Bozen, Göttingen, Lota, 10. Oktober 2003
Die Mapuche-Indianer in Chile wollen ein eigenes Parlament
gründen. Diesen Beschluss haben die 258 Delegierten der
Mapuche aus dem ganzen Land gefasst, die seit Dienstag auf dem
Kongress "Für die Einheit des Mapuche-Volkes" in der
chilenischen Küstenstadt Lota über Strategien zur
Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte der Mapuche
beraten. "Diese gemeinschaftlich von den Vertretern aller
Mapuche-Untergruppen gefällte Entscheidung ist ein
großer Schritt hin zu einer starken Allianz, deren Stimme
von Regierung und Behörden nicht mehr einfach
überhört werden kann", sagte der Präsident der
Gesellschaft für bedrohte Völker International (GfbV),
Tilman Zülch, am Freitag in Göttingen. Die GfbV hat die
Schirmherrschaft über den bis Sonnabend andauernden,
einwöchigen Kongress und die Finanzmittelbeschaffung
übernommen, die Organisation und inhaltliche Gestaltung
jedoch den Mapuche selbst überlassen.
Das Parlament, dem je vier Abgeordnete der Picunche-, Pewenche-,
Williche-, Lafkenche- und Raninche-Mapuche angehören sollen,
soll einmal im Monat in der Universitätsstadt
Concepción zusammentreffen. Es soll sich untergliedern in
die Ressorts Landwirtschaft und Ökonomie, Internationale
Beziehungen, Recht, Gesundheit und Lebensbedingungen, Bildung und
Kultur. Der ehemalige Mapuche- Abgeordnete Rosendo Huenuman
Garcia wird das Organisationskomitee leiten, das unter anderem
die juristische Anerkennung des neuen Mapuche-Parlamentes
erwirken soll.
Für die rund 1,3 Millionen Mapuche, die rund zehn Prozent
der Gesamtbevölkerung Chiles stellen, haben die Verfolgungen
des Pinochet- Regimes nie aufgehört. Bis heute drohen ihnen
nach dem von dem Diktator erlassenen "Gesetz für die innere
Sicherheit" lange Gefängnisstrafen oder monatelange
Untersuchungshaft, wenn sie sich friedlich für die
Rückgabe ihres während der Herrschaft der
Militärjunta 1973 bis 1990 geraubten Landes einsetzen.
Zurzeit befinden sich 95 Mapuche als politische Gefangene in
chilenischen Gefängnissen. Unter ihnen sind auch zahlreiche
Minderjährige.
Besonders große Schwierigkeiten haben die Mapuche bei der
Bewahrung ihres angestammten Landbesitzes. Er wird ihnen von
Großgrundbesitzern streitig gemacht. Die Mapuche wollen das
Land vor der Zerstörung durch Staudämme und
Monokulturen bewahren. Denn nur so haben sie als traditionelle
Kleinbauern eine Zukunft in ihrer Heimatregion. Als eines der
letzten Mittel bleibt verzweifelten Mapuche oft nur der Versuch,
Land zu besetzen. Die Behörden reagieren mit
Kriminalisierung der Besetzer und gewaltsamer Vertreibung mit
Hilfe von Ordnungskräften der Waldbesitzer und staatlicher
Polizei. Über 40 Prozent der Mapuche haben diesem Druck
nicht standgehalten. Sie sind in die Städte abgewandert und
fristen dort in den Slums als Ärmste der Armen ein elendes
Leben. Die Mapuche-Sprache Mapudungun ist von Ämtern und
Behörden nicht anerkannt.
Unter Pinochet wurden die Indianer allein aufgrund ihrer
Eigenschaft als Ureinwohner verfolgt. Dies bestätigte schon
1978 eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen. Die "Kommission
für Wahrheit und Gerechtigkeit", die so genannte
"Rettig-Kommission", schätzt die Zahl der von der
Militärjunta ermordeten und verschwundenen Mapuche auf mehr
als 100. 116 Namen von getöteten Indianern liegen der GfbV
vor. Noch im Juli 2003 hat der UN-Sonderberichterstatter für
Indigene Völker, Rodolfo Stavenhagen, Forderungen der
Mapuche für berechtigt erklärt, ihre Gewaltfreiheit
anerkannt und das Gesetz für die innere Sicherheit
verurteilt.