Redaktion: Wolfgang Mayr, Hans Bogenreiter.
Bozen, 1. März 2003
Die jüngste Entwicklung ist sehr unerfreulich - die USA distanzierten sich nicht nur von der irakischen Opposition, sondern haben der Türkei weitgehende Zugeständnisse zum Einmarsch im Nordirak gemacht. Die Folge: die Kurden geraten wieder einmal zwischen alle Fronten.
Der Irak ist ein Land, in dem viele verschiedene Völker
mit verschiedenen Nationalitäten, Religionen und Kulturen
leben. Eines davon sind die Assyrer, zur Zeit zählen sie
etwa 1,5 Millionen Menschen. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts
verlangen die Assyrer nach ihren nationalen Rechten, mit denen
sie vor allem ihre konfessionelle, kulturelle und nationale
Existenz sichern wollen. Sie wollen Respekt für ihre
kulturelle Andersheit und nicht wie Bürger vierter Klasse
behandelt werden. Die irakische Regierung jedoch verweigert ihnen
das nicht nur, sondern sie unterdrückt und tötet sie.
Das beste Beispiel dafür ist das Massaker von Sumel 1933,
bei dem 3000 Assyrer ums Leben kamen, nur weil sie die Einhaltung
ihrer Menschenrechte in ihrem Heimatland Irak gefordert hatten.
Die assyrische religiöse und nationale Führungsschicht
wurde des Landes verwiesen und viele Menschen flüchteten.
Das ist auch der Grund für ein großes Problem, gegen
das die Assyrer heute zu kämpfen haben. Die Immigration hat
zu demographischer Schwäche und zu Verlust von Siedlungsland
geführt. In den 70er Jahren begannen assyrische Jugendliche,
die im Ausland Schulen und Universitäten besucht hatten,
kulturell und politisch aktiv zu werden. Dazu kam der
glückliche Umstand, dass die irakische Regierung aus
taktischen Gründen in dem Jahrzehnt von 1970 - 1980 den
Assyrern erlaubte, kulturelle Vereinigungen zu gründen und
sogar einen eigenen Radiosender einzurichten. In Schulen mit
assyrischer Mehrheit sollte von nun an in Assyrisch unterrichtet
werden.
Diese Phase dauerte jedoch nicht lange. Die Regierung hatte ihr
Ziel, nämlich die Legalität des politischen Regimes,
erreicht. Der Schein, man würde die Menschenrechte der
Minderheiten einhalten, war gewahrt. Nun suchte man nach den
führenden Persönlichkeiten unter den Assyrern, um sie
zu vertreiben oder auszuschalten. Zum Unterricht in assyrischer
Sprache kam es nicht, im Gegenteil, es begann eine Politik der
Arabisierung. 1977 wurden die Assyrer gezwungen, entweder die
arabische oder kurdische Nationalität anzunehmen, je nach
Gebiet, in dem sie lebten.
1987 begann für die Assyrer eine neue Phase des Kampfes
gegen das Regime. Im April 1979 war die Organisation Assyrische
Demokratische Bewegung gegründet worden, welche versuchte,
die Anliegen des assyrischen Volkes durchzusetzen und sich
für seine Rechte ebenso einsetzte wie für eine
Demokratie im Irak.
Während der langen Jahre des Kampfes für ihre
kulturellen und nationalen Rechte wurden viele Assyrer bestraft
und eingesperrt, Hunderte kamen 1985 ins Gefängnis, die
Gründer und Anführer der Assyrischen Demokratischen
Bewegung wurden getötet.1988 wurden bei den Operationen von
Anfal mehr als 200 assyrische Dörfer zerstört, die
Bevölkerung wurde gezwungen, sich in der Nähe von
kurdischen Dörfern in Notunterkünften nieder zu lassen.
Dutzende Kirchen und Klöster, deren Geschichte bis in die
ersten Jahrhunderte des Christentums zurückgehen, wurden
zerstört, christliche und schiitische Würdenträger
ermordet.
Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 wurde von den internationalen
Kräften eine Sicherheitszone errichtet, welche die drei
Verwaltungsbezirke Arbil, Suleimanieh und Duhpk im irakischen
Kurdistan einschloss. Die Assyrer waren dort im Parlament und in
der regionalen Regierung vertreten. So konnten sie religiöse
und nationale Feste zu offiziellen Feiertagen erklären,
kulturelle und soziale Vereinigungen entstanden und politische
Parteien konnten sich nun öffentlich für die Anliegen
der Assyrer einsetzen. Zeitungen, Magazine und Bücher in
assyrischer und anderen Sprachen kamen heraus. Nach einem
Parlamentsbeschluss am 20. September 1992 fand der Unterricht
für nicht kurdische Kinder in dieser Region in Assyrisch
statt.
Heute kämpfen die Assyrer gemeinsam mit anderen irakischen
Oppositionsgruppen, um das brutale und blutige Regime Saddam
Husseins los zu werden. Sie sind jedoch für eine friedliche,
diplomatische Lösung des schwelenden Konflikts, da sie
wissen, dass ein Krieg schlimme Auswirkungen haben würde.
Wenn Saddam die internationalen Resolutionen jedoch nicht
befolgt, wird nur der Krieg als letztes Mittel bleiben. Die
Assyrer wissen, dass sie wie alle anderen Völker des Iraks
bei einem Verbleib Saddam Husseins weiterer Verfolgung und
Unterdrückung ausgesetzt sind - obwohl also ein Krieg eine
Katastrophe bringen könnte, so bringt er doch auch die
Hoffnung auf Freiheit und Frieden für alle im Irak.
Auf der Welt findet eine fortschreitende Globalisierung statt,
die Respektierung der Menschenrechte, der Rechte kleiner Nationen
und verschiedener Kulturen, das Ideal des friedlichen
Zusammenlebens der Völker wird angestrebt. Die Assyrer im
Irak sind überzeugt, dass die Anwendung dieser Ideen der
einzige Weg ist, um im Irak Sicherheit, Stabilität und
Prosperität zu garantieren.
"Während die US-Administration ihre Vorbereitungen
für einen Militärschlag gegen den Irak fortsetzt,
intensiviert die Diktatur ihre Unterdrückung im ganzen Land
und verbreitet fortgesetzt ihre düstere Rhetorik wie sie
sich der amerikanischen Drohung stellen wird. Der Hauptverlierer
unter diesen extrem schwierigen Bedingungen ist unser Volk,
Männer und Frauen, die Opfer der Diktatur und der
ungerechten internationalen Blockade waren und nun im Schrecken
leben wegen der Ungewissheit und der aktuellen spannungsgeladenen
Situation. Saddams Gewaltherrschaft über die irakischen
Frauen bedeutet das Verschwindenlassen von weiblichen
Aktivistinnen, deren Folter und Hinrichtung, ihre zwangsweise
Verpflichtung in den repressiven Militärdienst des
faschistischen Regimes (z.B. die Al-Quds Armee). Schreckliche
Verbrechen wurden im Namen der Moral verübt, indem
unschuldige Frauen enthauptet und ihre Körper auf die
Türschwelle ihres Heimes gelegt wurden. Angesichts der neuen
Entwicklung sind sich große Teile der irakischen Frauen
bewußt, daß die USA, die mit einem Militärschlag
droht und einen Wechsel im Irak spricht, nur am Schutz ihrer
eigenen Interessen gelegen ist. Sie will eine Neugestaltung der
politischen Landkarte dieser Region, ihre Gewinne aus dem
Golfkrieg sichern und die Situation im Mittleren Osten nach ihren
Interessen gestalten."
Die Ablehnung einiger europäischer Staaten gegen den
militärischen Angriff auf den Irak hat mit unterschiedlichen
ökonomischen Interessen zu tun. Die NATO hat seit Anfang
1990 zahlreiche Angriffskriege (Bosnien-Herzegowina, Kosovo,
Afghanistan, usw.) geführt und anschließend
Protektorate errichtet. Der ökonomische und politische
Einfluss wird von sogenannten Friedenstruppen - an denen auch das
österreichische Bundesheer beteiligt ist - gesichert. Und
sie sichern diesen Zugriff auch durch die Errichtung oder
Aufrüstung von Nato-Militärstütz-Punkten in den
angegriffenen Ländern und den umliegenden Ländern, die
zur Zusammenarbeit mit der NATO bereit sind. Mit dieser
imperialistischen Kriegsführung wird Krieg zu einem
gesellschaftlichen Dauerzustand. Mit der Anti-Terror-Allianz hat
sich dieser Dauerzustand in denUSA und Europa auch nach Innen
verschärft. Unter dem Motto der "nationalen Sicherheit"
werden repressive und faschistische Gesetze durchgesetzt. Fast
alle gesellschaftlichen Bereiche werden der Logik der
Militarisierung unterworfen. Die Kriegspropaganda findet im
Fernsehen statt, der reale Krieg an den Grenzen, in den
Flüchtlingslagern, in den vergifteten und bombardierten
Regionen.
Die Militarisierung der Gesellschaft führt immer auch zu
einer Verschärfung patriarchaler
Unterdrückungsverhältnisse und sexistischer Gewalt
gegen Frauen. Jegliche Militarisierung und Motivation, Kriege zu
führen, ist immer eng verbunden mit männlicher Gewalt
gegen Frauen. Um den männlichen Heldenmythos aufzubauen,
bedient man sich sexistischer Ideologien, wie z.B., den Besitz
der eigenen Frau zu schützen. Durch pornografische Bilder
und sexuelle Gewalt gegen Frauen wird die Bereitschaft zu
töten hergestellt. Z.B. rufen US-Soldaten und Soldatinnen in
ihrer militärischen Ausbildung "kill, kill, rape, rape"
(töte, töte, vergewaltige, vergewaltige).
Antikriegspolitik muss deshalb die Zusammenhänge von Krieg
und die Zunahme männlicher Gewalt gegen Frauen und Kinder,
die Verbindung von Krieg und Vergewaltigung, von Militär und
Prostitution, radikal thematisieren und den männlichen
Heldenmythos in Frage stellen. Wir finden es wichtig,
Bündnisse zu schaffen, um die NATO und den Angriff auf den
Irak und andere Ländern zu stoppen. Und es ist notwendig,
dass wir die gesellschaftlichen Strukturen, die diese Kriege
ermöglichen und legitimieren, verändern. Wir
müssen u.a. gegen die rassistische Propaganda, die
Länder zu "Schurkenstaaten" macht und EU-Europa und
Nordamerika zu DER "Zivilisation" und "Moderne" erklärt,
auftreten. Wir müssen den Rassismus, der Religionen wie u.a.
den Islam oder das Judentum zu Feindbildern macht, radikal in
Frage stellen.
"Nawal El Saadawi" aus Ägypten schreibt dazu u.a. in
ihrem Buch "Fundamentalismus gegen Frauen": "Wir leben in
einer neokolonialistischen Ära, in der Kolonialismus auf
transnationaler Ebene stattfindet. (...) Auf der einen Seite
stehen die kapitalistischen neokolonialistischen Kräfte,
allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, auf der anderen
Seite der Fundamentalismus beide zusammen ergeben die zwei
Gesichter der Globalisierung (...) Die "fundamentalistischen"
Bewegungen - islamische, christliche, jüdische,
hinduistische und andere - bilden die religiöse Kehrseite
der kapitalistischen und wirtschaftlichen Globalisierung.
Die Verschleierung der Frauen im Namen der Religion und der
Moral und die Entblößung ihrer Körper im Namen
des Handels auf dem kapitalistischen freien Markt sind lediglich
zwei Seiten ein und derselben Medaille. In einer kapitalistischen
Gesellschaft, die vom patriarchalen Klassensystem geprägt
ist, besteht für Frauen keine Hoffnung darauf, daß
sich ihre Situation jemals grundlegend ändert. Eine radikale
Veränderung kann nur herbeigeführt werden, wenn
jegliche Diskriminierung nach Geschlechtern aufgegeben wird, die
im Klassenwesen sowie im Patriarchat begründet liegt."
"Zum dritten Mal innerhalb von drei Jahrzehnten werden unser
Volk und unser Land an den Rand einer zerstörerischen
vernichtenden Katastrophe gedrängt. Die USA schlagen die
Kriegstrommeln, steigern das Säbelrasseln, mobilisieren ihre
Streitkräfte und Flotten aus Gründen, die nicht mit
ihren Erklärungen übereinstimmen, sondern im Einklang
mit ihren hegemonialen und expansionistischen Bestrebungen
stehen.
Wir verfolgen mit größter Sorge die Zeichen des neuen
Militärsturms, der unser Volk und unser Land bedroht, wo die
beiden immer noch unter den Folgen vergangener, vom
diktatorischen Regime Saddam Husseins entfesselter, Kriege
stöhnen. Die Leiden werden durch die Auswirkungen
terroristischer Politik des Diktators, sowie durch die Folgen der
seit 1990 andauernden internationalen Wirtschaftssanktionen
drastisch verschlimmert.
Wir appellieren deshalb an die Weltöffentlichkeit, sich
überall gegen diesen Krieg zu erheben und seine
Auslösung zu verhindern, um unserem irakischen Volk weitere
Katastrophen und Tragödien zu ersparen und die Gefahren
für den regionalen und den Weltfrieden zu bannen. Das Bannen
der Kriegsgefahr ist unserer aller Aufgabe!
Gleichzeitig appellieren wir an die Weltöffentlichkeit und
die Weltgemeinschaft, an alle friedliebenden Kräfte und
Unterstützer des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung
und auf Leben unter den Bedingungen des Friedens und der
Demokratie, sich unverzüglich einzusetzen für:
1. Tatkräftige Unterstützung der irakischen Opposition
und ihres Kampfes für den Sturz der Diktatur und die
Errichtung der demokratischen föderativen Alternative
2. Die Forderung nach einer internationalen Irak - Konferenz
unter der Schirmherrschaft der UNO mit dem Ziel, den Gespenst des
Krieges zu bannen und Perspektiven für eine Lösung der
irakischen Frage zu öffnen, die das Einleiten einer wahren
demokratischen Wende gewähren.
3. Aktivierung der Umsetzung der UNO-Resolution 688
bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte, sowie die
Realisierung der Empfehlungen von Herrn Van der Stoil, des
ehemaligen UNO-Beauftragten für die Menschenrechte im
Irak
4. Verabschiedung einer Resolution des Sicherheitsrates mit dem
Ziel, Saddam Hussein und seine Clique, wegen ihren Verbrechen
gegen das Volk Iraks und die Menschlichkeit, vor den
internationalen Gerichtshof zu stellen.
5. Politische und diplomatische Aberkennung der
gegenwärtigen irakischen Regierung und die Ablehnung von
Besuchen irakischer Regierungsfunktionäre.
6. Fortsetzung der Zerstörung von Massenvernichtungswaffe
entsprechend den Beschlüssen der UNO und dem internationalen
Recht.
Gemeinsam für das Bannen der Kriegsgefahr!
Solidarisiert Euch mit dem Volk Iraks und seinen nationalen
Kräften gegen die Diktatur, für Frieden und
Demokratie!
The Iraqi Prospect Organization (IPO) says that next weekend's
anti-war demonstrations are not supported by the vast majority of
Iraqis.
The IPO is a network of young Iraqi men and women living in the
West working to promote the overthrow of Saddam Hussein and the
establishment of a proportional democracy in Iraq. "The anti-war
movement does not differentiate between Saddam and Iraq," said
Ahmed Shames, the Chairman of the IPO. "Those who really care
about the people of Iraq should not campaign against the only way
that can free them from the hands of Saddam and his
regime."
Contact: Mr. Ahmed Shames: + 44 (0) 0798 018 2974 http://www.iprospect.org.uk,
Fax: + 44 (0) 20 8450 0270
1979: "Tausende von Bürgern werden verfolgt, weil sie
Kommunisten oder kommunistische Sympathisanten gewesen sind. Sie
sind Ziel einer Einschüchterungskampagne, die manchmal mit
Todesdrohungen verbunden ist. Die psychologischen und physischen
Folterungen, die häufig angewendet werden, haben
scheußliche Formen angenommen. Zum Beispiel werden die
Häftlinge mit Rohren geschlagen, mit Zigaretten verbrannt,
Elektroschocks, sie sind Schlägen auf die Geschlechtsorgane
oder auf die Brust ausgesetzt, bis sie sich übergeben; die
Gefangenen werden aufgehängt, ihr Kopf wird in WC-Becken
gesteckt und sie werden zu degradierenden Handlungen gezwungen;
andere werden aus den Städten herausgebracht, wo man
über ihren Kopf hinwegschießt, usw. Einige von denen,
die eine solche Behandlung erfahren haben, sind verstümmelt
oder gelähmt. Andere wurden zu Tode gefoltert. Viele von
jenen, denen man diese Repressionsaufgabe anvertraut hat, machen
keinen Hehl aus der Entschlossenheit, die irakische
kommunistische Partei zu liquidieren."
(aus Pogrom Nr. 61, März/April 1979)
Freunde, es wird keinen Krieg gegen den Irak geben. Aber es
wird und muss eine Befreiung des Iraks geben.
Liebe Kameraden und Freunde, ich komme aus dem irakischen
Kurdistan und überbringe euch die Grüße der
kurdischen Führungsgruppe und eine Nachricht von unserem
Volk, das in seinem Kampf um Demokratie und Befreiung auf eure
Unterstützung und Solidarität hofft.
Die Tatsache, dass wir uns hier in Rom treffen, hat symbolischen
Charakter. Am 4. Juni 1944 wurde die Stadt durch die alliierten
Truppen von Faschismus und Diktatur befreit. Für das
irakische Volk steht der D-Day kurz bevor. Und wieder ist der
Feind eine aggressive rassistische Politik, die nichts als Leid
und Schmerz brachte. Wir hoffen nun, dass die Befreiung
naht.
In meinem Büro in Suleymaniyeh treffen beinahe täglich
Reisende aus Bagdad und anderen Teilen des Irak ein, die mir von
dem anhaltenden Leid, welches durch das irakische Regime
verursacht wird, berichten. Sie erzählen mir auch von der
Hoffnung so vieler Iraker auf ein freies Land, wo sie ohne Angst
denken und sprechen können. Ich stehe hier nicht nur als
Vertreter der Kurden, sondern als Botschafter aller
unterdrückten Völker des Irak. Sie alle, gleich welcher
Herkunft oder Religion, müssen vereint gegen die Diktatur
der Baath-Partei kämpfen.
Der Sturz eines rassistischen Regimes, das chemische Waffen
gegen die Kurden eingesetzt hat und das Einkommen aus den
natürlichen Ressourcen des Landes lieber in Krieg steckt als
in den Bau von Schulen und die Reform des Staates, ist ein Ziel,
das der Unterstützung jedes Sozialdemokraten würdig
ist.
Im irakischen Kurdistan haben wir viel erreicht:
· wir haben Dörfer wieder errichtet, die
während der ethnischen Säuberungen des Anfal Feldzugs
zerstört worden waren;
· wir haben am Bildungs- und Gesundheitswesen gearbeitet,
die Kindersterblichkeit ist nun so gering wie noch nie;
· wir haben unseren Anteil an den Einnahmen aus dem
Ölgeschäft in Pflugscharen statt in "Schwerter" und in
Krankenhäuser statt in chemische Waffen investiert;
· wir haben freie Medien;
· wir respektieren unsere Minderheiten.
Dies alles sollte dem restlichen Irak zum Vorbild dienen.
Nun hören wir aber oft Stimmen aus Europa, die meinen, wir
sollten keine Hilfe von außen verlangen, um uns von der
Tyrannei zu erlösen. Es würde Krieg um Öl
bedeuten, und das sei immer falsch. Zudem würden sich die
arabische und muslimische Welt gegen die richten, die den Irak
befreien.
Ich glaube, dass diese Leute es gut meinen, jedoch einem Irrtum
unterliegen. All der Eifer, den sie in ihren Organisationen und
Demonstrationen an den Tag legen, kann uns leider nicht von der
Diktatur in Bagdad befreien.
Die Iraker wissen, dass ihre Menschenrechte sehr oft missachtet
wurden, da das Öl der Welt in der Regel wichtiger war als
ihr Leben. Es unterläge einer gewissen Ironie, aber wenn das
Öl schließlich der Grund für ihre Befreiung sein
sollte, ist es auch gut so. Öl wird nicht mehr länger
ein Fluch, sondern ein Segen sein.
Die Menschen auf der Straße sagen: "Nein zum Krieg". Auch
ich möchte keinen Krieg, noch wollen ihn diejenigen, die uns
unterstützen, aber er hat bereits begonnen. Die Diktatur der
Baath-Partei führt ihn seit Jahrzehnten und Hunderttausende
von Zivilisten sind ihm zum Opfer gefallen denken wir nur an die
grausamen ethnischen Säuberungen in Kirkuk, Khanaquin und
Sijar und anderen Orten des irakischen Kurdistan.
Andere sagen: "Kein Krieg gegen den Irak, Gerechtigkeit für
Palästina". Wieso schließt das Gerechtigkeit für
den Irak aus? Auch ich sage: "Keinen Krieg", aber das geht nur,
wenn es keine Diktatur und keinen Völkermord gibt. Wir
hören so viel über die muslimische Solidarität und
den sogenannten "arabischen Weg", aber ich weiß, dass die
Straßen von Bagdad voll mit jubelnden Menschen sein werden,
ist der Diktator erst einmal gestürzt.
Das irakische Regime wird gegen ein glaubwürdiges Auftreten
internationaler Kräfte nicht lange Widerstand leisten. Diese
Erlösung wird nicht das Paradies bedeuten, aber sie wird
Hoffnung und Möglichkeiten schaffen. Der Traum der
Entstehung einer Demokratie kann endlich Wirklichkeit werden
dafür und für unsere Zukunft brauchen wir eure
Hilfe.
Wir brauchen euch auch nach der Befreiung, um sicherzustellen,
das aus dem Irak ein demokratischer, friedlicher und stabiler
Bundesstaat wird, wo allen Völkern ihre politischen Rechte
gewährt werden und wo die Regierung dem Recht treu ist und
für seine Menschen arbeitet. Freunde, es wird keinen Krieg
gegen den Irak geben. Aber es wird und muss eine Befreiung des
Iraks geben. Ihr habt um eurer Werte willen, die sich gegen
Diktatur und Rassismus richten, eine Rolle in dieser Befreiung zu
spielen. Lasst uns im Geiste der Solidarität, der den
Sozialisten immer schon eigen war, gemeinsam den Irak und den
Mittleren Osten zu einem Platz machen, wo Freiheit und Frieden
herrschen.
Oh, ihr Leute vom Irak, Leute von Zwietracht und Heuchelei!
Ihr seid, bei Allah, schuld, dass mein Herz Eiter blutet." So die
Worte von Ali Ibn Abi Talib, adoptierter Schwiegersohn und Vetter
des Propheten vor 1345 Jahren. Seit damals hat sich die Lage kaum
verbessert. Als gebürtiger Iraker befürworte ich den
Krieg gegen Saddam Hussein. Denn ein Frieden, der den Diktator an
der Macht lässt, bedeutet für meine Landsleute nichts
anderes als einen ewigen Krieg. In beispielloser Häufigkeit
wechselten Regierungen, indem die neue die alte niedermetzelte.
Jeder neue Diktator war brutaler als der alte. Das Gesetz
"Töten, um nicht getötet zu werden" gilt so
selbstverständlich, wie die Sonne seit Tausenden von Jahren
auf- und untergeht. Ein Gesetz, das bis heute kaum jemanden
störte. Doch nun bedroht der Diktator Saddam Hussein nicht
nur sein Volk, sondern die ganze Menschheit.
Die Erfahrungen von Hunger und Flucht haben 22 Jahre meines
Lebens unter dem irakischen Regime geprägt. Schon als
Fünfjähriger galt es, mitzuhelfen beim Waschen der
Leichen; mit unseren Kinderfingern mussten wir die
Einschusslöcher in den toten Körpern mit Baumwolle
stopfen. Unsere Spielzeuge waren Pistolenkugeln. Wir wurden zu
Experten in der Frage, welches Projektil welcher Art von Waffe
entstammte und ob es bereits Fleisch durchdrungen hatte oder
nicht. Aufgeregt liefen wir hinter den Jeeps des Geheimdienstes
her, wenn sie die Leichen an Seilen durch die Gassen
schleiften.
"Das Museum des Todes" so nannte mein Vater den Irak. Einen
Ausdruck, den ich erst verstand, als ich gemeinsam mit meinen
Eltern in einem irakischen Gefängnis saß. Mein
90-jähriger Vater starb in der Haft. Meine Mutter und mich
begnadigte der Führer. Viele Jahre war der Terror Saddam
Husseins für mich nichts anderes als Terror am kurdischen
Volk. Als ich anfing, an der Bagdader Universität zu
studieren, wurde ich eines Besseren belehrt. Der ältere Sohn
des Diktators, Udai, machte mit seiner männlichen
Gefolgschaft regelmäßig Jagd auf Mädchen und
Frauen in der Universität und auf den Straßen Bagdads.
Viele seiner Opfer haben sich nach der Vergewaltigung das Leben
genommen.
Willkür gehört zum System, Rechtssicherheit ist ein
Fremdwort im Irak. Wer nicht selbst zu einem der
vielfältigen Geheimdienste gehört, befindet sich
entweder schon als Verräter oder Spion in Haft oder gilt als
potenzieller Verräter, von Geheimdienstlern observiert und
damit auf dem besten Weg ins Gefängnis. Davon gibt es viele
und doch nie genug. Hinrichtungen sind an der Tagesordnung,
Tausende warten auf die Vollstreckung ihrer Todesurteile.
Garanten dieses totalitären Kontrollsystems sind die
Vertreter der Baath-Partei, die nach Blockwartmuster jede Gasse
kontrollieren, in Form eines Straßenrates, als
Verantwortliche der Partei oder als Mitglieder des
Geheimdienstes. Nicht umsonst ist die DDR eines der Vorbilder
für das irakische Regime gewesen. Was wissenswert ist,
entscheiden die Aufpasser. Und sie wissen alles: wann ein Kind
geboren wird, wer wen wann besucht und aus welchem Grund. Auch
die Demonstrationen, die jetzt im Fernsehen gezeigt werden, sind
von ihnen organisiert. Studentische Freiheit hieß für
mich nichts anderes, als den Affen für den Führer zu
machen, ohne Seele für ihn zu schreien.
Deutschland, 1998, das Telefon klingelt, ein Anruf aus dem
kurdisch-irakischen Suleimania. Am anderen Ende die kraftlose und
aufgelöste Stimme meiner Mutter, die in abgehackten
Sätzen zu verstehen gibt, dass mein Bruder Mohammed nach
vier Jahren Gefängnishaft in Abu Gahraib hingerichtet wurde.
Um seine Leiche zu bekommen, verlangt das Gefängnis das Geld
für die 30 Kugeln zurück, mit denen er getötet
wurde. Das Bagdader Hauptgefängnis fordert noch etwas mehr.
Wegen der entfernten Augäpfel.
Terror dieser Art ist Alltag. Demonstrationen, die heute
weltweit für den Frieden stattfinden, machen den Menschen im
Irak nur Angst. Für die Iraker sind sie nichts anderes als
Hilfe für einen Diktator und seine Gestapo. Zugleich
bedeuten sie anhaltenden Hunger, weil Saddam sein Geld lieber
für Massenvernichtungswaffen und die Aufrüstung
terroristischer Gruppen ausgibt, als die Bevölkerung zu
versorgen und sein Land zu sanieren. Und sie bedeuten eine
Fortführung des Spiels mit den UN-Inspektoren, deren Suche
immer vergeblich sein wird, weil Saddam nicht nur Moscheen und
Schulen als Verstecke von biologischen und chemischen Waffen
nutzt, sondern auch die Unterkünfte der Bevölkerung,
ohne jede Sorge um deren Gesundheit.
Saddams Regime will keinen Frieden, weil es den Frieden als
Bedrohung empfindet. Saddam und sein Familienclan verstehen die
Kunst, das Militär die wichtigste Stütze der Macht im
Zaum zu halten, indem sie die Armee ständig mit einem neuen
Feind konfrontieren: dem Iran, den USA oder den Kurden. Die
Zusicherungen des Diktators, er besitze weder
Massenvernichtungswaffen, noch pflege er Beziehungen zu al-Qaida,
sind nichts weiter als die Umsetzung des islamischen Rechtes der
taqiya: Ungläubigen gegenüber darf man die Unwahrheit
erzählen.
Namo Aziz ist Exil-Kurde aus dem Nordirak und lebt als
Publizist in Deutschland (in Die Zeit, 9/2003)
Anmerkung der Redaktion: auch wenn dieser Artikel bezüglich der Befürwortung einer bewaffneten Intervention nicht der Haltung der GfbV entspricht, so ist er doch ein wichtiges Zeugnis für die Verzweiflung von Menschen, die besonders unter einem unmenschlichen Regime gelitten haben oder noch immer leiden.
Zivile Opfer? Völkerrecht? Wenn der Schriftsteller Sherko
Fatah mit seinen Verwandten im kurdischen Teil des Irak
telefoniert, hört er andere Fragen: Warum betreibt
Deutschland eigentlich eine Politik, die das Fortbestehen des
Regimes in Bagdad unterstützt?
Sherko Fatah wurde vor zwei Jahren mit dem
"aspekte"-Literaturpreis ausgezeichnet. In einem Beitrag für
die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Dienstag zeigt er, warum
es ihm schwer fällt, Antworten auf solche Fragen seiner
irakischen Landsleute zu formulieren. Und warum Fatahs Onkel in
Bagdad bleibt, während Präsident Bush seine Truppen mit
ihren Präzisionswaffen am Golf aufmarschieren
lässt.
In Kurdistan wimmle es "von Reportern aus der ganzen Welt",
berichten Fatahs Verwandte, "und alle seien wie besessen auf der
Suche nach der Bedrohung. Dass die Kurden und mit ihnen alle
Menschen im Irak unter dieser Bedrohung seit Jahrzehnten lebten,
spiele für die Journalisten kaum eine Rolle. Dabei
könne man selbst den Truppen des irakischen Regimes, die
inzwischen an der Grenze zu Kurdistan Stellung bezogen haben,
ihre Schwäche im Vergleich zu früheren Jahren
ansehen."
Saddam Hussein droht seinen Gegnern mit einem zermürbenden
Häuserkampf. Doch Fatahs Onkel in Bagdad kennt die
Realität vom letzten Krieg her: High-tech-Profis gegen
Wehrpflichtige wie seine Söhne, denen ihre Mutter die
Uniformen nähen musste. Denn der Irak, so Fatah, werde von
reichen Verbrechern beherrscht, deren Staat nicht einmal die
Mittel für Uniformen aufzubringen bereit sei.
Angst vor "Saddams Rache"? Nie sei die die Chance so groß
gewesen, das Regime zu stürzen. Noch nie waren sie sich in
der Einschätzung der Lage so einig: "Assyrer, Chaldäer,
Turkmenen -- einfach alle."
Für mich war es schon immer so: Alle paar Jahre wieder
fand ich Geschichten, ausführlich erzählt oder auch nur
beiläufig fallengelassen von Verwandten, die in der
Krisenregion Irak leben, in den brandaktuellen Meldungen zur
Weltpolitik wieder. So ist es auch diesmal. Man kann zwar nicht
sagen, Kurdistan und der Irak seien uns näher gerückt.
Das tun sie nie. Aber mir kommt es zumindest so vor, als
würden sich beide plötzlich von mehreren Seiten auf
mich hier in Deutschland zubewegen; nicht nur durch die
jährlichen Besuche meines Vaters, der zeitweise in
Irakisch-Kurdistan lebt und immer eine Menge Geschichten
mitbringt - Alltägliches und Politisches, ohne das Potential
zur Schlagzeile -, nicht nur durch Telefonate oder E-Mails. Nein,
diesmal auch durch die großen und sonst vornehm selektiven
Medien, in denen das unzugängliche, unzulängliche Land
meines Vaters - und jene größere "Republic of Fear",
die es einschließt - nur gelegentlich eine Rolle spielt. In
den Tod geschickt Diesmal aber sind meine Fragen nach dem
Verbleib von Familienangehörigen dringlicher. Ich will
wissen, warum mein Onkel mit seiner großen Familie in
Bagdad geblieben ist. Natürlich ahnt er nicht, wie hier
über Häuserkampfszenarien spekuliert wird.
Aber er kennt die Realität vom letzten Krieg her:
High-Tech-Profis gegen Wehrpflichtige wie seine Söhne, denen
ihre Mutter die Uniformen nähen mußte, weil der
irakische Staat dafür keine Mittel aufbringen wollte. Soviel
zum Krieg gegen Länder, deren Menschen auf der Straße
wie auf dem Schlachtfeld arm bleiben, auch wenn sie, wie im Irak,
von märchenhaft reichen, reich gemachten Verbrechern
beherrscht und in den Tod geschickt werden. Soviel aber auch zum
Eindeutigen in all dem. Denn aus Sulaimania, der kurdischen
Heimatstadt meines Vaters, ist Zustimmung zu den amerikanischen
Kriegsplänen zu vernehmen. Dorthin sind die
telefonisch-elektronischen Verbindungen inzwischen relativ gut.
Ich versuche also, Fragen nach dem Alltag zu stellen. Aber immer
(und so war es, seit ich denken kann) mischt sich das mit dem
Politischen.
Politik und Leben sind dort auf selbstverständliche Weise
eins. In Zeiten wie diesen ist eine solche Tatsache
plötzlich, einen kurzen Moment lang, auch für die
große, weite Welt erkennbar. Ich weiß aber, daß
es tatsächlich immer so war und auch noch so sein wird, wenn
dieser Region einmal niemand mehr größere Beachtung
schenken wird. Nie war die Chance so groß Herrscht also
Angst in Sulaymania, fürchtet man das Nahende oder auch nur
die Reaktion des Regimes in Bagdad darauf? Nichts davon:
gespannte Erwartung allerseits, vielleicht Nervosität, aber
auch Zuversicht. Man sagt mir, noch nie sei die Chance für
einen Sturz des Regimes so groß gewesen wie jetzt und noch
nie seien sich "Assyrer, Chaldäer, Turkmenen - einfach alle"
so einig gewesen in der Einschätzung der Lage.
Es wimmle dort von Reportern aus der ganzen Welt, und alle seien
wie besessen auf der Suche nach der Bedrohung. Daß die
Kurden und mit ihnen alle Menschen im Irak unter dieser Bedrohung
seit Jahrzehnten lebten, spiele für die Journalisten kaum
eine Rolle. Dabei könne man selbst den Truppen des
irakischen Regimes, die inzwischen an der Grenze zu Kurdistan
Stellung bezogen haben, ihre Schwäche im Vergleich zu
früheren Jahren ansehen. Nur noch zur Verteidigung seien sie
da, nicht mehr zum Angriff.
Zum erstenmal seit etlichen Jahren, fällt mir auf, scheint
nicht einmal mehr die Rache des Regimes Grund zu
größerer Besorgnis zu sein. Saddams Rache Anders in
Arbil, einer Stadt, zur Zeit etwa 45 Kilometer von den Linien der
regimetreuen Truppen entfernt: Dort werden Hamsterkäufe
getätigt, und die Angst vor "Saddams Rache" ist sehr real.
Gerade wenn er jetzt unterginge, sagt man mir, an wem sonst
könne er sich im letzten Moment noch rächen als an den
Kurden? Ich frage nach der Islamisten-Gruppe, jenem
möglichen missing link zu Al Qaida im Irak, die sich in
Kurdistan festgesetzt hat.
Man sagt mir, sie seien zwar gut ausgerüstet, weil sie aus
verschiedenen Ländern Unterstützung erhielten. Aber ein
paar hundert Mann, so hoffen meine Gesprächspartner,
könnten keinen wirklich großen Schaden anrichten.
Unverständnis für Deutschland Öfter ist zu
hören, daß im Ausland übertrieben werde mit der
Besorgnis. Und noch öfter wird die Frage gestellt, warum
Deutschland eine Politik betreibt, die im Ergebnis das
Fortbestehen des Regimes in Bagdad zweifelsohne unterstütze.
Unentschieden, wie ich in dieser Sache eben bin, versuche ich zu
erklären. Aber ich ernte nur Unverständnis. Warum die
Deutschen das Ganze überhaupt so plötzlich zu ihrer
Angelegenheit gemacht hätten, werde ich gefragt. Und da
muß ich zugeben, daß hier in den letzten Monaten ein
sehr deutsch-amerikanisches, inzwischen vielleicht halbwegs
europäisches Problem daraus geworden ist. Ich sage es, aber
erklären mag ich das meinen Gesprächspartnern nicht.
Auch nicht, daß ich hier allen Ernstes gefragt werde, woher
man überhaupt wisse, daß der Irak über
Massenvernichtungswaffen oder wenigstens die Materialien
dafür verfüge. Ich sage nicht, wie leid ich es bin,
darauf zu antworten, nicht nur hier in Deutschland könne man
doch zumindest ahnen, was und wieviel man sogar selbst in den
Irak geliefert hat. Erschreckende Geräusche Es handele sich
mehr um eine allgemeine Haltung, um die Ablehnung von
Gewaltanwendung überhaupt, erkläre ich immer wieder und
weiß dabei, daß diese schöne Einstellung auch
nur jenen vorbehalten ist, die ihre Grundrechte gesichert wissen.
Noch in unseren moralischen Möglichkeiten sind die Kurden
dort und ich hier in Deutschland weit voneinander entfernt, und
nicht nur die merkwürdigen, manchmal erschreckenden
Hintergrundgeräusche im Telefon lassen mich das
erkennen.
Am vergangenen Wochenende nahmen in Berlin gut eine halbe
Millionen Menschen unter der einenden Parole "Kein Krieg im Irak"
an der größten Demonstration der vergangenen Jahre
teil. In der Öffentlichkeit wird dieses Ereignis als
machtvolle Demonstration der um Frieden Besorgten verstanden und
nicht nur in Sachen medialer Aufmerksamkeit als politischer
Erfolg bewertet. Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner
dieses Briefes, können uns einer solchen Sichtweise nicht
anschließen.
Um die Gefährlichkeit und Brutalität des irakischen
Regimes und das Leiden der irakischen Bevölkerung unter
Saddam Hussein kann man wissen und dennoch unterschiedlicher
Auffassung über das Für und Wider eines
großangelegten Militärschlages sein. Unsere
Stellungnahme ist jedoch kein Beitrag zu dieser Diskussion.
Vielmehr geht es uns darum, einige kritische Anmerkungen zum
Zustand der Friedensbewegung zu machen.
Im Vorfeld der Demonstration wurde klar, dass auch Gruppierungen
dorthin mobilisierten, deren politisches Weltbild durch
Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bestimmt ist. Den
drohenden Imageschaden vor Augen und bereits mit vereinzelten
Kritiken konfrontiert, kündigten die VeranstalterInnen an,
entsprechende Transparente entfernen zu lassen. Es dämmerte
den OrganisatorInnen offensichtlich, dass sich eine
Demonstration, die sich dem Thema "Frieden" verschrieben hat,
politisch unglaubwürdig macht, wenn sie solche Kräfte
in ihren Reihen duldet. Trotzdem waren am Wochenende neben
Deutschlandfahnen und geschichtsrevisionistischen Plakaten u.a.
israelfeindliche Sprechchöre zu hören. Daneben wurde
auf Transparenten, Israel als Strippenzieher im Irakkonflikt
halluziniert, wurden seine Politiker als "Kindermörder"
beschimpft und vereinzelt gar Fahnen der islamistischen Hamas und
Hisbollah geschwenkt.
Geprägt war die Demonstration jedoch vor allem durch eine
gefährliche Mischung aus Antiamerikanismus und politischer
Naivität. So war auf Transparenten und Schildern einerseits
das ganze Arsenal des antiamerikanischen Ressentiments zu finden:
der Wille zur Weltherrschaft, die Stilisierung des amerikanischen
Establishment zu blutrünstigen Kriegstreibern, die
Identifizierung der USA mit Geld und kaltem Interesse, die
Kulturlosigkeit der Amerikaner und daraus fast zwingend folgend:
die einseitig positive Besetzung des europäischen
Gegenentwurfs (nicht zuletzt ausgedrückt durch die trotzige
Bezugnahme auf das von Donald Rumsfeld ausgemachte "alte
Europa").
Darüber hinaus war eine spezifisch deutsche Wendung dieses
Ressentiments unübersehbar. Auf vielen Plakaten und
Transparenten wurde die Politik der Amerikaner mit dem deutschen
Vernichtungskrieg analogisiert und die Bombardierung Deutschlands
durch die Alliierten im zweiten Weltkrieg mit einem
möglichen Angriff auf den Irak in eine Reihe gestellt.
Andererseits offenbarte sich der zentrale Topos "Frieden" als ein
Begriff, der zu nichts weiter beizutragen scheint, als das
Bedürfnis nach politischer Unschuldigkeit zu bedienen.
So durften sich alle unter den Bannern und Gesdngen des Friedens
als Teil einer großen Familie fühlen. Die Gemeinschaft
der Guten, die nichts weiter will, als dass alle in Frieden leben
können. Widersprüche haben in diesem naiven
Bedürfnis keinen Platz: Dass die Abwesenheit eines
Militärschlages im Irak noch lange keinen Frieden bedeutet,
dass sich in den letzten Jahrzehnten im arabischen Raum eine
schlagkräftige islamistische Terrorbewegung gebildet hat,
die allen emanzipatorischen Errungenschaften den Krieg
erklärt hat, dass diese Bewegung jüdischen Israelis das
Recht auf Leben abspricht und dafür u.a. von Saddam Hussein
in Form von finanziellen Zuwendungen für die Familien von
Selbstmordattentätern belohnt wird, all das sind
Realitäten, die man schnell ausblendet, wenn man den
Plänen zu einem gewaltsamen "Regime-Change" einen abstrakten
Wunsch nach Frieden entgegensetzt.
Dieser diffuse Friedensbegriffs, in Verbindung mit
antiamerikanischen Feindbildern, ist nicht zuletzt der Grund
dafür, dass sich rechtsradikale Gruppierungen zu der
Demonstration im Vorfeld durchaus eingeladen fühlen durften.
Die Warnung vor einer Weltherrschaft der USA, die Stilisierung
ihrer Politiker zu schießwütigen Cowboys, der Verzicht
auf eine ernsthafte Analyse und Kritik der Verhältnisse im
Irak, die über Lippenbekenntnis hinausginge, die unkritische
Haltung gegenüber islamistischen und anderen extremistischen
Strvmungen im arabischen Raum, die Mobilisierung der deutschen
Bevölkerung über das Ticket der Angst, welche man aus
eigener Erfahrung, der Bombardierung Dresdens, kenne, all das
sind Elemente eines Diskurses, der ohne große Mühe
anschlussfähig an rechtsextreme und antisemitische
Denkmuster ist. Es ist anzunehmen, dass die Demonstration vom
vergangenen Samstag nicht die letzte ihrer Art gewesen sein wird.
Daher rufen wir all jene auf, die sich als kritischer Teil der
Friedensbewegung begreifen, inhaltliche Debatten anzustoßen
und die Differenzen zu Strömungen deutlich zu machen, deren
Weltbild durch Antiamerikanismus und politische Naivität
geprägt ist.
Nach zunächst unbestätigten Meldungen ist das erste
Treffen der irakischen Opposition im Irak auf unbestimmte Zeit
vertagt. Dabei scheinen große politische Schwierigkeiten
die Konferenz lahm zu legen.
Einer der Hauptgründe ist, dass der Sondergesandte von
US-Präsident Bush, Zalmay Khalilzad, seine Reise in den
Nordirak vertagt hat. Das unterstreicht die Meldungen, nach denen
die US-Regierung sich zunehmend von der irakischen Opposition
distanziert und entschieden hat, die Nach-Saddam-Phase erst
einmal selbst in die Hand zu nehmen.
Dazu kommen wachsende Spannungen zwischen der Türkei und
den irakischen Kurden. Im Poker mit der US-Regierung um die
Stationierung von Truppen hat die türkische Regierung darauf
bestanden, Truppen unter eigenem Kommando in den Nordirak zu
schicken und will zudem die US-Waffenlieferungen an die Kurden
überprüfen.
Der Chef der kurdischen Demokratischen Partei, Massud Barsani,
hat dagegen protestiert, dass türkische Truppen bis zu 150
Kilometer in den Nordirak einmarschieren sollen. Die Türken,
so Barsani, seien willkommen, um humanitäre Einsätze zu
unterstützen. Darüber hinaus sollten sie sich aber aus
dem Nordirak heraushalten.
Das türkische Militär macht deutlich, dass es sich im
Nordirak nicht heraushalten werde. An der
türkisch-irakischen Grenze in Cizre und Silopi rollen
bereits die Panzer. Ganz demonstrativ werden starke Kräfte
an der Grenze zum Nordirak zusammengezogen. Zu den Ende letzten
Jahres stationierten Soldaten wird nun noch die gesamte 2. Armee
von rund 100.000 Mann in die Grenzregion verlagert. An den
wachsenden Spannungen zwischen der Türkei und den irakischen
Kurden droht nun auch eine geplante vorübergehende
Öffnung der türkisch-irakischen Grenzstation in Habur
für Journalisten zu scheitern. Seit Tagen warten in Silopi,
dem nächsten größeren Ort vor der Grenze, rund
150 Journalisten auf Einreise. Angeblich weil die
Oppositionskonferenz vertagt ist und die türkische Regierung
ihre Teilnahme aufgrund der Aussagen Barsanis zurückgezogen
hat, blieb die Grenze zu. Jetzt soll Ende der Woche ein
türkisch-kurdisches-US-Treffen in Silopi stattfinden.
Der türkische Parlamentspräsident B. Arinc hat sich gegen eine Parlamentsabstimmung über die Stationierung von US-Truppen auf türkischem Boden ausgesprochen. Unterdessen liefen die Verhandlungen zwischen Washington und Ankara über die Bedingungen einer Stationierung "auf Hochtouren", wie ein Sprecher der US-Botschaft in Ankara mitteilte. Als Ergebnis der wiederholten Verzögerungen der von den USA fest eingeplanten Zustimmung liegen US-Transportschiffe mit Kriegsgerät für die 4. Infanteriedivision der U.S. Army bereits vor der türkischen Küste auf Reede und warten ungeduldig auf die Erlaubnis, zum Entladen die nächsten Häfen anzulaufen. 20000 US-Soldaten warten in den USA auf ihren Abflug in die Türkei. Zuvor muß jedoch noch das Parlament der Türkei für den Krieg stimmen und dem Pentagon grünes Licht für den Aufmarsch einer amerikanischen Invasionsarmee von nach letzten Angaben bis zu 55000 Mann Bodentruppen geben. Die Parlamentssitzung könne Dienstag stattfinden, hieß es aus Ankara. Voraussetzung allerdings sei eine Einigung mit den USA. Neben einer Milliardensumme, deren Zahlung die Türkei sofort zu Kriegsbeginn von den USA fordert, geht es um ein bis zu 30 Milliarden US-Dollar dickes Paket, das die Türkei schriftlich zugesichert bekommen will. Weitere Verhandlungspunkte sind eine Kontrolle der Türkei über die nordirakischen Ölfelder um Kirkuk und Mosul eine brisante Forderung: Die nordirakischen Ölfelder liegen auf überwiegend kurdisch besiedeltem Gebiet, und die südkurdischen Parteien PUK und KDP beanspruchen ihrerseits die Verwaltung über das Öl im Rahmen des Ausbaus eines kurdischen Gemeinwesens im Norden des Irak. Diese kurdischen Pläne wiederum werden seitens der Türkei gefürchtet, da sie in den Südosten des türkischen Staates ausstrahlen und die Freiheitsbestrebungen der kurdischen Bevölkerung dort befördern könnten. Darüber hinaus fordert der türkischen Außenminister Yakis, daß die militärisch gut ausgerüsteten Peshmerga-Milizen von PUK und KDP nach einem gewonnenen Krieg gegen Irak entwaffnet werden. Nach einer bisher nicht bestätigten Meldung der türkischen Nachrichtenagentur Anatolia vom Sonntag seien Türkei und USA übereingekommen, die Entwaffnung der Kurden gemeinsam durchzuführen. Außerdem verlange die Türkei eine Rolle in der Verwaltung des Nordirak in der Zeit nach dem Krieg, berichtete die türkische Zeitung Hurriyet ebenfalls am Sonntag. Die Kurden im autonomen Gebiet des Nordirak verfolgen die türkisch-amerikanischen Verhandlungen mit zunehmender Sorge. Vertreter von PUK und KDP warnten vor militärischen Zusammenstößen zwischen Türken und Kurden. "Wir werden uns jeder militärischen Intervention der Türken widersetzen," erklärte Hoshyar Zebari, der als "Außenminister" der KDP fungiert. "Niemand sollte glauben, daß wir bei dieser Sache bluffen. Jegliche Intervention wird zu Zusammenstößen führen", sagte er gegenüber AP. Latif Rashid, Sprecher der PUK, pflichtete ihm bei und verurteilte türkische Pläne, Soldaten in ihr Gebiet zu schicken. Derweil äußerte der türkische Botschafter in Washington, Faruk Logoglu, gegenüber CNN, daß "es eine türkische Militärpräsenz im Norden Irak geben wird" allerdings lediglich, um sich dort der durch den Krieg verursachten "humanitären Probleme anzunehmen", schränkte er ein. So könnten es die USA bei einer Irak-Invasion von Norden aus mit einem türkisch-kurdischen Konflikt zu tun bekommen.
Die EU will über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zwar nicht vor dem Dezember 2004 entscheiden, aber in Anerkennung der von Ankara bereits beschlossenen Reformen die Beitrittshilfe aufstocken. Zu dieser am EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2002 beschlossenen Politik fehlten aber noch die Zahlen. Diese Lücke wird die für das EU-Budget zuständige Kommissarin Schreyer an der Kommissionssitzung vom Mittwoch schliessen und dem Kollegium beantragen, für die Türkei in den Budgetjahren 2004 bis 2006 Verpflichtungen von über einer Milliarde Euro einzugehen. Der Antrag sieht eine stufenweise Erhöhung von 250 Millionen Euro (2004) über 300 Millionen (2005) auf 500 Millionen Euro (2006) vor. Für 2003 sind wie im letzten Fiskaljahr erneut 149 Millionen Euro vorgesehen. Die Hilfe der Gemeinschaft fördert hauptsächlich den institutionellen Aufbau und trägt zur Heranführung der Türkei an den Gemeinschafts-Besitzstand bei. Diese Beitrittspartnerschaft umfasst eine Vielzahl von Programmen zur Strafrechts- und zur Verwaltungsreform, zum Ausbau der Lokalverwaltungen, zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen, zur Stärkung des gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes, zur Verbesserung der ökologischen Standards und zur regionalen Entwicklung. Begünstigt wird nicht nur der türkische Staat, sondern auch regionale und lokale Gebietskörperschaften, Unternehmensverbände und Gewerkschaften, Genossenschaften sowie gemeinnützige und nichtstaatliche Organisationen. Die Türkeihilfe der EU ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht worden. Standen in den fünf Jahren 1995-99 jährlich 81 Millionen Euro zur Verfügung, sind es in der Dreijahresperiode 2001-03 durchschnittlich bereits 164 Millionen Euro pro Jahr. Zwischen 2004 und 2006 wird sich der aufs Jahr bezogene Beitrag auf 350 Millionen Euro erhöhen. Die Türkei gilt seit dem Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 offiziell als EU-Beitritts-Kandidat.
Der drohende Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und dem
Irak ist das Thema dieses Schwerpunktes. Im folgenden soll es um
Fragen gehen, die zentral sind für diesen Konflikt: Welche
Bedeutung haben Massenvernichtungswaffen für Saddam Hussein?
Welche Ziele verfolgt die Bush-Administration? Und: Wie tief
gehen die aktuellen Spannungen zwischen Deutschland und den
USA?
Während sich die Vereinigten Staaten und ihre
Verbündeten erbittert mit einer großen Zahl von
Mächten über die wirksamste Methode streiten, den Irak
zu entwaffnen, zeigt sich das Regime Saddam Husseins
störrisch gegenüber den Bemühungen der
internationalen Inspektoren. Deren Leiter, Hans Blix und Mohammed
Baradei, setzen zwar auf eine fortgesetzte Suche nach
Massenvernichtungswaffen (Weapons of Mass Destruction, WMD) im
Irak, aber auch sie bezeichnen das Verhalten der Irakis
bestenfalls als verbesserungswürdig.
Wie ist dieses angesichts des amerikanischen Truppenaufmarsches
am Golf erstaunliche Festhalten Saddam Husseins an den ihm
verbliebenen WMD zu erklären? Denn dass der Irak zumindest
noch über eine Handvoll Langstreckenraketen und unbekannte
Mengen an biologischen und chemischen Kampfstoffen verfügt,
daran hatten die Experten und Politiker keinen Zweifel, die
dieser Tage zu Hintergrundgesprächen mit Aufbau bereit
waren.
Jenseits aller politischen Pokerspiele vermutlich hofft Saddam
auf eine anhaltende Lähmung der USA durch Frankreich,
Russland, China und Deutschland, müssen die
non-konventionellen Arsenale für das irakische Regime von
existenzieller Bedeutung sein. Auch darüber waren sich
unsere Gesprächspartner aus Deutschland und den USA
einig.
Um die Bedeutung der WMD für den Irak zu erklären, ist
ein Blick zurück in die Geschichte notwendig. Der Irak ist
ein Kunststaat, der nach Ende des Ersten Weltkriegs von den
Briten aus drei Provinzen des Osmanischen Reiches nach eigenen
Bedürfnissen konstruiert wurde. Bedeutsam war dabei bereits
das Öl, das schon damals vor allem im Norden vermutet wurde,
in der ehemaligen osmanischen Provinz Mosul britische Truppen
besetzten diese Region erst in den Tagen nach dem
Waffenstillstand im November 1918.
Allerdings gab es im Irak von Anfang an auch eine Kraft, die
sich durch ein starkes, arabisch-nationales Bewusstsein
auszeichnete: die Armee. In Mesopotamien unterhielt das
Osmanische Reich die einzige Kadettenschule seiner arabischen
Provinzen. Die dort herangezogenen Offiziere bildeten in den
Jahren vor dem Ersten Weltkrieg auch den Kern von
Geheimbünden, welche die Gründung eines mächtigen
arabischen Nationalstaates anstrebten, der zumindest vom
Mittelmeer bis zum Iran reichen sollte. Viele dieser Offiziere
kehrten um 1920 in das Zweistromland zurück und bildeten
dort den Kern der irakischen Armee. Diese nationalistischen
Offiziere, viele von ihnen soziale Aufsteiger, mischten sich
rasch in das politische Geschehen in Bagdad ein, eine Tradition,
die in einer Serie von Militärputschen nach dem Sturz des
Königshauses im Jahr 1958 gipfelte.
Als die Baath-Partei, die ebenfalls ein säkulares,
arabisch-nationalistisches Programm verfolgt, 1969 im zweiten
Anlauf in Bagdad an die Macht kam, war es für ihre
Führer entscheidend, die Armee unter Kontrolle zu halten, um
die eigene Herrschaft abzusichern. Diese Aufgabe fiel Saddam
Hussein zu, damals schon ein Veteran der Baath, der nun als
"junger Mann fürs Grobe" eine brutale Säuberung der
Partei und die Zügelung der Armee unternahm. Saddam hatte
sich selbst für eine Offiziers-Ausbildung beworben, war aber
abgelehnt worden, ein Umstand, der manchen an Hitlers Scheitern
bei der Wiener Kunstakademie erinnert. An die Macht gekommen,
ernannte sich Saddam dann zum Vier Sterne-General, stattete sich
mit einer selbststilisierten Uniform aus und gerierte sich mit
katastrophalen Folgen für sein Land und die ganze Region als
"genialer Feldherr". Trotz aller brutalen
Disziplinierungs-Maßnahmen ist die irakische Armee aber
auch nach ihrer massiven Schwächung im Golfkrieg ein
für Saddam potentiell gefährlicher Machtfaktor
geblieben.
Um die eigene Position zu stärken, hat das Regime seit 1982
von der Armee unabhängige Einheiten aufgebaut, darunter die
Republikanischen Garden. Die Kontrolle über die irakischen
Raketen und ABC-Waffen unterstand stets diesen, Saddam direkt
verantwortlichen Sondereinheiten. Die WMD bilden so nach innen
eine Basis für das Prestige des Regimes, nach außen
sind sie aber militärisch als Drohpotential ein Ersatz
für die Schwäche der regulären
Streitkräfte.
Einer unserer Gesprächspartner ging aber davon aus, dass
verbliebene Raketen, sowie chemische und biologische Kampfstoffe,
heute bei den Stämmen versteckt gehalten werden, die mit dem
Tikriti-Clan Saddam Husseins verwandt oder verbündet sind.
Diese Stämme bilden neben der Baath-Partei die wichtigste
Säule des Regimes Experten wie der Israeli Amatzia Baram
sprechen schon seit Jahren von einer "Retribalisierung" des
Irak.
Was aber sind die Ziele Saddams? Dieser hat sich 1977 in der
Textsammlung "Unser Kampf und die internationale Politik"
programmatisch geäußert. Zentral war dabei die
durchaus scharfsinnige Idee von einer "multipolaren Welt", in der
neben den USA und der Sowjetunion auch China, Europa - hier vor
allem Frankreich - und Japan als Gleichberechtigte auftreten. In
die Reihe dieser Mächte wollte sich auch der Irak
eingliedern, wobei Saddam den alten Traum von einem großen
arabischen Reich, das die kleineren regionalen arabischen Staaten
aufsaugen würde, vor Augen hatte. Eine Position in dieser
multipolaren Welt war für Saddam nicht denkbar ohne eine
Kontrolle über das arabische Öl, nicht nur in seinen
Augen beruht ja die starke amerikanische Stellung etwa
gegenüber Deutschland und Japan auf der Kontrolle über
deren Ölversorgung.
In seiner Textsammlung prägte Saddam den Begriff des
"freien arabischen Öls", das auch die Finanzierung von WMD
ermöglichen sollte, die dann den Handlungsspielraum des Irak
entscheidend vergrößert hätten, nicht zuletzt
gegenüber der einzigen regionalen Atommacht, Israel.
Wer die Jahre nach 1977 auf diesem Hintergrund betrachtet, muss
Saddam zugestehen, dass er einiges dafür getan hat, seine
Visionen umzusetzen. Vor allem Frankreich war bereit, ihm auf dem
Nuklear-Sektor kräftig unter die Arme zu greifen.
Bekanntlich wurde Saddams Text zumindest in Israel gelesen, was
zum Schlag der israelischen Luftwaffe gegen den
"Osirak"-Atommeiler im Jahr 1981 führte.
Eine Abgabe der WMD würde für Saddam also bedeuten,
dass er seine politische Vision einer panarabischen
Großmacht aufgibt und zudem einen existenziellen, nach
innen und außen wirksamen, symbolträchtigen
Machtfaktor verliert. Ein Experte sagte, es sei eine kluge
Strategie der Amerikaner, in der Öffentlichkeit den Focus
auf die Entwaffnung des Irak zu legen, der Sturz des Regimes sei
dann die logische Folge.
Offensichtlich sind Saddams Ambitionen in Washington schon seit
der ersten Bush-Administration sehr aufmerksam verfolgt worden.
Laut Insidern sei es auch Bill Clinton bewusst gewesen, dass dort
eine bedeutsame Aufgabe wartet ,aber erst der jüngere Bush
habe die politische Kraft gefunden, dieses "unfinished business"
anzupacken. Die USA wollen einen non-konventionellen
Rüstungswettlauf in der Region vermeiden, denn ein mit WMD
bewehrter Irak würde auch Syrien, den Iran, wenn nicht
Ägypten und die Türkei zwingen, nachzurüsten. Dass
dieses strategische Ziel der USA durch die Terroranschläge
im September 2001 neue Dringlichkeit bekommen hat, liegt auf der
Hand: Amerika fühlt sich existenziell bedroht und nicht zu
Unrecht. Ob Saddam und Al Qaida nun direkt kooperieren oder
nicht, ist da eher unerheblich: Man sieht den Nahen Osten als den
Herd vieler Gefahren.
Vielen Presseberichten zufolge hat George W. Bush einen
Aufmarschplan gegen den Irak schon vor seiner berühmten
"Achse des Bösen"-Rede Anfang 2002 in Auftrag gegeben. Bis
Mitte 2002 haben sich demnach aber die Militärs und die
Globalstrategen um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
darüber gestritten, wie der Schlag gegen Saddam zu
führen sei. Dann hat sich Bush offensichtlich entschlossen,
dem langsamen Aufmarsch einer großen amerikanischen
Streitmacht zuzustimmen dieser ist heute fast abgeschlossen. Dass
die Truppen auch bald den Befehl zum Angriff erhalten, daran
zweifelt im vertraulichen Gespräch in Berlin kaum
jemand.
Die USA sehen nun die Stunde gekommen, als Ordnungsmacht im
Nahen Osten einzugreifen. Die Administration weicht aber einer
Debatte um "den Tag danach" aus: Zum einen spielt sicherlich das
Öl eine Rolle und zwar nicht als Sprit für dicke Autos,
sondern als strategischer Rohstoff, der kontrolliert werden muss,
damit niemand daraus Großmacht-Ambitionen speist.
Derzeit kursiert allerdings eine neue "Domino-Theorie" in
Washington, die einen "demokratischen Irak" nach dem Muster des
Umbaus in Osteuropa nach 1989 als ersten Schritt zu einer
wundersamen "Demokratisierung" der ganzen Region vorsieht. Dass
bereits die Schaffung eines funktionierenden, friedlich
gesinnten, von "demokratisch" ganz abgesehen, irakischen Staates
eine Aufgabe ist, die nur in Jahrzehnten zu bewältigen ist,
hält Washington nicht von einer Invasion im Irak ab.
Gerade diese "Unbekümmertheit" macht den Verantwortlichen
in Berlin die größten Sorgen: Man werde sich zehn
Jahre lang in Bosnien und 20 Jahre in Afghanistan beim Aufbau
eines neuen Staates engagieren müssen, wieviele Jahrzehnte
man inmitten einer gespaltenen und feindseligen Bevölkerung
im Irak verbringen muss, sei völlig unklar. Und: Ist es
überhaupt möglich, die arabischen Gesellschaften mit
ihren alten Traditionen, ihrem Stolz und ihren tiefgreifenden
sozialen Problemen in westliche Normen zu zwingen? Bedeutet
"demokratisch" automatisch "pro-westlich" und
"Israel-freundlich"?
Der neuen amerikanischen Domino-Theorie zufolge würde die
Ausschaltung Saddams auch zu einer Entlastung Israels
führen. Für alte Fahrensleute auf beiden Seiten des
Atlantik sind derartige Ideen jedoch unrealistischer "Quatsch".
Allerdings lässt sich die harte Linie der Regierung Scharon
gegenüber den Palästinensern auch als Spekulation
darauf lesen, dass man unter amerikanischer Protektion irgendwie
um die Gründung eines palästinensischen Staates in den
Besetzten Gebieten herum kommt.
Ein Experte wies auch daraufhin, dass die stetige
Siedlungsaktivität in der Westbank gezielt entlang der
dortigen Wasserquellen vorangetrieben wird. Am Horizont dieses
Siedlungsbaus ist eine unabhängige palästinensische
Staatlichkeit eigentlich nicht mehr vorstellbar: Anhaltende
arabisch-israelische Konflikte sind damit langfristig
vorprogrammiert.
Neben der mangelnden Vorbereitung auf die Zeit nach Saddam
Hussein sehen Insider die mangelnde Legitimation eines Angriffs
auf den Irak als weiteres Problem an: In Europa lehnt die
Öffentlichkeit den Militäreinsatz gegen den Irak
weitgehend ab und in den USA scheint sich der Widerstand dagegen
nun zu formieren. Aber noch kein Präsident konnte ohne die
Unterstützung der Nation in den Krieg ziehen um hier nur
Theodore Roosevelt zu nennen. Vielleicht, so ein
Gewährsmann, vielleicht brauchen die Amerikaner ja nach
"9-11" noch "ein weiteres Pearl Harbor", ehe sie ihre Zweifel
gegen ein langfristiges Engagement amerikanischer Truppen im
Nahen Osten aufgeben.
Der rasche Entscheidungs-Prozess in den USA hin zu einem
Eingreifen im Irak wurde in Berlin früh erkannt. Dass der
Nahe Osten mit seinem rasanten Bevölkerunsgwachstum, den
sozialen Ungerechtigkeiten, den Diktaturen und dem
arabisch-israelischen Konflikt eine Krisenzone erster Ordnung
darstellt, wird natürlich in Berlin gesehen. Aber wie soll
man damit umgehen? Eine militärische Aktion kann in
deutschen Augen keinesfalls die Lösung sein.
Washingtons Entschluss, den Irak anzugreifen, hat Berlin ohnehin
zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt getroffen: Deutschland geht
durch die schwerste Krise seit der Nachkriegszeit, der
Sozialstaat steht ebenso zur Debatte wie die Wirtschaftskraft des
Landes und die politische Stellung der Nation in Europa und der
Welt. Die Häufung von "Vergangenheits-Debatten", inklusive
der neuen Diskussion um einen nicht wirklich existierenden
"zunehmenden Antisemitismus", sind Indizien für das
Bedürfnis der Deutschen, sich über sich selbst klar zu
werden, ein neues Selbstverständnis zu finden, wobei die
demokratische Grundordnung, die Freundschaft mit den USA und
Israel weiterhin Grundpfeiler sein werden. Darüber waren
sich unsere Quellen in Berlin einig.
Israel gegenüber werde man weiterhin Maßstäbe
anwenden, hiess es, die sich nicht mit denen gegenüber
anderen Staaten vergleichen ließen, ein klares Indiz
für das Berliner Unbehagen mit der Politik der Regierung
Scharon gegenüber den Palästinensern.
Als Maxime der Berliner Außenpolitk fiel der Satz, man
wolle "global denken und selektiv handeln". Während
Deutschland also verunsichert und bemüht ist, eine Formel
für eine begrenzte Außenpolitik zu finden, attestiert
man der Bush-Administration die gefährliche Tendenz, sich
überhaupt nicht begrenzen zu wollen: Dadurch seien auch die
Existenz der NATO und der UN in Frage gestellt.
Im Hinblick auf den Irak war zu hören, Deutschland habe
dort eigentlich "keine Interessen" angesichts der Zusammenarbeit
auf dem Rüstungs- und Technologie-Sektor in der
Vergangenheit eine etwas merkwürdige Aussage.
"Transatlantiker" auf beiden Seiten attestieren Europa insgesamt
und speziell Deutschland eine machtpolitische Schwäche,
Naivität und Unsicherheit. Europa ist aber auch vielfach
gespalten, denn unter der Oberfläche der
deutsch-französischen Ablehnung eines amerikanischen
Angriffs liegt in Berlin eine große Skepsis gegenüber
Paris: Während die offizielle Haltung Deutschlands und die
Friedensdemonstrationen auf moralischen, ja religiösen
Überzeugungen basieren (von Gerhard Schröders
Wahl-Taktiken einmal abgesehen), betreibe Paris seine
traditionelle, arrogante und machiavellistische
Machtpolitik.
Vertreter Berlins weisen zudem auf die Ähnlichkeit zwischen
Deutschland und Amerika hin, denn auch die amerikanische Politik
argumentiere mit moralischen Motiven und sei das Resultat einer
Innenpolitik, die von der Auseinandersetzung heterogener
Kräfte und Interessen dominiert sei.
Allerdings seien die USA davon überzeugt, dass
außenpolitische Konflikte eher durch militärische
Macht zu entscheiden seien: So denke man in Washington, der
Ost-West-Konflikt sei durch die überlegene Rüstung des
Westens gewonnen worden. In Berlin sieht man eher die
allmähliche Aufweichung des Sowjetimperiums durch die
westliche Entspannungs- und "Umarmungs-"Politik als Ursache
für den Untergang des Ostblocks an.
Was nun den aktuellen Konflikt angeht, so hat man in Berlin
früh begriffen, dass Washington zum Schlag gegen Saddam
ausholt. Deutschland sei aber nicht eingeweiht und konsultiert
worden und habe sich daher im letzten Sommer von diesem Prozess
"entkoppelt". Die Regierung Schröder wollte nicht in einen
Konflikt gezogen werden, den sie nicht steuern hätte
können. Gleichwohl bereitet man sich in Berlin bereits auf
ein Engagement beim "Nation Building" im Irak vor schon, um den
USA die Region nicht alleine zu überlassen. Eine klar
definierte Politik ist dies nicht.
Es ist derzeit schwer auszuloten, wie tief der Riss zwischen
Deutschland und den USA geht. Deutsche Politiker machen die
Erfahrung, dass man in Washington "sehr mit sich selbst
beschäftigt" ist und kein Interesse an einem Dialog mit
Berlin hat. Gerade Rumsfeld stoße die Deutschen mit seiner
groben Rhetorik ständig vor den Kopf, und mache es Berlin
schwer, dem Wahlvolk zukünftig eine erneute Annäherung
an Washington zu vermitteln.
Ein Berliner Kenner sprach von einer "Lernphase" im
deutsch-amerikanischen Verhältnis und auch davon, dass man
sich nach dem Sturz Saddams mit den Amerikanern in Nahost
"operativ wieder zusammenfinden" werde was nur als Indiz für
die Bereitschaft verstanden werden kann, sich nach einem
Kriegsende am Wiederaufbau im Irak zu beteiligen. Zudem sei dies
nicht die erste und auch nicht die gravierendste Krise im
beiderseitigen Verhältnis: Die Nachrüstungs-Debatte in
den frühen 80er Jahren sei bedrohlicher gewesen.
Außerdem: Auch George W. Bush sei "nur auf Zeit
gewählt", danach könnten wieder bessere Zeiten
kommen.
Jenseits derartiger Überlegungen war bei unseren
Gesprächspartnern in Berlin aber eine ernste Sorge
darüber zu spüren, wie tief außerhalb des kleinen
Kreises der Experten und Praktiker in Politik und Wirtschaft auf
beiden Seiten die Unkenntnis voneinander sei: Nach Jahrzehnten
engster Zusammenarbeit ist nun eine Fremdheit zwischen
Deutschland und die USA getreten, deren Dimension noch nicht
messbar ist.
Andreas Mink, Redaktion "Aufbau", New York, Website: www.aufbauonline.com