx
(spanisch). Movimiento Mexicano de Afectados por las Presas y en
Defensa de los Ríos" MAPDER (Mexikanische Bewegung der
Betroffenen von Staudämmen und zur Verteidigung der
Flüsse) www.mapder.org
(spanisch). Red de Información Indígena (Indigenes
Informationsnetzwerk) (englisch und spanisch) www.laneta.apc.org/rci/ing/.
Ecuador: Huaorani werden von Holzfirmen und Ölkonzernen überrannt [ oben ]
Die etwa 2500 Huaorani leben in einem Gebiet des
ecuadorianischen Regenwaldes, das sich mit dem weltberühmten
Yasuní-Nationalpark überschneidet. Aufgrund seiner
weltweit größten Artenvielfalt wurde Yasuní
bereits 1979 zum Nationalpark erklärt. 1989 deklarierte die
UNESCO den Park zum Biosphären-Reservat. Einige
Huaorani-Gruppen wie die Tagaeri und Taromenane leben in
freiwilliger Isolierung und lehnen jeden Kontakt mit der
Außenwelt ab. Die Huaorani werden gerade von einer Invasion
durch illegale Holzfirmen und transnationale Ölkonzerne wie
die brasilianische Petrobas und den spanisch-argentinischen
Repsol YPF überrannt. Die seit Jahren andauernde Ausbeutung
von Holz, Öl und anderen Ressourcen ging wiederholt mit
Massakern einher, die bisher ungeahndet geblieben sind.
Wo immer die Huaorani durch ihr angestammtes Regenwaldgebiet im
Yasuní Nationalpark und seiner Umgebung streifen, um zu
jagen und zu sammeln, zu fischen oder Feldbau zu betreiben,
treffen sie heute auf Bohrlöcher, verseuchte Flüsse,
auf Straßen und gerodeten Wald. Illegale Holzfäller
schlagen die Bäume, transnationale und nationale
Ölkonzernen teilen das Gebiet in Blöcke auf, die sie
dann ausbeuten: Der spanisch-argentinische Konzern Repsol YPF ist
in Block 16, der französische Perenco in Block 7 und 21,
agip aus Italien in Block 10, der brasilianische Petrobras in
Block 31 und Andes Petroleum, bestehend aus den staatlichen
chinesischen CNPC und Sinopec, in Block 17 tätig. Die
ecuadorianischen Unternehmen Tecpecuador und Petroecuador haben
im Mai 2006 Block 15 von der US-amerikanischen Occidental
übernommen. Zudem sucht die ecuadorianische Regierung nach
Investoren für einen neuen als ITT
(Ishpingo-Tapococha-Tiputini) bezeichneten Block im Osten des
Yasuni-Parks. Das ecuadorianische Militär sichert die
Ölförderanlagen und reagiert entsprechend entschieden
auf Proteste gegen die Verseuchung.
Dennoch versucht ein Teil der Huaorani, die über die drei
Provinzen Orellana, Napo und Pastaza verteilt in 37 Gemeinden
leben, sich mit politischem Widerstand gegen die massive
Zerstörung ihrer Lebensgrundlage zu behaupten. "Selbst wenn
die Regierung den Yasuní Nationalpark nicht schützt -
wir sind hier, um unser Land zu verteidigen!", erklärt der
Huaorani-Sprecher Moi Enomenga. 1990 hat er die
Huaorani-Vereinigung ONHAE gegründet. Sie fordert, dass die
Ölfirmen die verseuchten Gebiete wieder säubern, und
kritisiert die ecuadorianische Regierung dafür, mit den
Ölfirmen zu verhandeln, ohne die Huaorani in die
Entscheidungen einzubeziehen. Die Huaorani bekommen keine
Entschädigung für die Zerstörung ihrer Umwelt und
Gesundheit, keinen Ausgleich für die Landverluste und die
Verseuchung ihrer Nahrungsgrundlagen.
Der Widerstand vor Ort wird vor allem von den Huaorani-Frauen
getragen, die sich in der Frauen-Assoziation AMWAE organisiert
haben. Alicia Cahuiya, Präsidentin der AMWAE, sagt: "Wir
bekommen die Auswirkungen der Ölförderung vielfach zu
spüren. Das Wasser ist verseucht, es gibt viele Krankheiten,
die Tiere und der Wald sind geschädigt worden. Wir sind als
Mütter aktiv, die die Kinder und den Wald schützen
wollen. Und wir werden keine weitere Ölförderung in
unseren Gemeinden akzeptieren." Die ANWAE konnte letzten Sommer
einen Teilerfolg verzeichnen: Petrobas gab sein Vorhaben, entlang
des Flusses Napo eine Straße zu bauen, nach ihren
intensiven Protestaktionen auf. Alicia Cahuiya und Moi Enomenga
wollen mehr, sie wollen erreichen, dass Petrobas und die anderen
Ölfirmen das Gebiet verlassen und die Ölförderung
gestoppt wird. Dieses Ziel vertraten sie auch bei der
diesjährigen Sitzung des Permanenten Forums für
Indigene Angelegenheiten der UN im Mai 2006 in New York. "Ich
kämpfe gegen die Einflüsse der Ölkonzerne und
dabei kämpfe ich auch gegen die Regierung, mit Papier als
Waffe, damit wir ruhig leben können. Ich möchte, dass
die Organisationen sich zu einer stärkeren Macht vereinigen,
damit sie uns helfen können, unser Territorium zu
verteidigen. Sonst werden wir bald verschwunden sein. Wir
brauchen die Unterstützung der Weltöffentlichkeit,
damit wir respektiert werden. Wir müssen Kontrolle
übernehmen, um sicher zu gehen, dass nicht noch mehr Fremde
in unser Territorium eindringen," ist Moi Enomenga
überzeugt.
Doch die Veränderungen haben die Huaorani gespalten. Manche
arbeiten für die Holzfäller und führen sie durch
das Gebiet, um ihr Überleben durch den Geldverdienst zu
sichern. Andere Gruppen wie die Tagaeri und die Taromenane haben
sich gegen jeden Kontakt mit einer Welt entschieden, die sich
ihnen ausschließlich zerstörerisch nähert, und
leben in freiwilliger Isolation. Doch die Intervention der
Ölkonzerne bedroht das tief im Wald gelegene Gebiet, wohin
sie sich zurückgezogen haben, da es sich mit Block 17
überlappt. Das bisher größte Problem stellen die
illegalen Holzfäller dar, die von den Straßen der
Ölkonzerne profitieren und das Holz über Kolumbien
vermarkten. Die Tagaeri und Taromenane verwenden ihre Jagdpfeile
und -speere, um Eindringlinge von sich fernzuhalten. So griffen
sie Mitte April zwei in ihrem Wald arbeitende Holzfäller mit
Speeren an und töteten einen von ihnen. Daraufhin kam es zu
einem Massaker an etwa 30 Tagaeri und Taromenane. Die
Interamerikanische Menschenrechtskommission forderte die
ecuadorianische Regierung im Mai 2006 dazu auf, den Schutz der
Tagaeri und Taromenane zu gewährleisten.
Das Leben der Huaorani hat sich seit Ende der 50er Jahre rapide
verändert. Damals kamen Missionare des "Summer Institute of
Linguistic" in das Gebiet. Ihrer Evangelisierung auf der Spur
folgten die Ölkonzerne. In den 1980ern baute Texaco eine 100
km lange Straße durch den Wald, die nach der abwertenden
Fremdbezeichnung der Huaorani als "aucas" (Wilde)
"Auca-Straße" genannt wurde. Bereits 1985 vergab die
ecuadorianische Regierung die erste Bohrlizenz für den Block
16 an den US-amerikanischen Ölkonzern Conoco (heute
ConocoPhillips). In den 1990ern öffnete Maxus das
Huaoranigebiet für die umfassende Ölförderung.
1990 haben die Huaorani nach Widerstandaktionen im Rahmen der
indigenen Dachorganisation CONAIE ein 672.000 ha großes
Gebiet als Huaorani-Territorium zugesprochen bekommen, das an den
Yasuní Nationalpark angrenzt - allerdings unter der
Bedingung, dass Ölkonzerne hier tätig werden
dürfen. Der Widerstand gegen die Ölförderung
könnte also den Verlust dieses Landes mit sich
bringen.
Indigene Organisationen: ONHAE - Organizacion
de la Nacionalidad Huaorani de la Amazonia Ecuatoriana
(Organisation der Nationalität der Huaorani des
ecuadorianischen Amazonasgebiets) www.onhae.org (spanisch). AMWAE:
Associación de Mujeres Waorani de la Amazonia Ecuatoriana
(Vereinigung der Waorani-Frauen des ecuadorianischen
Amazonasgebiets)
www.saveamericasforests.org/Yasuni/Indigenous/AMWAE/index.htm
(englisch und spanisch).
Brasilien: Landraub und Morde an indigenen Völker [ oben ]
"Die indigenen Völker fühlen sich allein gelassen
und von den Behörden verfolgt", heißt es im Bericht
des UN-Sonderberichterstatters zu Rassismus,
Rassendiskriminierung, Fremdenangst und jeglicher Formen der
Diskriminierung Doudou Diène vom, den er nach einer im
Oktober 2005 durchgeführten Reise durch das Land im Februar
2006 vorlegte. "Ein Dialog zwischen Indigenen und Regierung
findet nicht statt und das Verhältnis zur staatlichen
Indianerbehörde FUNAI ist angespannt. Der Präsident der
FUNAI behauptet, dass das Treuhandverhältnis noch immer
existiert und bricht damit geltendes Recht, er äußert
sich diskriminierend gegen die Indianer, entscheidet selbst, wer
Indianer ist und wer nicht und verletzt damit die Konvention 169
zu Indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der
International Labour Organisation, und er leistet den Indigenen
nicht die erforderliche Unterstützung." Die ILO Konvention
169 ist von Brasilien im Juli 2003 ratifiziert worden. Die ILO
ist Mitgliedsorganisation der UNO. Ihre Konvention 169 sichert
als einziges Instrument des internationalen Rechts Grundrechte
indigener Völker ab.
Die Situation der fast 740.000 Angehörigen von 235
indigenen Völkern Brasiliens ist nach wie vor katastrophal.
Armut und Landraub haben mehr als die Hälfte von ihnen in
die Elendsviertel der städtischen Siedlungszentren
vertrieben. Gemessen an der Gesamtbevölkerung leben 15,5 %
der Bevölkerung Brasiliens in extremer Armut, unter der
indigenen Bevölkerung sind es 38 % (Zahlen nach der letzten
Erhebung des Brasilianischen Instituts für Geografie und
Statistik von 2000). Das Leben derjenigen Ureinwohner, die noch
außerhalb der Städte leben, ist von ständiger
Unsicherheit geprägt. Sie sind auf gesicherten Landbesitz
angewiesen, um ihre stark an die Natur angepasste Lebensweise
aufrechterhalten zu können. Doch der Prozess, die
indianischen Anspruchsverfahren abzuwickeln, verläuft sehr
schleppend. Zwar hatte eigentlich der Prozess der Demarkierungen
des indianischen Landes laut Verfassung bis 1993 abgeschlossen
sein müssen, aber laut UN-Berichterstatter Diène war
dies bis Ende 2005 nur bei 37 % der Verfahren tatsächlich
der Fall. Im Durchschnitt sechs Demarkationsverfahren pro Jahr
hatte die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva seit
2003 in Angriff genommen, mehr als 200 weitere Verfahren sind
noch gar nicht begonnen worden.
Doch auch gesicherter Landbesitz schützt nicht vor
Willkür. So erkannte die FUNAI 1967 den Tupinikim und
Guarani 18.070 Hektar Land im Bundesstaat Espirito Santo zu, der
nördlich von Rio de Janeiro an der Küste Brasiliens
liegt. Wirklich nutzen können die Indianer nur 7.061 Hektar.
Die übrigen 11.009 Hektar hält das Unternehmen Aracruz
Celulose besetzt. Es nutzt in Espirito Santo insgesamt 150.000
Hektar Land für den Anbau von Eukalyptus-Monokulturen
für die Herstellung von Zellstoff. Seit Mai 2005 warten die
Indianer nun darauf, dass der Justizminister Brasiliens ihnen
auch diese restlichen 11.009 Hektar Land durch ein
Demarkationsgesetz endgültig zuerkennt. Vier
Expertenkommissionen der FUNAI haben in den vergangenen zehn
Jahren festgestellt, dass dieses Land seit alters her von den
Tupinikim und Guarani genutzt wird. Studien der FUNAI beweisen,
dass das physische und kulturelle Überleben der Indianer von
der ungestörten Nutzung dieses Landes abhängt. Doch die
Aracruz Celulose will es nicht wieder herausgeben und hat bei der
FUNAI Protest gegen die Demarkierung des Gebiets eingelegt.
Hauptabnehmer von Aracruz ist der US Konzern Procter and Gamble
(P&G), der zum Beispiel Tempo-Taschentücher, Babywindeln
oder Toilettenpapier herstellt, auch mit Zellstoff aus
Brasilien.
Die Bedrohung der Tupinikim und Guarani Indianer durch die
Zunahme der Eukalyptus-Monokulturen auf ihrem traditionellen Land
war Thema einer Tagung in der Hafenstadt Vitória am 1.
Juni 2006, die mit der "Erklärung von Vitória"
endete. Diese Erklärung fordert von der Regierung, die
Artikel 231 und 232 der Verfassung von 1988 einzuhalten, in denen
auf die Rechte der indigenen Einwohner des Landes Bezug genommen
wird, und sich an die Regularien der Konvention Nr. 169 der ILO
zu halten. Die "Erklärung von Vitória" fordert
außerdem, dass der Justizminister Brasiliens die
Demarkation des Indianerlandes ohne weitere Verzögerung
besiegelt und dass die FUNAI ihren eigenen Studien folgt und sich
eindeutig auf die Seite der Indigenen stellt. Die Gesellschaft
für bedrohte Völker (GfbV) hat diesen Aufruf
unterstützt und hat im Sommer eine E-Mail-Kampagne mit
diesen Forderungen über ihren Newsletter und die
GfbV-Website gestartet. Unter Präsident Lula da Silva, der
im Oktober 2002 zum Präsidenten Brasiliens gewählt
wurde und als großer Hoffnungsträger für die
benachteiligten Bevölkerungsgruppen galt, hat sich die
Situation der Ureinwohner Brasiliens nicht wesentlich verbessert.
Ganz im Gegenteil belegt ein Bericht des Indianermissionsrates
CIMI, der wichtigsten Menschenrechtsorganisation Brasiliens
für die indigenen Völker, dass Landkonflikte seit 2003
wieder zunehmen www.cimi.org.br. Kam es 2003
noch zu 26 gewaltsamen Landkonflikten, so waren es 2004 schon 41
und allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 bereits 31
Fälle. Schwerpunkt war der Bundesstaat Mato Grosso do Sul,
der an Paraguay und Bolivien grenzt. Holzfäller, Reisbauern
und Großgrundbesitzer dringen hier illegal in das
Indianerland ein. Tragisch ist das Schicksal der
Guaraní-Kaiowà in diesem Bundesstaat. Sie waren
traditionell Nomaden und leben heute auf kleinen Flecken Land,
oft am Rande von Straßen und manchmal auch mit anderen
Ureinwohnergruppen auf deren bereits demarkiertem Land. Sie sind
es nicht gewohnt, zusammengedrängt auf einem kleinen
Stück Land zu sein, das sie außerdem noch nicht einmal
ernähren kann. Viele Männer müssen deshalb
außerhalb der Ortschaften Arbeit suchen. Manche
Guaraní-Kaiowà halten dieses Leben nicht aus und
begehen Suizid. 2003 waren es 22, 2004 dann 18 und 2005 suchten
schon 28 von ihnen Zuflucht in der Welt der Ahnen, im "Land ohne
Sünde", wie sie es nennen.
Auffällig hoch ist auch die Zahl der Morde an
Angehörigen indigener Völker. 38 Indianer wurden im
Jahr 2005 gewaltsam zu Tode gebracht, 28 von ihnen in Mato Grosso
do Sul. Ein anderes Beispiel sind die Xukuru in Pernambuco,
nördlich von Bahia an der Küste gelegen. Sie hatten, so
UN-Berichterstatter Diène, große Probleme, die
Anerkennung ihres Landtitels durchzusetzen, weil ihr Land wegen
seiner Schönheit auch das Interesse von Investoren auf sich
zog. 1998 wurde der Führer der Xukuru ermordet. Auch sein
Sohn und Nachfolger erhielt Morddrohungen und entging 2003 nur
knapp einem Anschlag, bei dem zwei seiner Freunde getötet
wurden. Trotz Intervention der Interamerikanischen Kommission
für Menschenrechte wurde nichts zu seinem Schutz
unternommen. Der UN-Sonderberichterstatter traf mehrfach mit
indianischen Gemeinschaften zusammen, die existentiell bedroht
waren und trotzdem vergeblich die FUNAI um Hilfe für die
Rückgewinnung ihres Landes baten. Noch zehrt die Regierung
Brasiliens von einem liberalen Image, das die Verfassung oder die
Tatsache, dass Brasilien die ILO Konvention 169 ratifizierte, zu
bestätigen scheinen. Die Realität hält diesem
schönen Schein jedoch nicht stand.
Chile: Mapuche ohne Rechte - Indianische Führer werden zu "Terroristen" gemacht [ oben ]
Die Mapuche, die mit rund 1,3 Millionen Angehörigen fast
zehn Prozent der 15,8 Millionen Einwohner Chiles stellen,
kämpfen um ihr Land, das sie Jahrhunderte lang
gemeinschaftlich und nachhaltig genutzt haben. Sie sind das
größte der indigenen Völker Chiles. Ende des 19.
Jahrhunderts wurde ihr Land mit der Entstehung der Staaten Chile
und Argentinien in mehr als 3.000 kleine Reservate aufgeteilt.
Durch die Landreform unter der Regierung Salvador Allende
(1970-1973) hatten sie zwar 700.000 Hektar zurückerhalten.
Doch nach dem Putsch von Diktator Augusto Pinochet, der Chile
zwischen 1973 und 1989 regierte, wurden sie meist wieder
enteignet. Wo ihre Urwälder einst wuchsen, pflanzen heute
Großunternehmer in Holzplantagen schnell wachsende
Bäume wie Kiefern und Eukalyptus vor allem für die
Zellstoffindustrie an. Beides sind keine einheimischen Arten.
Gerade Eukalyptus verbraucht viel zu viel Wasser, schädigt
die Böden, senkt den Grundwasserspiegel und führt
letztlich zur Erosion.
Inzwischen befinden sich alle Plantagen und 70% der Urwälder
in privatem Besitz. Die beiden Konzerne Arauco S.A. und EMPRESAS
CMPC S.A., zu 55% im Besitz der Industriellenfamilie Matte, sind
für 47% des Holzeinschlages verantwortlich. Arauco ist dabei
auch über seine Tochterfirma Mininco bekannt. Klein- und
Mittelbetriebe spielen kaum eine Rolle. "Das Vorgehen der
Forstwirtschaft und des Staates stellt eine klare Verletzung der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Mapuche
dar", meinte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen
für indigene Belange, Rodolfo Stavenhagen in seinem Bericht
nach einem Besuch Chiles 2003. Mapuche, die sich gegen den
Landraub wehren, werden kriminalisiert. Einige ihrer
Wortführer wurden nach dem umstrittenen
Anti-Terrorismusgesetz (Ley 18.314) zu hohen Geld- und
Haftstrafen verurteilt. Die im Januar 2006 gewählte
Präsidentin Chiles Michelle Bachelet, bezeichnete im
Wahlkampf eine Besserstellung der indigenen Völker Chiles
ausdrücklich als eines ihrer wichtigsten Vorhaben. Doch auch
sie hat bislang weder das auch von internationalen
Menschenrechtlern heftig kritisierte Anti-Terrorismusgesetz
abgeschafft oder wenigstens mit dem Mechanismus einer vorzeitigen
Entlassung auf Bewährung versehen, noch den Ureinwohnern
Chiles durch Ratifizierung der Konvention 169 der International
Labour Organisation endlich Grundrechte und Verfassungsrang
gegeben.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) setzt sich
seit langem für Mapuche ein, die nach Ley 18.314 als
Terroristen verurteilt und inhaftiert wurden. Sie fordert, dass
das Gesetz abgeschafft, alle auf seiner Grundlage gegen Mapuche
gefällten Urteile überprüft und die Verurteilten
unverzüglich freigelassen werden müssen. Vier von ihnen
- Patricia Troncoso Robles (36), Patricio Marileo Saravia (31),
Jaime Marileo Saravia (27) und Juan Carlos Huenulao Lienmil (39)
- erhielten eine Strafe von je zehn Jahren Haft und enorm hohe
Geldstrafen von mehr als 400 Millionen Chilenischen Pesos (ca.
620.000 Euro), die auf die oft bitterarmen Mapuche zynisch wirken
müssen. Damit werden sie zum Beispiel für
Sachbeschädigungen bei Holzkonzernen bestraft, wenn bei
Landbesetzungen Holzstapel in Brand gesetzt oder Forstmaschinen
sabotiert werden. Die Schuld ist den Angeklagten in der Regel
nicht nachzuweisen. Verurteilt werden sie dennoch, denn das
Anti-Terrorismusgesetz erlaubt die Verwendung so genannter
"gesichtsloser", d.h. anonymer Zeugen, deren Aussagen von der
Verteidigung nicht überprüft werden können. Die
Anonymität von Zeugen fördert zudem das
Denunziantentum. Ein Recht auf Dolmetscher für ihre Sprache
Mapudungun haben die Mapuche vor Gericht nicht. Ein fairer
Prozess nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit ist so kaum
möglich.
Am 13. März 2006 begannen Patricia Troncoso Robles, die
Brüder Patricio und Jaime Marileo Saravia sowie Juan Carlos
Huenulao Lienmil einen Hungerstreik, um auf ihre verzweifelte
Lage aufmerksam zu machen und eine Überprüfung ihrer
Urteile zu erreichen. Die GfbV unterstützte diese Forderung
mit einem Aufruf an die ca. 5.000 Abonnenten unseres E-Mail
Newsletters, sich bei Präsidentin Bachelet für die vier
Gefangenen zu verwenden, bat die Ministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie
Wieczoreck-Zeul, die Deutschland bei der Amtseinführung der
Präsidentin Chiles vertrat, und Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier bei dessen Antrittsreise nach Chile um
ihre Intervention.
Die große weltweite Aufmerksamkeit, die dieser
Hungerstreik bewirkte, führte dann immerhin dazu, dass der
gerade ernannte Innenminister Chiles, Andrés Zaldivar
Larrain, im Frühjahr 2006 öffentlich erklärte, in
Zukunft werde das Gesetz 18.314 nicht mehr in Verfahren gegen
Mapuche angewendet. Aber die bereits bestehenden Urteile wurden
nicht geprüft. Die Verurteilten blieben in Haft und setzten
deshalb ihren Hungerstreik fort. Erst nachdem eine nach ihrem
Vorsitzenden, dem Abgeordneten Alejandro Navarro, benannte
Kommission, der auch vier Mapucheführer angehören,
einen Gesetzesvorschlag einbrachte, der das Ley 18.314 um die
Möglichkeit erweitern soll, Verurteilte vorzeitig auf
Bewährung zu entlassen, brachen die vier Mapuche den
Hungerstreik bis auf weiteres ab. Völlig entkräftet
wurden sie in ein Krankenhaus in Temuco eingeliefert. Dort wurden
sie auch von GfbV-Repräsentant Vicente Mariqueo betreut, der
sich dafür einsetzte, dass die vier Mapuche von einem Arzt
ihres Vertrauens betreut werden konnten. Mariqueo ist selbst
Mapuche, überlebte die Pinochet- Diktatur im Exil in
Großbritannien und baut in Temuco im Herzen des
Mapuchelandes derzeit ein Büro für die GfbV auf.
Auf das Ley Navarro setzen die vier Gefangenen nun alle
Hoffnungen, endlich in Freiheit zu kommen, doch die Debatte hat
sich festgefahren. Mittlerweile sind zwei Monate vergangen und
das Gesetz ist noch immer nicht verabschiedet. So scheint es nur
eine Frage der Zeit, bis Patricia Troncoso Robles, Patricio
Marileo Saravia, Jaime Marileo Saravia und Juan Carlos Huenulao
Lienmil den Hungerstreik wieder aufnehmen und die Mapuche in
Chile wieder mit Solidaritätsdemonstrationen auf die
Straße gehen, wie sie es im Frühjahr 2006 bereits
gemacht haben.
Zentralafrika: Pygmäen werden wie "Untermenschen" behandelt [ oben ]
250.000 Angehörige indigenen Völker in den
zentralafrikanischen Ländern werden unter der abwertenden
Bezeichnung "Pygmäen" zusammengefasst. Batwa, Efe, Mbuti,
Baka und andere Gruppen leben in den heutigen Grenzen der
Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo, in Gabun,
Kamerun, Ruanda, Burundi, Uganda und der Zentralafrikanischen
Republik. Durch die massive Abholzung der Wälder, in denen
sie seit Tausenden von Jahren als Jäger und Sammlerinnen
einer halbnomadischen Lebensweise nachgegangen waren, sind die
Pygmäen vielerorts ihrer Lebensgrundlage beraubt und
vertrieben worden. Die Jagd ist traditionell der Aufgabenbereich
der Männer, das Sammeln von Nahrung derjenige der Frauen.
Den Mehrheitsgesellschaften gelten sie als "Untermenschen", und
sie werden diskriminiert und ausgebeutet. Gleichzeitig werden sie
- z.B. bei Gesundheitsversorgung und Schulbildung -
vollständig ignoriert. Als ärmste und verletzlichste
gesellschaftliche Gruppen sind sie Gewalt und Krieg in besonderem
Maße ausgesetzt. Von vielen Regierungen werden Pygmäen
noch nicht einmal als Staatsbürger anerkannt.
Die indigenen Jäger und Sammlerinnen-Kulturen
Zentralafrikas gehören seit Tausenden von Jahren zum
Regenwald. Er ist die unersetzliche Grundlage ihrer Lebensweise.
Doch die zentralafrikanischen Wälder werden massiv von
transnationalen Konzernen, wie dem deutsch-schweizerischen
Konzern Danzer (Reutlingen) und dem deutschen Unternehmen
Feldmeyer (Bremen), der niederländischen Wijma Firma und den
französischen Konzernen Rouchier, Thanry und Becob
abgeholzt. Der Großteil des Holzes wird nach Europa
exportiert. Durch diesen Kahlschlag sind die meisten Pygmäen
vertrieben worden und leben heute ohne eigenes Land und ihrer
ursprünglichen Lebensweise entfremdet, an den Rand der
Gesellschaft gedrängt. Auch wo Naturschutzparks und
Reservate eingerichtet worden sind, ist der Schutz der
Ureinwohnerinnen und Ureinwohner nicht berücksichtigt
worden. So sind die letzten heimlich als Jäger und
Sammlerinnen lebenden Batwa, bzw. Twa in Ruanda in den 90er
Jahren aus ihren Wäldern vertrieben worden, als der Parc des
Volcans in Ruhengeri und der Gishwati National Forest in Gisenyi
zu Reservaten und Nationalparks erklärt wurden. Auch als der
Nyungwe National Forest in Cyangugu 1998 in einen Nationalpark
und ein Militärgebiet verwandelt wurden, mussten die Batwa
das angestammte Land verlassen, ohne in irgendeiner Weise
entschädigt oder unterstützt zu werden. Seitdem leiden
sie unter extremer Armut, leben als Bettler, vom Verkauf ihrer
Töpferwaren oder verdienen sich ihren Unterhalt in der
Landwirtschaft. Etwa 33.000 Batwa-Pygmäen leben heute in
Ruanda und bilden damit die dritte und kleinste
Bevölkerungsgruppe des Landes. "Unsere Rechte wurden
missachtet. Die Twa wurden immer ohne Entschädigung aus
ihrer natürlichen Umwelt vertrieben. Wir haben keine Bildung
erhalten. Unsere Kultur ist bedroht," erklärt Kalimba
Zephyrin, Sprecher der Batwa-Organisation "Communauté des
Autochtones Rwandais" (CAURWA).
Durch den Genozid in Ruanda 1994 hat sich die Lage der Batwa
zusätzlich extrem verschlechtert. Ein Drittel der Batwa hat
die Massaker nicht überlebt. Doch sie werden nicht einmal
als Opfer wahrgenommen. Für die ruandische Regierung gibt es
keine Minderheiten oder indigenen Völker. Sie argumentiert,
auf diese Weise "Divisionismus" und eine mögliche "Ideologie
des Genozids" verhindern zu wollen. Entsprechend hat die
Regierung die 1995 gegründete Batwa-Organisation CAURWA
nicht offiziell registriert. Für sie widerspricht deren
politische Arbeit als explizit "indigene", bzw.
Batwa-Organisation der Verfassung und wird als Straftat
angesehen. Das hat dazu geführt, dass die Batwa von
staatlichen Programmen und Projekten ignoriert wurden. Sie sind
von jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens und der
politischen Teilhabe ausgeschlossen, die nur unter Hutu und Tutsi
aufgeteilt wird. CAURWA geht daher davon aus, dass nur ein
Politikwechsel, der die Batwa als indigene Minderheit anerkennt,
ihre Situation verbessern kann. CAURWA setzt sich vor allem
für eine stärkere politische Selbstbestimmung der Batwa
ein. Außerdem geht es der Organisation darum, neue
sozio-ökonomische Möglichkeiten zur Bewältigung
der neuen Lebensbedingungen zu schaffen.
In allen acht Ländern werden Pygmäen-Gruppen mit einer
starken gesellschaftlichen Stereotypisierung als
rückständige, unzivilisierte Unter-Menschen belegt. Oft
ist es gesellschaftlich nicht akzeptiert, dass sie mit den
Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaften zusammen essen oder auch
nur in ihrer Nähe sitzen. Neben dieser Diskriminierung und
Segregation bleiben den Pygmäen z.B. in Ruanda, der Republik
Kongo und der Demokratischen Republik Kongo grundlegende
politische und zivile Rechte vorenthalten. Die meisten
Pygmäen sind noch nicht einmal als Staatsangehörige
anerkannt. In der Verfassung bleiben sie gänzlich
unerwähnt. "Obwohl die Pygmäen diejenigen sind, die am
längsten im Kongo leben, hat nie eine Zählung
stattgefunden, um ihre Anzahl zu erfahren. Sie haben weder
Personalausweise noch Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunden
bekommen.", kritisiert Dieudonnée Kapupu Diwa Mutimanwa
der Pygmäen-Dachorganisation "Ligue Nationale des
Associations Autochtones Pygmèes du Congo" LINAPYCO
(Nationales Bündnis Indigener Pygmäen-Organisationen in
der Demokratischen Republik Kongo). Damit haben sie nur wenige
Möglichkeiten, sich gegen Gewalt und Unrecht zu verteidigen.
Die Kriege in Zentralafrika führen zu massiver Gewalt gegen
die indigenen Minderheiten in dieser Region. Die etwa 150.000
Batwa und Bambuti in der Demokratischen Republik Kongo sind durch
die Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen v.a. in
den östlich gelegenen Provinzen Ituri, Süd-Kivu und
Nord-Kivu Ermordungen und Vergewaltigungen ausgesetzt. Bambuti,
die tief im Wald in Ituri den marodierenden Rebellengruppen und
der Ausbeutung ausgeliefert sind, werden sogar Opfer von
Kannibalismus durch MLC-Soldaten (Milizen der größten
Rebellengruppe). In Ituri gibt es ein großes Vorkommen an
Coltan und Gold. Im Kahuzi-Biega-Nationalpark in Kivu, wo Coltan
abgebaut wird, werden die Batwa teils aus dem Park vertrieben,
teils arbeiten sie unterbezahlt bei der Gewinnung des
Rohstoffes.
Den Selbstorganisationen in den verschiedenen Ländern geht
es zum einen darum, das gnadenlose Abholzen ihrer Wälder und
die Vertreibungen aus ihrem Lebensraum, z.B. mittels der
Anerkennung ihrer Landrechte, zu stoppen; zum anderen muss die
aktuelle Situation, verbessert, und z.B. Zugang zu Bildung,
Gesundheitsversorgung und neuen Einnahmequellen geschaffen
werden. Um ihre Menschenrechtssituation und ihre Stellung in der
Gesellschaft zu verbessern, müssen die Pygmäen
verfassungsrechtlich als Minderheit anerkannt und muss ihr
Minderheitenschutz gewährleistet werden. Als
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sollen Batwa an
politischen Entscheidungsprozessen teilhaben. Sie sollen Akteure
ihrer eigenen gesellschaftlichen und ökonomischen
Entwicklung werden. Ihre soziokulturellen Institutionen
müssen entsprechend gefördert werden. Den von ihrem
Land vertriebenen Frauen und Männern muss ein entsprechendes
Stück Land zur Entschädigung zur Verfügung
gestellt werden. Ihnen soll die Möglichkeit eröffnet
werden, unter adäquaten Bedingungen ihr Leben fortsetzen zu
können. Batwa- Land soll offiziell registriert werden, um
erneute Landvertreibungen in der Zukunft zu verhindern.
Indigene Organisationen:
La Communaute des Autochtones du Rwanda
(CAURWA), P.O. Box. 3809 Kigali, Rwanda
Tel.: 00 250 77 640, E-Mail: heritiers@yahoo.com, www.heritiers.org/caurwacartedevisiteangl.html
(englisch, französisch).
Ligue Nationale des Associations Autochtones Pygmees du
Congo, Avenue Kwango n. 7, B.P. 10306 Kinshasa 1,
Kinshasa- Kintambo, Republique Democratique du Congo
Tel.: 0024 39866 8491, Email: linapyco@yahoo.fr.
Mali und Niger: Nomaden vom Hunger bedroht [ oben ]
3,5 Millionen Tuareg- und Peulh-Nomaden leben in Niger und Mali. Periodisch auftretende Hungersnöte, Überweidung und Vernichtung ihrer Viehherden, Konflikte um Land- und Weiderechte mit Bauern, Verelendung und mangelnde Unterstützung durch die Behörden bedrohen das Fortbestehen der Nomadengesellschaft. Für viele unter anhaltender Trockenheit leidende Regionen ist die nomadische Lebensweise die einzige Wirtschaftsform, die ökologisch vertretbar ist und die Böden nicht langfristig zerstört. Die große Flexibilität der Nomaden und geringe Kosten für die Unterhaltung der Herden waren lange vorteilhaft für den Ausbau dieses Wirtschaftszweiges. Weltweit wird ein Viertel allen Landes noch heute von Nomaden genutzt, deren 20 Millionen Haushalte 10 Prozent der globalen Fleischproduktion erzeugen. Doch wachsende Hygiene-Anforderungen, eine zurückgehende Nachfrage nach Milchprodukten und zunehmende Konkurrenz durch Billigfleisch-Importe aus Industrieländern bedrohen die Lebensgrundlage der Nomaden.
Zehntausende Tuareg- und Peulh-Nomaden standen nach der
Hungerkatastrophe vom Sommer 2005 vor dem Nichts. In manchen
Regionen Nigers waren 80 Prozent ihrer Tiere entweder aufgrund
der Dürre verendet oder mussten notgeschlachtet werden.
Besonders dezimiert wurden die Schafherden, die den
größten Teil ihres Viehbestandes bildeten. Denn die
Schafe gingen elendig beim Wiederkäuen zugrunde, da sie mit
dem sehr kurz gewachsenen Gras auch Sand zu sich nahmen, den sie
nicht vertragen. Widerstandsfähiger waren hingegen die
Kamel- und Ziegenherden. Die Notschlachtung vieler Tiere
führte zu einem Preisverfall auf den Viehmärkten, so
dass die Nomaden mit den geringen Erlösen nicht ausreichend
Nahrungsmittel für die kommenden Monate kaufen konnten. Denn
auf den Märkten waren auch die Preise für Hirse und
andere Nahrungsmittel aufgrund des geringen Angebots und von
Spekulation drastisch gestiegen.
"Wir hatten nichts mehr zu essen, aber mit diesen Gutscheinen
können wir nun wieder Reis und Öl bekommen",
erklärte Djoda Horty. Die alte Viehzüchterin vom Volk
der Peulh hatte wie viele in ihrem Dorf Oumdou Bammo fast ihr
gesamtes Vieh verloren. Die 60jährige war zu
geschwächt, um im Austausch für die Gutscheine zu
arbeiten. Doch jüngere Viehzüchter in ihrem Dorf
arbeiteten in so genannten "Nahrung für Arbeit"- Programmen
der Hilfsorganisation OXFAM. So beseitigten sie die Kadaver
verhungerter Tiere, bauten Feuerschneisen, um ihr Weideland vor
Bränden zu schützen oder engagierten sich in
Umweltschutzprojekten. Ohne Hilfe konnten die Nomaden im Sommer
2005 nicht überleben. Doch die humanitäre
Unterstützung hatte auch ihre Kehrseite: So wurden
Viehzüchter, die traditionell stolz auf ihre wirtschaftliche
Unabhängigkeit waren, zu Bittstellern internationaler
Nahrungsmittelhilfe. Der Verlust ihrer Viehherden zerstörte
somit nicht nur die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Nomaden,
sondern auch ihre traditionelle Kultur und Lebensform.
Nach den großen Dürrekatastrophen im Sahel der Jahre
1973/74 und 1984/85 mussten die Nomaden schon einmal um ihre
Existenz bangen. Damals hatten die Tuareg jahrelang vergeblich
auf angekündigte Hilfsprogramme gewartet und sich
schließlich im Frühjahr 1990 mit Waffengewalt gegen
die Regierungen des Niger und Malis erhoben. Angesichts der
Verelendung und mangelnder staatlicher Hilfe erhoben sich die
Tuareg im Norden Malis im Mai 2006 erneut. Dank der Vermittlung
Algeriens konnte der Konflikt schnell beigelegt werden, so dass
die Regierung Malis am 3. Juli 2006 mit den Aufständischen
ein Abkommen schloss, in dem sie dem Norden des Landes
größere Hilfe zusicherte.
Auch im Sommer 2005 kam die Hilfe für die Hungernden im
Sahel nur schleppend in Gang. Dabei war es eine angekündigte
Tragödie: Hilfsorganisationen hatten schon im Herbst 2004
vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit gewarnt. Als
Journalisten im Frühjahr 2005 auf die drohende Katastrophe
aufmerksam machten, warf ihnen die Regierung des Niger Panikmache
und Verbreitung von Lügen vor. Journalisten wurden entlassen
und gemaßregelt. Selbst auf dem Höhepunkt der
Tragödie, leugnete Staatspräsident Mamadou Tandja noch
öffentlich die Vorgänge. Dabei ist seine Regierung mit
ihrer verfehlten Agrar- und Wirtschaftspolitik mitverantwortlich
für das Ausmaß der Hungersnot.
Tuareg-Organisationen forderten neben der Einrichtung von
Getreidedepots spezielle Förderprogramme für die
Nomaden. So sollen die Viehzüchter kostenlos Futter für
ihre verbliebenen Herden zur Verfügung gestellt bekommen,
der Aufkauf von geschwächten Tieren soll finanziert und der
Aufbau neuer Herden gefördert werden. Einige
Hilfsorganisationen haben die Appelle der Tuareg aufgegriffen und
besondere Programme zu ihrer Förderung entwickelt. Sie
warnen vor den Langzeitfolgen des Herdenverlusts, denn damit
büßten die Nomaden auch ihre gesamten Ersparnisse ein,
so dass sie nun von der Hilfe ihrer Mitbürger und des
Auslands abhängig sind. Daran hat sich auch ein Jahr nach
der Hungerkatastrophe nichts geändert, denn der Aufbau neuer
Viehherden nimmt Jahre in Anspruch.
Australien: Howard-Regierung setzt Entmündigung der Aborigines fort [ oben ]
Die meisten der etwa 500.000 Angehörigen der indigenen
Völker Australiens, d.h. der Aborigine und Torres Strait
Islander, werden durch die aktuelle Regierungspolitik immer
stärker in die Rolle von Bittstellern gedrängt, die am
Rande der weiß dominierten Gesellschaft in einer
alarmierenden sozialen Situation leben. Ihr Alltag ist
gekennzeichnet von gesundheitlichen Problemen, Sucht und
häuslicher Gewalt. Alkoholmissbrauch oder Schnüffeln
von Benzin oder Klebstoff sind verbreitet. Die Lebenserwartung
der Ureinwohner liegt 17 Jahre unter derjenigen der
Bevölkerungsmehrheit. Es mangelt ihnen an Bildung und
Arbeit. Der Rassismus gegenüber den Ureinwohnern spiegelt
sich auch in einem überproportional großen Anteil an
indigenen Gefängnisinsassen und in Konflikten um Uranabbau
und andere wirtschaftliche Nutzung des Landes, das für sie
von zentraler religiöser Bedeutung ist, wider. Das
staatliche Vorgehen gegen die Identität, Selbst-Vertretung,
die eigenen Institutionen und politische Selbstbestimmung der
Ureinwohner hat 2005 mit der Auflösung des halbstaatlichen
indigenen Selbstverwaltungsorgans "Aboriginal and Torres Strait
Islanders Commission" (ATSIC) einen aktuellen Höhepunkt
gefunden.
15 Jahre lang verfügten die Aboriginal Australians mit der
ATSIC über eine selbst gewählte und selbstverwaltete
politische Vertretung. Dabei hatten viele Aborigines selbst
Reformbedarf bei der ATSIC gesehen, doch statt mit ihnen zusammen
notwendige Schritte zu deren Umgestaltung einzuleiten, schaffte
die Regierung die Kommission kurzerhand ab. Nun wird nicht mehr
von indigener Seite, sondern von den durch die Regierung
eingesetzten Institutionen - v.a. durch das National Indigenous
Council (NIC) auf nationaler sowie die Indigenous Cooperation
Centres (ICC) auf regionaler Ebene - über die Indigenen und
ihre Angelegenheiten verfügt. Einmal mehr zum Verstummen
gebracht, finden die Aboriginal People mit dem Ende der ATSIC
ihre Hoffnung auf eine selbstbestimmte, verbesserte
Lebenssituation enttäuscht. Die paternalistische Behandlung
der indigenen Bevölkerung durch die Regierung setzt sich
fort.
Die verschiedenen Untersuchungen von Regierung, Wissenschaft und
indigenen Organisationen zur Situation der Aboriginal People
kommen zum gleichen Ergebnis: Die Lebensverhältnisse der
Ureinwohner sind im Vergleich zu denen der
Bevölkerungsmehrheit ungleich schlechter.
Aborigine-Organisationen haben wiederholt auf den doppelten
Standard im australischen Gesundheitswesen und die aufgrund der
Armut schlechte Ernährung hingewiesen, die sich in der
alarmierend niedrigen Lebenserwartung und der hohen
Kindersterblichkeit widerspiegelt. Zwei- bis viermal so viele
Aborigine-Babys als im Landesdurchschnitt sterben bei der Geburt.
Viele Kinder leiden unter Krankheiten, die auf eine unzureichende
Ernährung zurückzuführen sind. Die
Arbeitslosigkeit ist in Aborigine-Gemeinden dreimal so hoch wie
die der dominanten Gesellschaft, und in ländlichen Gebieten
sind ganze Gemeinden von staatlicher Hilfe abhängig.
Alkoholismus und andere Suchterkrankungen sind weit verbreitet.
Angemessene Wohnbedingungen bleiben angesichts grundlegender
Mängel in Grundversorgung und Infrastruktur sowie einer
20fach höheren Obdachlosenrate für viele unerreichbar.
In Zentralaustralien ist Mord die häufigste Todesursache von
Aborigine-Frauen, welche ebenso wie die Kinder stark von
häuslicher Gewalt betroffen sind.
Im Juni 2006 entbrannte eine Diskussion um die soziale Misere
und die erschreckend hohe Gewaltrate in den Aborigine-Gemeinden.
Statt sie als Folge einer mehr als 200jährigen gewaltvollen
Geschichte zu begreifen, in der die Ureinwohnerpolitik
Australiens auf die Zerstörung der Identität der
Aboriginal People ausgerichtet war, sieht die amtierende
liberal-konservative Regierung unter John Howard die Ursache der
gravierenden sozialen Situation jedoch zynisch in der Kultur der
Aborigines selbst. Entsprechend plädiert der
Gesundheitsminister Tony Abbott für einen "neuen
Paternalismus" gegenüber den Ureinwohnern. Es sei an der
Zeit, so Abbott, dass die Regierung die Kontrolle in den
indigenen Gemeinden ausübe. So plane sie nun, Verwalter
einzusetzen, um die indigenen Gemeinden zu beaufsichtigen. Diese
Sichtweise auf Gewalt und soziale Ungleichheit vertauscht Ursache
und Wirkung. Die Regierung bevormundet die Aborigines statt die
gravierenden Fehler und Versäumnisse ihrer Indigenenpolitik
einzugestehen und mit den Aborigines gemeinsam Wege zu finden,
wie sie selbst mehr Verantwortung für ihr Leben
übernehmen können. Der paternalistische Weg der
Regierung ruft die Erinnerungen der Aborigines an die Praktiken
der christlichen Missionare und andere Assimilierungs- und
Entmündigungsstrategien ihrer Geschichte wach. Sogar die
Idee, Kinder aus Gemeinden mit hoher Gewaltrate zu entfernen,
kreist in Regierungsreihen. Doch die herrschende Ausweglosigkeit,
die strukturelle und direkte Gewalt in den
Ureinwohnergemeinschaften, ist auch auf die Traumatisierungen der
"Stolen Generations" zurückzuführen.
Etwa 100.000 Aborigine-Kinder sind zwischen 1910 und 1970 aus
ihren Familien und Gemeinden gerissen worden, um sie in
staatlichen und missionarischen Institutionen zu assimilieren und
sie über die Generationen zu "Weißen" 2. Klasse, zu
Dienstboten in Haushalt und Landwirtschaft, zu erziehen. Viele
von ihnen waren nicht einmal fünf Jahre alt, als sie ihren
Familien weggenommen wurden. Neben dieser psychischen Gewalt
erlitten die meisten Kinder auch physischen und sexuellen
Missbrauch, dessen Traumata sich von Generation zu Generation
fortsetzen. Noch 2002 berichteten mehr als ein Drittel der
Aboriginal People entweder selbst als Kind verschleppt worden zu
sein oder Verwandte zu haben, denen dieses Schicksal widerfuhr.
Viele dieser Kinder haben ihre Familien niemals wieder gefunden.
Dass heute nur noch 20 Prozent der Aborigines eine ihrer
traditionellen Sprachen sprechen, ist ein sichtbarer Faktor der
erzwungenen Entwurzelung, die Gewalt ein anderer. Empört
reagieren die Aborigines darauf, dass die Howard-Regierung nach
der Abschaffung ihrer politischen Selbstorganisation ATSIC auf
nationaler Ebene nun auch auf lokaler Ebene die Entmündigung
und Entrechtung festschreiben will.
Seit die Howard-Regierung, die 1996 an die Macht kam und seit
2004 sowohl im Unterhaus als auch im Senat die Mehrheit hat,
wurden die Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten der
Ureinwohner - angefangen mit der Einschränkung der
Landrechte 1998 - immer weiter gekappt. Fortschritte im
Versöhnungsprozess ("reconciliation process"), zu dem die
australische Regierung 1991 aufgerufen hatte, und der ein neues
Verhältnis zwischen schwarz und weiß hervorbringen
sollte, wurden mit dem Ende indigener Selbst- Verwaltung im ATSIC
wieder zunichte gemacht. Selbst beim Permanenten Forum für
indigene Angelegenheiten der UN im Mai 2006 hat sich Australien
gegen das Recht der indigenen Völker auf Selbstbestimmung
ausgesprochen. Wirksame Veränderung auf internationaler,
nationaler und lokaler Ebene muss jedoch damit ansetzen, dass die
Aborigines selbst überhaupt gehört und ernst genommen
werden und ihre Interessen selbst vertreten dürfen. Davon
ist Australien weit entfernt.
Aborigine-Organisationen: The Foundation for
Aboriginal & Islander Research Action: www.faira.org.au. Aboriginal
People of the Goldfields Region of Western Australia: www.glc.com.au. Larrakia Nation:
www.larrakia.com. Central
Land Council Northern Territory: www.clc.org.au (Landrechte).
Northern Land Council: www.nlc.org.au.
Indien: Die Ureinwohner der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean sind akut bedroht [ oben ]
Indiens Regierung rühmt sich, die kleinen auf den Andamanen lebenden indigenen Völker ganz besonders wirksam zu schützen. Doch als sich im Frühjahr 2006 eine Masernepidemie unter den 322 Jarawa ausbreitete, wurde deutlich, wie wenig für das Überleben dieser 60.000 Jahre alten Volksgruppe tatsächlich getan wird. Denn wochenlang ignorierten die Behörden alle Warnungen von Hilfsorganisationen und Menschenrechtlern und spielten das Ausmaß der Epidemie herunter. Die in Krankenhäuser eingelieferten Jarawa litten unter "Wärmebläschen", erklärte lapidar die indische Verwaltung. Erst als Mediziner bestätigten, dass es sich wirklich um Masern handelte, entsandte Indien im Mai 2006 Ärzte zu dem von der Vernichtung bedrohten indigenen Volk. Inzwischen wurden mehr als 50 Kinder mit Masern-Symptomen in Krankenhäuser eingeliefert.
Das Archipel der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean besteht aus mehr als 500 Inseln, die von Indien verwaltet werden. Nur 36 der Inseln sind bewohnt. Zu den Ureinwohnern der Andamanen zählen besonders zurückgezogen lebende Gruppen von oft nur wenigen Dutzend Menschen (51 Groß-Andamaner, 322 Jarawa, 99 Onge, 389 Shompen, 100 Sentinelesen), die weltweit als die am meisten bedrohten Völker angesehen werden. Aufgrund ihrer Bedrohung stehen diese Gruppen unter dem besonderen Schutz Indiens. Per Gesetz ist jede Kontaktaufnahme von Fremden mit ihnen untersagt. Auf der Inselgruppe der Nikobaren leben rund 30.000 Nikobaresen, die regen Kontakt zur eingewanderten indischen Bevölkerung unterhalten.
Die indischen Behörden haben nichts gelernt aus der
Erfahrung einer Maserepidemie, die 1999 schon einmal die Jarawa
zu vernichten drohte. Auch damals leugneten die Behörden
zunächst den Ausbruch der Epidemie, an der schließlich
108 Jarawa erkrankten, ein Drittel der Angehörigen dieses
Volkes. Eingeschleppte Krankheiten wie Masern können
für besonders zurückgezogen lebende indigene
Völker lebensbedrohlich sein. In Amazonien gingen zahlreiche
Völker aufgrund solcher eingeschleppten
Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten zugrunde.
Indische Umweltschützer und Ethnologen sind in großer
Sorge um das Überleben der Jarawa. In einem an die
Vorsitzende der Indischen Kongress Partei, Sonia Gandhi,
gerichteten Brief protestieren sie gegen das Eindringen von
Wilderern und Siedlern in die Schutzgebiete der Indigenen. Die
Eindringlinge würden Tabak und Alkohol schmuggeln und im
Gegenzug Sex von den Frauen der Jarawa erwarteten. Nach dem Bau
einer von Umweltschützern und Menschenrechtlern massiv
kritisierten 75 Kilometer langen Straße durch das
Schutzgebiet der Jarawa habe deren Bedrohung deutlich zugenommen.
Obwohl das Oberste Gericht Indiens den normalen Publikumsverkehr
auf dieser Straße im Jahr 2002 untersagt hat, ist sie noch
immer nicht gesperrt worden.
Massive Probleme haben auch die nicht so zurückgezogen
lebenden 30.000 Ureinwohner auf den Nikobaren. Bei der
Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 hatten sie mit mehr als
3.000 Menschen die meisten Opfer unter den Bewohnern der
Inselgruppe zu beklagen. Doch es kam noch schlimmer. Denn eine
verfehlte Wiederaufbaupolitik hat sie nach der Naturkatastrophe
zu Almosenempfängern und Slumbewohnern gemacht. Vergeblich
baten sie um Werkzeuge, weil sie ihre traditionell mit Palmwedeln
und Bambus bedeckten Holzhäuser wieder aufbauen wollten.
Stattdessen wurden sie ohne Rücksprache in
Wellblechhütten gepfercht, die für das Klima nicht
geeignet sind und von den Ureinwohnern abgelehnt werden. Auf
Sitten und Gebräuche sowie auf das traditionelle
Sozialgefüge wird keine Rücksicht genommen. So benutzt
Indien die Naturkatastrophe, um die indigenen Nikobaresen zu
assimilieren. Eine viele Jahrhunderte alte Kultur droht
unterzugehen.
Borneo: Kahlschlag des Regenwaldes gefährdet Penan und andere indigene Völker [ oben ]
In der malaysischen Provinz Sarawak auf der Insel Borneo leben 27 verschiedene ethnische Gruppen. Die Orang Ulu oder Dayak, wie die indigenen Völker zusammenfassend bezeichnet werden, stellen 5,5 Prozent der 2,2 Millionen Bewohner Sarawaks. Zu ihnen gehören unter anderem die Völker der Penan, Punan, Iban, Bidayuh, Kayan, Murut, Kenyah und Kelabit. Bedroht sind diese indigenen Völker durch die fortschreitende Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung ihres Lebensraumes.
Mit Blockade-Aktionen gegen Holzfäller wehren sich
Penan-Ureinwohner seit Ende der 80er-Jahre gegen die
Zerstörung ihres Lebensraumes in der malaysischen Provinz
Sarawak auf der Insel Borneo. Zuletzt am 16. Juni 2006 hatten
Penan in der Region am mittleren Baram-Fluss Blockaden errichtet,
um Holzfäller an der Rodung des Waldes zu hindern. Die
Behörden entsandten daraufhin Polizisten, um die
Verantwortlichen für die Straßensperren zu verhaften.
Am 5. Juli räumten Mitarbeiter eines Holzkonzerns die
meisten gesperrten Strassen frei. Doch einige werden noch immer
von Penan blockiert.
Ein Großteil des Urwaldes ist trotz des Widerstands der
Ureinwohner bereits in den letzten 15 Jahren gerodet worden.
Heute lebt nur noch ein kleiner Teil der rund 10.000 Penan als
Halbnomaden. Die meisten sind nicht zuletzt aufgrund der
fortschreitenden Zerstörung des Regenwaldes sesshaft
geworden, weil ihr Lebensraum immer kleiner wurde. Neben den in
Europa sehr bekannten Penan gibt es noch andere indigene
Völker wie die rund 5.000 Punan, die auch heute noch als
Halbnomaden in Sarawak leben.
Mindestens 2,7 Millionen Hektar Regenwald gingen in den 90er
Jahren durch Rodungen in Malaysia verloren. Damit
büßte das südostasiatische Land in nur einem
Jahrzehnt mehr als 13 Prozent seines Waldbestandes ein. Heute
sind nur noch 20 Prozent der Regenwälder Malaysias
unberührt, so dass der Lebensraum der Halbnomaden stetig
schrumpft. Denn wenn die Wälder sterben, können auch
sie sich auch die Halbnomaden nicht mehr von der Jagd auf
Wildschweine, Affen und Vögel sowie vom Sammeln von
Wildfrüchten ernähren. Traditionell aßen die
Penan weder Gemüse noch Wurzeln, wohl aber Sagomehl, das sie
aus Palmenstämmen gewannen. Nur wenige Wochen hielten sie
sich an einem Ort auf und lebten dort in kleinen Hütten aus
Baumstämmen und Palmblättern, die Windschirmen
ähnelten. Hatten sie in der Umgebung die älteren
Sagopalmen gefällt und die Wildfrüchte geerntet, zogen
sie weiter. Doch die meisten der nun sesshaft gewordenen
Ureinwohner mussten diese traditionelle Lebensweise inzwischen
aufgeben, da es kaum mehr Wildfrüchte gibt und auch der
Wildbestand aufgrund des Kahlschlags der Wälder immer mehr
zurückgeht. So haben die Holzkonzerne nicht nur das
ökologische Gleichgewicht des Regenwaldes zerstört,
sondern auch den indigenen Völkern in Sarawak die
Lebensgrundlage entzogen.
Vertreter von 27-Penan Gruppen aus verschiedenen Regionen
Sarawaks kamen am 19. Mai 2005 in Long Belok zusammen und
verabschiedeten eine gemeinsame Resolution, um auf ihre
alarmierende Lage aufmerksam zu machen. Holzkonzerne würden
rücksichtslos die letzten Urwälder Sarawaks
fällen. Massiv würden die Ureinwohner
eingeschüchtert und bedrängt, um ihren Widerstand gegen
die Rodung ihres Lebensraumes aufzugeben, kritisieren die
indigenen Völker in ihrer gemeinsamen Erklärung. Die
Holzkonzerne setzten ihren Kahlschlag auch in Waldgebieten fort,
die Penan-Nomaden in den Regionen Sungai Bareh und Magoh von den
Behörden offiziell zugesprochen worden seien. Systematisch
missachteten die Holzfirmen malaysisches Recht, doch die
Behörden blieben tatenlos. Stattdessen wäscht der Staat
die Holzkonzerne von jeder Schuld rein und stärkt sogar noch
ihre Stellung, in dem er ihre Bemühungen um eine
fragwürdige Zertifizierung aller Holzexporte aus Malaysia
fördert. Mit dem angestrebten Gütesiegel will der
malaysische Holz-Zertifizierungsrat im Ausland alle Zweifel daran
zerstreuen, dass die großflächigen Rodungen
ökologisch vertretbar sind und mit den Menschenrechten der
indigenen Völker im Einklang stehen. Am 6. Dezember 2005
appellierten 64 Nichtregierungsorganisationen aus 21 Ländern
an die Europäische Union und die europäische
Holzindustrie, die umstrittene Zertifizierung malaysischen Holzes
nicht anzuerkennen.
Anders als viele Penan kämpfen die Kelabit noch immer gegen
das Eindringen von Holzfällern in ihr Siedlungsgebiet. Sie
bewohnen eines letzten Rückzugsgebiete von indigenen
Völkern in Sarawak der im Bario-Hochland am Baram-Fluss.
Doch auch hier wird der Regenwald bald zurückgedrängt
werden, da der malaysische Holzkonzern Samling sich jüngst
eine Konzession für Rodungen von mehreren Millionen Hektar
Wald sicherte.
Diskriminierung und Verfolgung von Vietnams Ureinwohnern hält weiter an [ oben ]
Die 53 ethnischen Minderheiten Vietnams stellen heute rund 12 Millionen Menschen. Manche dieser ethnischen Gruppen umfassen wie die Odu nur 200 Angehörige, andere wie die Tay mehr als 1,5 Millionen. Drei Viertel dieser nicht der Kinh- Mehrheitsbevölkerung Vietnams zugehörigen ethnischen Gemeinschaften leben heute relativ zurückgezogen im Bergland Nordwestvietnams oder Zentralvietnams. Daher bezeichnet man sie seit der französischen Kolonialzeit auch als "Montagnards", Bergbewohner. Ihre Sprachen, Kulturen und Traditionen unterscheiden sich zum Teil sehr voneinander. Doch trotz dieser Vielfalt werden sie von der Mehrheitsbevölkerung oft abschätzig als unterentwickelte "Wilde" (Moi) angesehen.
Zwar bemüht sich die Staatsführung in den
staatlichen Medien den Eindruck zu erwecken, die ethnischen
Minderheiten würden besonders gefördert und
könnten gleichberechtigt am sozialen und politischen Leben
teilnehmen. Doch in Wirklichkeit ist in Vietnam die Armut
nirgendwo größer als unter den Ureinwohnern:
Während 1998 nur 31 Prozent der Mehrheitsbevölkerung
nach amtlichen Statistiken unter der Armutsgrenze lebten, klagten
75 Prozent der Ureinwohner dem Weltentwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen (World Food Programme) zu Folge über
ärmliche Lebensbedingungen. In ihren Siedlungsgebieten fehlt
es an Schulen, Krankenhäusern, Straßen und
Kommunikationseinrichtungen.
Die Analphabetenrate ist vergleichsweise sehr hoch. Angesichts
ihrer fortschreitenden Verarmung, des Landraubes durch
Kaffeebauern und staatliche Entwicklungsplaner, der
Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, der
religiösen Verfolgung und der staatlichen Politik der
Assimilierung wuchs Ende der 90er Jahre die Unzufriedenheit unter
den in den Bergregionen Zentralvietnams lebenden Ureinwohnern.
Die Verzweiflung über ihre wachsende Bedrohung und
Entrechtung entlud sich im Februar 2001 in öffentlichen
Protesten, die sich vor allem gegen den Landraub und die
Verletzung ihrer Religionsfreiheit richteten. Mehr als 200
Ureinwohner wurden verhaftet, viele von ihnen wurden gefoltert.
Kirchen wurden geschlossen, alle öffentlichen
Veranstaltungen untersagt, systematisch wurde das gesamte Gebiet
über Monate von der Außenwelt abgeriegelt. Im Dezember
2002 wurden alle Weihnachtsgottesdienste und andere Treffen der
Ureinwohner im Bergland verboten. Immer wieder wurden Ureinwohner
wegen ihrer Beteiligung an Protesten verhaftet. Viele der
Festgenommenen mussten monatelang auf ihr Gerichtsverfahren
warten, bis sie schließlich in einem unfairen Prozess ohne
unabhängigen Rechtsanwalt unter Ausschluss der
Öffentlichkeit wegen "Bedrohung der nationalen Sicherheit"
oder "illegaler Migration" nach Kambodscha zu langjährigen
Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Am 22. Juni 2006 wurden erneut sechs Montagnards wegen ihrer
geplanten Flucht nach Kambodscha zu Haftstrafen zwischen
fünf und sieben Jahren verurteilt. Im Juli 2006 befanden
sich mehr als 350 Montagnards aus politischen Gründen in
Haft. Während des Oster-Wochenendes 2004 kam es erneut zu
Unruhen. Tausende Indigene forderten in den Provinzen Dak Lak,
Gia Lai und Dak Nong ein Ende der religiösen Verfolgung,
Bewegungsfreiheit und die Anerkennung ihrer Landrechte. Wieder
einmal reagierten die vietnamesischen Sicherheitskräfte mit
unverhältnismäßiger Gewalt. Dutzende Menschen
wurden getötet. Bis heute ist das wahre Ausmaß der
gewaltsamen Niederschlagung der Proteste nicht bekannt, da die
vietnamesischen Behörden beharrlich jede unabhängige
Untersuchung des Vorfalls ablehnen. Neun Ureinwohner wurden wegen
ihrer Beteiligung an den Protesten am 13. August 2004 zu
Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren
verurteilt. Am 22. November 2004 wurden gegen weitere zehn
Ureinwohner wegen der Mitwirkung an den Demonstrationen und
"Gefährdung der nationalen Sicherheit" Haftstrafen von bis
zu zehn Jahren verhängt.
Der Lebensstandard der indigenen Bevölkerung bessert sich
kaum, weil sie aufgrund der Ansiedlung von Millionen
Tieflandbewohnern in ihren Regionen in immer unwirtlichere
Gebiete verdrängt werden. Mehr als zehn Millionen Menschen
wurden seit 1976 von staatlicher Seite in ihren Gebieten
angesiedelt oder ließen sich auf eigene Initiative seither
in der Bergregion nieder. Stellten die Montagnards 1940 noch
einen Bevölkerungsanteil von 99 Prozent in der Region, so
bilden sie heute nur noch knapp 30 Prozent der
Gesamtbevölkerung im Hochland. Angezogen vom Kaffeeboom
haben sich seit 1996 mehr als 400.000 Angehörige der
Mehrheitsbevölkerung Vietnams in der Provinz Dak Lak
niedergelassen. Die traditionell von der Subsistenzwirtschaft
lebenden Bauern werden immer mehr von den neuen Siedlern aus den
Tieflandregionen verdrängt, die sich die fruchtbarsten
Flächen aneignen. Denn Vietnam lässt mit
Unterstützung der Weltbank und internationaler
Geberländer seit den 90er-Jahren in den Hochlandgebieten die
landwirtschaftliche Produktion für den Export ausbauen und
dort riesige Kaffee-, Cashewnuss- und Pfefferplantagen
anlegen.
Das größte Kaffeeanbaugebiet liegt heute in der
Hochland-Provinz Dak Lak im Zentrum des Landes. Die
Anbaufläche für Kaffee hat sich dort von 21.828 Hektar
im Jahre 1975 auf inzwischen 163.000 Hektar Land ausgeweitet. Die
Provinz verdient mit den Exporten täglich 800.000 US-Dollar,
doch nur wenige Cent davon kommen der indigenen Bevölkerung
zugute.
Kaffee zählt zu den zehn wichtigsten Exportgütern
Vietnams. So führte allein Dak Lak 2004 mehr als 320.000
Tonnen Kaffee aus. In den 70er Jahren exportierte ganz Vietnam
6.000 Tonnen Kaffee jährlich, 2004 waren es bereits mehr als
800.000 Tonnen. Vietnam will diesen Ertrag sogar auf eine Million
Tonnen Kaffee steigern. Allein die Kaffee-Ausfuhr brachte Vietnam
im Jahr 2004 Einnahmen von 594 Millionen US-Dollar, eine
Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vietnams
Berglandprovinzen exportieren Kaffee in 59 Staaten. Deutschland
und die USA sind die wichtigsten Absatzmärkte. 47 Prozent
der Kaffeeproduktion Vietnams werden heute in die EU
exportiert.
Der Kaffeeboom hat zu einer schwerwiegenden Schädigung des
ökologischen Gleichgewichts im Bergland Zentralvietnams
geführt. Umsiedler haben mehr als 74.000 Hektar Wald seit
Mitte der 90er Jahre für die Anlage neuer Plantagen gerodet.
Vietnams Wälder weisen eine große Artenvielfalt auf
und beherbergen rund zehn Prozent des Artenreichtums der Welt.
Doch dieses Weltnaturerbe ist massiv bedroht, da allein in den
letzten zehn Jahren die Anbaufläche für Kaffee um 38
Prozent ausgeweitet wurde. Rund 50 Prozent der landwirtschaftlich
genutzten Böden sind ausgelaugt aufgrund von Rodungen,
Erosion und intensivem, die Umwelt schädigenden Anbau.
Außerdem wurde zur kurzfristigen Profitmaximierung
weitgehend darauf verzichtet, die Kaffeepflanzen im Schatten von
Bäumen gedeihen zu lassen. Inzwischen rächt sich dieser
Raubbau an der Natur, da die nährstoffarmen Böden immer
mehr Düngemittel benötigen.
Die Unruhen unter der Urbevölkerung im Jahr 2001 und 2004
machen deutlich, dass die indigenen Völker Vietnams ihre
Marginalisierung nicht länger widerstandslos hinnehmen
werden. Angesichts anhaltender religiöser Verfolgung und der
fortschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlage der
indigenen Völker wird sich die Lage in den Bergregionen
Zentralvietnams erst beruhigen, wenn die Behörden ihnen die
in der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit nicht länger
vorenthalten und die Rechte der indigenen Völker anerkennen.
Insbesondere sollten die Landrechte der Ureinwohner respektiert
werden und der weitere Ausbau der Plantagenwirtschaft sollte nur
in enger Abstimmung mit der indigenen Bevölkerung
erfolgen.