An den Außenminister Italiens Franco Frattini
Bozen, Göttingen, 30. Juni 2003
Sehr geehrter Herr Außenminister,
Italien hat ein halbes Jahr Zeit, mit seiner Präsidentschaft
die EU zu prägen. Wir fordern Sie dazu auf, dies im
positiven Sinne zu tun. In einem Interview mit der in Bozen
erschienen Tageszeitung "il mattino" kündigten Sie an, sich
im EU-Konvent für Minderheitenrechte in der EU-Verfassung
einzusetzen. Sie setzten aber Ihre mediale Ankündigung nicht
um. Im vorliegenden Verfassungsentwurf sind Minderheitenrechte
nicht enthalten. Die GfbV fordert Sie deshalb auf, die
EU-Verfassung nachzubessern. Der EU-Konvent verzichtete trotz
Anhörung des EU-Minderheitenbüros Eblul darauf,
Minderheitenrechte in den Verfassungsentwurf aufzunehmen. Der
bereits in der EU-Grundrechtecharta enthaltene Hinweis auf die
sprachliche Vielfalt und das Diskriminierungsverbot reichen nicht
aus, den sprachlichen Pluralismus in den EU-Staaten und ihren
Regionen zu sichern.
Laut der Studie "euromosaic", erstellt im Auftrag der
EU-Kommission, ergab, dass mehr als die Hälfte der
minderheitlichen Sprachgruppen in der EU in ihrem Bestand bedroht
sind (dies trifft laut "euromosaic" auch auf Italien zu). Das ist
die Folge der bisher betriebenen sprachlichen Diskriminierung und
Ausgrenzung. Zurecht erinnerte Ihr Fraktionskollege Michl Ebner
auf der Studientagung der Europäischen
Volkspartei-Europäische Demokraten (EVP-ED) in Kopenhagen
daran, dass der Konvent die Kopenhagener EU-Aufnahme-Kriterien
aus dem Jahr 1993 nicht berücksichtigt hat. Im
Konventsentwurf fehlt der in den Beitrittskriterien enthaltene
Verweis auf den Schutz der Minderheiten.
Setzen Sie sich dafür ein, dass das Diskriminierungsverbot
die Grundsätze aus der Europäischen
Menschenrechtskonvention, der Charta der Regional- und
Minderheitensprachen und der Rahmenkonvention zum Schutz
nationaler Minderheiten der Europarates übernimmt. Die
meisten EU-Staaten ratifizierten bereits die drei Dokumente des
Europarates.
Die GfbV appelliert an Sie, auch in der Flüchtlingsfrage den
Verfassungsentwurf nachzubessern. Das im vorliegenden Entwurf
vorgesehene Recht auf Asyl ist ein Mindeststandard, der unterhalb
der Genfer Flüchtlingskonvention liegt. Engagieren Sie sich
für ein Asyl, das vertriebenen und flüchtenden Menschen
Schutz bietet und garantiert. Widersprechen Sie damit auch
Äußerungen italienischer Minister, auf in Italien
strandende Flüchtlingsschiffen schießen zu lassen.
Aufgeschreckt hat uns auch Ihre Ankündigung, in
polizeilicher Zusammenarbeit mit dem "Schurkenstaat" Libyen die
"Flüchtlingsflut" eindämmen zu wollen. In Libyen fanden
2000 und 2001 von der Polizei geduldete Pogrome gegen
Schwarzafrikaner statt. Auch ungesühnte Morde an
schwarzafrikanischen Gastarbeitern treibt diese Menschen zur
Flucht aus dem Land.
Erheben Sie als amtierender EU-Ratspräsident Ihre Stimme,
wenn EU-Anrainerstaaten die Menschenrechte verletzen. Setzen Sie
ein Signal der italienischen Ratspräsidentschaft und
verankern Sie Minderheitenrechte - wie vom Eblul, dem Ciemen, der
Fuev und der ALE im Europaparlament gefordert - und das
uneingeschränkte Recht auf Asyl in der EU-Verfassung.