In: Home > DOSSIER > Sklaverei-Gegner in Mauretanien unter Druck
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Von Ulrich Delius
Bozen, Göttingen, Mai 2012
Ehemaliger Sklave (re.) nach seiner Ankunft bei der Anti-Sklaverei-Organisation IRA. Foto: Jennifer Giwi.
Menschenrechtler leben in Mauretanien gefährlich. Das
gilt besonders für engagierte Gegner der Sklaverei, auch
weil sie ein überkommenes Herrschaftssystem mit vielen
Privilegien in Frage stellen. Wie gefährlich es ist, an
diesem Tabu zu rütteln, bekam nun auch Biram Dah Abeid zu
spüren, der Vorsitzende der Anti-Sklaverei-Organisation
"Initiative für die Wiederbelebung der Abschaffung" (IRA).
Am 4. Januar 2012 entging er in der mauretanischen Hauptstadt
Nouakchott nur knapp einem Attentat. Ein Polizeibeamter der
Abteilung Jugendschutz hatte sich unter die Teilnehmer einer
Demonstration gemischt, unter ihnen war der Menschenrechtler.
Plötzlich zog der Polizist seine Pistole und legte auf Dah
Abeid an. Leibwächter des Menschenrechtsaktivisten
überwältigten den Täter, bevor er einen Schuss
abgeben konnte.
Danach drohte die Menge, den Angreifer zu lynchen. Polizisten
intervenierten jedoch und nahmen ihren Kollegen in Gewahrsam.Der
Täter gehört zur Führungsschicht der Mauren, die
die schwarzafrikanischen Sklaven nicht freilassen will, und
gerade im Kommissariat für Jugendschutz hat Biram Dah Abeid
wenig Freunde. Er drängt die dort arbeitenden Polizisten
immer wieder, gegen Sklavenhalter vorzugehen und sich für
die Befreiung von Sklaven zu engagieren. Es war bereits der
zweite versuchte Mordanschlag auf den Menschenrechtler. Wenige
Tage vor seiner Auszeichnung mit dem Weimarer Menschenrechtspreis
hatten Soldaten geplant, ihn beim Abflug aus Mauretanien zu
töten. Nur durch eine Indiskretion wurde der Plan bekannt
und konnte vereitelt werden. Biram Dah Abeid ist heute mehr denn
je in Gefahr.
Denn nun drohen ihm und elf weiteren verhafteten
IRA-Unterstützern die Verurteilung zum Tode durch ein
Scharia-Gericht. Er soll wegen Gotteslästerung angeklagt
werden, weil er Ende April in einer Protestaktion religiöse
Schriften einer Rechtsschule des sunnitischen Islam
öffentlich verbrannt hat. Diese Schriften rechtfertigten die
Sklaverei. Mauretaniens Regierung nutzte die provokative Aktion,
um den gläubigen Muslim als Lästerer des Propheten
Mohammed darzustellen. Dabei hatten die Aktionisten zuvor
sorgfältig alle Textpassagen des Koran aus den Schriften
entfernt, um diesen Vorwurf zu entkräften.
Demonstration zur Freilassung von Biram Dah Abeid 2011. Er wurde schon mehrmals verhaftet. Foto: IRA.
Mit allen Mitteln versucht die mauretanische Regierung, den
unbequemen Menschenrechtler zum Schweigen zu bringen.
Zunächst hatte man ihm finanzielle Angebote gemacht und
lukrative Posten in Regierung und Verwaltung angeboten. Als dies
nicht fruchtete, ließ man ihn im Dezember 2010 bei einer
Demonstration verhaften. In einem Gerichtsverfahren wurde er zu
einem Jahr Haft verurteilt, von dem sechs Monate zur
Bewährung ausgesetzt wurden (www.frontlinedefenders.org,
7.1.2011). Angesichts massiver Proteste aus dem In- und Ausland
musste er schon im Februar 2011 wieder auf freien Fuß
gesetzt werden. Die GfbV hatte sich sehr für seine
Freilassung eingesetzt, mit einer E-Mail-Aktion für seine
Befreiung mobilisiert und außerdem die Europäische
Union an ihre Selbstverpflichtung erinnert, sich für
bedrängte Menschenrechtler in aller Welt einzusetzen.
Doch die Führungsschicht Mauretaniens lässt nichts
unversucht, um sich des unbequemen Mahners zu entledigen. So
wurde eine Diffamierungskampagne unter den Haratin, den
freigelassenen Sklaven afrikanischer Abstammung, gestartet. Mit
seinem Aktivismus zerstöre er ihre Arbeitsplätze,
argumentierten Birams Widersacher. Über die "Initiative
gegen die Bekämpfung des Extremismus" lässt man die IRA
als "schreckliche Bande" verunglimpfen (CRIDEM, 15.1.2012).
Erfolgversprechender sind aus der Perspektive der Regierung die
Bemühungen, Streit in der jungen Menschenrechtsorganisation
zu säen. Ein erster Versuch, IRA-Mitgliedern Geld
anzubieten, damit sie sich öffentlich von dem Vorsitzenden
der Organisation distanzierten, scheiterte kläglich. Denn
ein IRA-Mitglied ging nur zum Schein auf das Angebot ein, um die
seltsamen Praktiken der Sicherheitsbehörden später
öffentlich anzuprangern.
Der IRA-Generalsekretär Houssein Dieng, und sein Mitstreiter
Saleck Ould Inalla jedoch kritisierten Biram Dah Abeid
öffentlich und sagten sich von ihm los. In allen
bedeutenderen Medien des Landes wurden sie ausführlich
interviewt (Le Quotidien de Nouakchott, 14.3.2012).
Seltsamerweise fand der inzwischen aus der IRA ausgeschlossene
Dieng schnell finanzielle Mittel, um seine IRA-Splittergruppe im
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf zu
repräsentieren. Außerdem wurde er von
Staatspräsident Ould Abdel Aziz empfangen, dessen
Behörden mit immer neuen fadenscheinigen Begründungen
die Anerkennung der IRA als Nichtregierungsorganisation
verweigern. In einer Eingabe beim UN-Menschenrechtsrat hat die
GfbV diese systematische Behinderung der Arbeit von
mauretanischen Menschenrechtlern scharf kritisiert.
Sowohl in Mauretanien als auch auf internationaler Ebene
versuchen die ehemaligen IRA-Mitglieder, die
Menschenrechtsorganisation zu diskreditieren. So werfen sie dem
Vereinsgründer Veruntreuung von Vereinsgeldern vor. Biram
Dah Abeid habe bei seiner von der GfbV angeregten Auszeichnung
mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar im Dezember 2011
angeblich vier Millionen Euro Preisgeld erhalten und diese Summe
niemals seiner Organisation ausgehändigt, wird behauptet.
Nachdrücklich fordern die ehemaligen IRA-Mitglieder die
deutsche Bundesregierung auf, dem Verbleib des "verschwundenen
Geldes" nachzugehen. Es mag die Stadtverwaltung Weimars ehren,
dass ihr unterstellt wird, einem Träger ihres
Menschenrechtspreises so viel Geld zur Verfügung zu stellen.
Doch dieser Vorwurf ist angesichts leerer Kassen deutscher
Kommunen so haltlos und lächerlich, dass er in
Thüringen nur Kopfschütteln auslöst.
Hinter dieser Schmutz-Kampagne stehen die Behörden
Mauretaniens, die um jeden Preis versuchen, die
Glaubwürdigkeit des engagierten Menschenrechtlers zu
erschüttern. So bemühte sich das mauretanische
Innenministerium auch, IRA davon zu überzeugen, sich nicht
als Nichtregierungsorganisation, sondern als politische Partei
registrieren zu lassen. Innerhalb kürzester Zeit könne
die Registrierung der IRA als Partei abgeschlossen werden, wurde
Biram aus dem Ministerium signalisiert. Doch die
Menschenrechtsorganisation lehnte das verführerische Angebot
dankend ab, da sie als politische Bewegung ihre
Überparteilichkeit, Unabhängigkeit und
Glaubwürdigkeit schnell verlieren würde.
Während andere Organisationen oft innerhalb weniger Wochen
als Nichtregierungsorganisation anerkannt werden - dies war
beispielsweise der Fall bei der IRA-Splittergruppe, die dann
sogar Delegierte nach Genf zum Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen entsenden konnte, versagt man der IRA diese Anerkennung
seit zwei Jahren gezielt. So kann die Nichtregierungsorganisation
nicht offiziell auftreten und ein Büro anmieten. Da die
Menschenrechtler in der Öffentlichkeit trotzdem immer
beliebter werden, führt die Nichtanerkennung zu immer
unhaltbareren Zuständen. So suchen jeden Tag mehr als 50
Menschen aus allen Landesregionen das Gespräch mit Biram in
seinem Privathaus. Viele Gäste, die von weit angereist sind,
nehmen auch über Nacht seine Gastfreundschaft in
Anspruch.
Doch Vieles bleibt noch zu tun, denn im Kampf gegen Sklaverei
gibt es immer wieder Rückschläge. Sehr positiv ist,
dass 2011 mehr als 6.000 Sklaven freigelassen wurden, weil die
Sklavenhalter aufgrund des Engagements der
Anti-Sklaverei-Organisation Strafverfolgung fürchteten.
Außerdem konnten Menschenrechtler die erste Verurteilung
von Mauretaniern wegen Sklaverei vor einem Gericht des Landes als
großen Sieg feiern: Vier Jahre nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes zur Bestrafung von Sklaverei wurde Ahmedou Ould Hassine
am 21. November 2011 als erster Mauretanier wegen Sklaverei zu
zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt. Er war für
schuldig befunden worden, zwei zehn und vierzehn Jahre alte
Jungen als Sklaven in der Landwirtschaft einzusetzen. Doch die
Freude der Menschenrechtler währte nur kurz. Am 26.
März 2012 hob der Oberste Gerichtshof des Landes das Urteil
wieder auf.
Zwei Wochen zuvor hatte die Menschenrechtsorganisation "SOS
Sklaven" am 11. März 2012 einen neuen Fall von Sklaverei
angeprangert und war mit den beiden minderjährigen Opfern an
die Presse gegangen: Vor den Journalisten berichteten die 14
Jahre alte Selama Mint Mbarek und ihre zehnjährige Schwester
Maimouna Mint Mbarek über ihre Flucht aus der
Leibeigenschaft (www.cridem.org, 15.3.2012). Sie
hatten sich zur Flucht entschieden, nachdem sie von ihrem
Sklavenhalter wiederholt geschlagen worden waren. Ihre Tante,
ihre Brüder und Cousins befinden sich noch immer in
Leibeigenschaft.
Die angesehene mauretanische Frauenrechtlerin und Vorsitzende des
"Verbands der als Familienoberhäupter aktiven Frauen",
Aminetou Mint El Moktar, zog im März 2012 eine kritische
Bilanz über die Anstrengungen der mauretanischen Regierung
zur Beendigung der Sklaverei. Sie erklärte das entsprechende
Regierungsprogramm für gescheitert (Le Calame, 7.3.2012): Es
sei absolut nichts erreicht worden. Sie regte an, die dafür
vorgesehenen Gelder stattdessen Nichtregierungsorganisationen zur
Verfügung zu stellen, die Sklaverei wirksamer bekämpfen
würden. Die Frauenrechtlerin erinnerte daran, dass
insbesondere freigelassene Sklaven mehr Unterstützung
benötigten, da sie weder über eine ausreichende
Ausbildung verfügten, noch maßgeblich Hilfe
bekämen.
Aus pogrom-bedrohte Völker 269-270 (1-2/2012)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/africa/haratin.html |
www.gfbv.it/3dossier/africa/mauret.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110823ade.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110811de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110106de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2010/100621de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080319de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2005/051202ade.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2-00/20-7-dt.html
in www: http://de.wikipedia.org/wiki/Mauretanien
| www.cridem.org | www.sosesclaves.org | www.onlinereports.ch/2000/Sklaven.htm
|
http://portal.unesco.org/culture/en/files/38496/12480982465Musique_et_danse_chez_les_Haratin_de_Mauritanie_(Fran%E7ais).pdf/Musique%2Bet%2Bdanse%2Bchez%2Bles%2BHaratin%2Bde%2BMauritanie%2B(Fran%E7ais).pdf