Bozen, Göttingen, Berlin, 30. Juni 2006
Die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am Freitag
dem in Berlin ansässigen Unternehmen Bombardier
Transportation vorgeworfen, mit dem Bau von 361 Eisenbahnwaggons
für eine umstrittene Bahnlinie über das Dach der Welt
zur Zerstörung des Nomadenlandes in Tibet beizutragen. "Der
1. Juli 2006 ist ein schwarzer Tag für Tibet", erklärte
der GfbV- Asienreferent Ulrich Delius. "Denn diese Bahnlinie wird
Tibets traditioneller Nomaden-Gesellschaft den Todesstoß
versetzen, da sie hunderttausende zusätzliche chinesische
Siedler nach Tibet bringen wird." Die 1.142 Kilometer lange
Bahnstrecke zwischen Gormo (chinesisch: Golmud) und der
tibetischen Hauptstadt Lhasa wird offiziell am 1. Juli 2006
eröffnet.
Die in Berlin ansässige Bombardier Transportation ist
Weltmarktführer in der Schienenverkehrsindustrie. Sie ist
Teil des kanadischen Technologie- Konzerns Bombardier und
produziert nicht nur in Berlin-Hellersdorf und an 42 weiteren
Standorten, sondern beschäftigt auch 1.400 Mitarbeiter in
China. Dort wurden die Waggons in einem Joint Venture mit
chinesischen Firmen und einem kanadischen Unternehmen zwischen
Dezember 2005 und Mai 2006 gefertigt. Insgesamt hatte das
chinesische Eisenbahnministerium 361 Wagen im Wert von 213
Millionen Euro in Auftrag gegeben. Der Anteil von Bombardier
beträgt nach eigenen Angaben des Unternehmens rund 59
Millionen Euro. Tibets Nomaden fürchten um ihr
Überleben. Denn die Eisenbahn wird jährlich mindestens
900.000 Passagiere transportieren. Die Nomaden werden ihr Land
verlieren, weil sich entlang der Eisenbahnlinie Zehntausende
chinesische Einwanderer ansiedeln werden. In der benachbarten
Region Xinjiang, dem Siedlungsgebiet der von Peking
unterdrückten turksprachigen Uiguren, haben sich seit dem
Bau einer neuen Eisenbahnstrecke im Jahr 1992 mehr als 100.000
chinesische Siedler entlang der Bahnlinie niedergelassen.
Während das offizielle China die neue Eisenbahnverbindung
als technische Meisterleistung feiert, haben Tibeter in aller
Welt zu Protesten gegen die Eröffnung aufgerufen. Für
sie ist die Bahnlinie Ausdruck einer gezielten Politik Pekings,
langfristig die Bevölkerungsstruktur zugunsten der Han-
Chinesen zu verändern. Schon heute sind die Tibeter in den
tibetischen Städten in der Minderheit. Obwohl sich Peking
der "Entwicklung" der autonomen Region rühmt, hat in den vor
allem von Tibetern bewohnten ländlichen Gebieten die Armut
zugenommen. Die tibetischen Nomaden fühlen sich als
"Menschen dritter Klasse", da sie diskriminiert und missachtet
werden. Statt ihre Kultur und Lebensweise zu respektieren, die
das empfindliche Ökosystem der Region schonend nutzte, haben
die Behörden den Nomaden ihr traditionelles Land genommen.
Große Regionen werden nun intensiv für die
Landwirtschaft genutzt, was zu enormen Umweltproblemen
geführt hat.