Bozen, Göttingen, 15. August 2007
Nach den furchtbaren
Autobombenanschlägen gegen die yezidischen Ortschaften Til
Ezer und Siba Sheikh Khidir bei Sinjar in der größten
Yezidenregion des Nordirak, denen am Dienstag etwa 200 Menschen
zum Opfer gefallen sind, hat die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) am Mittwoch eine überzeugende Lösung
für diese umstrittene Region gefordert. "Nur ein baldiges
Plebiszit kann Aufschluss darüber geben, ob die Mehrheit der
yezidischen Bevölkerung den Anschluss an das nordirakische
Bundesland Kurdistan wünscht", erklärte der GfbV-
Generalsekretär Tilman Zülch. Yezidische Politiker
plädieren dafür, der Region dann einen autonomen Status
innerhalb Kurdistans zu gewähren. Der Artikel 140 der
irakischen Verfassung sieht diese Möglichkeit vor. Die
Yeziden fürchten, im anderen Fall weiterhin von Muslimen
majorisiert zu werden.
"Viele Yeziden möchten, dass ihre Region Sinjar zu Kurdistan
gehört, weil die Lage dort sicher und friedlich ist",
berichtete Dr. Dakhil Said Khidir, Beiratsmitglied der
GfbV-Kurdistan/Nordirak am Telefon. Im Bergland Sinjar lebt die
weltweit größte yezidisch-kurdische Gemeinschaft mit
bis zu 400.000 Angehörigen. Das Gebiet ist nur noch
über eine einzige und sehr unsichere Straße zu
erreichen. "Auch in der Stadt Mosul werden Yeziden zunehmend
Opfer von Attentaten, Verfolgung und Todesdrohungen durch
islamistische Fundamentalisten." Seit 2003 sind nach
GfbV-Informationen mindesten 20 000 kurdische Familien (Yeziden
und Muslime) aus Mosul geflüchtet.
Hintergrundinformationen:
Unter den mehrheitlich muslimischen Kurden bilden die Yeziden als
religiöse Minderheit eine Jahrtausende alte nahöstliche
nichtchristliche und nichtislamische Glaubensgemeinschaft. Sie
sprechen die Kurmanci- Variante des Kurdischen und leben im Irak,
Syrien, in der Türkei, Armenien und Georgien sowie in der
europäischen Diaspora. Ihre Gesamtzahl wird auf rund 800.000
geschätzt. Ihr Hauptsiedlungsgebiet liegt im Nordirak. Hier
leben ca. 550.000 Yeziden, davon etwa 400.000 im Sinjar-Gebiet.
Dort stellen sie rund 80 % der Bevölkerung. In Deutschland
sind ca. 45 000 Yeziden, meist Religionsflüchtlinge aus der
Türkei, ansässig.
Sinjar, eine der heute umstrittensten Regionen des Iraks, liegt
im äußersten Nordwesten des Staates und ist bisher
Teil der Provinz Ninive (Hauptstadt Mosul). Sie grenzt im Westen
an Syrien. Der Hauptort Sinjar hat 40.000 Einwohner, die - wie in
den meisten Orten des Distriktes - in ihrer großen Mehrheit
kurdische Yeziden sind.
Die Yeziden blicken auf eine lange Leidensgeschichte zurück.
Schon unter osmanischer Herrschaft kam es häufiger zu
Verfolgungen der yezidischen Bevölkerung wegen ihrer
religiösen Zugehörigkeit. Seit dem Machtantritt der
Baathpartei Saddam Husseins 1968 wurden die Yeziden Opfer von
Deportationen, Massenerschießungen und Folterungen. Als
Angehörige einer ethnischen und religiösen Minderheit
wurden Zehntausende von ihnen in Internierungs- und
Konzentrationslagern sowie so genannten Modelldörfern
festgehalten. Nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes und dem
Einmarsch der Amerikaner erfolgte eine allmähliche
Rücksiedlung in die Heimatorte des Hauptsiedlungsgebietes um
Sinjar. Der zunehmende Terrorismus in der Hauptstadt der Provinz
Ninive, Mosul, löste eine weitere Fluchtbewegung auch von
Intellektuellen und Studenten in die eigentliche
Heimatregion.
Nach Angaben yezidischer Theologen glauben die Yeziden an einen
einzigen Gott. Außerdem verehren sie auch den "Engel
Ta'us", der für sie das Oberhaupt der Engel, Symbol der
Güte sowie der für das Universum Verantwortliche ist.
Für die Yezidi ist göttliche Macht übertragbar auf
diejenigen, die gefestigt im Glauben sind und gute Taten
vollbringen (und Propheten). Daher gibt es bei ihnen viele
Gottgleiche (Xudan). Die berühmtesten von ihnen sind:
Scheich Adi, Scheich Sin, Scheich Schams, Scheich Fakhir-Aldin,
Mir Hasin Maman, Nassr Din, u.a..