Von Mateo Taibon
Bozen, September 2005
Er sieht sich als Verkünder der Wahrheit, wo andere
Unwahrheiten verbreiten und Bosheiten über das serbische
Volk: Peter Handke, streitbarer und streitfreudiger
österreichischer Schriftsteller, hat im Sommer 2004 gut drei
Stunden mit Slobodan Milosevic in dessen Büro im
Gefängnis des Haager Tribunals zu Scheveningen zugebracht.
Das literarische Ergebnis dieser Begegnung sowie der
ideologischen Pilgerschaften des Autors nach Serbien und in die
serbischen Teile Bosniens ist die zwanzigseitige
"Reiseerzählung" mit dem Titel "Die Tablas von Daimiel", die
in der Juli/August-Ausgabe der Zeitschrift "Literaturen"
veröffentlicht wurde.
Handke will die Wahrheit verteidigen gegen die böswilligen,
einer tieferen Erkenntnis unfähigen Journalisten, die ihm
ungenehme Fakten aus Bosnien berichten. Just mit der Wahrheit
nimmt es Handke aber gar nicht genau. Für die Verteidigung
der Serben (Handke schreibt immer "die Serben" und "die Muslime")
vor "langjährigen Pauschalisierungen" biegt er die
Geschichte um, verdreht er die Tatbestände, macht Opfer zu
Tätern und Täter zu Opfern und leistet sich zudem eine
Reihe von sachlichen Fehlern, die dem selbsternannten
Wahrheitsverkünder schlecht stehen.
Im wesentlichen beschränkt sich die seltsame
Wahrheitsfindung auf die mehr oder weniger verschlungene
Übernahme der Doktrin von Slobodan Milosevic, so etwa im
Vorwurf, das Den Haager Tribunal sei "Willkür" und
"Siegerjustiz" (dass er mit abschätzigen Bemerkungen
über die Herkunft der Richter auch einen rassistischen
Seitenhieb macht, hat in diesem Kontext nur mehr folkloristischen
Charakter). Oder aber in der Pflege des ewigen Opfer-Mythos:
ansässige Serben in den bosnischen Schluchten hätten
sich, des langmütigen Leidens überdrüssig, gegen
Massaker durch Muslime zur Wehr gesetzt in einer bitter
notwendigen Notwehr gegen die "in Srebrenica verschanzten
Muslime". Auch Handkes Terminologie ist Propaganda -
erbärmlich für einen, der sich als kritischen Geist
sieht. Die Muslime in Srebrenica waren nämlich unbewaffnet
und den Angreifern wehrlos ausgeliefert und also nicht
"verschanzt". Das Massaker von Srebrenica redet Handke mit
nebulösem Geschwätz weg, spricht mit Herablassung von
den "Müttern von Srebrenica" und versucht, diesen die
Legitimierung abzusprechen. Handke steigt hinab in
chauvinistisch-psychologische Mechanismen, die Faschismus und
Völkermord in Schutz nehmen, deren Opfer hingegen
kriminalisieren. Opfer, die er mit keiner Silbe zu Wort kommen
lässt; wie er alles ausblendet, was Zeugnis ablegt vom
Völkermord an den Muslimen - die Gerichtsakten,
Zeugenaussagen von Überlebenden, Exekutionsstätten,
Massengräber, zerstörten Dörfer, ja selbst die
Aussagen von Tätern. Der Selbstgerechte, der die
Journalisten verachtet, weil sie zuviel Gräuel aus dem
Bosnienkrieg berichteten und seine Ergüsse als ideologischen
Schund zu kritisieren wagten, hat ein Brett vor dem Kopf.
Aufgenagelt hat er es sich selbst und wähnt sich darob ein
Hellseher.
Handke macht sich zum literarischen Sekundanten von
Nationalismus, Faschismus, Vertreibung, Völkermord. "Und das
zu einer Zeit" - um eine Bemerkung der FAZ zu zitieren - "wo in
Serbien die Videoaufzeichnungen von der Ermordung muslimischer
Jungen aus Srebrenica durch serbische Paramilitärs unter der
Kontrolle Belgrads die jahrelange Verdrängung aufzuweichen
und sich das 'ewige Opfervolk' der Serben seiner Verantwortung zu
stellen beginnt".
Selbst wenn es Literatur ist und nicht Geschichtsschreibung,
hätte die Zeitschrift "Literaturen" die Pflicht, auf die
Fakten hinzuweisen und dem "Reisebericht" eine historische
Berichtigung an die Seite zu stellen. Gerade weil die
Geschichtsschreibung nicht das Metier von Handke ist. Tut sie
aber nicht. Und macht sich zum Komplizen der Rechtfertigung des
Völkermordes. Sonderbar mutet der Umstand an, dass der
Artikel gerade zum zehnjährigen Gedenken an das Massaker von
Srebrenica veröffentlicht wurde. Wenigstens eine Gegenstimme
wäre notwendig gewesen - Opferberichte, ein Hinweis auf die
historischen Fakten des von Handke zerfledderten Massakers von
Srebrenica. Nichts davon, im Gegenteil. Neben wenigen
unverbindlich distanzierenden Floskeln ("seiner Meinung nach"),
stuft die Zeitschrift Handkes Srebrenica-Lüge als "poetische
Gegenbilder" ein und spricht von einer "Medienkampagne" gegen den
Schriftsteller. Sollen die Medien zu den Massakern und ihren
literarischen Sympathisanten schweigen? Müssen sie zu
Verbrechen schweigen, um nicht der "Sensations- und
Gräuelgeilheit" bezichtigt zu werden? Es ist auch eine
Irreführung, über die "Frage der Schuld an den
jugoslawischen Zerfallskriegen samt ihren Massakern" zu
sinnieren. Die Frage ist nämlich längst und umfassend
beantwortet. Es ist auch eine Augenauswischerei zu behaupten, der
Dichter wolle eine "Geschichte ohne Feind-Bild" erzählen.
Handke hat sehr wohl ein Feindbild, ein enormes: Die Muslime. Und
die historischen Fakten. "Literaturen" auf Irrwegen.
Und Literaten in der Verirrung. Was nämlich die
literarischen Qualitäten des Reiseberichtes betrifft, kommt
Peter Handke über einen einfallslosen Manierismus nicht
hinaus; er ist zum Epigonen seiner selbst geworden. Seine
Schreibweise ist umständlich, aber nicht vielschichtig.
Zudem verzettelt sich der Autor, rennt von Empörung zu
Empörung, von Überlegung zu Überlegung, ohne dass
der "Reisebericht" eine erzählerische Einheit gewinnt. Die
Erzählung krankt zudem an Egomanie: Handke kreist langatmig
um sein Ich, attackiert wie ein spätpubertierender,
verkannter Anfänger die ihn kritisierenden Medien, allen
voran die FAZ. Es ist eine kleinkarierte Nabelschau der
gekränkten Eitelkeit. Herzlich wenig, um Literatur zu sein.
Geschweige denn Poesie. Abgesehen davon, dass die Apologie von
Faschismus, die Rechtfertigung von Konzentrationslagern,
ethnischer Säuberung und Völkermord nie Poesie sein
kann.
Quellen:
- Literaturen, Juli-August 2005: Reisebericht "Die Tablas von
Daimiel. Ein Umwegzeugenbericht zum Prozess gegen Slobodan
Milosevic".
- Matthias Rüb: "Besuch bei Slobodan", Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2005
Aus pogrom-bedrohte Völker 232 (4/2005)