Offener Brief an Karlheinz Böhm
Bozen, 4. Mai 2005
Sehr geehrter Herr Böhm,
Sie sind zweifelsohne ein Mensch für Menschen, der in
Äthiopien einiges bewegt. Es ist löblich, wie engagiert
Sie für äthiopische Kinder Schulen bauen. Ihre
weiße Weste ist großteils makellos rein. Vor 20
Jahren ließen Sie sich aber vom Mengistu-Regime
propagandistisch missbrauchen. In einem Interview mit der
Tageszeitung "Dolomiten" sprechen Sie eines der Hungerlager
an.
Erinnern Sie sich noch an die große Hungersnot
1985? Der von der Sowjetunion gestützte
Revolutionsrat DERG ließ Ende der siebziger Jahre die
aufständischen Regionen Tigray, Oromo und Eritrea abriegeln.
Die Bevölkerung sollte ausgehungert werden. Die einsetzende
Dürre machte ausländische Hilfe notwendig. Die
eintreffenden Hilfslieferungen blockierte das Regime, die
Geldspenden wurden für den Waffenkauf eingesetzt. 1984 warf
die britische Organisation "war on want" der äthiopischen
Regierung vor, die Aufständischen aushungern zu
wollen.
In jenem Jahr startete der DERG die Zwangsumsiedlung von mehr als
4 Millionen Menschen. Das Regime wollte die verstreut lebenden 30
Millionen Bauern in zentralen Dörfern "umsiedeln". Sie
sollten zu Mitgliedern von Kolchosen werden. Große
westliche Hilfswerke, private und staatliche Organisationen,
unterstützten trotz heftiger Kritik von
Menschenrechtsorganisationen, diese Umsiedlungen. Nach Angabe der
französischen Hilfsorganisation mediciens sans frontieres
kamen bei den als Umsiedlungen getarnten Vertreibungen bis zu
100.000 Menschen ums Leben. Die während der Umsiedlung
ausgebrochene Hungersnot mit bis zu 300.000 Toten war provoziert,
politisch gewollt, vergleichbar mit den Maßnahmen in der
Ukraine des stalinistischen Regimes der Sowjetunion in den 30er
Jahren, die zum Tot von mehreren Millionen Ukrainern
führte.
Sie haben damals mit einer großen Anzeige in der
Süddeutschen Zeitung (9./10.2.85) das Konzept der
Umsiedlungen der äthiopischen Regierung angepriesen. Die
humanitär begründeten Umsiedlungen waren letztendlich
ethnische Säuberungen. Jason Clay von der us-amerikanischen
Menschenrechtsorganisation Cultural Survival warf den
regime-freundlichen Hilfsorganisationen vor, mit ihren Programmen
die Hungersnot verstärkt und in neue Gebiete ausgedehnt zu
haben. Sie zählten damals zu den Partnern des inzwischen
gestürzten DERG. Hilfe ist nicht immer gleich Hilfe.
Die Antwort von Andrea Wagner-Hager,
Leiterin Menschen für Menschen
Österreich
Sehr geehrte Damen und Herren,
bezugnehmend auf Ihren offenen Brief vom 4. Mai 2005 hält
Karlheinz Böhm im Namen von Menschen für Menschen
Österreich folgendes fest:
1) Die Unterstützung der von der Regierung Mengistu Haile
Mariam umgesiedelten Menschen aus Tigray und Süd-Wollo durch
MENSCHEN FÜR MENSCHEN half 90.000 Menschen in 400
Dörfern zu überleben und eine neue Existenz
aufzubauen.
Der neue äthiopische Aussenminster Sium hat Herrn Böhm
in einem persönlichen Gespräch den Dank seiner
Regierung ausgedrückt, dass er mit Menschen für
Menschen den umgesiedelten Menschen in dieser lebensbedrohenden
Situation so weit geholfen hat.
2) Es ist nachzuweisen und belegbar, dass Herr Böhm
persönlich in Direktgesprächen mit dem damaligen
Regierungschef erreicht hat, dass zum einem eine zweite geplante
Umsiedlung nicht stattfand und zum anderen das
Verdörflichungsprogramm (das mit dem Umsiedlungsprojekt
überhaupt nichts zu tun hatte) in dem Land gestoppt
wurde.
Ich verbleibe mit der Bitte um Kenntnisnahme und mit freundlichen
Grüßen
Dr. Andrea Wagner-Hager, Leiterin Menschen für Menschen
Österreich