Redaktion: Wolfgang Mayr, Hans Bogenreiter.
Bozen, Wien, Göttingen, 1. April 2003
Die irakische Opposition ist aufgesplittert. Innerhalb des
irakischen Nationalkongresses gibt es Auseinandersetzungen. Mit
der Ermordung shiitischer Persönlichkeiten, mit blutigen
Strafaktionen nach dem ersten Irak-Krieg 1991 im shiitischen
Süden des Landes und der Stationierung von Elitetruppen
sorgte das Regime für eine politische Ghettoisierung der
größten Bevölkerungsgruppe. Besonders hart ging
das Regime gegen die sogenannten Marsch-Araber, Schiiten auch
sie, im riesigen Deltagebiet von Eufrat und Tigris vor. Das
Sumpfland wurde trockengelegt, die Menschen vertrieben. Trotz der
Angriffe der anglo-amerikanischen Truppen auf die shiitschen
Städte halten sich die Schiiten zurück. Sie misstrauen
den Angreifern, ihren selbsternannten Befreiern. Diese
ließen sie bereits nach dem ersten Golfkrieg im Stich. Die
Schiiten warten ab.
Das Regime des Henkers von Badgad versuchte sich auch nach
Einrichtung der von den USA und GB eingerichteten Flugverbotszone
über den Nord-Irak in die autonome Kurden-Region
einzumischen. Nach militärischen Auseinandersetzungen (Mitte
der 90er Jahre) zwischen der Kurdischen Demokratischen Partei und
der Patriotischen Union Kurdistans unterstützte das Regime
die KDP-Truppen. Auf Druck der USA wurde der innerkurdische
Konflikt beigelegt. Das autonome Kurdistan ist inzwischen
Aufmarschgebiet amerikanischer Truppen.
Während im kurdischen Nord-Irak kurdische Parteien das Land
verwalten, sind im Süden shiitische Parteien verboten. Im
Ausland, in den Nachbarländern des Iraks und in Europa
hingegen sind verschiedene shiitische Organisationen aktiv.
Ebenfalls nur im Exil agiert die Kommunistische Partei. Sie war
lange Zeit mit den Kurden verbündet. Beim ersten Putsch der
Ba'ath-Partei 1963, mit kräftiger US-Hilfe, ermordete diese
nationalistisch-sozialistische Bewegung mehr als 10.000
Kommunisten und Demokraten. Ba' ath gelang es, die starke
kommunistische Bewegung zu zerschlagen.
Dieses Dossier zum Irak-Krieg beginnt mit einer Erklärung
der Irakischen Kommunistischen Partei.
Im Morgengrauen am 20. März 2003 nahm die Tragödie,
die wir längst befürchtet und vor der wir im Laufe der
letzten Monate ununterbrochen gewarnt haben, ihren Lauf. Die
US-Streitkräfte starteten ihren ersten Raketenangriff auf
Irak und lösten damit den Krieg aus, mit dem die USA in den
vergangenen Monaten, mal unter dem Vorwand des Regimesturzes, mal
mit der Rechtfertigung der Zerstörung von verbotenen Waffen
Iraks oder auch durch Vorschieben weiterer Gründe, gedroht
haben.
Es wäre möglich gewesen, die Durchsetzung dieser
erklärten Ziele auch mit anderen, friedlichen Mitteln zu
erreichen, durch die unserem Volk weitere Leiden und Schmerzen
erspart gewesen wären. Diese Option hätte auch die
angestrebte demokratische Umwälzung erlaubt. Dennoch
beharrte die US-Regierung auf der Auswahl der schlechtesten aller
Möglichkeiten, auf dem für die Menschen
gefährlichsten Mittel des Krieges, das dem Land, sowie der
Sicherheit und dem Frieden die enormsten Schäden
zufügt.
Darüber hinaus, wurde die Option des Krieges im Alleingang,
im Widerspruch zum Völkerrecht, ohne die Ausschöpfung
unterschiedlichster diplomatischer Mittel durchgesetzt. Dadurch
wurden Tür und Tor für eine neue enorme Katastrophe
für den Irak und die Iraker, wo deren Wunden infolge
vergangener Kriege des Regimes noch nicht verheilt sind,
geöffnet.
Auch wenn der Krieg bereits am Laufen ist und die
Aggressionstruppen sich auf dem Vormarsch in die irakischen
Gebiete befinden, ist es möglich und dringend notwendig, den
Krieg sofort zu stoppen und zu den politischen und diplomatischen
Mitteln zurückzukehren, um die enormen Verluste für
unser Volk und die verheerenden Schäden für unser Land
und seine Infrastruktur zu vermeiden.
Wenn wir heute unsere Stimme für die Beendigung des Krieges
an seinen Anfängen erheben, übersehen wir nicht
für einen Moment den maßgeblichen Teil der
Verantwortung, den die in unserem Land herrschende Diktatur
für diesen neuen Krieg trägt. Das Regime ist nicht
davon freizusprechen, unser Volk und unser Land in den Abgrund
gestoßen und auch alle vergangenen Tragödien und
Katastrophen, deren Folgen noch heute spürbar sind,
verursacht zu haben.
Dieses Regime ließ die Forderung nach der Vernichtung
verbotener Waffen über mehr als zwölf Jahre seit seiner
Aggression gegen Kuwait unbeantwortet. Es sabotierte bzw.
zögerte hinaus die Umsetzung aller Beschlüsse des
UNO-Sicherheitsrates und lieferte die Argumente und Vorwände
für den durch die USA-Administration entfachten Krieg.
Der Kopf des Regimes setzt die Repressionen gegen unser Volk mit
Peitschen und Gewehrsalven bis zum heutigen Tag fort, statt den
aus Sorge um das Wohl des Landes erteilten Empfehlungen, auf
seine Macht zu verzichten und das Land zu verlassen, zu folgen,
um damit das Land und das Volk vor dem Krieg und seinen
Zerstörungen zu bewahren.
Damit bleibt der Sturz dieses despotischen und von verheerenden
Abenteuern besessenen Regimes ein vorrangiges Ziel für die
Massen unseres Volkes, seine Streitkräfte und für alle
patriotischen Oppositionskräfte, die eine demokratische
Alternative in einem föderativen vereinten Irak
anstreben.
Wir fordern deshalb:
Mit allen Mitteln den Druck für eine Beendigung des
Krieges, für Zurückweisen der Alleingänge der USA
bezüglich des irakischen Problems und die Rückkehr zum
Völkerrecht und zur UNO, mit ihrer Verantwortung für
die internationalen Sicherheit und Frieden, auszuüben.
Unverzüglich die notwendigen Schritte, zur Bereitstellung
von Nahrungsmitteln, Medikamenten und weiterer
Lebensnotwendigkeiten für die irakische Bevölkerung,
sowie für die Aufhebung der gegen das Volk verhängten
Wirtschaftssanktionen einzuleiten.
Sicherstellung der Beachtung des Genfer Abkommens, des Schutzes
irakischer Zivilisten, der Infrastruktur und der Menschenrechte
im Irak im Einklang mit den relevanten internationalen
Verträgen und Abkommen. Entsendung von UNO-Beobachtern zur
Überwachung von Menschenrechten in den Irak, um die
Ausschreitungen gegen irakische Zivilisten zu verhindern, sowie
das Offenlegen des Schicksals Tausender politischer Gefangener im
Irak zu erzwingen und sie vor der Gefahr der physischen
Vernichtung durch das irakische Regime, unter dem Vorwand des
Krieges, zu bewahren.
Ablehnung der Invasion, der Besatzung und der
US-Militäradministration, sowie die Sicherstellung des
Rechtes des irakischen Volks auf Selbstbestimmung und auf Auswahl
der Alternative für das geächtete Regime entsprechend
seinem freien Willen, ohne externe Bevormundung und
Hegemonie.
Einberufung einer internationalen Konferenz unter der
Schirmherrschaft der Vereinten Nationen mit Beteiligung von
Vertretern irakischer demokratischer Parteien und Kräfte, um
das Irak-Problem umfassend zu behandeln, den Weg für die
Zerstörungen und Tragödien eines Krieges zu versperren
und die Perspektiven für eine Problemlösung, die eine
grundlegende demokratische Wende in unserem Land sicherstellt, im
Rahmen des Völkerrechtes zu eröffnen.
Schutz irakischer Bodenschätze und seiner nationalen
Ressourcen, insbesondere des Erdöls, als
rechtmäßiger Besitz des irakischen Volkes, das allein,
über seine demokratisch gewählten und
verfassungsmäßigen Institutionen, darüber
verfügen darf, sowie der Schutz der Souveränität
und Integrität Iraks.
Unterstützung der Bestrebungen des irakischen Volkes zur
Bildung einer Übergangsregierung auf breiter
Koalitionsbasis, die umfassende demokratische Rechte gewährt
und die Bedingungen für freie Wahlen, als Grundvoraussetzung
für einen demokratischen konstitutionellen Irak, unter
Aufsicht der Vereinten Nationen schafft.
In dieser Zeit, wo sich die enormen Gefahren für unser Volk
zuspitzen, das zwischen dem Hammer des entfachten Krieges und dem
Amboß der rücksichtslosen, abenteuerlichen und
terroristischen Politik des herrschenden Regimes zermahlen wird,
rufen wir auf zur Solidarität mit dem Kampf unseres Volkes
für die Beendigung des Krieges und die Erlösung von der
herrschenden Diktatur, für die Errichtung eines Iraks des
Friedens, der Freiheit und der Würde - eines demokratischen,
föderativen und vereinten Iraks.
Zentralkomitee der Irakischen Kommunistischen Partei,
Shaklawa - Irakischer Kurdistan
Während sich am Donnerstagabend auf dem Alexanderplatz
rund 70 000 Menschen versammeln, um gegen den Irak-Krieg zu
demonstrieren, setzen sich einige Kilometer entfernt Vertreter
der irakischen Opposition auf ein Podium und diskutieren. Drei
Männer und eine Frau. Im nüchternen
Mathematik-Hörsaal 001 der Technischen Universität
suchen sie eine Antwort auf die Frage "Saddam - und dann?" Schon
vor Wochen hatte die linke Wochenzeitschrift Jungle World zu der
Debatte eingeladen.
Zunächst gab es viel Unbequemes für die deutschen
Friedensbewegten zu hören. Diese Friedensbewegung lässt
uns im Stich", sagt Aras Marouf. Sie sei zwar auch gegen Krieg,
sagt sie. Warum aber äußerten sich die deutschen
Demonstranten nicht zu Hussein? Er sei ein Verbrecher, ein
Tyrann, ein Mörder, sagt sie. Die junge Kurdin erzählt
von ihrer ermordeten Nichte, die eines Morgens tot vor der
Haustür lag. Sie erzählt, wie sie mit ansehen musste,
wie Husseins Polizisten den Vater ihrer Freundin bei lebendigem
Leibe begruben und eine Nacht lang Wache hielten, damit ihm
keiner helfen konnte. "Wir wollen endlich diesen Verbrecher nicht
mehr im Irak haben", sagt sie. Sie sei überzeugt davon, dass
das die irakische Opposition nicht allein schaffe. Man brauche
Hilfe von außen. Sie werde die Friedensbewegung so lange
kritisieren, solange sie dazu keine Stellung beziehe. Es ist eine
leidenschaftliche Rede, die die junge Kurdin hält. Sie sei
in Bagdad aufgewachsen, berichtet sie. "Ich liebe diese Stadt."
Aras Marouf hat zwei Kinder und lebt im Saarland. In den Jahren
im Exil hat sie perfektes Deutsch gelernt. Als sie spricht, wird
es sehr, sehr ruhig im Saal. Etwa 80 Zuhörer sitzen in dem
Hörsaal. Meist im Studentenalter, einige Kurden sind
darunter. Publikum, das auch die Friedensdemonstration am
Alexanderplatz prägt. Kaum einer geht in der späteren
Diskussion auf den Vorwurf der Kurdin ein. Aras Marouf wird mit
ihrer Kritik an den Demonstrationen an diesem Abend am
deutlichsten von allen Diskutanten. Vielleicht liegt es auch
daran, dass sie als einzige keine Parteifunktionärin
ist.
Kadir Wahab von der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK),
Shakh Sangna von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) sowie
Roshid Ghewielib von der Kommunistischen Partei Iraks (KPI)
beherrschen die ausgewogene Kommuniqué-Sprache. Doch auch
sie teilen die Kritik Maroufs. Im irakischen Fernsehen werden die
Bilder aus Deutschland gezeigt, erzählt etwa Shakh Sangna.
"Wenn ich zu Hause anrufe, werde ich gefragt: Warum sind die
Deutschen eigentlich für Saddam?" Die vereinzelten Lacher
aus dem Publikum klingen verlegen. Für die Parteienvertreter
ist die Zukunft des Iraks einigermaßen klar.
Schließlich hätten sich erst vor einigen Monaten rund
350 Delegierte der irakischen Opposition in London auf ein
Programm für die Zeit nach Saddam geeinigt. Demokratisch und
föderal soll der künftige Irak sein. Alle Volksgruppen
und Glaubensrichtungen sollen an der Macht beteiligt werden und
künftig ohne Unterdrückung in dem Vielvölkerstaat
leben können. Für die weltliche Gesetzgebung soll der
Islam nur eine von mehreren Grundlagen sein, gibt Sangna die
Beschlüsse der Opposition wieder. Die Einigkeit bei der
Konferenz sei ein großer Erfolg gewesen.
Doch wie brüchig die ist, wird im TU-Hörsaal schnell
spürbar. Die irakischen Kommunisten fehlten zum Beispiel bei
der Konferenz in London. Es sei dort nicht diskutiert worden, wer
eigentlich den Machtwechsel im Irak vollziehe, sagt Roshid
Ghewielib als Begründung für das Fehlen seiner Partei.
Bei ihm ist deutlich das Misstrauen gegenüber den USA
herauszuhören, die Sorge, dass sie den Irak nach ihren
Vorstellungen formen wollen. Ihm wäre lieber, wenn die
Opposition von sich aus den Machtwechsel schaffen würde.
Marouf hält das aber für eine Utopie. Sie stört
sich mehr daran, dass dem Islam ein so starkes Gewicht
eingeräumt werden soll. Für die Frauen bedeutete das
keinen Fortschritt, sagte sie. Auch für die USA könnte
die Zeit nach Saddam kompliziert werden. Solange es keine Wahlen
gibt, sagt Kadir Wahab von der Demokratischen Partei, werden wir
Kurden die Waffen nicht aus der Hand legen.
Saddam Hussein has ordered his forces in Basra to kill not
just anyone who rises against the regime but everyone who refuses
to fight against the Americans. This order has been transmitted
openly over state television. The people of Basra want to get rid
of the gang that has kidnapped the country and subjected them to
decades of harassment. But this time, it is not so easy to rise
up. There has been no uprising in Basra thus far. There has been
fighting between some of the people and some Ba'athists, with
about 30 people killed and wounded. But so far the environment
for uprising is not right.
Saddam in 2003 is different from Saddam in 1991. He is weaker,
but he has learned. Most importantly, he does not trust the
people. In 1991, when the Allies went to war against him after he
invaded Kuwait, Saddam armed forces in Basra. On this occasion he
has sent outside forces into the city - and these forces have a
plan to prevent any uprising. A week into the war, the Iraqi
regime still has control, albeit weakened, in Basra. Forewarned
of attack, the regime made the necessary preparations. The Ba'ath
Party headquarters hit and destroyed by artillery had been
evacuated some time earlier. Ba'ath Party fighters and commandos
of the Fedayeen of Saddam have taken off their uniforms and are
passing themselves off as civilians.
The ordinary people of Basra have mixed feelings. They have been
waiting for 12 years to liberate themselves again, but they know
that things are different now.
In 1991, Ba'athists were in their headquarters. They were in one
area and could be attacked. Today they are in the street. In
1991, the Iraqi army had been driven in disarray from Kuwait and
there were a lot of weapons in the hands of ordinary people
conscripted into the army. There was hunger and thirst and
degradation. Even the army was feeling humiliated. The war for
Kuwait was not the army's war; it was Saddam's war. But this war
was not started by Saddam; his forces have to know they cannot
win before they will be willing to turn against him.
In 1991 the people rose up - and the United States watched as
they were put down. The losses during the suppression of the
uprising were much greater than the losses during the war.
Because of this bad experience, the people of Basra say they will
only rise up at the right moment. That moment will be when Saddam
is gone or his regime has lost control. Basra was the first city
to rise up in the South in 1991, in part because there was a
rumour that Saddam had been killed or run away. It knows the
price of failure - and not just because of what happened in 1991.
In 1998, the regime staged a car accident that killed the man
recognised as the supreme religious authority of Iraqi Shias:
Sayyed Mohammed Sadr. Basra rebelled. The regime cracked down
hard and in doing so razed the city's three mosques.
Basra today is a very degraded city. The cumulative effect of
years of Ba'athist misrule is a shortage of water, electricity,
schools and hospitals. Only one of three hospitals is working and
even this lacks all sorts of equipment. The people don't mind
being without all these things, but the British and the Americans
have to create the same environment for uprising as there was in
1991. If they decide to storm Basra - a city of more than a
million people - it is vital that they liaise beforehand with
people inside. The people of Basra think they can liberate
themselves if they have assistance. Even some of the Fedayeen of
Saddam are said to be anxious and fearing for their lives. If the
coalition contacts cities like Basra, they could collapse
quickly. But there is no evidence, as far as I know, of any
serious contacts by the Americans with the ordinary people
inside. The Americans are not investing in the right
people.
For the future, the most important thing is that the Americans
and the British treat the people with respect. Some of Saddam's
men have put on headbands with slogans saying: "God is great".
The danger is that the Americans will blame the Shias of the
South - and perceived Iranian influence on them - for any crimes
committed by Saddam's men. America understands little about Iraqi
Shias. Iraq is not Iran or Lebanon. Iraqis are a multi-cultured
people. Even the most extreme Iraqi Shia is a moderate.
Ali Hassani, head of the Basra Association in London.
In Irakisch-Kurdistan sind die Menschen wieder auf der Flucht.
Diesmal ist es weniger die Angst vor einem irakischen Einmarsch
im Autonomiegebiet als vielmehr die Furcht vor einem
möglichen Einsatz chemischer Waffen. Eine Erfahrung, die die
Kurden in Halabdscha im Jahre 1988 bereits schon einmal gemacht
haben. Das Regime behauptet zwar, keine Massenvernichtungswaffen
mehr zu besitzen. Doch die Menschen in dieser Region sind
misstrauisch.
Besonders entlang der Demarkationslinie zwischen dem
Autonomiegebiet und dem von Saddam Hussein kontrollierten Rest
des Landes sind zahlreiche Kurden auf der Flucht. Ortschaften wie
Kifri und Kalar liegen zudem in der Nähe irakischer
Kasernen. Nach Angaben der unabhängigen kurdischen
Wochenzeitung Hawlati haben rund neunzig Prozent der Einwohner
Kifri und die Stadt Chamchamal verlassen. Einige von ihnen, die
Verwandte im Iran haben, gehen illegal über die Grenze, denn
die Islamische Republik lässt keine Flüchtlinge
einreisen.
Auch in der Region um die Stadt Dohuk im Nordwesten, die nicht
weit von Stellungen der irakischen Armee entfernt liegt, haben
zahlreiche Menschen ihre Häuser verlassen. Ganze Familien
waren in der vergangenen Woche auf Traktoren, offenen
Geländewagen und Pkws unterwegs. In Arbil, der
größten Stadt im Autonomiegebiet, hatten sich nach
Angaben von Hawlati bis Mitte letzter Woche etwa 35 Prozent der
Einwohner in sicherere Gebiete abgesetzt.
Auch in Suleimanija im Südosten Kurdistans haben zahlreiche
Menschen die Stadt verlassen und sich in die bergige Region an
der iranischen Grenze begeben. Die meisten suchen Schutz bei
Verwandten in den Dörfern. Viele verbringen dort die Nacht,
weil sie nicht im Schlaf von einem Angriff mit chemischen oder
biologischen Waffen überrascht werden wollen und fahren
tagsüber in die Stadt zurück - auch, um ihrer Arbeit
nachzugehen. Nach den ersten Kriegstagen sind am Wochenende
einige Flüchtlinge, vor allem Männer, in ihre
Häuser zurückgekehrt. Auf Beschluss der kurdischen
Regionalregierung wurde der Unterricht in der Provinz Suleimanija
zunächst für eine Woche eingestellt und die Schulen
geschlossen. Nur die Krankenhäuser und das Innenministerium
arbeiten.
In der Erdölstadt Kirkuk, die außerhalb des
Autonomiegebietes liegt und damit von der irakischen Armee
kontrolliert wird, ist die Lage besonders dramatisch. Tausende
Kurden wurden dort vertrieben. Sie retteten sich in das
Autonomiegebiet. Obwohl die Regionalregierung von Suleimanija
einige Zeltlager für diese Vertriebenen errichtet hat,
schlüpfen die meisten von ihnen bei Verwandten in den
Dörfern unter. "Sie haben weniger Angst vor den Kanonen des
Regimes als vor einem Giftgaseinsatz", fasst ein
Gesprächspartner die Stimmung seiner Landsleute zusammen. Je
näher das Ende des Regimes von Saddam Hussein rückt, so
ihre Befürchtung, desto härter könne seine Rache
sein. Ein Szenario, das eine weitere Fluchtbewegung auslösen
könnte, wäre ein Einmarsch der türkischen Armee im
Norden des autonomen Kurdistan. Dann könnten zahlreiche
Menschen zwischen die Fronten geraten. Im Gegensatz zum letzten
Golfkrieg 1991, als zwei bis drei Millionen Kurden in die
Nachbarländer flüchteten, möchten die meisten
diesmal im Lande bleiben. Deshalb gibt es auch keine genauen
Zahlen darüber, wie viele Menschen derzeit auf der Flucht
sind.
In Kurdistan kursiert folgende Geschichte: 1991 habe Saddam
Hussein mehrmals gesagt, wer ihn ablösen wolle, werde nur
Schutt und Asche vorfinden. Daher befürchten viele, dass
ihnen das Schlimmste noch bevorsteht.
Der irakische Journalist Salal Bassireh, der soeben aus dem
Nord Irak nach Deutschland zurückkehrte, steht für
Interviews und Pressegespräche zur Verfügung: Salah
Bassireh E-Mail-Adresse(n): bassireh@aol.com
"The camp of Makhmur, home to about 10,000 Kurdish refugees
from Turkey, is situated in the middle of the Mosul - Kirkuk -
Irbil triangle where heavy fighting is taking place at this very
moment. On the morning of the 25th of March 2003, we established
a telephone connection with a representative of the refugees'
self-run administration who informed us that the sounds of
artillery shelling was clearly perceivable at the camp site and
that they were trapped in an area where most intense armed
confrontations are expected for the days to come. Most of the
inhabitants of the camp are destitute women and children who lost
their homes in Turkey's campaign of destroying Kurdish
settlements in the nineties.
"Immediately before the outbreak of the war, USA officials made
a statement prompting relief workers and members of supranational
institutions to leave the country. The UN officials at Makhmur
abandoned the camp at once without notifying the population.
Prior to the outbreak of the war, the population of the camp had
lodged a number of petitions asking the UN authorities to assure
their safety but failed to receive any apply from the UN.
"The camp is now completely isolated from the outside world.
Inhabitants cannot leave the camp, and no-one from outside comes
to visit the camp. There is no person or body that the refugees,
condemned to dwell in a state of uncertainty where there are no
guarantees whatsoever as to their security, could address and
voice their demands to.
"Whilst the UNHCR used to provide food aid on a regular basis
before the outbreak of the war, the supply of food and medical
services has broken down with the UN officials' abandoning the
camp, including the medical officers appointed by the UNHCR. In
the event of protracted fighting, the camp inhabitants will face
a dramatic scarcity of food.
"A spokesperson of the refugees we contacted this morning
pointed out that the people at the camp will have to be supplied
with food and medication if the war should continue, and drew
attention to the fact that the UN was obliged to obtain
guarantees from the parties involved in the war to the effect
that no harm will be done to the defenseless civilians at the
camp.
"The spokesperson further stated that they had only two options
in the given situation. Firstly, they could return to Turkey -
the country they originally fled - in the event that the Turkish
government clarify its position on the return and rehabilitation
of refugees and take a stance for the solution of the Kurdish
issue. Secondly, they could endure the atmosphere of warfare at
the present site in the event that the security of life and the
needs of the camp population are provided for. The representative
added that they neither had the capacity to defend themselves nor
could they look at any protective force if the fighting was to
affect the camp site.
"It is now imperative that the UN and indeed any relevant
humanitarian institutions take immediate action with a view on
providing the material and moral support that the refugees
trapped in the turmoil's of war in a country alien to them
demand. We therefore urge everyone to act up to their
responsibilities before it is too late to do so.
URGENT DEMANDS:
- The UN have to promptly obtain guarantees from the parties at
war to the effect that the security of the camp inhabitants is
respected and the site taken under protection.
- If the hostilities should not come to a quick end, the UN and
the ICRC will have to provide for the food and health care needs
of the camp population.
- A medical doctor needs to be supplied to deal with the most
urgent cases as soon as possible.
Ich habe jahrelang davor gewarnt, den Islam so mit
Füßen zu treten und herauszufordern", schrieb der
deutsche Staatsmann. Trotz seiner Mahnungen sei der Islam vom
Westen "verachtet, misshandelt, beleidigt" worden, bis er es
"endlich nicht mehr ausgehalten hat". Wenn er jetzt durch
"Reformvorschläge" von außen noch mehr provoziert
werde, müsse "der Sultan des Propheten grüne Fahnen
entrollen, dann wird es ,Allah' in allen Ecken Asiens
ertönen, und mit den Christen ist es dann zu Ende".
Dies trug einst, im September 1908, der deutsche Kaiser Wilhelm
II. in sein Tagebuch ein. Er gilt nicht zu Unrecht als
Begründer deutscher Nahostpolitik. Wilhelm hat jene
eigentümliche Ambivalenz eingeführt, die deutsche
Nahostpolitik immer wieder bestimmt hat. Araber und Muslime
gelten bis heute als Verbündete und Feinde zugleich, sind
Verheißung und Schrecken.
Fast genau sechzig Jahre nach des Kaisers Tagebucheintrag, im
September 1969, wurde anlässlich einer öffentlichen
Hinrichtung auf dem Liberation Square im Zentrum Bagdads folgende
Rede verlesen: "Großes irakisches Volk! Der Irak von heute
darf keine Verräter, Agenten, Spione oder fünfte
Kolonnen mehr dulden. Hört mich an, Israel,
imperialistisches Amerika und ihr Zionisten! Wir werden all eure
schmutzigen Tricks aufdecken! Wir werden eure Agenten bestrafen!
Wir werden all eure Spione aufhängen, auch wenn es Tausende
sind! - Das ist erst der Anfang! Die großen und
unsterblichen Plätze des Iraks werden gefüllt sein mit
den Leichen der Verräter und Spione! Wartet ab." Die
Baath-Partei hatte gerade die Macht im Staate übernommen und
unverzüglich mit Schauprozessen gegen irakische Juden
begonnen, die der "zionistischen Spionage" bezichtigt wurden.
Nach der verheerenden Niederlage arabischer Staaten im
Sechstagekrieg 1967 waren im Irak die Baathiste n mit dem
Versprechen angetreten, die von Wilhelm einst beschriebene
Drohung umzusetzen. Nicht mit dem grünen Banner Allahs,
sondern unter dem Feldzeichen des Panarabismus sollte der Nahe
Osten von vermeintlichen Feinden "befreit" werden, und nicht den
Christen, sondern Israel und dem Zionismus wurde Vernichtung
angedroht.
Die nationalistischen und konservativen Vorgängerregimes
hatten das Feindbild Israel benutzt, um von inneren
Widersprüchen abzulenken. Aus der Sicht der Baathisten
hatten sie jedoch, als es zur direkten Konfrontation mit Israel
kam, versagt und die arabische Sache an den zionistischen Feind
verraten. Der "Trick" der Baath-Partei bestand darin, den alten
Feind gewissermaßen zu verlagern. Denn von Beginn an
konzentrierte sich die baathistische Propaganda darauf, den
äußeren Feind im Inneren aufzuspüren, kenntlich
zu machen und zu vernichten. Verantwortlich für diese
Schmutzarbeit war Saddam Hussein, damals noch zweiter Mann im
Staate. Unter seiner Regie entstand ein endloser Kreislauf aus
behaupteten Konspirationen, Enthüllungen und dadurch
angeblich notwendigen Säuberungen. Jede noch so grausame
Handlung ist nach der Logik dieser hermetischen Welt die
notwendige Reaktion auf eine allgegenwärtige
äußere Bedrohung.
Es ist kein Zufall, wenn Kommentatoren und Politiker hierzulande
angesichts des irakischen Diktators wieder in das Orakeln des
deutschen Kaisers über die gedemütigte arabische und
islamische Welt verfallen und vor einem Flächenbrand warnen,
den der Sturz Husseins nach sich ziehen müsse. Denn es gibt
eine weit zurückreichende historische Verbindung zwischen
der deutschen Wahrnehmung des Nahen Ostens und der Entstehung der
panarabischen Ideologie der Baath-Partei. Sie reicht bis weit vor
die achtziger Jahre zurück, als deutsche Firmen durch
Lieferung von technischem Gerät und Know-how zur Produktion
von chemischen und biologischen Waffen durch das irakische Regime
beitrugen. Schon viel früher lieferte Deutschland auch
ideologisches Zubehör. Unverkennbar ist der Einfluss
deutscher Ideen auf die Vordenker des Baathismus wie den
panarabischen Theoretiker Saati Husri, der 1941 einen
faschistischen Putsch im Irak unterstützte, oder den
Mitbegründer der Baath-Partei, Michel Aflaq, dessen
"Staatstheorie" sich aus Versatzstücken der Theorien
deutscher Romantiker und völkischer Antisemiten
zusammensetzte. Die deutsche "Kulturnation" gab das heimliche
Vorbild panarabischer und baathistischer Träume ab. Der
Ursprung dieses Traumes vom "Preußen Arabiens" liegt
tatsächlich in Kaiser Wilhelms Vision einer "friedlichen
Durchdringung" des Orients.
Der 1921 gegründete irakische Staat wurde von Beginn an von
einer Staatsklasse getragen, deren Vertreter ihr Handwerk unter
den Osmanen gelernt, an deutschen Universitäten oder bei
deutschen Professoren in Konstantinopel studiert oder dort die
preußische Militärschule besucht hatten. Deutschland
galt den panarabisch Gesinnten unter ihnen ganz
selbstverständlich als Vorbild, nicht zuletzt aufgrund der
gemeinsamen Feindschaft gegen Frankreich und
Großbritannien. Vor allem aber bei dem zentralen Problem,
das sich den Panarabisten stellte, bot das deutsche Vorbild einen
Ausweg an: Einen arabischen Staat, auf den sich ihr Nationalismus
hätte beziehen können, gab es in der Wirklichkeit nie.
Das bürgerlich-republikanische Nationsmodell, das die
Existenz eines rechtlich verfassten Staates voraussetzt, schied
somit von vornherein aus. Der deutsche Nationalismus, der
zwischen Nation und Staat, kulturellem "Sein" und legalen
Institutionen unterschied, wurd e deshalb zur Leitideologie des
Panarabismus und seiner Vision von einer arabischen Nation ohne
staatliche Grenzen. Deutschland, das nach der Niederlage des
Ersten Weltkrieges erneut zur Großmacht geworden war, hatte
in den Augen der Panarabisten auch das Problem beispielhaft
gelöst, wie man aus einer Position der Niederlage heraus
einen Nationalbegriff entwickeln kann. Die
erklärungsbedürftige Tatsache, dass die Araber, obwohl
sie doch angeblich eine einzige Nation bildeten, in zahlreiche
Staaten geteilt waren, führten sie auf den Einfluss
feindlicher Mächte zurück.
Dieser Panarabismus, den der Theoretiker Saati Husri in den
dreißiger und vierziger Jahren entwarf, bildet die
Grundlage des gesamten Wahnsystems heutiger baathistischer
Herrschaft unter Saddam Hussein. Husri, zu dessen Vorbildern
neben Herder, Fichte und Ernst Moritz Arndt auch der radikale
Antisemit und Pangermane van Schönerer zählte,
definierte eine mystische arabische Kulturnation, die auf einer
gemeinsamen glorreichen Vergangenheit fuße und nur
äußerlich durch nationale Grenzen voneinander getrennt
sei. Die Rückkehr zur arabischen Nation begriff er als eine
historische Mission, die nur durch die Überwindung jener
Feinde erfüllt werden könne, die von der Spaltung der
Araber profitierten. Neben Frankreich und Großbritannien
sollten dies nichtarabische Minderheiten sein.
Seit Mitte der dreißiger Jahre wurden zunehmend auch die
Juden zu diesen Feinden gezählt. 1941 ergriffen irakische
Faschisten unter der Führung von Raschid Ali al-Gajlani mit
deutscher Hilfe die Macht und verübten den ersten
antisemitischen Pogrom in der irakischen Geschichte. Sie wollten,
erklärten sie damals, "die Judenfrage" nach deutschem
Vorbild lösen. Britischen Truppen gelang es, den Putsch
niederzuschlagen, Gajlani floh nach Berlin, wo er gemeinsam mit
dem berüchtigten Großmufti von Jerusalem für eine
deutsch-panarabische Allianz gegen "Imperialisten und Juden"
warb. Saddam Husseins Baath-Partei, die sich auf Gajlani beruft,
hat die Vorstellung einer arabischen Mission im Kampf gegen diese
Feinde als innenpolitisches Prinzip durchgesetzt.
In seinem Buch Republic of Fear beschreibt Kanan Makija, wie es
der Baath-Partei seit 1968 innerhalb kürzester Zeit gelang,
die paranoide Vorstellung, von Feinden umgeben und von Agenten
durchsetzt zu sein, zum dominanten politischen Thema zu machen.
Jeder Iraker wurde angehalten, Spione und Zionisten zu melden,
immer neue Verhaftungswellen und Enthüllungen
erschütterten das Land. Hinter jeder noch so
unverdächtigen Handlung konnte sich ein geheimer Plan
verbergen, jede noch so harmlose Nachricht konnte einen tieferen
Sinn enthalten, nichts war so, wie es schien. Sukzessive wurde
eine fiktive Welt geschaffen, in der die Regeln des gesunden
Menschenverstandes außer Kraft gesetzt waren. Im Gegensatz
zu Syrien, wo die Baath-Partei immer um die Einbindung
militärischer Eliten bemüht war, machte sich der
irakische Ableger der Partei daran, eine "reine" baathistische
Gesellschaft zu erschaffen, die nicht durch Kompromisse mit
bereits bestehenden Gesellschaft sstrukturen getrübt sein
sollte. Bereits in den ersten Jahren ihrer Herrschaft tauschte
die Baath-Partei praktisch die gesamte Nomenklatura des Staates
aus, organisierte das Militär neu und ersetzte
Interessensverbände und Gewerkschaften durch baathistische
Organisationen. Selbst altgediente Parteifunktionäre konnten
plötzlich als Zionisten enttarnt werden. "Wir schliefen mit
der Pistole in der Hand", erklärte später Tarik Aziz,
der langjährige Kampfgefährte Saddam Husseins, "jede
Sekunde bereit, uns gegen eine neue Verschwörung zu
verteidigen."
Oft wird darauf hingewiesen, dass die Säuberungswellen und
Verfolgungsmaßnahmen Saddam Hussein zum Machterhalt
dienten. Zudem wird häufig angeführt, dass die Diktatur
die Säkularisierung und ökonomische Modernisierung
betrieben hat. Das alles trifft zweifellos zu, reicht aber als
Erklärung für die Vorgehensweise des irakischen
Baath-Staates nicht aus. Es gab ein weiter reichendes Motiv: Die
Baathisten schickten sich an, im Irak die Kernzelle eines
künftigen arabischen Großreiches zu schaffen. Diese
Vision mussten sie gegen eine Bevölkerung durchsetzen, die
sich nur schwerlich in das Bild einer homogen arabischen Welt
einfügen ließ. Von Beginn an richtete sich die Gewalt
des stetig wachsenden Sicherheitsapparates gegen alle, die den
ideologischen Prämissen des Regimes nicht entsprachen. Seit
Mitte der siebziger Jahre waren dies vor allem die Kurden, dazu
der schiitische Klerus des Landes sowie Gewerkschafter,
Kommunisten - und nicht zuletzt das städtische
Bürgertum.
Ihr "Verbrechen" bestand darin, Eigeninteressen zu vertreten und
damit dem Alleinherrschaftsanspruch der Baathisten zu
widersprechen, der die vollständige Unterwerfung aller
Interessen unter die Erfordernisse der historischen arabischen
Mission verlangte. Nach und nach wurde eine Neudefinition der
irakischen Gesellschaft durchgesetzt, wie sie in den
panarabischen Manifesten der dreißiger Jahre angelegt war.
Mitte der siebziger Jahre existierte kein Schulbuch mehr, in dem
nicht die neue Geschichtsschreibung gelehrt wurde: eine mythische
Geschichtserzählung, die sich auf Nebukadnezar und Saladin
berief. Gewerkschaften, Frauen-, Schüler- und
Studentenverbände waren aufgelöst und durch
baathistische Organisationen ersetzt, die Wirtschaft
zentralisiert zu einem aus Ölgewinnen finanzierten
Klientelsystem zusammengefasst worden. Jenseits der
baathistischen Realität konnte nichts mehr existieren; wer
außerhalb dieses Systems stand, fand sich außerhalb d
er Gesellschaft selbst gestellt.
Der irakische Baath-Staat war also immer weit mehr als nur ein um
Machterhalt ringender Repressionsapparat. Alle Bereiche sozialen
Lebens wurden der panarabischen Mission unterworfen. Jegliches
dissidente Verhalten wurde als Verrat und feindlicher Angriff
verstanden. Noch Mitte der neunziger Jahre wurden in Bagdad
Händler hingerichtet, weil sie die Einheit von Volk und
Staat angegriffen hätten. Ihr reales Vergehen bestand im
illegalen Handel mit Devisen - ein Markt, den die Hussein-Familie
für sich monopolisiert hatte. Irakischen Kurden wurden seit
Mitte der siebziger Jahre nicht mehr nur, wie zuvor, als
nationale Minderheit bekämpft, sondern en bloc zu
feindlichen Agenten erklärt - zur fünften Kolonne mal
Israels, mal der USA, mal des Irans. Einzig die Spitze der Partei
durchschaute die unzähligen Konspirationen noch. Völlig
unschuldige Menschen - Hannah Arendt hat dieses Phänomen
sehr eindringlich in ihrer Totalitarismusanalyse beschrieben -
könne n auf diese Weise über Nacht zu objektiven
Feinden erklärt und vernichtet werden.
Diese beständigen "Säuberungsprozesse" sind bereits in
der frühen panarabischen Idee angelegt. Die ersehnte Einheit
setzt danach einen beständigen Läuterungsprozess
voraus, in dessen Verlauf die "arabische Nation" neu erschaffen
wird. Kein Land eignete sich freilich de facto schlechter
für derartige Experimente als der Irak: Sunnitische Araber,
die eigentlichen Träger panarabischen Gedankengutes, machten
in den zwanziger Jahren gerade einmal ein Fünftel der
Bevölkerung aus. Kurz nach der Machtübernahme begann
das Regime folgerichtig, die demografische Zusammensetzung des
Landes gewaltsam zu verändern. Hunderttausende von
Fayli-Kurden, deren Vorfahren aus dem Iran in die großen
Städte des Iraks eingewandert waren, wurden als
"persischstämmig" deportiert. Nordirakische Kurden, Schiiten
und Assyrer wurden als innere Feinde verfolgt. Insgesamt sind
bislang rund eine Million Iraker dem Baath-Regime zum Opfer
gefallen - d ie meisten von ihnen waren keineswegs erklärte
Gegner des Regimes, sondern gehörten einfach einer
"objektiv" feindlichen Gruppe an. "Die Revolution", lautet einer
der bekanntesten Sinnsprüche Saddam Husseins, "bestimmt
selbst, wer ihre Feinde sind."
Dieser Logik folgt auch der Antisemitismus des irakischen
Regimes. Er beschränkt sich keineswegs auf vollmundige
Drohungen gegen Israel und dient auch nicht nur dazu, von inneren
Konflikten abzulenken. Unter dem Druck der Baathisten hatte
bereits das Vorgängerregime Arifs Maßnahmen
eingeführt, die von den Nürnberger Rassegesetzen
inspiriert waren. Wie der israelische Wissenschaftler Amatzia
Baram berichtet, wurde den irakischen Juden unter anderem
verboten, "nichtjüdisches" Eigentum zu erwerben;
jüdische Ärzte durften keine Nichtjuden mehr behandeln.
Seit 1968 wurde dann der "Krieg gegen Israel" gegen die eigene
Bevölkerung gerichtet: indem sie unter den Generalverdacht
gestellt wurde, "zionistischen" Einflüssen zu unterliegen.
Dafür, dass es bislang nicht gelang, das "zionistische
Krebsgeschwür aus dem arabischen Körper
herauszuoperieren", musste nun die eigene Gesellschaft
büßen.
Das Misstrauen der Baathisten hat sich 1991 bestätigt.
Damals rebellierten Iraker im ganzen Land gegen das Regime.
Seitdem gilt potenziell das gesamte Volk als Verräter, der
für seine in den Aufständen bewiesene Dissidenz
bestraft werden müsse. Wenn Saddam Hussein ankündigt,
lieber untergehen zu wollen als freiwillig abzutreten, so ist
dies der letzte Schritt in seinem Krieg gegen die eigene
Bevölkerung. Sein Wille, die Gesellschaft umzuformen, endete
in der Drohung, sein Volk in einem apokalyptischen Endkampf zu
opfern.
Thomas von der Osten-Sacken veröffentlichte mit Arras
Fatah das konkret-Buch "Saddam Husseins letztes Gefecht? Der
lange Weg in den 3. Golfkrieg"
Beyond the Iraqi missile threat to Israel in the 1990s,
missile threats to Israel have emerged from Iran, Lebanon, Syria,
and Libya. Yet many of the New Middle East missile powers are
determined to project their power toward Europe.
Missile suppliers in the Middle East include North Korea, China,
and Russian and Indian companies. Suppliers have found ways of
evading the Missile Technology Control Regime!!
Iran's 2,000 km range Shihab-4 will reach targets beyond Israel.
Iran's missile program is a matter of national pride that will be
unaffected by regime change. The Iranians are determined to
develop missiles of even longer range. In about ten years, Libya
will have 50-100 missiles that can threaten Israel.
Who are the Suppliers?
Who are the suppliers of missiles in the Middle East? North
Korea continues to view the selling of missiles as an export
commodity. Missiles are their only dollar-earning export item.
Russian companies - not the Russian government - continue to
support Iran with missile technology. Although the Russian
government tries to curb this trade, the proliferation goes
on.
China continues to sell missile technology. China is not a member
of the Missile Technology Control Regime (MTCR), but says it
adheres to it. Chinese policy is not to sell complete missile
systems, but some technologies sold by China are also considered
MTCR-sensitive. The Chinese allow themselves more leeway in the
export of what is called "banned technology" in the West. China
lately issued its own missile export laws which are somewhat
different from the MTCR.
Indian companies - not the Indian government - exported
missile-related technology to Iraq and, currently, the Pakistanis
are also becoming active in proliferation to the Middle
East.
Who are the Users?
Iran is continuing to develop the 1,200 km-range Shihab-3
missile, which is adapted from the North Korean Nodong. Iran says
it is operational, and there have been tests from time to time,
sometimes successful and sometimes not. Less known is the fact
that the Iranians continue firing the Shihab-1 into Iraq from
time to time. The Shihab-4, 2,000 km-range missile program was
unveiled in a recent interview by Gen. Ahmed Wahid, head of the
Iranian missile program. At the time he made three important
statements: 1. The Shihab program is aimed to balance the alleged
Israeli Jericho missile threat.
2. Iran will continue to develop missiles of longer
ranges.
3. Iran is going into space. This may sound innocent, but it is
important to understand that any space launcher is a potential
intercontinental ballistic missile (ICBM) that could reach
anywhere on earth.
Another ominous development is the deployment of missiles in
Lebanon. These are not Category 1- weapons of mass destruction
missiles, but Category 2 missiles of shorter range, deployed by
Iran in southern Lebanon. Iraq is developing a 150 km-range
missile that has all the current technologies of long-range
ballistic missiles. We now know of at least six instances when
these missiles reached over 150 km "by mistake."
Syria has the largest stockpile of ballistic missiles in the
region today; in fact, Syria is investing most of its military
budget in its missile arsenal at the expense of its air force and
its ground forces. Syria has established production lines and is
producing the Scud C, a 550 km-range missile. The Syrians have
also acquired a 700 km-range missile that we call the Scud D.
When Syria fired such a missile two years ago, Israel was able to
observe the enemy missile launch for the first time with its own
Green Pine radar, part of the Arrow system. The Syrians have also
improved their Scud B warheads and have tested them. Israel
tracked a test of an improved warhead for the Scud B, probably
with chemical agents.
Egypt is very quiet. It has a small arsenal of Scud B and Scud C
missiles. Lately, however, there have been reports in the media
of Egyptians buying - or trying to buy - Nodong technology from
North Korea.
Libya is very active now in acquiring long-range missiles and
weapons of mass destruction. Apparently, Libya is buying Nodong
missiles from North Korea with a range of 1,200-1,300 km, which
can strike Israel.
There are also signs of secondary proliferation: Iran is now an
exporter. This is very natural once a nation has established an
industrial infrastructure. The Iranians are reported to be trying
to sell missiles to African countries. They are selling
technologies and missile components to Syria, and they are
deploying missiles in Lebanon.
The Threat of Long-Range Missiles
In the future we will see a trend toward longer-range missiles,
driven by a number of motivations:
1. Projecting power toward Israel.
2. Projecting power toward Europe. A hypothetical Iranian
Shihab-4 missile with a 2,000 km range could reach parts of
Eastern Europe. The motivation of power projection becomes
obvious since Iran does not need a missile with such a range in
order to reach Israel.
3. Fear of Israel's preemptive capabilities.
Libya cannot hit Israel now; they only have Scud-B missiles with
a 300 km range. The Egyptians have the Scud-C and can hit Israel
from south of the Nile Delta. The Syrians can hit Israel from
mid-Syria with the Scud-C. The Iranians have a 1,300 km missile
that can reach Israel from western Iran. Everyone is buying
longer-range missiles. The Syrians went for the Scud D, the
Libyans and Egyptians opted for the Nodong, and the Iranians went
for the 2,000 km Shihab-4. There is a clear trend toward
extending the ranges of missiles so that they can be deployed
beyond Israel's preemptive range.
Russian aid to Iran might decrease because the Russian government
is attempting to reduce this trade, but Iran could be compensated
by North Korea. Now North Korea is going into the nuclear
business and might start selling nuclear weapons. Iran has passed
the point of no return. The Iranians cannot be stopped anymore.
They have their indigenous capability now and they will continue
with their programs regardless of what the international
community thinks. Iran will continue to develop missiles because
their missile industry has nothing to do with the degree of
radicalism of the regime. For Iran it is a matter of pride.
Iran's missile program has become a national program that will be
unaffected by any regime change.
Order of Battle
Syria has the largest stockpile, with about 500 missiles
altogether, including Scud-B (300 km) and Scud-C (550 km). The
SS-21 missile is a very accurate, Russian-made, solid propellant,
battlefield weapon with a range of about 100 km. In Israeli terms
this is a strategic weapon because, if deployed north of the
Golan Heights, it can hit most of northern Israel. In about ten
years, Libya will have 50-100 missiles that can threaten Israel.
Iraq will remain a big question mark, even if Saddam falls. Iraq
has the infrastructure and the experts who know how to make
missiles. They may now have a stockpile of perhaps fifty
missiles, but in the future, Iraq could produce hundreds of
missiles and not just because they have Israel in mind. Iran
remains Iraq's historical enemy - these two enemies have been
fighting each other in the Mesopotamian Valley for the past three
thousand years under different names, such as the Persians and
the Babylonians.
Launch Capability the Key Measure
The number of missiles stockpiled is not the key measure of
enemy threat. Rather, it is the number the enemy can actually
fire in war. In 1988, in what was known as the war of the cities,
the Iraqis fired about 190 missiles into four Iranian cities -
Teheran, Shiraz, Qom, and Isfehan - over four months. In the Gulf
War, Iraq managed to fire about 80 missiles in four weeks. Thus,
actual firepower is defined not by the number of missiles but by
launch capability, which depends on a whole supply structure
including launchers and manpower.
Uzi Rubin is former head of Israel's Arrow-Homa Anti-Missile
Defense Program. Institute for Contemporary Affairs www.jcpa.org/brief/brief2-19.htm.