Bozen, 24. Januar 2005
"Auschwitz darf nicht zur Bürde, sondern muß zum
Anlaß der Brüderlichkeit werden"
(Heinrich Böll)
Mehr als eine Million Juden, Roma und Slawen wurden von den
Nazis im KZ Auschwitz ermordet. Darunter waren auch Meraner
Juden, die von den Südtiroler Nazis vom Ordnungsdienst an
den SS-Sicherheitsdienst ausgeliefert wurden. Ein gern
verdrängter und vergessener brauner Fleck in der
Südtiroler Geschichte. Die Vernichtung der jüdischen
Gemeinde in Meran begann am 8. September 1943 mit dem Einmarsch
der NS-Wehrmacht und den gleichzeitig nachrückenden
NS-Terrororganisationen. Am 16. September wurden 25 der wenigen
noch in Meran verbliebenen Juden verhaftet und in die
Vernichtungslager deportiert. Ein Großteil hatte Meran
zwischen 1939 und 1943 wegen der faschistischen Rassengesetze
verlassen. Die in Meran verbliebenen Juden waren damit die
ersten, die dem eliminatorischen NS-Antisemitismus zum Opfer
fielen. Nach der Besetzung Italiens durch die Wehrmacht erfolgte
eine enge Zusammenarbeit faschistischer "Sicherheitskräfte"
(eine auch gern verdrängte Tatsache) und der SS bei der
Verfolgung der jüdischer Italiener.
In Meran plünderten die Nachbarn die Wohnungen der
jüdischen Bürger, deren Eigentum wurde "arisiert". Die
Meraner Shoah-Überlebenden erhielten keine Wiedergutmachung,
weder von der italienischen Republik noch vom autonomen
Südtirol. In Bozen errichteten die Nazis an der heutigen
Reschenstraße ein "Durchgangslager", indem mehr als 11.000
Häftlinge auf ihre Deportation in die KZ warten mussten. Es
kam zu Hinrichtungen und Misshandlungen, auch durch
Südtiroler Wachpersonal, Satellitenlager gab es in Sterzing,
Meran, Sand in Taufers, Gossensaß, Brixen, Sarnthein, Moos
in Passeier und in Karthaus im Schnalstal. Die Brutalitäten
im "Durchgangslager", verübt auch von Südtirolern,
beschäftigen heute noch die Gerichtsbarkeit. Während in
Deutschland und Österreich Spitzenpolitiker sich für
den Völkermord der Nazis an den Juden entschuldigten, blieb
dies in Südtirol bis heute bedauerlicherweise aus.
Landeshauptmann Luis Durnwalder verglich zwar das Schicksal
Südtirols unter dem Faschismus mit der Shoah. Der Geschichte
gerechter würden Worte des Bedauerns.
Südtirol tut sich mit seiner braunen Geschichte schwer.
Wahrscheinlich deshalb, weil es "hinter vorgehaltener Hand" auch
einen Südtiroler Antisemitismus gibt, schrieb der ehemalige
Landtagsabgeordnete Alexander Langer in der Kulturzeitschrift
"sturzflüge" über die Geschichte der Juden in Tirol. Er
zitierte geringschätzige Aussagen über seine
jüdische Herkunft, die entrüstete Zurückweisung
seines Vergleichs zwischen den Ladinern und den Juden durch den
ehemaligen SVP-Landtagsabgeordneten, Leserbriefschreiber, die
Langer vorwarfen, als "Judensohn" die Südtiroler eliminieren
zu wollen. Langer 1986: "Aber, wie gesagt, Antisemitismus gibt es
in Südtirol nicht. Denn einen solchen könnte es nur
geben, wenn es auch Juden gäbe. Und von denen wurde
Südtirol ja zum Glück damals, als wir heim ins Reich
geholten wurden, nicht ohne Mithilfe anständiger Tiroler
gesäubert".
In der Tradition dieser anständigen Tiroler wandte sich die
freiheitliche Landtagsabgeordnete Ulli Mair gegen eine
Spendensammlung der Tageszeitungen "Dolomiten" und "alto adige"
für einen jüdischen Gedenkstein. Maier wurde nach einer
Anzeige wegen Aufhetzung zum Rassenhaß freigesprochen.
Maier ist stellvertretend für viele andere Antisemiten nicht
verurteilt worden - in einem Land, in dem sich die beiden
großen Bevölkerungsgruppen in ihrer Geschichte als die
Opfer der jeweils anderen empfinden.
Die Befreiung von Auschwitz vor 60 Jahren, ein Anlaß, nicht
nur einen privaten Gedenkstein für die ermordeten
jüdischen Südtiroler zu errichten. Der deutsche
Schriftsteller Heinrich Böll schrieb anlässlich der
Hungerblockade Biafras und der verweigerten Solidarität mit
diesem Land: "Auschwitz darf nicht zur Bürde, sondern
muß zum Anlaß der Brüderlichkeit werden." Eine
Aufforderung, sich gegen ethnische Säuberungen und Genozide
heute zu wenden, gegen ethnische Diskriminierungen und
Hetzkampagnen gegen "Andere". Ungeniert wenden sich heute rechte
Kreise gegen Einwanderer aus muslimischen Ländern,
schüren Emotionen gegen Sinti und Roma, die von den Nazis
ebenfalls vernichtet werden sollten. Italienische Rechte scheinen
vergessen zu haben, dass auch der italienische Faschismus
Völkermord verübte - in Libyen, Eritrea und
Äthiopien.