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ILO-169

INDIGENE VÖLKER UND IHR MENSCHENRECHTSSCHUTZ ZENTRIERT AUF DIE ILO-KONVENTION NR. 169

Inhalt

1. DIE INDIGENEN VÖLKER
Einführung | 1.1 Eine ethnographische Umrahmung der indigenen Völker | 1.2 Eine begriffliche Umrahmung der indigenen Völker | 1.2.1 Definitionsbemühungen | 1.2.2 "Indigenous Populations" oder "Indigenous Peoples"? Die Problematik der Selbstbestimmung | 1.2.3 Völker und Minderheiten | 1.2.4 Indigene Völker über das Konzept der "Indigenen Völker"

2. INTERNATIONALES RECHTSINSTRUMENTARIUM ZUM SCHUTZ INDIGENER VÖLKER
2.1 Menschenrechtsschutz der Indigenen Völker im Schoß der Vereinten Nationen | 2.2 Schaffung der "United Nations Working Group on Indigenous Populations" (UNWGIP) & die jüngsten Entwicklungen | 2.3 Rechtsschutz im Rahmen der ILO | 2.4 Andere internationale Instrumente zum Schutz indigener Völker

3. DIE ILO UND IHR SCHUTZ DER INDIGENEN VÖLKER DURCH DIE AUSARBEITUNGDER KONVENTION NR.169
3.1 Die ILO und die Konvention Nr.107 | 3.1.2 Die ILO und ihre Aktivitäten bezüglich indigene Völker bis hin zur Vorläufer-Konvention Nr. 107 | 3.1.3 Die ILO-Konvention Nr.107 und die Notwendigkeit ihrer Revision | 3.1.4 Die "Beteiligung" indigener Völker an der Revision der ILO-Konvention Nr.107 | 3.4 Die ILO-Konvention Nr.169 | 3.4.1 Einführung | 3.4.2 Gliederung der ILO169 | 3.5 "Grund & Boden" | 3.5.1 Das Recht auf Land und Ressourcen (Art.13-19 der ILO169) | 3.5.2 Das besondere Verhältnis indigener Völker zu ihrem Land | 3.6 Kontrolle und Einflußnahme der ILO169 als internationale Konvention | 3.6.1 Einführung | 3.6.2 ILO-Kontrollmechanismen | 3.6.3 Einflußnahme auf nationale Rechtssetzung und Politik | 3.7 Die 13 Signatarstaaten

4. DIE LATEINAMERIKANISCHEN KONVENTIONSSTAATEN
4.1 Indianerpolitik und ILO in Lateinamerika | 4.2 Die lateinamerikanischen Signatarstaaten (chronologisch nach dem Datum der Ratifizierung ): 1. Mexiko | 2. Kolumbien | 3. Bolivien | 4. Costa Rica | 5. Paraguay | 6. Peru | 7. Honduras | 8. Guatemala | 9. Ecuador

5. DIE ILO-KONVENTION NR.169 IN EUROPA
5.1 Chancen und Auswirkungen auf die internationale Entwicklungszusammenarbeit | 5.2 Die ILO169 in der Europäischen Union | 5.3 Die drei europäischen Signatarstaaten | 5.3.1 Dänemark | 5.3.2 Norwegen | 5.3.3 Niederlande | 5.4 Die Bemühungen um eine Ratifizierung in anderen europäischen Staaten | 5.4.1 Österreich | 5.4.2 Deutschland | 5.4.3 Italien

Bibliographie | Dokumentenanhang: Die ILO-Konvention Nr.169 (verbindliche deutsche Übersetzung)

1. DIE INDIGENEN VÖLKER .: oben :.

Einführung
Wohl mit Recht stellt Heintze fest, daß es nicht Aufgabe des Völkerrechts sein kann, Definitionen der Ureinwohner-Völker oder der in Stämmen lebenden Völker vorzunehmen. Vielmehr, schreibt er, muß die Rechtswissenschaft Instrumente schaffen, die die Diskriminierung dieser Menschengruppen in breitestmöglichem Maße verbieten.
Während den fast zwei Jahrzehnten, in denen über Rechtsdefinitionen gefeilscht wurde, waren manche indigene Völker für immer verschwunden.
Aber ohne Zweifel benötigt jedes internationale Schutznormensystem zunächst eine abstrakten Definition des zu schützenden Individuums bzw. der zu schützenden Gruppe.
Ich habe mich deshalb vor der begrifflichen Auseinandersetzung mit der Bezeichnung "indigene Völker" nicht gedrückt. Ich beschränke mich aber absichtlich nicht auf dieses Wort: Im politischen Kontext ist es relativ klar, welche nicht-staatstragenden Völker bei Begriffen wie Ureinwohner, indigene Bevölkerungen, Indígenas usw. gemeint sind.
Es sind ihre Rechte, die oft unklar und möglichst elastisch gehalten werden.

Auch wenn die ILO169 als das umfassendste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz indigener Völker gilt, so fand ihre Entstehung eigentlich doch unter dem Ausschluß dieser Völker statt (infra 3.1.4), deren Stimmen ich in diesbezüglichen juristischen Abhandlungen meist vermisse. Deshalb führt das letzte Kapitel den Titel: Indigene Völker über das Konzept "Indigene Völker".

1.1 Eine ethnographische Umrahmung der indigenen Völker .: oben :.
Es gibt heute nur sehr ungenaue Schätzungen über die Größe dieser Menschengruppe, da es nicht leicht ist, die oftmals in unzugänglichen Gegenden nomadisch existierenden Ureinwohner und die in Stämmen lebenden Völker genau zu erfassen. Als erschwerend erweist sich auch die Tatsache, daß die indigenen Völker keine homogene Gruppe darstellen. Vergleicht man die Zahlenangaben der UNO, der ILO, verschiedener NGOs und einiger Menschenrechtler, so kann man von gut 300 Millionen Ureinwohnern ausgehen, die in mehr als 70 Ländern leben, 5000 verschiedene Kulturen haben und somit zu 70 bis 80 Prozent der kulturellen Vielfalt auf der Welt beitragen.

Unter ihnen bilden die Adivasi in Indien (70 Millionen) und die indianischen Völker des amerikanischen Doppelkontinents (40 Millionen) die größten Gruppen. Tuareg in den Sahara-Staaten, Pygmäen im zentralafrikanischen Regenwald, Penan in Malaysia, Bergvölker in Bangladesh und Birma, Ainu in Japan, sibirische Völker in Rußland, Maori in Neuseeland, Aborigines in Australien, die Bewohner der pazifischen Inseln, Inuit in Alaska, Kanada, Grönland und Sibirien, Saami in Schweden, Norwegen, Finnland und auf der Kola-Halbinsel - sie alle gehören zu jenen, für die sich die Bezeichnung "indigen" mehr und mehr durchsetzt.

Die größten indigenen Völker
Berber: 12.000.000 in Algerien, Marokko, Tunesien;
Quichua: 12.000.000 in Bolivien, Chile, Ecuador, Peru;
Uiguren: 6.000.000 in China, Kasachistan, Usbekistan;
Hmong: 6.000.000 in China, Laos, Thailand, Vietnam;
Maya: 5.000.000 in Belize, Guatemala, Honduras, Mexiko, El Salvador;
Tibeter: 4.000.000 in China, Tibet;
Kashmiren: 4.000.000 in Indien, Pakistan;
Karen: 3.500.000 in Burma, Thailand;
Santal: 3.200.000 in Bangladesch, Indien;
Indianer*: 2.500.000 in Kanada, USA;
Aymara: 2.000.000 Bolivien, Chile, Ecuador, Peru;
Tuareg: 1.500.000 in Algerien, Burkina Faso, Lybien, Mali, Niger;
Mapuche: 1.400.000 in Argentinien, Chile;
Naga: 1.000.000 in Burma, Indien

Tabelle aus dem Dossier "Popoli Indigeni - Popoli Minacciati" von Michelucci A. (APM) (1998)

* Der Begriff "Indianer" schließt alle Indianervölker Nordamerikas ein. [Die Cherokee (308.000), die Navajos (219.000) und die Lakota, besser bekannt als Sioux (103.000), gehören zu den größten Stämmen.] Aber während es in Amerika, Nord-Eurasien, dem Pazifik, Australien und Südasien relativ klar ist, welche Völker "indigen" sind, ist die Situation in Afrika ziemlich unklar:
"Hier können die Khoi-San-Gruppen des südlichen Afrika und die Bambuti (Pygmäen) der äquatorialen Regenwaldzone zweifellos als 'indigen' gegenüber den Bantu-Sprechern und anderen Vertretern der Niger-Kongo-Sprachgruppe bezeichnet werden. Bedeutet dies jedoch, daß z.B. die Südost-Bantu - also die Xhosa, Zulu, Venda, Sotho und Tswana der Republik Südafrika - deshalb gegenüber Buren, Malaien, angelsächsischen, deutschen und indischen Einwandereren weniger indigen als die San und Khoikoi sind?"

Dieselbe Frage stellt sich in Asien und Europa für die Turkvölker Zentralasiens: Kann man sie als Einwanderer des ersten nachchristlichen Jahrtausends als "indigenes Volk" gegenüber Russen, Krimtartaren, Chinesen usw. einstufen?

1.2 Eine begriffliche Umrahmung der indigenen Völker .: oben :.

1.2.1 Definitionsbemühungen
Ausgehen möchte ich bei den verschiedenen Bemühungen, indigene Völker begrifflich zu erfassen, von der Definition der ILO169, die im Gegensatz zu ihrer Vorläuferkonvention Nr.107 an "Völker" ("peoples") und nicht an "Bevölkerungen" ("populations") gerichtet ist:

"This Convention applies to:
a) tribal peoples in independent countries whose social, cultural and economic conditions distinguish them from other sections of the national community, and whose status is regulated wholly or partially by their own customsor by special laws or regulations;
b) peoples in independent countries who are regarded as indigenous on account of their decent from the populations which inhabited the country, or a geographical region to which the country belongs, at the time of conquest or colonization or the establishment of present state boundaries and who, irrespective of their legal status, retain some or all of their own social, economic, cultural and political institutions".
Eine zentrale Stellung in der Begriffsbestimmung nimmt das subjektive Bekenntnis zur Zugehörigkeit zu den Ureinwohnern ein:
"2. Self-identification as indigenous or tribal shall be regarded as a fundamental criterion for determining the groups to which the provisions of this Convention apply".

Exemplarisch und bahnbrechend bei dem Bestreben, den Begriff "indigene Völker" zu bestimmen, war sicher der Rapport des ecuadorianischen UN-Sonderberichterstatters Martínez Cobo, der 1971 von der Unterkommission zur Vorbeutung von Diskrimination und zum Schutz der Minderheiten den Auftrag erhielt, eine Studie über Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern zu verfassen. Nachdem er die Rechtsordnungen 37 Staaten analysiert hatte um zu einer verallgemeinerungsfähigen Definition zu kommen - damit allerdings auf den Einspruch des WCIP (World Council of Indigenous Peoples) gestoßen war - machte er das Recht auf Selbstdefinition und Selbsidentifikation zum Herzstück seiner Definition:

"Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories, consider themselves distinct from other sectors of societies now prevailing in those territories, or parts of them. They form at present and transmit to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity, as the basis of their continued exixtence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems."

Für Heintze ist dies die erfolgversprechendste Annäherung an die Definitionsfrage.
Der Cobo-Definition entsprechend, erstellte die UNWGIP (United Nations Working Group on Indigenes Peoples), die einmal jährlich innerhalb der UN-Menschenrechtskommission in Genf tagt, folgende Kriterien für die Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk:

(1) pre-existence (or "historical continuity")
(2) self-identification
(3) non-dominance
(4) cultural difference

"Pre-existence" bedeutet, daß Angehörige eines indigenen Volkes im betreffenden Land die Urbevölkerung darstellen. "Das bedingt anwendbare Kriterium trifft vor allem in den seit dem 15. Jahrhundert von den Europäern besiedelten Großregionen wie Amerika, Australien und Sibirien zu. "

"Self-Identification" ist ein subjektives Kriterium: die indigenen Völker haben in den letzten Jahren wiederholt auf ihr exklusives Recht bestanden, selbst zu bestimmen, wer "zu ihnen" gehört. Das entspricht auch dem indigenen Zusammengehörigkeitsgefühl.

"Non-dominance" umfaßt die gesellschaftliche Marginalisierung von indigenen Völkern: ganz gleich ob sie nun indigene Minder- oder Mehrheiten darstellen.

"Culturel difference" weist auf die Unterschiede in Kultur, Sprache, Weltanschauung und Wertesystem indigener Völker gegenüber der restlichen Bevölkerung hin.

Eng verbunden mit dem Kriterium der "pre-existence" ist die "historical continuity" ; d.h. Landbesetzung und Unterschiede in Sprache, Kultur und Lebensraum, die in einer bestimmten Region des Landes von alters her fortdauern.

"Diese Kontinuität kann genetischer (durch die biologische Reproduktion) und kultureller Natur sein (durch die Erhaltung kultureller Formen wie Sprache und Religion, die sich direkt von der ursprünglichen Gruppe ableiten lassen). In den meisten aktuellen Fällen der "Indigenität" erfahren sowohl die genetische als auch die kulturelle Kontinuität Veränderungen."

Das Kriterium, das in engem Zusammenhang mit Kolonisation und Eroberung steht, läßt die indigenen Völker von den "europäischen" Minderheiten wie Basken, Katalanen, Roma und Wanderarbeiter unterscheiden.

Ein Charakteristikum indigener Völker ist schließlich auch die besondere Beziehung zu ihrem Land (infra 3.5.2). Nicht von ungefähr hat ein Vertreter des WCIP 1985 in Genf gemeint:

"Nach dem Erschießen, ist die sicherste Art uns zu töten, uns von unserem Land zu trennen."

Wesentlich kürzer ist die Begriffsbestimmung von Alfredsson :

"Generally, an indigenous population can be described as the original inhabitants of a territory who have been overcome, often outnumbered, but not assimilated by later settlers of different cultures and ethnic backgrounds who control the national government".

Hummer bemängelt an der Cobo-Definition, daß der Faktor des Entwicklungsgefälles nicht genügend beachtet worden ist, da offensichtlich nicht alle indigenen Völker in den verschiedenen Staaten auf derselben Entwicklungsstufe stehen.

Auch wenn die gesetzliche Definition für "indigenous populations" von Staat zu Staat varieren, so weisen sie doch gemeinsame Merkmale auf:
- Objektive Kriterien Herkunft, Kultur, Sprache
- Subjektive Kriterien Selbstidentifikation & Akzeptanz
- Funktionelle Kriterien gemeinsame Lebensbedingungen.

Demzufolge ist auf der individuellen Ebene derjenige ein Ureinwohner, der sich durch Selbstidentifikation als Angehöriger eines indigenen Volkes betrachtet und von ihm als Angehöriger akzeptiert wird. Praktisch jenes Recht, auf das der WCIP gegenüber Cobo gepocht hatte: ohne Einmischung von außen die Zugehörigkeit bestimmen zu können. Vehement wehren sich indigene NGOs gegen die staatlichen Versuche, durch Gesetzgebungsakte die Zugehörigkeit zu indigenen Völkern zu bestimmen, wobei die Staaten oft außerstande sind, Aussagen über die ethnische Zugehörigkeit von Bürgern u machen.

Schließlich gibt es noch ein weiteres Merkmal: Stavenhagen stellt fest, daß "der Diskurs über die "Indigenität" zur Anklage historischer Ungerechtigkeiten und Verbrechen führt, die gegen die indigenen Völker begangen wurden (Genozid, Landraub, Knechtschaft, Diskriminierung), und in der Folge auch zur Begründung spezifischer Rechte führen, die sich von den erfahrenen Ungerechtigkeiten und der indigenen Zugehörigkeit ableiten lassen."

"Der Diskurs der Indigenität begründet und legitimiert die Forderung der indigenen Völker nach spezifischen Menschenrechten."

1.2.2 "Indigenous Populations" oder "Indigenous Peoples" ? Die Problematik der Selbstbestimmung .: oben :.
Während sich die Konvention Nr.107 - The Indigenous and Tribal Populations Konvention, an "populations" ("Bevölkerungen") richtet, verwendet die ILO Nr.169 - The Indigenous and Tribal Peoples Konvention, den Begriff "peoples" ("Völker").
Nach dreijähriger Diskussion über den angemesseneren Begriff, hat sich in der ILO schließlich der Ausdruck "peoples" durchgesetzt.
Der Widerstand kam hauptsächlich von Brasilien, Frankreich, Indien, Türkei und Venezuela. Kanada und Schweden hatten noch auf der 75ten ILO-Konferenz versucht, "peoples" mit "populations" zu ersetzen. Die ILO war sich aber schließlich über die Korrektheit des verwendeten Begriffs einig,

" because this term recognizes the existence of organized societies with an identity of their own rather than mere groupings sharing some racial or cultural characteristics."
Aber: "After protracted discussions, it was also decided that "the use of the term 'peoples' in this Convention shall not be construed as having any implication as regards the rights which may attach to the term under international law."

Weder sieht sich die ILO deshalb als zuständiges Organ um den Begriff "Selbstbestimmung" definieren zu können, noch bezieht sie diesbezüglich eine Pro-oder-Contra-Haltung. Ein Recht auf Selbstbestimmung schließt sie demnach nicht aus.
Das ILO-Expertenkomitee unterstreicht diesbezüglich , daß es eines der grundlegendsten Prinzipien der ILO169 ist, daß

"a relationship of respect should be established between indigenous and tribal peoples in the States in which they live, a notion which should not be confused with autonomy, or political and territorial independence from the nation state."

Prinzipiell beginnt beim Begriff "Volk" die Problematik bereits damit, daß es darüber keine klare Definition gibt (infra 2.1).
Während die indigenen Völker den Begriff peoples bevorzugen, ziehen die Regierungen meist den Ausdruck populations vor, da er keine Selbstbestimmungsansprüche impliziert. Dabei spricht der "Internationale Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" ausdrücklich von der "freien Selbstbestimmung aller Völker".

In der Regel wird der "Volksbegriff", "der wohl kaum mit einem juristischen Inhalt zu füllen ist" von drei Gemeinsamkeiten geprägt:
gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur und gemeinsames Schicksal (Sprachgemeinschaft, Kulturgemeinschaft, historische Gemeinschaft)

Dem UNO-Spezialberichterstatter Cristescu genügten für die Umschreibung des Begriffes zwei Merkmale:

a) eine klare Einheit, die eine klare Identität und ihre eigenen Charakteristika besitzt;
b) eine Beziehung zum Territorium, die auch nicht durch gewaltsame Vertreibung oder künstliche Verdrängung von anderen Bevölkerungen aufgehoben wird.

Stavenhagen sieht gleichermaßen zwei Möglichkeiten um den Begriff Volk zu verwenden:

(1) Gesamtheit der Staatsbürger, die ein Land bilden: Man spricht hier von der "Souveränität der Völker", von einer "Regierung die vom Volk ausgeht", usw.
(2) Gesamtheit der Merkmale, die ein menschliches Konglomerat in territorialen, historischen, kulturellen und ethnischen Grenzen charakterisieren: Merkmale, die ein Identitätsbewußtsein vermitteln.

Daraus folgt und für die Verwendung des Begriffs "people" spricht, daß:

a) -im Gegensatz zum Staatsvolk im Rechtssinn- der "Volksbegriff" im Völkerrecht nicht objektiv definierbar ist

b) aufgrund ähnlicher Überlegungen Staaten wie Brasilien, Kanada, USA usw. in ihren Rechtsordnungen den Begriff "peoples", der schließlich auch in der ILO zur Anwendung kam, aufgenommen haben

c) im Vergleich mit anderen Begriffen die Ureinwohner-Gemeinschaften aufgrund ihres meist stark ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühls als Völker angesehen werden müssen

d) nicht alle "indigenen Völker" das Selbstbestimmungsrecht gleich weit auslegen wollen

In Diskussionen anläßlich der ersten Verhandlungsrunde über die "Deklaration über die Rechte der indigenen Völker" in der UNO-Menschenrechtskommission 1995 in Genf, kamen hinsichtlich der Auslegung des im "Volksbegriff" implizierten Selbstbestimmungsrechts unterschiedliche Anschauungen zum Ausdruck: Während die Maori Neuseelands darunter ein Sezessionsrecht "gegenüber der Kolonialregierung" verstehen, begnügen sich andere indigene Vertreter mit einem grösseren Einfluß auf Reformvorhaben ihrer nationalen Regierungen.

Differenziert man das Konzept der Selbstbestimmung so kann darauf hingewiesen werden, daß die

- "äußere Selbstbestimmung nicht notwendigerweise politische Unabhängigkeit bedeutet, sondern vielmehr Ziel von Verhandlungen zwischen Volk und jenem Staat sein kann, mit dem es verbunden ist. Das Ergebnis kann eine neue Form des politischen Zusammenlebens sein, ohne dabei trotz möglicher politischer Übereinstimmungen die Unterschiede zu vergessen."
Bsp: Fall von Quebeq; die Kuna in San Blas von Panama;

- "interne" Selbstbestimmung sich auf die interne politische und ökonomische Form der Organisation eines Volkes bezieht, ohne daß notwendigerweise die schon etablierten externen Beziehungen betroffen sind. Die nordamerikanische Regierung verwendet diesen Begriff gern, um irrtümlicherweise die interne ökonomische Verwaltung der indigenen Reservate zu beschreiben.
Bsp: Provinzen, Munizipien in Lateinamerika;

Ein Beispiel, das die Besorgnis mancher Regierungen bezüglich Volksbegriff und Selbstbestimmungsrecht veranschaulicht, bot 1995 in Genf die erste Verhandlungsrunde über die "Deklaration über die Rechte der indigenen Völker" in der UN-Menschenrechtskommission, als sich vor allem Frankreich - und in deren Windschatten Indonesien, China, Brasilien, Bangladesh, Malaysia und Burma - zum Wortführer der Kritiker aufschwang. Frankreich, das sich in den vergangenen vierzehn Jahren gar nicht an der Arbeit beteiligt hatte, begründete dies mit der französischen Verfassung, die die Einräumung von Sonderrechten für eine Gruppe von Bürgern verbiete.

"Die Vehemenz der französischen Intervention [...] ist wohl nur vor dem Hintergrund des Widerstandes gegen die Nukleartests seitens der Ureinwohner von Französisch-Polynesien zu verstehen".

Menschenrechtler werten es als eine völkerrechtlich bedeutsame Tatsache, daß die US-Außenministrerin Madeline Albright Mitte Juli 1998 erstmals von "indigenous peoples" statt wie bislang von "people" sprach.

Einen anderen Denkanstoß bietet der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, der1992 in New York die Befürchtung aussprach, die Welt drohe in rund 400 marode Kleinstaaten zu verfallen, wenn das Problem der Rechte von Minderheiten nicht bald energisch angegangen werde.

"Die schlimmste Entwicklung könnte es in Afrika nehmen, das jetzt schon in 50 Staaten zersplittert ist. Dort gibt es 5000 Stämme. Wenn all diese das Recht auf Selbstbestimmung wahrnähmen, würde eine Art 'Mikro-Nationalismus' mit winzigen Staaten von 5000 oder 100000 Bürgern entstehen."

Während also in der neuen ILO 169 "populations" mit "peoples" ausgewechselt wurde, blieben die ersten beiden Attribute "indigenous" und "tribal" bestehen.
Laut ILO,

"the term 'indigenous' refers to who, while retaining totally or partially their traditional languages, institutions, and lifestyles which distinguish them from the dominant society, occupied a particular area before other populations groups arrived. This is a description which is valid in North and South America, and in some areas of the Pacific. In most of the world, however, there is very little distinction between the time at which tribal and other traditional peoples arrived in the region and the time at which other populations arrived. In Africa, for instance, there is no evidence to indicate that the Massai, the Pygmies, or the San (Bushmen), namely peoples who have distinct social, economic and cultural features, arrived in the region they know inhabit long before other African populations. The same is true in some parts of Asia. The ILO therefore decided, when it first began to work intensively on these questions shortly after World War II, that it should refer to indigenous and tribal peoples."

Der ILO ging es erstens mehr um den sozialen Aspekt als um die Frage nach den ersten Besiedlern und zweitens konnten sich mehrere Regierungen eher mit dem Attribut "tribal" anfreunden. Auf jeden Fall verfügen beide - "indigenous and tribal peoples"- über dieselben Rechte der ILO 169.

1.2.3 Völker und Minderheiten .: oben :.
Die Begriffe Indigene Völker und Minderheiten erfahren in der Alltagssprache oft keine Differenzierung. Tatsächlich weisen beide Gruppen Gemeinsamkeiten auf:

(1) in ihrem Land stehen sie meistens -aber nicht immer- einer Mehrheit gegenüber
(2) die Mehrheit -Staat und Gesellschaft- empfindet sie meist als "anders" und "fremd"
(3) sie sind als Opfer von Menschenrechtsverletzungen besonders gefährdet

Die Bestimmung von Minderheiten erweist sich oft als ein schwieriges Unterfangen, das wohl nur auf der "case-by-case"-Basis erreicht werden kann.
In Südamerika z.B. stellen heute die Nachfahren der conquistadores gegenüber den indigenen Völkern in den meisten Staaten die (dominante) Mehrheit dar. Dazu kommen neben anderen europäischen Auswanderern vor allem Schwarze, die vielfach als Sklaven aus ihrer Heimat verschleppt wurden, die Chinesen (Präsident Fuijimori stammt aus China), die in Peru als Minenarbeiter angeheuert wurden, die libanesischen Auswanderer in Ecuador (Ex-Präsident Tamil Mahuad stammt aus dem Libanon) und die japanischen in Brasilien.

Die Vereinten Nationen erachteten lange Zeit den individuellen Schutz der Menschenrechte als völlig ausreichend für den Schutz von Minderheiten und indigenen Völkern., wobei der erste Artikel in beiden Internationalen Pakten über die Menschenrechte identisch lautet:
"Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung ..."
Dabei hat die internationale Gemeinschaft mit diesem einleitenden Artikel anerkannt, daß individuelle Rechte von Personen nur schwer auszuüben sind, deren Völker einer kollektiven Unterwerfung durch koloniale Herrschaft ausgesetzt sind.

Minderheiten
Der Begriff Minderheit kam besonders zur Zeit des Völkerbundes im Balkan zur Anwendung, als nach dem Ersten Weltkrieg im Anbetracht der neuen Grenzen versucht wurde, durch ein Minderheitenschutzsystem bestimmte Mindestrechte festzulegen.
Erst 1966 sieht der "Internationale Pakt über zivile und politische Rechte" in Art. 27, der zudem recht unklar definiert ist , vor:

"In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten, darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen."

Da die Satzung an "Angehörige von Minderheiten" gerichtet ist, werden lediglich die Rechte des Individuums angesprochen.
Der italienische Völkerrechtler F. Capotorti (infra) nennt auch den Grund:

"Lastly, there is a political reason. The fact of granting rights to minorities and thus endowing them with legal status might increase the danger of friction between them and the State, in so far as the minority group, as un entity, would seem to be invested with authority to represent the interest of a particular community vis-a-vis the entire population."

Eine Kollektivierung ihrer Rechte erfahren Minderheiten in der Definition Capotortis, der 1979 beauftragt wurde, eine Studie zur Lage der Minderheiten zu verfassen:

"Eine ethnische, religiöse oder Sprachminderheit ist eine Gruppe, die zahlenmäßig kleiner ist als der Rest der Bevölkerung des Staates, zu dem sie gehört und die kulturelle, physische oder historische Merkmale, eine Religion oder eine Sprache besitzt, die sich vom Rest der Bevölkerung unterscheidet."

Minderheiten verfügen über aktive und passive Rechte bzw. Sonderrechte, die dem übrigen Staatsvolk nicht gewährt werden und die ihnen gleichsam als Ersatz für die Nichtgewährung des Selbstbestimmungsrechtes zuerkannt werden.

Indigene Völker
Indigene Organisationen sind der Ansicht, daß ihre Situation nicht mit jener der Minderheiten vergleichbar ist:
1. Als "ursprüngliche Völker oder Nationen" bestehen sie auf Rechte, die nicht mit anderen Minderheiten wie z.B. den eingewanderten ethnischen geteilt werden
2. Als Opfer von Invasionen, Eroberungen und Raub fordern sie verlorene Rechte - oft handelt es sich um verweigerte Souveränität - zurück und wollen nicht nur Schutz durch Rechte, die ihnen zugestanden werden.
3. Ihre Vorfahren lebten in souveränen Nationen, die gegen ihren Willen unterworfen und von fremden politischen Einheiten inkorporiert wurden. Zahlreiche Völker unterschrieben Verträge mit den Invasoren, welche ihnen ihre Souveränität garantieren sollte, aber im nachhinein verletzt oder einseitig aufgehoben wurden.

Abgesehen von ihrer eigenen Kultur, dem eigenen Wertesystem und ihrer eigenen Weltanschauung, zeichnet die indigenen Völker einmal ein auffallender Bezug zu ihrem Land auf, das sie seit altersher besetzen (sofern sie nicht vertrieben worden sind) und zweitens ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie prägt und stärkt.
Dies spricht für eine Kollektivierung ihrer Rechte. Und deshalb bezeichnen sie sich heute meist als indigene Völker und nicht als Minderheiten gem. Art.27 des "Internationalen Paktes über die zivilen und politischen Rechte", da es der einzige Weg ist, der an ihrem Untergang vorbeiführt.

Dementsprechend differenziert auch der "Entwurf der Allgemeinen Deklaration über die Rechte indigener Völker":
"3. The collective right to exist as distinct peoples and to be protected against genocide, as well as the individual rights to life, physical integrity, liberty and security of person.
4. The individual and collectiv right to maintain and develop their ethnic and cultural characteristics and distinct identity, including the right of peoples and individuals to call themselves by their proper names."

Zudem gewährt die internationale Praxis den Völkern auf kolonisierten Territorien das Recht auf Selbstbestimmung, nicht aber den Minderheiten.

1.2.4 Indigene Völker über das Konzept der "Indigenen Völker" .: oben :.
"In unseren Kulturen existiert der Begriff des Individualrechts nur innerhalb der Gemeinschaft. Die Rechte und Verpflichtungen der Einzelnen gehen aus den gemeinsamen Zielen, den zwischenmenschlichen Beziehungen und jenen zur Mutter Erde hervor. Wer uns die Anerkennung der kollektiven Rechte verweigert, verweigert dem Einzelnen die Vorteile unserer gemeinsamen Identität und trennt somit das, was bei uns eins ist.
Alle Völker haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Die Staaten, die sich der Durchführung dieses Rechts widersetzen, versuchen die Anwendung des Völkerrechts auf die indigenen Völker zu verhindern um offensichtliche Implikationen, die sich aus den international anerkannten Kriterien ergeben, zu vermeiden. Um sich nicht im Anwendungsbereich des internationalen Rechts zu verwickeln, haben sie ein einfaches System ausgeklügelt: sie haben beschlossen, daß unsere Rechte als Völker gar nicht existieren, sofern sie uns nicht als solche bezeichnen."

Die Worte stammen von Ted Moses vom Grand Council of the Crees, ein bekannter Redner bei den Sitzungen der WGIP.
Am 28. Juli1997 marschierten in Genf rund 350 Vertreter indigener Völker in traditioneller Kleidung vom Platz der Vereinten Nationen zu den Konferenzsälen der Uno, um ihrer ersten Teilnahme an der Uno-Konferenz im Juli 1977 zu gedenken. Angeführt wurde der Zug wie vor zwanzig Jahren von nordamerikanischen Indianern, unter ihnen der Irokesen-Chief Oren Lyons (Onondaga) und Ed Burnstick (International Indian Treaty Council). Wie damals konnte auch bisher eine Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten der indigenen Völker trotz des nichtbindenden Charakters nicht verabschiedet werden. Besorgt erklärte deshalb Oren Lyons, daß die indigenen Völker in der Erklärung nur ihre minimalen Rechte einfordern und die Staatengemeinschaft deshalb inständig bitten, den Inhalt der Erklärung nicht weiter zu verwässern. Die indigenen Völker hätten ein Recht auf die Anerkennung ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihrer Landrechte.

Victoria Tauli-Corpuz vom philippinischen Volk der Igorots "Volk der Berge", die im September 1999 in Südtirol weilte , sieht den Hauptgrund, warum sie "indigene Völker" genannt werden darin,

"daß viele ihrer Vorfahren und ihre gegenwärtige Generation darauf bestanden haben, die Grenzen aufrechtzuerhalten, die ihre verschiedenen Identitäten als Clans, Stämme, Völker und Nationen kenntlich machen. In ihrem Fall war es eine geographische Barriere, die ihnen geholfen hat, ihre Eigenständigkeit zu bewahren: viele von ihnen wohnen in unzulänglichen Gegenden, die nur in anstrengenden Fußmärschen zu erreichen sind."

Immer wieder forderten die Ureinwohner-Gemeinschaften aufgrund ihres meist ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühles als Völker angesehen zu werden und ihre Vertreter begründeten dies auf der ILO-Konferenz damit, daß

"die Verwendung des Begriffs für die Stärkung der Anerkennung des Rechts dieser Gruppen auf ihre Identität und als grundlegender Aspekt der veränderten Ausrichtung im Hinblick auf größere Achtung vor ihren Kulturen und Lebensweisen notwendig sind.

Nach früheren endlosen Debatten über den Begriff indigene Völker, sprachen sich in den letzten Jahren die meisten Völker gegen die Notwendigkeit einer präzisen Definition aus. Auch wenn die Definition Klarheit schaffen könnte, würde sie doch eine Einschränkung bedeuten und könnte Regierungen als Werkzeug zur Ausgrenzung dienen.


2. INTERNATIONALES RECHTSINSTRUMENTARIUM ZUM SCHUTZ INDIGENER VÖLKER .: oben :.

2.1 Menschenrechtsschutz der Indigenen Völker im Schoß der Vereinten Nationen
In allen Regionen der Welt wurden indigene Völker Opfer von Genoziden, und von dieser Tatsache muß bei jeder Diskussion über indigene Rechte ausgegangen werden. Militärische Aktionen, systematische Übergriffe, Assimilierungspolitik und Missionierung führten in den schlimmsten Fällen zur physischen Extinktion ganzer indigener Völker. Der Verlust des eigenen Territoriums, der eigenen Lebensweise, Kultur und Sprache trugen zur existenziellen Krise dieser Völker bei.
Abgesehen von Verträgen, in denen die Indianischen Nationen selbst Partei waren und vom Abkommen, das 1940 zur Errichtung des
Interamerikanischen Instituts führte, hatte vor der Verabschiedung der ILO-Konvention Nr. 107 im Jahre 1957 kein multilaterales Abkommen direkt auf indigene Rechte Bezug genommen. Die Vereinten Nationen hatten die Menschenrechte indigener Völker lange Zeit vernachlässigt.

Die Rechte indigener Völker sind bis heute in keiner internationalen Konvention als eigenständiges, positives Recht niedergelegt. Ihre Rechte werden bislang aus verschiedenen internationalen Verträgen und Übereinkünften abgeleitet, die auf den Schutz der indigenen Völker eingehen, d.h. im wesentlichen Abwehrrechte darstellen. Die Konstruktion schränkt die Reichweite insofern ein, da diese Normen den Staaten keinerlei Verpflichtungen vorgeben, aktiv die Rechte der indigenen Völker auf eine eigene spezifische Existenz, auf eigene Kultur, Sprache oder Religione zu fördern. Ein weiterer grundsätzlicher Mangel aus Sicht der indigenen Völker haftet diesen Normen dadurch an, daß die Abkommen immer auch den Restriktionen der vertragschließenden Staaten unterliegen, deren Zuständigkeiten und Legitimation in Sachen indigene Völker von letzteren vehement bestritten wird.
Unbeschadet ihrer Bedeutung zum Schutz vor Völkermord und Mord an ethnischen Minderheiten gewähren die Abkommen (Auflistung, infra) in der Regel ausdrücklich Individualrechte, d.h. vergleichbar dem deutschen Grundgesetz können nur individuell betroffene Personen und keine Volksgruppen als Kollektiv Rechtsschutz einfordern. Demgegenüber ist es offensichtlich, daß der Rechtsanspruch indigener Völker auf territoriale Selbstverwaltung oder auf autonome Regierungsformen sinnvoll nur von organisierten Gemeinschaften eingebracht werden kann und ihnen gegenüber zu garantieren wäre.
Deshalb fordern die Repräsentanten der indigenen Völker nationale und internationale Standards, die ihnen kollektive Rechte auf Selbstbestimmung, auf Sprache und Kultur einräumen und nicht zuletzt Schutz gegen Genozid und Ethnozid bieten.

In der Russischen Föderation z.B. stehen alle Rechtsnormen bezüglich Land, Bodenschätze, Fisch -und Jagdrechte, Kommerzialisierung des (Kunst-) Handwerks oder Besiedlung unter dem Vorbehalt des Staates.

Zwar sprechen die beiden Internationalen Menschenrechtspakte von der freien Selbstbestimmung aller Völker, aber bislang findet sich in der Charta der Vereinten Nationen keine rechtsverbindliche Definition des Begriffs "Volk", um genau bestimmen zu können, wer die Rechtsträger dieser freien Selbstbestimmung sein sollten.

Dies blieb unproblematisch, solange niemand außer den etablierten Staaten dieses Recht geltend machte.

Obwohl die Charta der Vereinigten Nationen oft von den Völkern der Erde spricht, sind damit doch Staaten gemeint. Die Nationalstaaten sind Gründer und handelnde Subjekte im Prozeß der Vereinten Nationen. Nur sind die Interessen der Staaten und der indigenen Völker häufig entgegengesetzt.
So treten z.B. Zielkonflikte zwischen den Interessen der Bewahrung der Identität und der Selbstbestimmung indigener Völker und dem Interesse des Staates auf ökonomischer Entwicklung auf.

Im Zuge der antikolonialen Befreiungsbewegungen und der aufkeimenden Regional- und Minderheitenbewegungen beschloß 1974 die UN-Unterkommission zur Vorbeugung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten, einen speziellen Berichterstatter mit der Klärung der Begriffe "Volk" und "Selbstbestimmung" zu beauftragen. Der Abschlußbegriff hebt hervor, daß das Prinzip der freien Selbstbestimmung die Rechte bestehender souveräner Staaten nicht beeinträchtigen dürfe, soweit letztere ihre Souveränität Kraft dieser Norm zur freien Selbstbestimmung ausüben.
Für die unter Kolonialherrschaft sich befindenden Territorien waren diese Normen noch einschlägig, den sogenannten Minderheiten blieb der kollektive Rechtsanspruch versagt, da der Begriff Volk nach wie vor unscharf formuliert ist.

Die Frage, inwieweit die Souveränitäts- oder Autonomieforderungen der indianischen Nationen, Völker und Gemeinschaften in Amerika eine innerstaatliche Angelegenheit oder ein im Gerüst des Völkerrechts angesiedeltes, d.h. überstaatliches Grundrecht bzw. internationales Vertragsrecht darstellen, harrt der Lösung. Nachwievor ist die ILO 169 das bislang einzige rechtsverbindliche Instrument zur Wahrung der Rechte indigener Völker.

Rechtsinstrumente innerhalb der Vereinten Nationen (UN)
1948 Deklaration der Allgemeinen Menschenrechte in den Artikeln 1, 2, 4, 7, 17, 26 und 27

1951 Konvention zum Verbot des Völkermordes in Artikel 2

1957 die Konvention der ILO Nr. 107 zum Schutz und Integration der Indigenen Völker,.....

1969 die Ergänzende Konvention zur Abschaffung der Rassendiskriminierung in Artikel 1.1

1976 der Internationale Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in den Artikeln 1, 2, 3, 13, 15 und 25
der Internationale Vertrag über zivile und politische Rechte in den Artikeln 1 und 27
das Zusatzprotokoll des Internationalen Vertrages über zivile und politische Rechte in seiner Präambel und in Artikel 1

1981 die UNESCO-Erklärung von San José zu Ethnozid und ethnischer Entwicklung

1982 die Entstehung der Arbeitsgruppe für indigene Völker (UNWGIP)

1985 die UNWGIP beginnt mit der Erstellung der "Allgemeinen Deklaration über die Rechte indigener Völker

1989 die ILO-Konvention Nr. 169 der indigenen Völker (eine Revision der ILO-Konvention Nr. 107 von 1957)

1993 war das Internationale Jahr der indigenen Völker
1994 Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte beginnt die UN-Dekade der Indigenen Völker der Welt (1995 - 2004)

2.2 Schaffung der "United Nations Working Group on Indigenous Populations" (UNWGIP) & die jüngsten Entwicklungen .: oben :.
Wie bereits erwähnt, waren die Probleme und die Anliegen indigener Völker lange Zeit kein Thema für die internationale Staatengemeinschaft.
Bolivien machte 1949 erstmals den Vorschlag, eine Unterkommission der UN-Sozial-Kommission einzuführen um "die Situation der Ureinwohner auf dem amerikanischen Kontinent" zu untersuchen. Der Beschluß, der schließlich erreicht wurde, beinhaltete aber lediglich einen Appell an den Wirtschafts- und Sozialrat, eine Untersuchung einzuleiten. Verschiedene Staaten wie die USA, Brasilien, Chile, Frankreich, Peru und Venezuela erhoben Einspruch und ein weiterer Beschluß erlaubte solche Untersuchungen nur auf Anfrage des betroffenen Staates hin. Die Anfragen blieben aus und somit blieb diese Initiative der Vereinten Nationen vorerst zwei Jahrzehnte lang die letzte in diesem Rahmen.

Am 28. Juli 1997 haben in Genf ungefähr 350 Vertreter indigener Völker in traditioneller Kleidung mit einem Marsch vom Platz der Vereinten Nationen zu den Konferenzsälen der Uno hin ihrer ersten Teilnahme an einer Uno-Konferenz im Jahr 1977 gedacht.
1972 erhielt der Ecuadorianer Martínez Cobo von der Unterkommission zur Vorbeugung und Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten den Auftrag, als Sonderberichterstatter eine ausführliche Studie über die Diskriminierung von indigenen Völkern zu verfassen. Der 1983 vorgelegte Bericht hat den Verdienst, erstmals Diskrimination und Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern beim Namen genannt zu haben. Auch wurde das Verständnis für die Bedingungen unter denen diese Vöker leben, wesentlich vertieft.

Die Cobo-Studie, das geweckte Interesse der obgenannten Unterkommission und die Unterstützung sämtlicher NGOs führten 1982 zur Entstehung der UNWGIP.
Die Working Group ist ein subsidiäres Organ der Unterkommission. Ihre fünf Mitglieder sind unabhängige Experten und Mitglieder der Unterkommission.
Die Working Group tagt jeden Sommer in Genf unmittelbar eine Woche vor der Sitzungsperiode der Unterkommission. Mit Ausnahme des Jahres 1986 hat die Arbeitsgruppe jedes Jahr getagt. In jenem Jahr sponsorisierten die Anti-Slavery Society for the Protection of Human Rights und der WCIP unter dem Vorsitz von Erica-Irene A. Daes einen Workshop über die Rechte indigener Völker.
Die Working Group stellt nicht nur das einzige internationale Forum dar, in dem VertreterInnen indigener Völker (und zwar unabhängig davon, ob sie von den Vereinten Nationen formell anerkannt sind oder nicht) ihre Interessen und Forderungen darlegen und in einen offenen Dialog mit Regierungsvertretern treten können, sondern die Arbeitsgruppe wurde im Laufe der Jahre im Rahmen der Menschenrechte zum breitesten UN-Forum überhaupt. Bis zu 700 Menschen beteiligen sich mittlerweile an der Working Group: Regierungsbeobachter, Vertreter indigener Völker, NGOs, Akademiker und Studenten. Um möglichst vielen Betroffenen die Teilnahme zu ermöglichen, wurde 1985 innerhalb der UNO ein Fond errichtet, mit dessen Hilfe die Reisekosten der Delegierten getragen werden können.

Die UNWGIP hat zwei offizielle Aufgabenbreiche :
1) Die Beobachtung nationaler Entwicklungen, die die Förderung und Verteidigung von Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten von indigenen Völkern betreffen;
2) die Entwicklung internationaler Standards für die Rechte indigener Völker unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer Situation und ihren Zielen überall auf der Welt.

Was den ersten Aufgabenbericht betrifft, so erhält und analysiert die Arbeitsgruppe schriftliches Informationsmaterial, das ihr von Regierungen, Organen der Vereinten Nationen und von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen übermittelt wurde. Der Vorsitzende der Working Group besucht verschiedene Länder um zu Informationen aus erster Hand zu kommen, aber auch um sich über die UN-Aktivitäten auf dem Gebiet der Rechte indigener Völker ein Bild zu machen und um Problematiken zu erkennen, die in Rechtsstandards gekleidet werden müssen. Der Sachverständige Miguel Alfonso Martínez, ein Mitglied der Gruppe, hat von der Unterkommission darüber hinaus die Aufgabe erhalten, eine Studie über die Zweckmäßigkeit von Verträgen, Übereinkommen und anderen sinnvollen Absprachen zwischen indigenen Völkern und Staaten zu erstellen:

Auf der 16.Sitzung der WGIP, die 1998 in Genf abgehalten wurde, hat Martínez den letzten Teil seiner revolutionären Studie vorgelegt: "er erklärt darin, weshalb die Verträge der europäischen Kolonisatoren und ihrer Nachfolger mit indigenen Völkern Verträge nach internationalem Recht sind, gleichbedeutend etwa Verträgen zwischen Deutschland und Frankreich, und welche Auswirkungen das hat. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, welch gravierenden Folgen das für Staaten wie die USA, Kanada, aber auch für Europa hat. Plötzlich sind die "alten" Verträge keine inneren Angelegenheiten mehr, sondern Pakte zwischen gleichberechtigten Regierungen. Es kommt nun entscheidend auf die Umsetzung dieser Studie an [...]"

Das Mandat der UNO bedeutet aber nicht, daß die Working Group authorisiert wäre, spezifische Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen, um Empfehlungen auszusprechen oder Entscheidungen zu treffen. Weiters müssen alle Beschlüsse von vier übergeordneten Gremien abgesegnet werden: von der Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz, der Kommission für Menschenrechte, vom Wirtschafts- und Sozialrat und schließlich von der UN-Vollversammlung.
Der Hinweis lohnt sich, daß die indigenen Völker immer nur mit einer Stimme sprechen. Zudem entscheiden in allen Istanzen vorüberwiegend Regierungsvertreter.

Die Working Group ist vor allem im zweiten Aufgabenfeld aktiv geworden: Im Jahre 1985 wurde mit der Ausarbeitung eines Entwurfes der "Allgemeinen Erklärung über die Rechte indigener Völker" (Universal Deklaration on the Rights of Indigenous Peoples) begonnen. Im Juli/August 1993 war man sich über den finalen Entwurf der Erklärung einig und hat ihn bei der Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz eingereicht. Im August 1994 erfolgte die Annahme von seiten der Unterkommission und die Übergabe an die Kommission für Menschenrechte. Nun hofft man, daß die von der Working Group entworfene Erklärung bis spätestens zum Ende der Dekade indigener Völker im Jahre 2004 von der UN-Vollversammlung verabschiedet wird.

Der Entwurf dieser UN-Charta ist in fünf Abschnitte gegliedert:
Teil I bezieht sich auf die Allgemeinen Universalen Menschenrechte
Teil II behandelt die kulturellen und ethnischen Rechte und den Schutz vor Ethnozid
Teil III betrifft Landrechte und Ressourcen
Teil IV beinhaltet wirtschaftliche und soziale Rechte, einschließlich der Erhaltung der traditionellen wirtschaftlichen Strukturen und Lebensweisen
Teil V bezieht sich auf zivile und politische Rechte. Es geht vor allem um die Achtungdes eigenständigen Rechtssystems und der politischen un sozio-ökonomischen Institutionen indigener Völker, um Mitbestimmung in der nationalen Politik und das kollektive Recht auf Autonomie.

Nach 1993 wurde eine eigene Working Group für die Revision der "Declaration on the Rights of Indigenous Populations" gegründet, die bisher viermal getagt hat. Bisher hat es aber keine substantiellen Veränderungen gegeben.

"Hardliner wie die USA, Kanada, Australien und Neuseeland wollen sämtliche in dem Entwurf aufgeführten Rechte der Ureinwohner möglichst unter die Kuratel der nationalen Politik stellen, also gerade keinen international verbindlichen Standard zulassen. Angesichts dessen wirkt es paradox, daß nun ausgerechnet die Vertreter der Indigenen Völker als Hemmschuh bezeichnet werden, weil sie darauf bestehen, daß der Entwurf der Charta, wie ihn die UNWGIP erarbeitet hat, unverändert bleibt."

Ende der 80er Jahre wurde die Idee eines "Permanenten Forums für Indigene Völker" entwickelt. 1993 sprach sich die Wiener Menschenrechtskonferenz für ein solches Forum aus und beauftragte die UNO mit der Überprüfung der Umsetzung. Ein eigener Kriterienkatalog wurde erarbeitet, der flexibel gehandhabt werden soll und der Selbstidentifikation eines Volkes die ausschlaggebende Bedeutung zumißt. Umstritten blieben jedoch das Mandat eines solchen Forums, die Ebene innerhalb der UN-Hierarchie, der es angegliedert werden soll, und die Kostenverteilung. Im Frühjahr 1998 beschloß die UN-Menschenrechtskommission, eine dritte Working Group zum Thema "Permanentes Forum" einzuberufen.

Aber die Definition des Begriffs Selbstbestimmung und das ausdrückliche Recht indigener Völker, die auf ihren eigenen Territorien vorhandenen Ressourcen zu kontrollieren, sind nachwievor umstritten. Bei den Ressourcen ist besonders die "Biodiversität" (und ihr vielseitiger Schutz) ein aktuelles Schlagwort.

Und immer wieder betonen Vertreter indigener Völker, daß die Unterschiede und Problemstellungen in den einzelnen Ländern zu komplex seien, um mit einem vereinfachten Modell operieren zu können.

2.3 Rechtsschutz im Rahmen der ILO .: oben :.
ILO-Konventionen, die sich direkt an indigene Völker und ihre sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte richten:
Konvention Nr.107: "Über den Schutz und die Eingliederung eingeborener (1957) Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern".
Konvention Nr.169: "Über Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern"
(1989)
ILO-Konventionen, die nicht direkt auf indigene Völker Bezug nehmen, für diese aber gleichermaßen wichtig sind:

ILO-Konvention Nr. 29
Konvention über Zwangsarbeit
(Forced Labour Convention)

In diesem Übereinkommen aus dem Jahre 1930, verpflichten sich alle Signatarstaaten, jegliche Art von Zwangsarbeit in kürzester Zeit auszumerzen.

ILO-Konvention Nr. 111
Konvention über Diskriminierung (Beschäftigung und Arbeit)
(Discrimination (Employment and Occupation Convention)

Hierbei geht es um um die Förderung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Auffassung und nationaler Abstammung oder sozialer Herkunft im Hinblick auf "employment and occupation". Die Staaten verpflichten sich zur Ausarbeitung von entsprechenden Grundsatzprogrammen.

ILO-Konvention Nr. 141
Konvention über Landarbeiter-Organisationen
(Rural Workers' Organizations Convention)
"All persons working in agriculture - whether as wage earners or self-employed - have the right to establish and to join their own choosing, which shall be independent and voluntary in character. Ratifying States shall encourage the organization of rural workers and ensure their participation in decision-making process affecting them"

ILO-Konvention Nr. 142
Human Resources Development Convention
In dieser Konvention verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten Grundbestimmungen und Programme zur Berufsberatung -und ausbildung auszuarbeiten.

ILO-Konvention Nr.110
Plantation Convention
Dieses Übereinkommen definiert die Arbeitsbedingungen und -mechanismen auf Plantagen in tropischen und subtropischen Klimaregionen, in denen aus kommerziellen Gründen spezielle Früchte gepflanzt oder gezüchtet werden.

ILO-Konvention Nr.138
Konvention über das Mindestalter
(Minimum Age Convention)
Die Signatarstaaten verpflichten sich, das Verbot von Kinderarbeit und ein progressives Anheben des Mindestalters für die Arbeitszulassung gesetzlich zu definieren.

(Quelle: Tomei/Swepston, ILO-Guide (FN10) geben als Quelle die "Summaries of International Labour Standards, second edition (Geneva, updated in 1990)" an)

2.4 Andere internationale Instrumente zum Schutz indigener Völker
1990 Strategies and Procedures on Socio-Cultural Issues Inter-American Development Bank (IDB,Washington D.C.)
1991 Operational Directive 4.20. Indigenous Peoples World Bank (Washington D.c.)
1992 Agreement establishing the Fund for the Development of the Indigenous Peoples of Latin America and the Caribbean (II. Summit Meeting of the Ibero-American Heads of States, Madrid)
1992 "Convention on Biodiversity" and "Agenda 21" (UNCED, Rio de Janeiro)
1993 Indigenous Peoples in the Netherlands Foreign Policy and Development Cooperation (Ministry of Foreign Affairs, The Hague)
1994 Strategy for Danish Support To Indigenous Peoples (Copenhagen)
1995 Draft Working Paper on Indigenous Peoples Asian Development Bank (ADB, Manila)
1998 Arbeitsdokument zur "Unterstützung indigener Völker im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit" (EU-Kommission)


3. DIE ILO UND IHR SCHUTZ DER INDIGENEN VÖLKER DURCH DIE AUSARBEITUNG DER KONVENTION NR.169 .: oben :.

3.1 Die ILO und die Konvention Nr.107
3.1.2 Die ILO und ihre Aktivitäten bezüglich indigene Völker bis hin zur Vorläufer-Konvention Nr. 107
"Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden", heißt es in der Präambel der ILO (International Labour Organisation). Die ILO, die 1919 zur Zeit des Völkerbundes entstanden und seit 1949 als erste Sonderorganisation der UNO angegliedert ist, zählt zu den ältesten internationalen Organisationen mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von internationalen Rechtsstandards. Im Gegensatz zu anderen internationalen Organisationen, in denen Mitgliedstaaten ausschließlich von den Regierungen vertreten werden, ist die ILO dreigliedrig aufgebaut: neben den Regierungen, haben die repräsentativsten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen eines jeden Staates einen gleichberechtigten Status und ein Stimmrecht in allen Entscheidungsorganen der ILO.
Die Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppen haben eigene interne Strukturen und autonome Verfahrensweisen.

"Um ihre Ziele (Förderung der sozialen Gerechtigkeit durch Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, Anerkennung grundlegender Menschenrechte) zu erreichen, agiert die ILO auf drei Ebenen: 1. Schaffung internationaler, völkerrrechtlich verbindlicher Normen und Empfehlungen. Um die Effizienz ihrer Arbeit zu gewährleisten, konzentriert sich die ILO künftig auf die Durchsetzung bestimmter Kernkonventionen: das Verbot von Zwangsarbeit, die Vereinigungsfreiheit [...] 2. Internationale technische Zusammenarbeit. Die ILO leistet Unterstützung sowohl in Ländern der Dritten Welt wie auch in den Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas. [...] Mit der Durchführung der Programme sind etwa 600 Experten betraut. 3. Forschung, Dokumentation und Informationsvermittlung in den Bereichen Sozialpolitik, Arbeitsrecht und Arbeitswissenschaft."

Seit ihren Enstehungstagen hat sich die ILO auch mit den Arbeits- und Lebensbedingungen indigener Völker beschäftigt. 1921 führte sie Studien über die Arbeitsbedingungen von indigenen und in Stämmen lebenden Völkern durch, " particularly the forced labour of so-called 'native populations' in colonies". 1930 entsteht die "Konvention über Zwangsarbeit". Von 1952 bis 1972 erfolgt unter der Leitung der ILO "The Andean Indian Programme", das in Argentinien, Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela eingeführt wird und 250.000 Menschen indigener Völker betrifft. 1953 wird das ILO-Buch "Indigenous Peoples: Living and Working Conditions of Aboriginal Populations in Indipendent Countries" veröffentlicht. Die Autoren entschieden, "the complex problem of a priori-definitions of indigenous" beiseite zu lassen. Die Publizierung einer Ergänzungsbeilage über "nomadic and semi-nomadic populations" kam nicht zustande.
Auf ihrer 40ten ILO-Sitzung im Jahre 1957 nahm die ILO zwei Texte "on indigenous and other tribal and semi-tribal populations in independent countries" an, die schließlich zur ILO-Konvention Nr.107 führten.

3.1.3 Die ILO-Konvention Nr.107 und die Notwendigkeit ihrer Revision .: oben :.
Diese Konvention, "The Indigenous and Tribal Populations Convention", die nahezu einstimmig von der internationalen Arbeitskonferenz angenommen wurde, war der erste Versuch, die Rechte indigener Völker im internationalen Recht zu kodifizieren. Folgende 27 der 160 ILO-Mitgliedstaaten haben die Konvention unterzeichnet:

Ägypten, Angola, Argentinien, Bangladesh, Belgien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Domenikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Ghana, Guinea-Bissau, Haiti, Indien, Irak, Kolumbien, Kuba, Malawi, Mexiko, Panama, Pakistan, Paraguay, Peru, Portugal, Syrien und Tunesien.

Im Vordergrund stand demnach "der Schutz und die Integration eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern" . Die Konvention bestand aus 37 Artikeln, die folgendermaßem aufgeteilt waren: allgemeine Grundsätze - Landfrage - Anwerbungs- und Beschäftigungsbedingungen - Berufsbildung, Handwerk und ländliches Gewerbe - soziale Sicherheit, Gesundheitswesen - Bildungswesen und Kommunikationsmittel - Verwaltung - allgemeine Schlußbestimmungen.

Die Konvention stützte sich im wesentlichen auf zwei Säulen: Schutz und Integration.
Beide wurden im Übereinkommen als zusammenhängende nicht widersprüchliche Ausdrücke angeführt.

Bezüglich der Integration gab es zwei Einschränkungen:
Zum einen wurde jede Verwendung von Gewalt und Zwang, die der Intergration dieser Bevölkerungen in das Staatsgefüge förderlich sein sollte, ausgeschlossen, zum anderen jede Maßnahme in Richtung künstlicher Assimilierung.

Unter dem Begriff Schutz waren zwei Formen gemeint: ein befristeter und ein dauerhafter Schutz.
Die erste Form von Schutz kam in jenen Situationen zur Anwendung, in denen "die Notwendigkeit für einen besonderen Schutz" bestand, d.h. wenn die betroffenen Bevölkerungen noch nicht das nötige Integrationslevel erreicht hattenen "to enjoy the benefits of the general laws of the society to which they belonged". Wurde jedoch das Level mit Hilfe von speziellen Schutzmaßnahmen erreicht, so wurde jede Fortwährung dieses Schutzmechanismußes als ein unerwünschter "Zustand der Segregation" angesehen.
Der dauerhafte Schutz beruhte auf dem Prinzip der Nicht-Diskrimination. Dieses Prinzip wurde mit der Verpflichtung gekoppelt, Erziehungsmaßnahmen in die Wege zu leiten um eventuelle Vorurteile gegen indigene Bevölkerungen zu beseitigen.

Im Gegensatz zur ILO 169 fußte die ILO Nr.107 auf der Annahme, daß den "indigenen und in Stämmen lebenden Bevölkerungen" nur eine vorübergehende Existenz beschienen war und sie im Zuge der Modernisierung zum "Verschwinden" verurteilt waren, während die ILO169 bereits von "permanent societies" spricht .
Auch spricht letztere von "indigenen Völkern" ("indigenous peoples"), während die ILO Nr.107 den Begriff "indigene Bevölkerungen" ("Indigenous populations") verwendet. Diese richtet sich im Übereinkommen auch klar an "Mitglieder" indigener Völker, was offensichtlich auf ihre Vorstellung einer progressiven Integration der indigenen Völker in ihre jeweiligen Staaten zurückzuführen ist - eine Integration, die sich leichter mit bloßen "Mitgliedern" denn mit ganzen "Bevölkerungen" bewerkstelligen läßt. Jeglicher Ansatz von Autonomie blieb dieser Konvention fern.
Im Laufe der Jahre wurde der anachronistische Charakter der ILO Nr.107, die in den 40er und 50er Jahren als progressiv galt, offensichtlich.
In den 60er und 70er Jahren wuchs das Bewußtsein der indigenen Völker und ihre Präsenz auf internationaler Ebene, was schließlich 1986 auf einem ILO-Expertentreffen zur offiziellen Empfehlung einer Revision des Übereinkommens Nr.107 führte, mit der Feststellung, "that the integrationist approach af the Convention was obsolete and that its application was detrimental in the modern world".

Bei der Eröffnungssitzung des Revisionskommitees, beschrieb Aamir Alí, der Generaldirektor, die Philosophie der ILO Nr.107 gar mit dem Wort "widerlich" (repugnant).

Wie bereits erwähnt, verläuft das Verfahren zur Entwicklung von internationalen Rechtsstandards auf einer dreigleisigen Struktur-ebenebene: Entscheidend sind die Stimmen der Regierungen als Vertreter der jeweiligen Staaten, weiters die Arbeitnehmer- und die Arbeitge-berorganisationen. NGOs haben kein formales Recht auf eine Beteiligung an der Generalversammlung. NGOs, die an die ILO angegliedert sind oder solche, die als Beobachter akkreditiert sind, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen mündliche und schriftliche Eingaben machen. Bisher wurden Genehmigungen aber nur in seltenen Fällen erteilt. In der Folge wurde den eigentlichen Nutznießern dieses Rechtsinstruments, den indigenen Völkern, keine eigene Rolle im Revisionsprozess gewährt (infra). Die Revision, die in den Jahren 1988 und 1989 stattfand, führte schließlich zur ILO-Konvention Nr.169, die am 7. Juni 1989 vom Plenum der Internationalen Arbeitskonferenz angenommen wurde.

3.1.4 Die "Beteiligung" indigener Völker an der Revision der ILO-Konvention Nr.107 .: oben :.
Es bleibt ein tragisches Charakteristikum des Revisionsprozesses, daß einerseits die ILO-Normen für Bevölkerungsgruppen ausgearbeitet wurden, die in den Organen und Gremien dieser Organisation nicht vertreten sind, andererseits auch keine indigene Organisationen an den Debatten über die einzelnen Textstellen teilnehmen durften.
Nach den Worten des Präsidenten des IWGIA (International Work Group on Indigenous Affairs) "wurden die Vertreter indigener Völker an den Rand der Konferenzhalle degradiert, wo sie entgeistert miterleben mußten, wie über ihre grundlegenden Rechte diskutiert, debattiert, gefeilscht und - nicht selten- dieselben Rechte verworfen wurden."
Auch wenn die ILO 1987 auf der Sitzung der UN-Working Group Vertreter indigener Völker zur Teilnahme an der Revision der ILO Nr.107 eingeladen hatte, so konnten gemäß ILO-Reglement doch nur indigene NGOs mit internationalem Status akkreditiert werden, während national tätige NGOs nicht einmal als Beobachter zugelassen wurden. Dabei hatten gerade diese einen direkten Einblick in die aktuelle Situation und die Forderungen ihrer Völker. So konnte sich schlußendlich nur eine kleine Anzahl indigener Organisationen zusammen mit Survival International und die IWGIA als Beobachter an der ILO-Generalversammlung beteiligen.
Neben den 10 Minuten, die jeder Organisation für eine Stellungnahme zustand, durften sich alle Organisationen gemeinsam 10 Minuten lang zu jeder Kategorie von Artikeln äußern. Ansonsten wurde den indigenen Vertretern kein direkter Einfluß am Revisionsprozess gewährt.

Eine indirekte Beteiligung fand über die verschiedenen Arbeitergremien statt, die es den indigenen Vertretern entgegen jeder Tradition erlaubten, sich an ihren Versammlungen zu beteiligen und Vorschläge einzubringen, die dann von der Gewerkschaft vor das Redaktionskomitee gebracht wurden. Dieses Komitee, das für die Konferenzen der Jahre 1988 und 1989 geschaffen wurde, bestand aus Vertretern aller drei ILO-MItgliedsgruppen. Einen bemerkenswerten Enfluß hatten die Vertreter indigener Völker, die in die offiziellen Regierungs- und Gewerkschaftsdelegationen aufgenommen wurden.

Trotz ihrer marginalen Rolle versuchten die indigenen Vertreter den täglichen Kontakt zu den verschiedenen Arbeitergremien und sympathisierenden Regierungsvertretern. In der zweiten Sitzungswoche des Redaktionskomitees gaben die Vertreter der National Coalition of Aboriginal Organization (Australien) aus Protest offiziell ihren Austritt aus dem Revisionsprozess bekannt. In ihrer Begründung lehnten sie wesentliche Entscheidungen des Komitees ab, kritisierten das Fehlen einer wirklichen Beteiligung indigener Völker und warfen der ILO vor, die dürftige indigene Präsenz für die Legitimierung des Revisionsprozesses zu mißbrauchen .

Mag sein, daß die ILO den Austausch mit indigenen Völkern suchte, Vorschläge für die Revision entgegennahm , ihre Statuten zugunsten einer limitierten indigenen Beteiligung umformte, das lateinamerikanische Regionalbüro Beratungen mit indigenen Vertretern durchführte: von einer rechtmäßigen, angemessenen Beteiligung der indigenen Völker an der Revision des "Übereinkommens über indigene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen" kann nicht die Rede sein.

3.4 Die ILO-Konvention Nr.169 .: oben :.

3.4.1 Einführung
Die ILO 169 wurde am 27. Juni 1989 nach zwei Lesungen in aufeinanderfolgenden Sitzungen vom Plenum der internationalen Arbeitskonferenz mit 328 zu 1 Stimme (49 Enthaltungen) angenommen und trat am 5.September 1991 in Kraft. Im Gegensatz zur Vorläuferkonvention Nr.107, die einen integrationistischen und assimilatorischen Charakter aufweist, basiert die ILO 169 auf den beiden Grundkonzepten "preservation" (Erhaltung) und "participation" (Beteiligung). Dandler benützt für "preservation" das Wort Respekt. Respekt gegenüber der Kultur, der Religion, der sozialen und ökonomischen Organisation und der eigenen, indigenen Identität.
Trotz aller Vorbehalte - vor allem von seiten der Betroffenen - ist die ILO 169 das bislang umfassendste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz indigener Völker und die einzige völkerrechtliche Norm, die ihnen ihre eigenen Rechte zuerkennt und den Regierungen entsprechende Mindeststandards auferlegt.
Die Konvention richtet sich direkt an die zirka 300 Millionen Menschen, die indigenen Völkern angehören.
Bisher haben erst 13 der 173 Mitgliedstaaten der ILO die Konvention unterzeichnet: Bolivien, Kolumbien, Costa Rica, Dänemark, Ecuador, Fiji, Guatemala, Honduras, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Paraguay und Peru.

Viele westliche Industrienationen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, lehnen eine Ratifikation mit der Begründung ab, daß auf ihrem Territorium keine indigenen Völker leben. Dabei können europäische Staaten aufgrund der Globalisierung, der Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit einen enormen Einfluß auf die indigenen Völker nehmen.

3.4.2 Gliederung der ILO 169 .: oben :.
Die ILO 169 ist in drei Hauptteile gegliedert:
Teil (I) - Allgemeine Grundsätze, beinhaltet Grundsätze und Bedingungen, an die sich Regierungen im Umgang mit indigenen Völkern zu halten haben.

Artikel 1 richtet sich und definiert indigenous and tribal peoples (supra 1.2.2). Unter Paragraph 3 wurde - mit den Worten Kluges - der Begriff "Volk" im völkerrechtlichen Sinne "entschärft" und und in letzter Minute quasi als Notbremse das Wort "Völker" per definitionem zu "Bevölkerung" umerklärt.

Den allgemeinen Grundsätzen entsprechend, haben die Regierungen die Aufgabe, die Adressaten der ILO 169 anhand objektiver Kriterien und anhand der Selbst-Identifizierung der indigenen Völker zu bestimmen. Weiters haben sie Maßnahmen zu ergreifen um die Gleichberechtigung zu gewährleisten und eine Diskriminierung zu vermeiden. Bei der Rechtsetzung sind Gewohnheiten und Gewohnheitsrecht indigener Völker zu berücksichtigen. Den Regierungen obliegt es, hinsichtlich der Kooperation mit indigenen Völkern, der Konsultation und Information, angemessene Infrastrukturen, Mechanismen und Vorgangsweisen zu schaffen.

Den indigenen Völkern werden im Teil(I) folgende Rechte zuerkannt:

- das Recht auf Inanspruchnahme und volle Gewährleistung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Unterschiede (Art.2,3)

- das Recht auf Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz
(Art.2,8,9,12))

- das Recht auf einen umfassenden Schutz der Individualrechte
(Art.4)

- das Recht auf kulturelle Identität (Art.4,5)

- das Recht auf gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen (Art.4,5)

- das Recht auf Beteilung bei der Findung von Entscheidungen, die diese
Völker betreffen (Art.6)
- das Recht die eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen (Art.7)

- bei der Rechtsprechung sind die bei den betreffenden Völkern üblichen
Methoden zur Ahndung von strafbaren Handlungen und die
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Besonderheiten zu
berücksichtigen. (Art.9,10)

- das Recht sich frei für persönliche Dienstleistungen zu entscheiden
(Art.11)

(Einige aufgezählte Rechte stammen aus dem Appell der GfbV zur Unterzeichnung der ILO 169
- von Gerlach, I. - www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=443, (17.10 1998)

Teil (II) - Themenspezifische Bestimmungen, befaßt sich detailliert mit folgenden substantiellen Themenbereichen:
(a) Grund und Boden (infra3.5.1)

(b) Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen

(c) Berufsbildung, Handwerk und ländliche Gewerbe

(d) Soziale Sicherheit und Gesundheitswesen

(e) Bildungswesen und Kommunikationsmittel

(f) Grenzüberschreitende Kontakte und Zusammenarbeit

Teil (III) - Allgemeine Verwaltungsbestimmungen, zählt die verschiedenen administrativen Maßnahmen auf, die die Staaten zu ergreifen haben um den Bestimmungen der Konvention Folge zu leisten. Die Staaten werden aufgefordert, durch entsprechende Infrastrukturen und Maßnahmen ihren durch die Ratifizierung der ILO 169 entstandenen Pflichten nachzukommen. Dies erfolgt auf flexible Art und Weise und mit Rücksicht auf die Situation und die Besonderheit eines jeden Landes.

3.5 "Grund & Boden" .: oben :.

3.5.1 Das Recht auf Land und Ressourcen (Art.13-19 der ILO169)
Wie bereits der Begriff "peoples" - gekoppelt mit der Frage der Selbstbestimmung - führte auch die Definierung von "land" im Jahre 1988 beim Revisionsprozeß der Konvention Nr.107 zu einem terminologischen Rechtsstreit.

Die Landrechtsfrage stellte in den ILO-Debatten zwischen den einzelnen Regierungen, Arbeiter- und Arbeitgebergremien ein derart kontroverses Problem dar, daß man erst 1989 zu einer Lösung fand.

Die Vertreter indigener Völker wollten den Begriff des "Territoriums" in der Nachfolgerkonvention verankert sehen und wiesen darauf hin, daß dieser Begriff bereits in der Konvention Nr.107 Verwendung gefunden hatte. Auf diese Weise, meinten sie, würde man auch die spirituelle und emotionale Bindung zu ihrem Land anerkennen. Einige Regierungen sahen jedoch darin eine Beschneidung ihrer Souveränitätsrechte und wiesen auf die Inkompatibilität mit ihrer Verfassung hin.

In Lateinamerika besitzen Gebietskörperschaften wie die Provinzen, die Munizipien usw. politische Kompetenzen oder Jurisdiktion in bestimmten geographischen Territorien innerhalb von Staaten, ohne daß die Staaten dies als Beschränkung ihrer Souveränität empfinden. In allen diesen Fällen ersetzt das Kriterium der "Kompetenz" das des Eigentums.

In vielen Ländern ist mit "Territorium" das gesamtstaatliche Gebiet gemeint. Schließlich einigte man sich darauf, nur an den Begriff "Land" Rechte zu knüpfen, während man auf das "Territorium" - dem mehr eine beschreibender und symbolischer Charakter zukommt - dann zurückgreift, wenn es um bestimmte grundlegende Fragen des Landes geht.

Der Begriff Territorium muß klar und deutlich vom Konzept "Land" unterschieden werden:

"Territorium befindet sich unter dem kulturellen Einfluß und der politischen Kontrolle eines Volkes.

Land hingegen befindet sich auf einem Teil innerhalb dieses territorialen Raumes; es kann angeeignet werden durch Individuen oder durch juristische Personen, und zwar unter der Rechtform von Individual -oder Kollektiveigentum.

Territorium ist das Recht von Völkern, Land ist das Recht von Personen. Ersteres gibt Kontrolle über Ressourcen und soziale Prozesse; Letzteres gibt Anrechte auf wirtschaftliche Nutzung ohne Interferenz durch dritte Personen."

Rossbach weist auch darauf hin, daß bei der verbindlichen deutschen Übersetzung der Begriff "territorium" einfach gestrichen wurde.
"Grund und Boden" lautet denn auch im 2.Teil der ILO 169 die verbindliche Übersetzung von "land".

Artikel 13 § 2 determiniert:

"Die Verwendung des Ausdrucks "Land" in den Artikeln 15 und 16 schließt den Begriff der Gebiete ein, der die gesamte Umwelt der von den betreffenden Völkern besiedelten oder anderwertig genutzten Flächen umfaßt."

Grundsätzlich postuliert die ILO 169 von den Konventionsstaaten die Achtung und Anerkennung:

- der besonderen Beziehung indigener Völker zu ihrem Land, das für sie nicht nur eine Rohstoffquelle darstellt, und die kollektiven Aspekte dieser Beziehungen. (Artikel13 §1)

- "die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden Völker an dem von ihnen von altersher besiedelten Land" " (Artikel14 §1)

- ihr Recht an den natürlichen Ressourcen ihres Landes. "Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen." (Artikel15 §1)

Gegenüber dem Einwand verschiedener NGOs, daß Landrechte ohne Ressourcen stets eine Bedrohung indigener Völker durch Dritte darstellen, zeigten die in der ILO vertretenen Regierungen und Gewerkschaften keine Kompromißbereitschaft und beharrten darauf, daß Ressourcen, Bodenschätze und Waldbestände nationales Patrimonium und nicht Gegenstand indigener Sonderrechte seien.

Ein paar Jahre später, 1992, auf der Sommersitzung der UNWGIP in Genf, meinte Ernest Rodríguez, Delegierter des Council of Energy Resource Tribes in Denver/Colorado:

"Die Staaten handeln, als könnten sie uns über einen Kompromiß Landrechte zugestehen. Sie haben aber in unseren Augen nicht die Macht, über Land, Erde oder das Wetter zu verfügen. Sie verfügen allerdings über Brutalität, sie haben die militärische und wirtschaftliche Gewalt, uns von den grundlegenden Dingen unseres Lebens fernzuhalten."

Auch wenn man indigenen Völkern keinen völligen Schutz gegen nichtgewollte Nutzung einräumt, so sind die in der ILO vertretenen Staaten doch aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen

- "um das Recht der betreffenden Völker zur Nutzung von Land zu schützen, das nicht ausschließlich von ihnen besiedelt ist, zu dem sie aber im Hinblick auf ihre der Eigenversorgung dienenden und ihre traditionellen Tätigkeiten von alters her Zugang haben. Besondere Aufmerksamkeit ist diesbezüglich der Lage von Nomadenvölkern und Wanderfeldbauern zu schenken." (Art.14 §1)

- bezüglich Schutz und Bestimmung ihrer Eigentums- und Besitzrechte (Art.14 § 2)

Bei der Ausbeutung der mineralischen und unterirdischen Ressourcen und der Rechte an den anderen Ressourcen des Landes, müssen die betreffenden Völker in staatlich festgelegten Verfahren konsultiert werden. Diese Regel wird in der "Draft Universal Declaration" als "Pflicht" bezeichnet

Artikel 16 betrifft das Verbot von Aus- und Umsiedlung.

"2. Falls die Umsiedlung dieser Völker ausnahmsweise als notwendig angesehen wird, darf sie nur mit deren freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung stattfinden. Falls ihre Zustimmung nicht erlangt werden kann, darf eine solche Umsiedlung nur nach Anwendung geeigneter, durch die innerstaatlich Gesetzgebung festgelegter Verfahren, gegebenenfalls einschließlich öffentlicher Untersuchungen, stattfinden, die den betreffenden Völkern Gelegenheit für eine wirksame Vertreteung bieten.
3. Wann immer möglich, müssen diese Völker das Recht haben, in ihr angestammtes Land zurückzukehren, sobald die Umsiedlungsgründe nicht mehr bestehen.
4. Ist eine solche Rückkehr nicht möglich, wie einvernehmlich oder mangels Einvernehmen durch geeignete Verfahren festgestellt, ist diesen Völkern in allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestensgleich guter Beschaffenheit und mit mindestens gleich gutem Rechtsstatus zuzuweisen, dessen Betrag ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt. Ziehen die betreffenden Völker eine Entschädigung in Form von Geld- oder Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien zuzusprechen.
5. Den auf diese Weise umgesiedelten Personen ist für jeden durch diese Umsiedlung entstandenen Verlust oder Schaden voller Ersatz zu leisten."

Die Konventionsstaaten werden weiters aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen um zu verhindern, daß Dritte die Bräuche und Gesetzesunkenntnis indigener Völker ausnutzen, "um Eigentums-, Besitz- oder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu erwerben" (Art.17 § 3) beziehungsweise "angemesse Strafen für unbefugtes Eindringen und Nutzen festlegen." (Art.18)

Auch sind die "von den betreffenden Völkern festgelegten Verfahren für die Übertragung von Rechten an Grund und Boden unter Angehörigen dieser Völker zu achten" (Art.17 § 17) und "die betreffenden Völker sind zu konsultieren, wenn ihre Befugnis geprüft wird, ihr Land zu veräußern oder auf andere Weise ihre Rechte daran an Personen außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zu übertragen."(Art.17 Abs 2)

Artikel 19 postuliert schließlich die Gleichberechtigung bei staatlichen Agrarprogrammen.

3.5.2 Das besondere Verhältnis indigener Völker zu ihrem Land
Im Gegensatz zu westlichen Auffassung, sehen indigene Völker ihr Land in erster Linie nicht als Rohstoffquelle oder als Eigentum. Die Beziehung zu ihrem Land ist religiöser, spiritueller und emotionaler Natur. Land ist für diese Völker nicht nur Grundlage ihrer physischen Existenz, sondern auch Quell ihrer Kultur und Identität , verleiht der indigenen Gemeinschaft ihr typische Zusammengehörigkeitsgefühl.
Im Gegensatz zu privaten Eigentumsrechten, liegen Landbesitz und Landverteilung laut Heinz bei indigenen Völkern größtenteils in den Händen der gesamten Gemeinschaft. In der Regel ist Land unter traditionellen Verhältnissen unveräußerbar und kann nicht durch Kauf erworben werden. Vielmehr erhalten Einzelpersonen und Haushalte Nutzungsrechte über Teile des Gemeischaftslandes, die ihnen durch die Zugehörigkeit zur Gruppe oder über verwandschaftlich geregelte Erbrechte zukommen. Auch wenn die beschriebene indigene Beziehung zum Land heute noch gültig ist, so räumt der Autor doch ein, daß aufgrund des erheblichen Anpassungsdrucks, dem indigene Völker seit der Kolonialzeit ausgesetzt sind, sich daneben auch verschiedentlich westliche Besitzkonzepte durchgesetzt haben.

So kommt auch Martinez Cobo in seiner Studie zum Schluß, daß für die indigenen Völker Land nicht einfach eine erwerbbare Handelsware ist.

1997, auf der 15. Sitzung der UNWGIP machte auch die griechische Vorsitzende Daes in ihrem vorläufigen Bericht über indigene Völker und ihr Verhältnis zum Land anhand vieler Beispiele darauf aufmerksam, wie unterschiedlich dieses Verhältnis von dem westlicher Kultur ist und beschreibt u.a., wie frühere diesbezügliche Untersuchungen ohne indigene Partizipation einen eigentlichen Einblick vermissen ließen.

In der Folge möchte ich ein paar Vertretern indigener Völker zitieren, die auf verschiedene Art und Weise das besondere Verhältnis dieser Völker zu ihrem Land ausdrücken:

"Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel ind den dunklen Wälden, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. Der Saft, der in den Bäumen steigt, trägt die Erinnerung des roten Mannes."
[Häuptling Seattle in seiner Rede an den "Großen Vater in Washington"]

"Die Erde ist das Fundament indigener Völker. Sie ist die Basis unserer spiritueller, die Grundlage unserer Kultur und Sprache. Die Erde ist unsere Geschichtsschreiberin, die Bewahrerin unserer Ereignisse und der Gebeine unserer Ahnen. Sie bietet uns Nahrung, Medizin, Herberge und Kleidung. Sie ist die Quelle unserer Unabhängigkeit. Sie ist unsere Mutter. Wir beherrschen sie nicht: Wir müssen mit ihr harmonieren. Nach dem Erschießen ist die sicherste Art, uns zu töten, uns von unserem Land zu trennen."
[Weltrat der Indigenen Völker Genf 1985]

"Ihr habt die Welt, laßt uns den Wald!" [Appell der Penan aus Borneo]

"Dieses Land hält uns zusammen. Zu diesem Land gehören wir - es ist Gottes Gabe an uns und hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Auf diesem Land sind wir zuhause, es ist uns vertraut. Die Dinge, die sich hier ereignet haben, sind bewahrt in unserer Erinnerung, und die Erzählungen der Alten leben in diesem Land fort. Wir brauchen dieses Land für diejenigen, die nach uns kommen - wir werden mehr und wir müssen neue Siedlungen bauen an neuen Plätzen. Wenn wir weichen müssen, werden wahrscheinlich andere Leute hierherkommen, so daß wir uns nicht mehr frei bewegen und niederlassen können, wo wir wollen und wie es für uns nötig ist. Das Land wird nicht mehr ausreichen für unser Volk, es wird arm und karg werden. Hier auf diesem Land wissen wir, wo die Dinge zu finden sind, mit denen es uns versorgt [...] Die Geister in der Umgebung kennen uns und sind freundlich und hilfsbereit. Dieses Land hält uns zusammen, es umschließt uns mit seinen Bergen. So begreifen wir, daß wir [...] ein Volk sind, das auf einem bestimmten Land seine Heimat hat. Wenn wir weichen müßten, gingen wir denen, die in den anderen Dörfern zurückbleiben, verloren. Dies würde Traurigkeit über uns bringen, eine Traurigkeit ähnlich der des Todes. Diejenigen, die umzögen, würden Fremde sein für die Menschen und Geister jener Orte, an die man sie versetzte."
[Akawaio -IndianerInnen aus Guyana]

"If we haven't got land rights, what've we got to manage anyway?" [Ein Anführer der Yarrabah, einer Aborigines-Gemeinschaft in Queensland, Australien]

Die Anerkennung ihrer seit altersher genutzten Gebiete und ihres moralischen und historischen Anspruchs darauf, gehören demnach zu den primären Postulaten indigener Völker, die nur durch die Gewährung von Landtiteln erfüllt werden können. Vor dem Hintergrund von Völkermord, Zerstörung traditioneller Lebensgrundlagen durch Abholzung, Bergbau, Staudämme, Atomtests u.a. kann deshalb laut GfbV nur die Festschreibung von Landtiteln das physische und kulturelle Überleben dieser Völker sichern.
Aber die verbrieften Rechte der indigenen Völker werden am laufenden Band übergangen und eine Umsetzung bzw. Demarkierung der indigenen Territorien zieht sich in die Länge:

Zur 500-Jahr-Feier der "Entdeckung" Brasiliens sollten alle indianischen Gebiete vermessen und abgegrenzt sein, doch bis jetzt ist erst die Hälfte der Gebiete demarkiert. Beigetragen hat dazu unter anderem ein Zusatzdekret von 1996, das Privatpersonen und Firmen Einspruchrechte erlaubt. Jede Eingabe, sei sie auch noch so fadenscheinig, verzögert die Demarkationsarbeit. Die Regierung, klagen die NGOs, kürze ohnehin die Gelder der FUNAI (brasilianische Indianerbehörde), seit die G7-Staaten Anfang der 90er Jahre das Pilotprogramm für brasiliansiche Regenwälder eingerichtet haben, über das auch Demarkierungen finanziert werden.

Seit dem 15. Jahrhundert, der "Entdeckung" Amerikas und dem Beginn der europäischen Expansions- und Kolonisierungspolitik wurden indigene Völker in relativ kurzer Zeit entweder zu Minderheiten oder/und verloren die Kontrolle über ihr von altersher bewohntes Gebiet. In der Regel sind die damaligen Kolonisierungspraktiken nach heutigem Rechtsverständnis völkerrechtswidrig. Genauso haben die Erklärungsversuche wie das Recht des Entdeckers, die Eroberung sowie die Leugnung der vorher bestehenden Rechtsordnung rechtlich keinen Bestand. Ganz zu schweigen von der terra nullius -Doktrin, die 1975 im berühmten West-Sahara -Fall vom IGH ausdrücklich abgelehnt wurde.

Auch wenn man in der Staatengemeinschaft generell über das Fortbestehen der Landrechte von indigenen Völkern übereinstimmt, so ist - wie Heintze schreibt - der konkrete Nachweis der Eigentumsansprüche oftmals sehr kompliziert.
Obwohl in Erinnerung an die Kolonialpolitik doch manche Unklarheit a priori behoben sein müßte.

3.6 Kontrolle und Einflußnahme der ILO169 als internationale Konvention .: oben :.

3.6.1 Einführung
Die ILO169 ist ein Übereinkommen, das durch die Ratifizierung rechtlich bindend wird und vor diesem Zeitpunkt als Leitfaden (guideline ) dient. Die Ratifizierung ist erst wirksam, wenn die Zustimmung durch den Akt gebunden zu sein, förmlich korrekt bei der ILO eingereicht wird und diese den Einwilligungsakt annimmt und registriert.
Zunächst ist erwähnenswert, daß in den Staaten

Ägypten, Angola, Argentinien, Bangladesch, Belgien, Brasilien, die Dominikanische Republik, El Salvador, Ghana, Guinea-Bissau, Haiti, Indien, Irak, Kuba, Malawi, Pakistan, Panama, Portugal, Syrien und Tunesien

die die ILO-Konvention Nr.107 ratifiziert haben, aber nicht die ILO 169, die Vorläuferkonvention Nr.107 in Kraft ist. Wenn ein Staat die Konvention Nr.107 ratifiziert hat und beschließt, die ILO 169 zu unterzeichnen, hat letztere Gültigkeit.
Die ILO sieht die Konvention Nr.169 als einen internationalen Mindeststandart

"while holding the door open for higher standards in countries that can go further. It seeks to bring all those concerned - governments, organizations of indigenous and tribal peoples, and other non-governmental organizations - into the same dialogue. "

Auch Staaten auf deren Territorium sich keine indigenen Völker befinden, sind aus solidarischen Gründen zur Ratifizierung aufgefordert um sich im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit für die indigenen Völker einzusetzen.
Gegen wirtschaftliche und nationale Interessen, die indigenen Rechte mißachten, hat die ILO keine Sanktionsmöglichkeit.

"As an inter-governmental agency the ILO has no coercive power. The basic principles of ILO's supervisory procedures are dialogue and persuasion. These measures work because they are means of helping governments to achieve the goals they have voluntarily adopted on ratification. "

Besonders in Südamerika (infra 4.2) lassen sich am laufenden Band Fälle aufzählen, in denen Signatarstaaten die Bestimmungen der ILO 169 skrupellos verletzt hatten.

3.6.2 ILO-Kontrollmechanismen .: oben :.
Durch die Ratifizierung der ILO 169 werden eine Reihe von Kontrollmechanismen ausgelöst, die die Umsetzung des Übereinkommens überprüfen. Grundsätzlich setzt die ILO dabei auf "dialogue and persuasion."
Alle fünf Jahre - auch öfters wenn nötig - reichen die Signatarstaaten bei der ILO Berichte ein, worin sie über die legislative und praktische Umsetzung der ILO169-Bestimmungen Rechenschaft ablegen. Alle Berichte werden von einer unabhängigen Kommission von Rechtsexperten und Sozialwissenschaftlern ausgewertet, die auch von den jeweiligen Staaten Erklärungen und Informationen anfordern können. Die Staaten sind zur Auskunft verpflichtet.
Neben Gewerkschaftsverbänden empfiehlt die ILO den Regierungen, auch indigene Organisationen bei der Erstellung ihrer Berichte zu konsultieren.

So sendet z.B. die norwegische Regierung ihren Bericht zuerst ans Parlament der Sami und reicht ihn dann als eine gemeinsame Abfassung bei der ILO ein. Die norwegische Regierung hat die ILO auch eingeladen, in einen parallelen Dialog mit den Sami zu treten, um die Umsetzungs- bzw. die Kontrollmechanismen der ILO 169 effektiver gestalten zu können.

Darüberhinaus haben die indigenen Völker die Möglichkeit, direkt oder über Gewerkschaftsverbände ihre eigenen Berichte an die ILO zu senden. Die unabhängige Expertenkommission leitet einmal im Jahr ihre in einem Bericht zusammengefaßten Entscheidungen an die dreigeteilte Konferenzkommission weiter, die die Regierungen auffordern kann, zur geschilderten Situation in ihrem Land Stellung zu nehmen.

Es liegt aber immer in der Entscheidungsgewalt der Regierung, über die Art und Weise der Umsetzung der ILO-Bestimmungen und der Absprache mit indigenen und in Stämmen lebenden Völkern, zu verfügen.
Im Falle einer Inkompatibilität zwischen der Konvention und dem nationalen Recht müssen entsprechende Maßnahmen zur Anpassung - Art. 34 spricht von "flexibility in application" - durchgeführt werden. Natürlich gibt es enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und innerhalb der Länder.

Bei Verstößen gegen die ILO 169 können aufgrund der einzigartigen dreigeteilten Struktur der ILO keine Individualbeschwerden entgegengenommen werden, sondern nur solche, die von einer Regierung, einem Arbeitnehmer- oder einem Arbeitgeberverband vorgebracht werden. Genauergenommen spricht man bei Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbänden von "Einsprüchen".
Abgesehen von indigenen Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbänden, müssen die indigenen Organisationen deshalb ihre "Beschwerden" über die Gewerkschaften einbringen.

In besonders schwerwiegenden Fällen kann die ILO von der sogenannten direct contacts-procedure Gebrauch machen, wobei die ILO in direkter Absprache mit der jeweiligen Regierung eine Art Untersuchungskomission in das betreffenden Land sendet um eine Lösung herbeizuführen. Immer besteht die Möglichkeit, bei der ILO technische Unterstützung anzufordern. Wird keine zufriedenstellende Lösung erreicht, werden die Untersuchungen fortgesetzt.

3.6.3 Einflußnahme auf nationale Rechtssetzung und Politik .: oben :.
Viele Normen internationaler Rechtsinstrumente nehmen in ihren Grundsätzen auf die ILO 169 Bezug, zitieren einzelne Bestimmungen und Definitionen und sehen eine breite Ratifizierung als ein erstrebenswertes Ziel an.

Im Guatemala, das 1996 die Konvention ratifiziert hatte, stellte die ILO 169 die Basis dar, auf der die Verhandlungen zwischen der Regierung und der URNG (Guatemalan Revolutionary Union) bauten und schließlich zum Agreement on Identity and the Rights of Indigenous Peoples führte.

In Rußland ließ die Duma auf der Basis der ILO 169 verschiedene legislative und praktische Maßnahmen zugunsten der indigenen Völker des Nordens ausarbeiten.

Auf den Philippinen wurde im Rahmen des Department of Labour and Employment (DOLE) die Auswirkung der ILO 169 im nationalen Kontext ermittelt..

In Marocco fand im November 1998 eine Konferenz statt, an der das Marokkanische Kulturministerium, TAMAYNUT [Organisation der Amazigh (Berber)] und die OMDH (Maroccan League for Human Rights Defence) teilnahmen und wo Vertreter der ILO eingeladen wurden um über die Grundsätze und die Philosophie der ILO169 zu referieren. Weitere Diskussionen sind geplant, sowie die Einführung der Berber -Sprache im Schulunterricht.

Die Niederlande gaben im Jahre 1993 ein Grundsatz-Papier über "Indigenous Peoples in the Netherlands Foreign Policy and Development Cooperation" heraus.
Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Dänemark den "Danish Support to Indigenous Peoples".
Belgien erließ 1994 ein Grundsatz-Papier über indigene Völker und Entwicklungszusammenarbeit.

Die Prinzipien und Bestimmungen der ILO169 spielen in der "Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples" eine wesentliche Rolle.

Im Jahre 1995 hatte es Murrandoo Yanner, einer der bekanntesten Aborigines-Aktivisten geschafft, den Bau eines neuen Bergwerks im Wert von einer Milliarde australischer Dollar während über zweier Jahre aufzuhalten, weil sein Stamm angeblich nicht genügend konsultiert und entschädigt worden war. Das Unternehmen wird dem einige hundert Personen zählenden Stamm 90 Millionen Dollar für die Überlassung des Landes bezahlen.
Die Konsultationspflicht ist ein grundlegendes Prinzip der ILO169, das im Artikel 15 §2 verankert ist.

Um sicher zu gehen, daß kein im Rahmen der UNO erstellter Rechtsstandard unter den von der ILO vorgegebenen Mindeststandard fällt, stellt die ILO laufend genaueste Untersuchungen an. Auf Anfragen von Regierungen und Organisationen gibt sie Informationen und Erklärungen ab.
So beteiligt sich die ILO bereits seit 1982 an den Treffen der UNWGIP in Genf und hat sich schon bei mehreren Gelegenheiten zu einzelnen Deklarations-Entwürfen geäußert. Auf dieselbe Weise beteiligte sich die ILO auch am "Amerikanischen Deklarationsentwurf für die Rechte indigener Völker".

Die ILO 169 hatte nicht zuletzt auch aufgrund der sozialen Veränderungen im Bereich der Arbeit einen enormen Einfluß auf die Gewerkschaften hinsichtlich einer neuen Haltung und Vorgangsweise gegenüber indigenen Völkern. Es hat Fälle gegeben, in denen Gewerkschaften über den ILO-Kontrollmechanismus auf Verstöße gegen die ILO-Konventionen Nr.107 und 169 aufmerksam gemacht hatten.

Die International Union of Food, Agriculture, Hotel, Restaurant and Allied Workers spielte eine Schlüsselrolle in der Anklage gegen Indien, Unterzeichnerstaat der ILO-Konvention Nr.107, das in Folge des Sardas Sarovar -Staudammprojekts eine besonders harte Vorgangsweise gegen die Adivasi an den Tag legte. Nichtsdesdotrotz stellt heute das Narmada-Staudamm-Projekt für diese Völker eine weit größere Katastrophe dar.

Die CGTP (Confederación General de Trabajadores del Perú) machte die ILO in einer Eingabe darauf aufmerksam, "daß das Gesetz Nr.26845 vom 26 Juli 1997 - das Landtitelgesetz für die ländlichen Gemeinschaften der Küstenregion - gegen Wortlaut und Geist sei es der ILO169 als auch der peruanischen Verfassung und anderen relevanten Normen widerstößt. Das Gesetz erlaubt es einzelnen Mitgliedern der ländlichen Kommunen (meistens Indígenas), ihr Land zu veräußern, das Eigentum der Gemeinschaft ist.

Unter der Schirmherrschaft der ILO laufen zurzeit weltweit mehrere Projekte:

(1) Technische Kooperation

Dieses Projekt ist besonders auf Zentralamerika fokussiert. Ein Projekt namens Legal Empowerment of Indigenous Peoples in Central America soll drei Jahre durchgezogen werden und betrifft die indigene Bevölkerung in Costa Rica, El Salvador, Honduras, Guatemala, Belize, Nicaragua und Panama.

(2) Promotion der ILO169-Grundsätze über indigene und in Stämmen lebende Völker

In diesem Projekt, das von 1996 bis zum Jahre 2000 dauern soll, geht es hauptsächlich um technische Kooperation, mit der die Prinzipien und die Grundsätze der ILO169 hauptsächlich in Asien und im südlichen Afrika eingebracht und angewandt werden sollen.

(3) Das ILO-INDISCO Programm

Hierbei soll durch die Unterstützung bei der Entstehung von Kooperativen und Selbsthilfe-Gruppen das indigene Selbstvertrauen bzw. -bewußtsein gefördert werden.
In den letzten fünf Jahren wurden 15.000 Angehörige indigener Völker darin ausgebildet, ihre Gemeinschaften zu motivieren, traditionelle Arbeiten und Handwerke zu revitalisieren.

3.7 Die 13 Signatarstaaten

LÄNDER DATUM DER RATIFIZIERUNG
Bolivien 11.Dezember.1991
Costa Rica 02.April.1993
Dänemark 22.Februar.1996
Ecuador 15.Mai.1998
Fiji 03.März.1998
Guatemala 05.Juni.1996
Honduras 28.März.1995
Kolumbien 07.August.1991
Mexiko 05.September.1990
Niederlande 02.Februar.1998
Norwegen 19.Juni.1990
Paraguay 02.August.1993
Peru 02.Februar.1994

Länder, die eine Ratifikation der ILO169 in Betracht ziehen:

Brasilien, Finnland, Neuseeland, Phillippinien und Schweden.

4. DIE LATEINAMERIKANISCHEN KONVENTIONSSTAATEN .: oben :.

4.1 Indianerpolitik und ILO in Lateinamerika
Lange Zeit galt in Lateinamerika der Grundsatz, "daß alle Staatsbürger gleich seien und deshalb eine spezielle Politik für die indigene Bevölkerung nicht gerechtfertigt sei." Dabei wurden die indios in einigen Ländern wie Brasilien, Kolumbien u.a. durch spezielle Rechtssysteme zu Unmündigen erklärt.
Infolge der mexikanischen Revolution und der Entwicklung des indigenismo, einer neuen Indianerpolitik und einer Bewegung, die schließlich auch andere lateinamerikanische Länder erfaßte, rückten die Indígenas schließlich mit einem neuen Bewußtsein ins Zentrum der Politik der jeweiligen Staaten und machten auf ihre Rechte aufmerksam.
"Amo lo que tengo de indio!" - ein neues kollektives Identitätsgefühl war aufgekeimt und die Bezeichnung "indio", die für die blancos oder mestizos früher gleichbedeutend mit sucio ("schmutzig") war, hatte einen neuen Stellenwert.
Heute hat sich - besonders im Zuge der 500-Jahre-"Feierlichkeiten" - dieses Identitätsbewußtsein gefestigt und gestärkt. Viele bezeichnen sich selbst als "Indígenas", akzeptieren aber auch das Wort "indio".
Wenn es auch infolge des indigenismo in den 40er, 50er Jahren zur Gründung vieler Indianerinstitute kam, die alle im Instituto Indígenista Interamericano in Mexiko zusammengeschlossen waren, so beruhte dieser doch auch - ähnlich der ILO-Konvention Nr.107 - auf einer Integrationsidee, was dieser Indianerpolitik aus der heutigen Sicht einen negativen Beigeschmack verleiht. Ziel der indigenistischen Politik war es, eine sozioökonomische Entwicklung in den indigenen Gemeinschaften und ihre Integration in den Nationalstaat herbeizuführen.

"Beim ersten Interamerikanischen Indígena-Kongreß in Pátzcuaro, Mexico, war formell keine indigene Gruppierung anwesend und dieses Bild sollte für Jahrzehnte fortdauern."

Im Jahre 1964 wurde in Ecuador die erste indigene Organisation Lateinamerikas gegründet, die sich für die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder einsetzte: die FICSHA (Federación Interprovinciál de Centros Shuar-Achuar).
Aus der Kooperation der acht Amazonasstaaten Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam und Venezuela, entstand im Jahre 1978 der Amazonaspakt (Vertrag für amazonische Kooperation) schlossen. Ein Ereignis, das von Beobachtern als möglicher Wendepunkt innerlateinamerikanischer Beziehungen angesehen wurde. Umwelterhaltung und rationale Ausbeutung der amazonischen Flora und Fauna bilden die Basis dieses Pakts.
In den Anden tagt inzwischen ein Parlament der Aymara-sprechenden Völker aus Bolivien, Chile und Peru, das sich als rechtmäßige Institution der Selbstverwaltung versteht. Selbst wenn dieses Parlament in der Realität keinen parlamentarischen Einfluß ausüben kann, zeugt es doch vom gewachsenen Selbstbewußtsein dieser Völker.
Heute sind z.B. die Indígenas in allen Amazonasstaaten fast ausnahmslos in gesamtstaatlichen oder kleineren Vereinen organisiert und wehren sich gegen Übergriffe, die ihr Land und ihre soziale und kulturelle Identität beeinträchtigen.
Ein großes Problem liegt aber hauptsächlich in der Manipulierbarkeit dieser Organisationen, der Korruption ihrer Vorsitzenden und der mangelnden Homogenität innerhalb der "pueblos indígenas".

Unter den Netzwerken der lateinamerikanischen Organisationen sticht besonders die COICA (Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica) hervor, die in ihren unmittelbaren Stellungnahmen, an die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank, die staatliche US-Entwicklungshilfeorganisation (USAID), die UNO, die ökologischen NGO's usw. die Partizipations- und Konsultationsrechte der indigenen Völker einfordert .
Die COICA ist auch ständiger Kooperationspartner des Klima-Bündnisses, das als eines der erfolgversprechendsten Projekte zur Umsetzung der 1992 in Rio de Janeiro beschlossenen Agenda 21 gilt und sich zudem besonders für die Ratifizierung der ILO 169 einsetzt.

In den letzten Jahren haben viele Staaten Lateinamerikas neue Verfassungs- und Gesetzestexte verabschiedet, in denen zum ersten mal Bezug auf die indigenen Rechte genommen wird und in denen die indigenen Völker als solche anerkannt werden. Neben der Erneuerung individueller Rechte werden einige kollektive Rechte anerkannt, darunter das Recht auf die eigene Sprache, Kultur, auf eigene traditionelle Jurisdiktion und in einigen Fällen das Recht auf ein eigenes Territorium.

Auch wenn die Missionierung unter den indigenen Völkern großen Schaden angerichtet hat, so soll in diesem Kontext doch auch der positive Einfluß der südamerikanischen Befreiungstheologie und der mutige bis tödliche Einsatz der Kirche in Guatemala und Mexico Erwähnung finden.

Die ILO hatte in Lateinamerika schon seit ihren Anfängen einen hohen Stellenwert. Bereits 1921 gab die ILO Untersuchungen über die Arbeitsbedingungen von "indigenous and tribal workers, particulary the forced labour of so-called "native populations" in colonies" in Auftrag. Studien, die schließlich 1930 zur Forced Labour Convention führten, die auch besonders die Indígenas Lateinamerikas betrafen.
1952 begann das Andenindianerprogramm, das bis in die 70er Jahre fortdauerte und rund 250.000 indígenas involvierte. Durch die Beteiligung von Argentinien, Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Peru und schließlich auch Venezuela, wurde die Kooperation dieser Staaten wesentlich gefördert, was dann auch dazu beigetragen haben soll, daß die beteiligten Staaten, mit Ausnahme von Chile und Venezuela, die ILO ratifizierten.
Im Jahre 1953 publizierte die ILO eine Studie, die sich speziell auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von pueblos indígenas in Lateinamerika bezog.

Die große Bedeutung, die der ILO in Lateinamerika zukommt, veranschaulichen folgende Tabellen:

Lateinamerikanische Länderdie die ILO-Konvention Nr.107 ratifizierten:

Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Haiti, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Panama, Paraguay und Peru

Lateinamerikanische Länderin denen die ILO-Konvention Nr.107 noch in Kraft ist:

Argentinien, Brasilien, Dominikanische Republik, El Salvador, Kuba und Panama

Lateinamerikanische Länderdie die ILO 169 ratifizierten:

Bolivien, Costa Rica, Ecuador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Paraguay und Peru

Lateinamerikanische Länderderen Parlamente eine Ratifizierung der ILO169 in Betracht ziehen:

(soweit der ILO bekannt):

Brasilien, Chile, Venezuela.

Während des Revisionsprozesses der ILO-Konvention Nr.107, führte das ILO-Regionalbüro Beratungen mit Vertretern der verschiedenen indigenen Völker Lateinamerikas durch. Heute haben neun Länder Lateinamerikas die ILO 169 ratifiziert, und einzelne Grundsätze in ihren Verfassungsreformen integriert. Verschiedene Leitgedanken und Prinzipien der ILO 169 fehlen in keinen offiziellen politischen Debatten, in denen es um die "derechos de los pueblos indígenas" geht.

Auf den folgenden Seiten schreibe ich über über die Umsetzung der Konventionsbestimmungen und dem status quo der Indígenas in den lateinamerikanischen Signatarstaaten der ILO 169. Ich skizziere auch ein wenig die politische Situation, da sonst - auch im Anbetracht der Fallbeispiele - eine objektive kritische Beurteilung unmöglich ist.

Fünfhundert Jahre Unterdrückung mit allen fatalen Folgen, die Mobilisierung von über Hunderttausenden Indígenas in den 90er Jahren und die beschämende Tatsache, daß diese Völker heute um grundlegende Menschenrechte und oft um ihr Überleben kämpfen müssen, verlangen doch eine nähere Auseinandersetzung.

4.2 Die lateinamerikanischen Signatarstaaten (chronologisch nach dem Datum der Ratifizierung) .: oben :.

1. Mexiko
Mexiko machte in den letzten Jahren öfters wegen seiner harten Vorgangsweise gegen die Indígenas in Chiapas von sich reden. In Mexiko leben nicht nur am meisten Indígenas (ca.10 Millionen), sondern das INI (Instituto Nacional Indigenista) hat auch 56 verschiedene ethnische Gruppen identifiziert.

Unter dem Einfluß der ILO 169 hat Mexiko bislang zwei Verfassungsänderungen vorgenommen:

- Artikels 4 wurde um einen Paragraphen erweitert, der den "carácter pluricultural de la Nación Mexicana" hervorhebt;

- Artikel 27 wurde reformiert und wird im neuen Agrarreformgesetz geregelt. Dieser Artikel befaßt sich mit den ejidos und den comunidades - kollektiven Landpachtsystemen. Durch die Reformierung des Art. 27 wird erstens eine Privatisierung dieser Institute eingeleitet - vorausgesetzt die Indígenas stimmen zu - und zweitens die Bewahrung von Eigentum und Integrität dieser Territorien festgelegt. Laut Agrarreformgesetz kann nur die Generalversammlung der comunidades über eine Umwandlung dieser Territorien in privates Landgut entscheiden.

In Mexiko sind 2 000 comunidades indígenas rechtlich anerkannt, was acht Prozent des nationalen Territoriums ausmacht (16 Millionen ha).

Indigene Rechte in Chiapas
In Chiapas, dem achtgrößten Bundesstaat Mexikos, sind ein Drittel seiner 3,5 Millionen Einwohner Nachfahren verschiedener Mayavölker. Die mexikanische Revolution und die Landreform Pancho Villas und Emiliano Zapatas haben hier praktisch nicht stattgefunden. Die Indígenas, die sich in landwirtschaftlichen Kooperativen und alternativen Netzwerken versuchen, müssen mit dem Zorn der latifundistas und multinationaler Unternehmen rechnen, der tödlich sein kann:
1929/24: Ein Landgesetz der Regierung von Tiburcio F. Ruiz verfügt, daß jede Landfläche, die mehr als 8 000 ha mißt, zur Aufteilung freigegeben wird. Die latifundistas erhalten ihren Besitz durch die Übertragung an alle Familienmitglieder, vom Säugling bis zum Greis.
70er Jahre: Da Mexiko für Erdölförderung, Wasserkraftwerke und Viehzucht, mehr Land benötigt, müssen Tausende von campesinos ihre Wirtschaftsweise aufgeben.
80er Jahre: Die allgemeine Wirtschaftskrise und die neoliberale Wirtschaftspolitik verschärfen die Armut.
1986 (Mai): Die indígenas blockieren die Hauptstraße nach Mexiko-City und fordern ihre Rechte. Die Regierung lehnt Verhandlungen ab und läßt die Blockade durch Militär und Polizei räumen.
1990 (Sept.): Ratifizierung der ILO 169.
1991: Gründung der ANCIEX (Unabhängige Nationale Campesino Allianz Emiliano Zapata)
1992 (März): Gründung der XI'NICH (Koordination indigener Organisationen)
1994 (1.1): Beginn der Rebellion des EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional)
1994 (Aug.): Auf Initiative der zapatistas beraten 6 000 Delegierte aus Mexiko, darunter Wissenschaftler, Künstler, Journalisten usw. in Agua Caliente über eine Lösung für Chiapas.
1995 (Feb.): Präsident ordnet Militäroffensive gegen die zapatistas an. Am selben Tag wird ein Friedenscamp vor der Kirche San Cristobál. organisiert. Bischof Ruiz vermittelt eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen EZLN und der Regierung.
1996 (16.1): Bei Friedensverhandlungen zwischen Regierung und EZLN kommt es zu den Acuerdos de San Andrés, die im wesentlichen auf die ILO 169 aufbauen. Im Mittelpunkt stehen Selbstbestimmung und Autonomie.
1996 (20.10): Besonders bemerkbar machen sich die Prinzipien der ILO 169 in der Verfassungsreform der COCOPA (Comisión de Concordancia y Pacificación), eine Initiative, die auf den Abkommen von San Andrés fußt.
1997 (Herbst): Eine Karawane von 1.111 zapatistas zieht in die Hauptstadt um die Umsetzung der Acuerdos de San Andrés zu fordern.
1997 (22.12): Massaker von Acteal (Chenaló): 60 Uniformierte der Mascaras Rójas (Todesschwadron der Regierungspartei PRI (Partido Revolucionário Institucionál) ) umstellen das Dorf und schlachten 14 Kinder, 21 Frauen (vier schwanger), einen Säugling und 10 Männer. Eine Aufklärung des Massakers steht immer noch aus .
1999 (21.3): 3 Millionen Mexikaner sprechen sich bei einer Volksbefragung "consulta" des EZLN für die Anerkennung der indigenen Rechte und für eine Ende des Krieges aus.
1999 (Herbst): Die Regierung setzt weiterhin auf einen Low Intensity War , der in Chiapas seit Februar 1995 offizielle Regierungsstrategie zur Aufstandsbekämpfung ist und auf einer totale Militarisierung aller gesellschaftlichen Sphären beruht. Seither sind 1.500 Indígenas aus politischen Gründen umgebracht worden. Nun wird in Chiapas eine größere Militäroffensive befürchtet.

Die Implementierung der ILO169
Von 1992 bis 1994 hat Mexiko überhaupt keinen Schritt zur Implementierung der ILO 169 unternommen.

"Lo cual significa que si México ratificó 'un convenio promocionál y no adopta las medidas éste pide, el risultado final es equivalente al de si lo hubiera rechazado.'

Erst der Aufstand des EZLN brachte die Regierung dazu, sich mit den Verpflichtungen der ILO 169 zu befassen.
In Mexiko fand im August 1998 ein Symposium über "Indigene Völker und Ökologie an der Schwelle des 21.Jahrhunderts" statt, in dessen Rahmen auch über die ILO 169 referiert und debattiert wurde.
Gestützt auf die Daten eines Vortrages von Jorge A. G. Galván , möchte ich einige Beispiele für die unterschiedlichen "Ansichten" aufzeigen, die erstens die ILO 169, zweitens die Verfassungsreform-Initiative der COCOPA (die auf den Acuerdos de San Andrés basiert) und drittens die Bundesregierung vorsieht:

ILO COCOPA (Comisión de Concordancia y Pacificación) MEXIKANISCHE BUNDESREGIERUNG
definiert die "indigenen und in Stämmen lebenden Völker". Zur Definition gehört die "Selbstidenti-fikation" derselben. (Art.1) nimmt die ILO169-Definition in Artikel 4 auf meidet eine Definition, "dejando, literalmente, a los sujetos de los derechos, en la indefinición jurídica, es decir, en la indefensión"
"1. Bei der Anwendung der innerstaatlichen Gesetz-gebung auf die betreffenden Völker sind deren Bräuche oder deren Gewohnheits-recht gebührend zu berücksichtigen." (Art.8) sieht in ihrer Initiative gemäß dem Abkommen von San Andrés vor, daß die Urteile der indigenen Jurisdiktionsorgane von den staatlichen bestätigt werden. Unterscheidet vorab "Nor-men, Bräuche und Gewohn-heiten" und hält dagegen, daß nur von einer "homologación", aber nicht von einer "convalidación" der Urteile die Rede sein kann, da sonst eine "interne indigene Rechtssprechung" errichtet würde.
Recht auf Land (Art.13,14) integriert diese Bestim-mungen in ihre Verfassungs-reform. Für die pueblos indígenas ist Land kein Verkaufs-gegenstand, sonders besitzt einen kollektiven Charak-ter und fügt sich in ihre Kosmovision ein. wendet ein, daß eine Nutz-Nießung in kollektiver Form, andere verfassungs-rechtlich abgesicherte Formen ("gemeint sind private") verneint. Der Begriff "territorio" wird als ein Teil des Staates verwendet, was die Gefahr einer Zerteilung des Staatsgebildes birgt. Die Regierung möchte offen-sichtlich den Pri-vatisierungsprozeß des kollektiv genutzten Landes schützen, den die Regierung Salinas' mit der Refor-mierung von Artikel 27 eingeleitet hatte.

In einer Stellungnahme zu den Reforminitiativen der Bundesregierung antwortete die ELZN, daß sie keine Beistrichänderung der COCOPA-Initiative akzeptieren werde. Darauf legten die PAN (Partido Acción Nacional) und die Bundesregierung unter Innenminister Labastida jeweils einen Vorschlag für eine Verfassungsreform im Bereich der indigenen Rechte vor.
Die Initiativen von PAN und Labastida basieren in formaler und struktureller Hinsicht auf jener der COCOPA. In materieller Hinsicht erkennen sie erstens den "carácter pluricultural" Mexikos an, zweitens die ILO169-Definition der "indigenen und in Stämmen lebenden Völker" und drittens das Recht der pueblos indígenas Mexikos auf Autonomie.
Dafür wird den indígenas auf der einen Seite in den Bereichen, in denen sie eine Autonomie geltend machen, die Selbstbestimmung abgestritten, auf der anderen Seite werden sie nicht als öffentliche Rechtssubjekte anerkannt. Eine wirkliche Autonomie steht nur jenen pueblos indígenas zu, die über den rechtspolitischen Status eines municipio verfügen, für deren Regelung die PAN eine Art Munizip-Verfassung vorschlägt, sogenannte "Cartas Municipales".
Galván bemängelt an der Initiative der PAN, daß sie u.a. auf inkongruente Weise den Begriff "comunidades indígenas" verwendet und nicht zwischen diesem und dem der "pueblos indígenas" unterscheidet.
Die Iniciativa Labastida hingegen, differenziert zwar, findet aber, daß der Begriff pueblo einen Bestandteil des Staates darstellt und es somit nur ein pueblo geben kann: "el Pueblo Méxicano". Würde man folglich innerhalb des "Pueblo Méxicano" andere pueblos als spezifische Rechtssubjekte anerkennen, wäre dies ein Angriff auf die Souveränität des Staates - "único titular del 'Pueblo Mexicano'".

Es sei noch erwähnt, daß im Leitfaden der ILO zur Konvention Nr.169 immerhin vermerkt wird, daß in manchen comunidades indígenas Lehrgänge in Arbeitsrecht abgehalten wurden und auch im Bereich Kultur und Erziehung kann Mexiko - ganz im Sinne der ILO 169 - auf einige erfolgreiche Maßnahmen hinweisen:

"[...] textbooks for indigenous children have been written in various indigenous languages. At the primary-school level, bibingual and bicultural programmes have been launched [...] In 1991, some 26 different indigenous groups, totalling 33 000 children between 10 and 14 years old benefited from literacy programmes. whereas 10 indigenous groups of the poorest States of the country were covered by the Initial Education Programme for the Indigenous Child."

Quellen:
- Tomei/Swepston (FN10)
- Jorge Alberto González Galván,"Las obligaciones de México con la ratificación del
convenio 169 de la OIT" auf der Tagung zum Thema "El Convenio 169 de la OIT sobre los pueblos indígenas y tribales en países indipendientes" am SIMPOSIO "LOS PUEBLOS INDIGENAS Y LA ECOLOGIA EN LOS UMBRALES DL SIGLO XXI" (México, August 1998)

2. Kolumbien .: oben :.
Kolumbien, das 1991 nicht nur die ILO 169 ratifiziert, sondern auch eine neue Verfassung bekommen hat, ist ein widersprüchliches Land:

- gegenüber den allgemeingehaltenen Verfassungen anderer südamerikanischer Länder hinsichtlich der "pueblos indígenas", befaßt sich die kolumbianische Verfassung ziemlich detailliert mit den Rechten dieser Völker. Dafür scheinen sich Wirtschaftsinteressen, innerstaatliches Machtstreben und Hegemoniepolitik in keinem anderen südamerikanischen Land so unbekümmert über internationale und nationalen Normen und Gerichtsurteile hinwegzusetzen.
- auf der einen Seite wird trotz Friedensverhandlungen der langjährige menschenrechtsverachtende Kampf zwischen Guerilla, Paramilitärs und Armee fortgesetzt, auf der anderen Seite kann Kolumbien seit 25 Jahren auf ein ununterbrochen anhaltendes Wirtschaftswachstum von ca. 5% verweisen.

In der neuen Verfassung Kolumbiens wird der multi-ethnische und pluri-kulturelle Charakter der Nation hervorgehoben und "das Recht auf eine eigene, autonome Existenz in einer ethnisch vielfältigen Gesellschaft " festgeschrieben. Kolumbien war weltweit das erste Land, das die Landrechte der indigenen Völker begrifflich determiniert und das Selbstverwaltungsrecht und das Recht auf ein Management ihrer natürlichen Ressourcen spezifiziert hat.

Der indigene Rechtsstatus beinhaltet:

- die Errichtung indigener Gebietskörperschaften (ETI), die über ein eigenes politisch-administratives System verfügen - auf gleicher Basis wie die staatlichen Kommunen , Distrikte und Departments. Traditionelle Räte und Organisationen gelten als rechtlich anerkannte Körperschaften;

- in den alten Schutzgebieten (resguardos) und Reservaten (reservas) können die Räte der indígenas auch jurisdikative Funktionen gemäß Gewohnheitsrecht und Praxis ausüben, solange sie nicht der nationalen Gesetzgebung widersprechen;

- für indigene Vertreter sind im Senat zwei und im nationalen Kongress sogarfünf Sitze reserviert ;

- die territorialen Rechte der pueblos indígenas sind weitgehend anerkannt. Rechtstitel verschaffen ihnen Anrechte auf staatliche Zuschüsse für Ausbildung und Gesundheitsprogramme und auf die Wahrnehmung ihres Gewohnheitsrechtes ;

- neben Formen von Selbstverwaltung wird ihnen auch das Management der natürlichen Ressourcen zugestanden. Indigene Territorien gelten nach der neuen Verfassung als unveräußerlich, unübertragbar und unteilbar

- bei der Nutzung der erneuerbaren natürlichen Ressourcen steht ihnen ein Vorrecht zu. Jegliche Nutzung darf die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Integrität dieser Völker nicht beeinträchtigen.

- bei relevanten Entscheidungen sind die pueblos indígenas zu konsultieren

- falls ein Indígena eine Tat begeht, die in seiner Gemeinschaft kein Vergehen darstellt, kann diese Person laut Artikel 22 des Strafkodexes in seiner natürlichen Umgebung rehabilitiert werden;

- innerhalb der indigenen Territorien, in denen die jeweilige indigene Sprache vorherrschend ist, gilt diese als offizielle Sprache ;

- an der staatlichen Universität sind 2% der Studienplätze für indigene Studenten reserviert, die sich verpflichten müssen, nach ihren Studien wieder zu ihrer Gemeinschaft zurückzukehren;

Bevor einige themenrelevante Fallbeispiele aufgezählt werden, sei hier kurz ein politisches Bild Kolumbiens gezeichnet. Immerhin stehen die Indígenas in diesem Land mitten im Kreuzfeuer von Guerilla, paramilitärischen Truppen, Armee, Wirtschaftsinteressen und amerikanischen und euro-deutschen Ambitionen. Bei der Drogen- und Guerillabekämpfung und bei Megaprojekten werden sie meist als die unbeteiligten Opfer schlimmster Menschenrechtsverletzungen übersehen.

Die Guerilla, deren militärische Stärke mit 15.000 Männern und Frauen beziffert wird und die die Hälfte des Landes kontrollieren, identifiziert sich hauptsächlich in zwei Organisationen: die kommunistischen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) und der pro-kubanische Ejército de Liberación Nacional (ELN). Die indigene Guerilla-Bewegung Quintín Lame hat nach fünfzehn Jahren ihre bewaffnete Tätigkeit eingestellt, nachdem die Regierung auf verschiedene Postulate eingegangen war.

Die Guerilla-Organisationen finanzieren sich mit Schutzgeldern des Drogengewerbes, von Großgrundbesitzern und Industrieunternehmen erhobenen "Steuern" sowie aus Entführungen. Der 7. Anschlag auf eine Ölpipeline im Nordosten Kolumbiens verursachte große Umweltschäden.
Für die USA ist die Guerilla ein Hauptfaktor für die Instabilität in der Region, richten sich ihre Aktionen ja hauptsächlich gegen "jegliche Interessen von außen". Unter dem Deckmantel der "Drogenbekämpfung" gab es bereits mehrere US-Interventionen. Wenn auch das Projekt einer multinationalen Eingreiftruppe vorerst aufs Eis gelegt wurde, so spricht eine unglaublich aufgestockte Militärhilfe eine klare Sprache.
Vielleicht kann ich hier anbringen, was mir 1999 in Ecuador ein befreundeter Shuar erzählt hat:
Als er in einem kolumbianischen resguardo, die vom Staat geschützt sind, auf Besuch war, vertraute ihm eine kolumbianische Koka-Bäuerin an, daß sie das Kokain absichtlich schlecht und übertrieben stark machen. Daß war ihre Rache an den Söhnen Amerikas. In einem amerikanischen Antidrogen-Einsatz hatte sie ihre beiden Söhne verloren.

Für die Indígenas stimmt die politische Konzeption der Guerilla nicht mit ihren Vorstellungen von Autonomie und Selbstbestimmung überein.
Armando Valbuena, der neue Präsident der Organización Nacional Indígena de Colombia (ONIC) dazu wörtlich :

"Die ONIC und regionale Organisationen haben die Guerilla daher aufgefordert, keine Kampagnen auf unseren Territorien durchzuführen, keine Indianer zwangsweise zu rekrutieren und uns nicht in in die bewaffnteten Auseinandersetzungen hinein zu ziehen. Die politischen Repräsentanten der indigenen Gemeinschaften im Cauca drohen Angehörigen ihrer Gemeinden sogar mir Ausschluß, wenn sie Mitglied einer Guerilla sind. Die bewaffneten Gruppen wollen territoriale Kontrolle. [...] Der Mord an den drei amerikanischen Unterstützern der U'wa spricht eine deutliche Sprache"

Die 'grupos paramilitares', die häufig mit den latifundistas und dem Militär in Verbindung gebracht werden, sind im Gegensatz zur Guerilla rechtsgerichtet.

Präsident Pastrana, dessen "enormer Mut" im Friedens-verhandlungsprozeß von Kanzler Schröder gelobt wurde, hat nicht nur den Tiefpunkt in den Beziehungen zur ELN zu verschulden:
- vom Friedensprozeß sind die Indígenas als Betroffene ausge-schlossen,
- genau ein Jahr nach der Unterzeichnung eines Abkommens, in dem sich die Regierung gegenüber regionalen Bauernverbänden verpflichtete, die Zivilbevölkerung vor paramilitärischen Massakern zu schützen, gehen Armee und Todesschwadronen gemeinsam gehen die Zivilbevölkerung vor
- bei der Militarisierung von Konfliktzonen, in denen diese Völker vom Kreuzfeuer aller drei Parteien eingeschlossen sind, müssen sie um die Erlaubnis von allen drei Parteien anfragen, und die bekommen höchstens drei von ihnen pro Tag.
- die Regierung Pastrana sagt z.B. der FARC den Rückzug staatlicher Sicherheitskräfte aus fünf Landkreisen zu, ohne zu berücksichtigen, daß dort auch 1.500 Indígenas leben.
- Pastrana hat bislang noch nicht die nationale Friedeskommission (Comisión Nacional de Paz), an der die ONIC beteiligt ist, einberufen 2 sämtliche Normen wie der Erlaß 1396 und das Gesetz 21 (infra) werden übergangen

Im Anschluß beschreibe ich vier Fälle, in denen sämtliche Rechts-prinzipien und -normen verletzt wurden.
So wird z.B. die Konsultationspflicht vollkommen über- bzw. umgangen:

1. Fall: Der ölreiche Samore-Block
1992
Occidental (zusammen mit Royal Dutch/Shell und der staatlichen Ecopetrol) unternimmt erste Schritte für eine zukünftige Ölförderung im Samore-Block (200 000 ha) im Nordosten Kolumbiens. Die Ölförderung soll direkt durch das Territorium der tiefreligiösen U'wa gehen. Die Guerilla "erschwert" die geologische Vorarbeit.

Bei den Verhandlungen werden die U'wa niemals direkt konsultiert.

1997
5.000 U'wa drohen mit kollektivem Selbstmord. Als tief religiöses, noch traditionell im Regenwald lebendes Volk, sind sie davon überzeugt, daß sie sterben werden, wenn ihr Blut - das Erdöl - ausgesaugt werde.

Gründung des U'wa Defense Projekt - einem Zusammenschluß von NGOs. Später bekannt als U'wa Defense Working Group.
Ein Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Harvard Universität drängen die Ölkompanie die Exploration "immediately and unconditionally" einzustellen.

1998
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission empfiehlt der kolombianischen Regierung ein "Friendly Settlement" im Samore-Konflikt zu finden.
Am 14. April titelt eine ganze Seite der New York Times "Why Occidental's Oil Project Is A Death Sentence For the U'wa People" - unterzeichnet von 27 NGOs unterschiedlicher Ausrichtung.
Die staatliche Ecopetrol verkündet in einer Pressekonferenz Occidentals Angebot, auf den Samore-Block zu verzichten, um die Öl-Investitionen auf ein kleineres Förderungsgebiet zu beschränken.
Das Innenministerium versichert den U'wa, daß auf ihrem Land keine weiteren Probebohrungen durchgeführt werden.

1999
Es wird nach Wegen gesucht, das Förderungsgebiet Gibraltar I aus dem Gebiet der U'wa auszuklammern. Sie sollen zwar endlich eine geschlossene Reservation bekommen, aber entgegen ihrer Forderung nicht in den Ausmaßen ihres traditionellen Territoriums.
Am 4. März werden die leblosen und gefolterten Körper dreier amerikanischer Unterstützer der U'wa an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze gefunden .

2000 (Ende Januar)
5.000 Armeeangehörige haben mit dem Einsatz von Hubschraubern etwa 250 U'wa-Indianer von ihrem traditionellen Land vertrieben. Am Rande ihres Landes wurden schwerbewaffnete Soldaten zusammengezogen um Probebohrungen der kolumbianischen Erdölfirma Occidental de Colombia (OXY) gegen den Widerstand der Indígenas durchzuführen.

"'Mit Hilfe der Militärs setzt sich die kolumbianische Regierung nicht nur über ihr Versprechen hinweg, sich im Dialog mit den Indianern zu einigen', kritisierte die GfbV die kolumbianische Regierung in einem offenen Brief.'Sie beantwortet auch ein Urteil des kolumbianischen Verfassungsgerichtshofes aus dem Februar 1997 mit Gewalt, nach dem eine Erdölexploration nur mit Zustimmung der Indianer erfolgen darf." Bitter enttäuscht sei die GfbV über die Täuschungsmanöver des kolumbianischen Vizepräsidenten Juan Mayr und des Außenministers Fernández de Soto. Beide hatten noch im vergangenen Jahr im Gespräch mit der GfbV und auf öffentlichen Veranstaltungen immer wieder versichert, die verfassungsmäßigen Rechte der Indianer respektieren zu wollen."

Quelle:
http://www.survival.org.uk/colompr.htm (28.11.99)
http://uwa.moles.org/uwa/crisis/news.html (28.11.99)
http://uwa.moles.org/uwa/crisis/news9.html (28.11.99)
http://C./Documenti/Cwww in linea/apm-gfbv/2c-stampa/1-00/27-1-dt.html (28.01.00)

2. Fall: El Plano Pacífico
Der Plano Pacífico ist ein ehrgeiziges Industrialisierungsprojekt an der kolombianischen Küste zu Panama hin. In diesem Landstrich leben 7 000 Waunana und 40 000 Emberá sowie 700 000 schwarze Landarbeiter. Im Norden wohnen die Kuna-Indianer.
Schon vor 20 Jahren scheiterte ein Projekt namens "Plaidecop", das eine Fortführung der Panamericana und einige Industrialisierungsprojekte vorsah, am Widerstand der Bevölkerung und hauptsächlich am Darien Gap, dem dichten Regenwald zwischen Panama und Kolumbien.
Nun will Kolumbien den Nachfolgerplan, den plano pazífico , der das kolumbianische Hinterland und die Küste mit Straßen und modernen Infrastrukturen verbinden soll, realisieren. Und nicht nur:

"Colombia is ready to start building now. If Panama delays, we'll build our side anyway. This area is really a tremendous obstacle to trade, the only break in the Pan-Americn Highway. Before, we didn't have the technology to get through, but know we can do it. Just think - only 102 km more highway is needed to unite the Americas"

Die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) hat schon 1,5 Millionen Dollar entsprechende Machbarkeitsstudien locker gemacht.

Quelle:
http://www.survival.org.uk/waunanabg.htm (28.11.99)

3. Fall: Staudamm-Projekt am Sinú-Fluß
Seit 1993 hat die staatliche Urrá S.A. in Zusammenarbeit mit der schwedischen Firma Skanska und der russischen Energomachiexport im kolumbianischen Department Córdoba mit der Konstruktion des 340 Megawatt-Kraftwerkes Urrá begonnen. 1998 übernahm die Houston Industries Energy Inc. mit ihrer venezolanischen Tochter Electricidad de Caracas 65 Prozent der Anteile.
Obwohl ein Gesetz (und die ILO169) dies vorschreiben, wurden die ca. 3 800 Embera-Katío nie konsultiert.
Daher hatten sie 1998 mit einer Beschwerde beim Obersten Verfassungsgericht Erfolg, das Regierung und Betreibern detaillierte Verhandlungen über Entschädigungszahlungen und Entwicklungspläne zur Sicherung des Überlebens auch der zukünftigen Generationen der Embera vorschreibt, ehe mit dem Fluten des Staubeckens begonnen werden darf. Doch verhandelt wurde nicht und Staumauern und Turbinen wurden trotzdem fertiggestellt. Stattdessen nahm die Gewalt im Gebiet der Embera zu.

Sechs ihrer wichtigsten Repräsentanten wurden in den letzten Monaten ermordet. Paramilitärs und die FARC bedrohen die Menschen, die sich gegen die Inbetriebnahme des Wasserkraftwerks wehren, verbrennen Schiffe, zerstören Hütten oder ermorden Menschen durch Kopfschüsse.

Internationale Proteste von NGOs konnten bisher die Flutung verhindern und die Regierung zur Aufnahme von substantiellen Verhandlungen drängen. Eine Verlängerungsfrist der Verhandlungen konnte erreicht werden.

Quellen:
- Rathgeber, T., "Embera-Katío kämpfen gegen Staudamm am Urra-Fluß"
in: pogrom 203 (Juli/August 1999), S.42 - Infos unter: indigene@gfbv.de
- Holst, J., "Indígenas zwischen allen Fronten" in. Lateinamerika Nachrichten 305 (November 1999), S.29
- http://www.survival.org.uk/colombia.htm (28.11.99)

4. Fall: Achtzehn resguardos in Gefahr
Resguardos sind Territorien, die den Indígenas vom Staat rechtlich zuerkannt wurden. Laut der IWGIA (International Workgroup for Indigenous Affairs) sind im Südwesten Kolumbiens achtzehn resguardos von latifundistas durch die Anheuerung von Killern und der Gründung von Selbstverteidigungsgruppen bedroht. Die latifundistas versuchen, die indigene Forderungen nach Landtitel zu ersticken. Die Präsenz von Guerilla-Gruppen ist ein weiterer Vorwand, Präfekten und einfache Landbewohner zu ermorden.
Anstatt die indigenen Landrechte zu schützen, ist der Staat der erste, der sie verletzt: so weigerte sich das Kolumbianische Institut für Agrarreformen (INCORA), das Gesetz 160 der sozialen Agrarreform und das Dekret 2465 für einen entsprechenden Schutz anzuwenden.

Dazu meint Armando Valbuena, Präsident der ONIC, allgemein:
"Das bedeutet für uns, daß wir nach teilweise 50, 60 Jahren Ringen um dei Anerkennung unseres Territoriums, wenn wir einen Landtitel endlich durchgesetzt haben, erneut kämpfen müssen, weil die Guerilla und auch die Todesschwadronen uns alles wieder nehmen wollen.

Quelle: IWGIA (International Workgroup on Indigenous Affairs) : The Indigenous World (1996-97)

Am Ende der Fallbeispiele noch eine kurze Rechtsanalyse von Armando Valbuena :
"Der Erlaß 1396 von 1996, den wir nach über einem Monat nationaler Proteste durchsetzen konnten, und der uns eigentlich eine umfassende Konsultation und Mitsprache bei Großprojekten ermöglichen sollte, wird genausowenig umgesetzt, wie die per Dekret geschaffenen Kommissionen zur Vermittlung in Streitfällen oder das Gesetz 21 von 1991, das die ILO 169 ins nationale Gesetz überführt." Ist Kolumbien ein Rechtsstaat?

3. Bolivien .: oben :.
Im Jahre 1990 beteiligten sich mehrere indigene Völker des bolivianischen Tieflandes an der Marcha por el Territorio y la Dignidad. Schätzungsweise 220.000 Menschen marschierten 600 km weit von Trinidad bis zur Hauptstadt La Paz. Zahlreiche internationale Solidaritätsbekundungen folgten. Darauf wurden mehrere Gebiete per Präsidentendekret anerkannt und gemäß den indigenen Forderungen als "unteilbar, unveräußerlich, unübertragbar und beschlagnahmbar" ausgewiesen.
Am 11. Dezember 1991 wurde die ILO 169 ratifiziert.

1994 wurde die neue Verfassung verabschiedet, die die indigenen Völker als solche anerkennt und in der die ethnisch-kulturelle Vielfalt Boliviens verankert ist.
Unter Artikel 171 wurde eine umfassende Anerkennung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der indigenen Völker festgeschrieben, die auch die ursprünglichen gemeinschaftlichen Ländereien dieser Völker einschließen. Zwar werden in der Verfassung nicht ausdrücklich Eigentumsrechte über diese Ländereien festgeschrieben, dafür aber ihre Anerkennung, der Respekt und der Schutz sowie die nachhaltige Nutzung der Naturressourcen.
In diesem Zusammenhang ist schließlich das neue Agrarreformgesetz INRA zu erwähnen, das auf den Bestimmungen der ILO 169 basiert.

Artikel 171 erkennt die indigenen Gemeinschaften als eine Art von Gebietskörperschaften an. Die traditionellen Autoritäten können Verwaltungsfunktionen übernehmen und eigene Formen der Konfliktbeilegung zur Anwendung bringen, sofern diese nicht mit geltendem nationalen Recht im Widerspruch stehen.
Diese Verfassungsbestimmungen wurden im April 1994 durch das neue Gesetz der Bürgerbeteiligung bestätigt. Danach sind lokale Gebietskörperschaften, darunter auch Bauerngemeinschaften und indigene Völker, Subjekte dieser Bürgerbeteiligung.

Auch wenn die Indígenas dieser Reform grundsätzlich positiv und optimistisch gegenüberstehen, so bemängeln doch manche, wie z.B. José Guasebe vom CPIB (Central de Pueblo Indígena de Beni), daß die Bürgerbeteiligung für die Indígenas keine wirkliche Machtposition darstellt.

Ein eigens eingerichtetes Rechtsprogramm des neuen Untersekretariats für ethnische Angelegenheiten sollte eine landesweite Struktur von Beratungs- und Fortbildungsmaßnahmen über indigene Rechte schaffen. Eine Vereinbarung des Untersekretariats und der CIDOB (Könföderation der der indigenen Völker Boliviens) wurde getroffen, wonach ein Beratungskomitee für indigene Völker eingerichtet werden soll.

Im Anbetracht all dieser Reformen und neuen Institutionen darf man nicht vergessen, daß der aktuellen Regierung der ehemaligen Diktators Hugo Banzer vorsteht und man somit der Umsetzungsbereitschaft der Reformen wohl durchaus kritisch gegenüberstehen kann.

Was die Bereiche Erziehung und Kultur anbelangt, so kam es im Jahre 1994 zu einer Reform, die vorsieht, kulturelle Werte in das Bildungssystem zu integrieren, um damit eine kulturell vielfältige Erziehung zu garantieren. Die indigenen Völker sollen an der Planung und Umsetzung von entsprechenden Programmen beteiligt werden, und ihr Recht auf eine Erziehung in der eigenen Sprache ist anerkannt. Ein Erziehungsprogramm für den bolivianischen Osten wurde gemeinsam mit den indigenen Organisationen der Region ausgearbeitet.

Drei Fallbeispiele, bei denen die Bestimmungen der ILO 169 nicht beachtet wurden:

1. Fall
Obwohl das neue Forstgesetz Bestimmungen zur "Demokratisierung" der Waldnutzung enthält und den lokalen indigenen Gemeinschaften exklusive Nutzungsrechte an den Waldbeständen in ihren ursprünglichen Ländereien gewährt, stellt die illegale Waldrodung in Bolivien nachwievor ein großes Problem dar. Zu einem Skandal kam es 1997 in dem Indianerterritorium und Nationalpark Pilón Lajas, als infolge einer Anzeige wegen illegaler Rodung von Mara-Holz, ein Holzhändler es soweit brachte, daß einer der indigenen Hauptankläger eingesperrt wurde. Ein exemplarischer Fall.

2. Fall
Im Sommer 1999, auf der 17.Sitzung der UNWGIP in Genf, machte der CMA-PPA (Consejo de Mallkus y Amautas del Parlamento del Pueblo Aymara) auf das Projekt "Conservación de la Biodiversidad en la cuenca del lago Titikaka" aufmerksam, das von den Regierungen Boliviens und Peru ausgeführt wurde.
Die Aymarás beschuldigten die beiden südamerikamische Regierungen der Augenauswischerei, indem sie der Weltöffentlichkeit glauben machen wollten, daß der Senkung des Wasserspiegels eine natürliche Autoregulierung zugrundeliegen würde. In Wirklichkeit werden durch das Projekt große Wassermengen des Sees bis zur Pazifikküste abgeleitet, was offiziell anders dargestellt wird, um internationale "Sponsoren" nicht abzuschrecken:

"- han sorprendido a la opinion pública internacionál haciendo creer que su regulación natural de la cuenca es la causante del desecamento del lago. [...]
- Han actuado con dolo mutuo al haber pactado sobre un recurso, unicamente para obtener beneficios financieros internacionales como UE y PNUD."

Abgesehen von der Mißachtung ökologischer und umweltrechtlicher Normen, wurden auch die lokalen indigenen Gemeinschaften nicht konsultiert, was einen krassen Verstoß gegen die Bestimmungen der ILO 169 darstellt.

3. Fall
Im Herbst 1997 kommt es zu Protesten von seiten der Indígenas, als die Oberste Forstbehörde 86 neue Forstkonzessionen vergibt, von denen 27 auf indigenem Territorium liegen. Neben Verstößen gegen nationale Regelungen, wird die Verletzung von Bestimmungen der ILO 169 eingeklagt.

Quellen:
- Rossbach (FN94) S.48ff
- Tomei/Swepston (FN10) S. 4ff
- IWGIA, The Indigenous World, 1996/97, S.85
- Fischer Weltalmanach: Bolivien, S.103
- http://www.puebloindio.org/ONU_info/GTPI99_PPA4.htm (28.11.99)

4. Costa Rica .: oben :.
Im Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Ländern ist Costa Rica für Menschenrechte relativ offen und besitzt eine überwiegend weiße Bevölkerung (87%). Immerhin befinden sich in der Hauptstadt San José das Inter-Amerikanische Institut für Menschenrechte und der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte.
Trotzdem findet sich in der Verfassung von Costa Rica kein direkter Hinweis auf den Status der Indígenas, obwohl im April 1993 die ILO 169 ratifiziert wurde.
Dafür wird ihnen durch eine spezielle Gesetzgebung das Recht zuerkannt, sich in traditionellen Gemeinschaftsstrukturen innerhalb ihrer Territorien zu organisieren. In dem mittelamerikanischen Land leben an die 30.000 Indígenas, die sich aus acht Volksgruppen zusammensetzen und auf 22 Reservaten verteilt sind. Die größten Völker sind die Cabécare, die Bribrí und die Guaymíes.
Im Jahre 1973 erfolgte die Gründung der CONAI (Comisión Nacional de Asuntos Indígenas), die sich für die Rechte der Indígenas einsetzen und Rechtsverletzungen untersuchen sollte.
Heute ist die Ausbildung der Indígenas sehr mangelhaft oder fehlt, genauso wie die Elektrizitäts- und Wasserversorgung. Auch die Gesundheitsversorgung stellt meist ein großes Manko dar.

Nach sieben Jahren ist man von einer effektiven Umsetzung der ILO-Bestimmungen also noch weit entfernt.
Besonders das Landproblem betrifft die Indígenas. Im Sommer 1991
wurde das "Indigene Identitätsgesetz" erlassen, das z.B. den Guaymíes costaricanische Ausweise und die damit verbundenen politischen Rechte garantieren soll.

Die Guaymíes leben an der panamensischen Grenze und bezeichnen sich als Ticos. Da bis vor einigen Jahren nur wenige ein Dokument besaßen, waren medizinische Versorgung und Landerwerb nicht möglich.

Im Oktober 1998 marschierten 300 Indígenas für eine gerechtere Landrechtspolitik nach San José, wo sie am Kolumbustag, dem "Tag der Kulturen" eintrafen.
Von den 22 Reservaten, in denen die Indígenas leben, gehören 90 Prozent Nicht-Indianern. So erklärte Ernesto Jiménez, Angehöriger des Ngöbegue-Volkes und Anführer des Marsches :

"Wir wollen der Regierung dieses Staates zeigen, welche Bedeutung das Land für unsere Kultur, Religion und Tradition hat. Wir haben Vorschläge erarbeitet, wie das Land an uns zurückgegeben werden und unter Autonomie gestellt werden soll. Wie erhoffen eine Antwort der Regierung."

Bei der "Caminata Indígena" ging es im wesentlichen um das Recht auf eine unabhängige indigene Entwicklung und um die Behebung des Zwists mit der CONAI, die es seit 1997 nicht geschafft hat, einen Gesetzesentwurf umzusetzen und bisher den Indígenas zufolge nie ihre Interessen vertreten hat.

Quellen:
- Fischer Weltalmanach: Costa Rica, S.148ff.
- Ludescher, C.,"Zur indigenen Bevölkerung Costa Ricas" in: Costa Rica
(1986), S.329ff
- Informationsblatt vom Inter-Amerikanischen Gerichtshof für
Menschenrechte

5. Paraguay .: oben :.
Paraguay, seit August 1993 Konventionsmitglied, ist ein relativ kleines südamerikanisches Land (406 752 km2). Tetâ Paraguay, nennen es die indigenen Guaraní in ihrer Sprache, die eigenartigerweise auch von vielen campesinos gesprochen wird. Gegenüber 90% Mestizen und 3% indígenas stellen die blancos mit 2% den geringsten Bevölkerungsanteil dar. Unter dem wirtschaftlichen Aspekt sticht besonders die hohe Arbeitslosigkeit von 30% (inkl. Unterbeschäftigung) hervor.

Paraguay, das bereits Konventionsmitglied der ILO-Konvention Nr.107 war, trat im August 1993 der ILO169 bei. Aus Sicht der ILO könnte das Land so beschrieben werden: kleines Land mit großer Mißachtung der ILO 169.

Fälle in denen gegen Bestimmungen der ILO 169 verstoßen wurde:

(1) ILO 169 Artikel 16: Verbot der Aus- und Umsiedlung von indigenen
Völkern aus dem von ihnen besiedelten Land

(Art.64 der paraguayischen Verfassung macht eine Umsiedlung von der ausdrücklichen Zustimmung der Indígenas abhängig)

Mai 1996
An die 60 Avá Guaraní -Familien aus Itakyry (Department Alto Paraná) werden von einer Gruppe von Männern, die von latifundistas angeheuert wurden, aus ihrem angestammten Land vertrieben.

Mai 1996
Die Enxet aus Yesmatathala (Department del Presidente Hayes) werden von den latifundistas Bischoff aus ihrem Land ausgesiedelt, da sie vor einigen Jahren Anspruch auf Land erhoben. Die Justiz reagiert langsam und verzögernd, während die indígenas hungernd, land- und arbeitslos umherirren.

Juni 1998
Während meines Zivildienstes bei der GfbV Südtirol ist ein Augenzeuge mit der Bitte an uns herangetreten, ob wir nicht etwas Konkretes gegen einen bekannten Mailänder Unternehmer in die Wege leiten könnten, der nach einem riesigen Landkauf in Paraguay damit begann, systematisch die dort seit altersher lebenden aber seinen ökonomischen Plänen nicht entsprechenden indígenas zu vertreiben. Bei unserer Kontaktaufnahme mit einem dort lebenden Geistlichen erfuhren wir, daß die indígenas bei Beschwerden mit einem Gefängnisaufenthalt rechnen müssen.

(2) ILO 169 Artikel 14: Anerkennung der Eigentums- und Besitzrechte der indigenen Völker an dem von ihnen von altersher besiedelten Land.

Die Wurzel der grassierenden Armut unter den indígenas Paraguays liegt in der Landlosigkeit ("landlessness").

Exemplarisch ist die nördlich des Landes gelegene Region Chaco (24 695 000 ha): von dieser Fläche gelten 1,8 % und von der geschützten Fläche 4,45 % offiziell als indigenes Land. Dabei macht die indigene Bevölkerung Chacos 60 % der Gesamtbevölkerung aus!

In den Jahren 1996/97 war das Paraguensische Institut für indigene Angelegenheiten wegen Korruption und Vernachläßigung ihrer grundlegenden Funktionen massiver Kritik ausgesetzt. Der Vorsitzende Valentín Gamarra, der sich für einen Spottpreis ein immenses Landstück aneignete, wurde abgesetzt.

(3) ILO 169 Artikel 18: Angemessene Strafen für unbefugtes Eindringen in das Land der indigenen Völker und seine unbefugte Nutzung

Juni 1996
Crescencio Enciso, cacique der Avá-Guaraní aus der Gemeinde Arroya Mocoi, wurde wegen seines Einsatzes gegen unbefugtes Eindringen und die unbefugte Deforestation seines Land von unbekannten Tätern ermordet.
Tiburico Zavala, Sohn des Cacique der Enxet aus Esmeralda, wurde wahrscheinlich gefoltert und ist später verschwunden. Der Fall wurde ungenügend untersucht und es gab keine Bestrafung.

(4) ILO 168 Artikel 2: Schutz der indigenen Integrität;
Artikel 25: Errichtung angemessener und zugänglicher Gesundheitsdienste.

Aufgrund der Vertreibung aus ihrem angestammten Land und der daraus folgenden Entwurzelung, hat sich der Gesundheitszustand vieler pueblos indígenas verschlechtert. Die Folgen der miserablen Lebensbedingungen sind Unterernährung, die auch durch die weitverbreitete Deforestation gefördert wird. Angemessene Gesundheitsdienste gibt es nicht.
Allein im Jahre 1996 starben Hunderte von Kindern an Parasiten, Durchfall und anderen Infektionskrankheiten.

Quelle:
Die Fallbeispiele, in denen die Bestimmungen der ILO 169 verletzt wurden, wurden alle aus dem IWGIA-Band ""The Indigenous World" (1996/97), S.97 ff entnommen.

Ein eklatantes Fallbeispiel: EU und Paraguay übergehen indigene Rechte .: oben :.
Ein eklatanter Fall, in dem internationale und nationale Rechtsnormen mißachtet wurden, betrifft die Region Chaco im Norden Paraguays. Eklatant vor allem deshalb, weil darin die EU-Kommission mit einem 16 Millionen-Ecu-"Entwicklungs"-projekt eine beschämende Rolle spielt.

Laut SURVIVAL INTERNATIONAL, einer NGO, lebt in Chaco das Volk der Enxet, das an die 16.000 Angehörige zählt. Seit Jahren werden diese indígenas von Großgrundbesitzern und Siedlern schikaniert, weil sie Landtitel für einen kleinen Teil ihrer seit jeher genutzten Gebiete einfordern. Ihre Häuser werden systematisch verbrannt, man zwingt sie, ihre Tiere aus- und verhungern zu lassen. Alles, obwohl Paraguays Regierung ausdrücklich die Landrechte der indígenas anerkennt.
Bereits 1994, als Pläne für das EU-Entwicklungsprojekt publik wurden, schrieben die Enxet an den ehemaligen EU-Präsidenten Jacques Delors:

"We know nothing about this projekt because no one has bothered to come and explain it to us" 1995 erklärte der Außenminister Paraguays: "land rights are fantasy".

Am 26. April 1995 beschloß das Europäische Parlament, daß in allen EU-Abkommen mit anderen Staaten Menschenrechtsklauseln enthalten sein müssen. Gemeinsam mit den Enxet forderte deshalb SURVIVAL die Europäische Kommission auf, diesem Grundsatz zu entsprechen und das Projekt erst dann fortzusetzen, wenn die Regierung Paraguays die indigenen Landrechte festsetzt und die eben erwähnten Schikanen gestoppt werden.
Mit dieser Auffassung übereinstimmend, erklärten auch die EU-Mitgliederstaaten, daß das Projekt nur unter der Bedingung weitergeführt werden könne, daß die Indígenas die Landtitel für Teile ihrer seit altersher bewohnten Territorien erhalten hätten. Was nicht nur die dringendste Priorität dieses Volkes, sondern auch eine Verpflichtung im internationalem und paraguayischen Recht darstellt.

Im Juli des Jahres 1999 wurde das Projekt von der Kommission mit der Versicherung angenommen, daß sich die Voraussetzungen erfüllt hätten.

Dagegen befand eine unabhängige Untersuchung im Auftrag der EU:
that
"- the Indians received virtually nothing so far;
- the Commission's report contained 'flawed' and 'inflated' data;
- only one out of 47 communities has actually got land title".

Obwohl verpflichtet, hat es die Kommission unterlassen, den Mitgliedstaaten den Bericht zu präsentieren. Unklar und suspekt ist auch die Abberufung des österreichischen Anthropologen Georg Brünberg, der von der EU mit der Einschätzung des Projekts betraut wurde. Paraguay hatte die Abberufung beantragt.

Fünf Jahre nachdem die EU den Indígenas versichert hatte, ihre Landansprüche definitiv zu regeln, "leben" die meisten Indígenas weiterhin in armseligsten Verhältnissen entlang der Hauptstraße.
Profitiert und bereichert haben sich dafür korrupte Regierungsbeamte, die im Namen der Indígenas riesige Flächen an unbewohnbarem Land gekauft hatten. Das die Projektannahme von seiten der EU der Regierung jegliche Motivation genommen hat, den Indígenas weiteres Land zu gewähren, liegt auf der Hand.

6. Peru .: oben :.
Der Amazonasanrainerstaat Peru, der wie Kolumbien und Bolivien bereits die ILO-Vorläuferkonvention Nr.107 unterzeichnet hatte, hat am 2. Februar 1994 die ILO 169 unterzeichnet. Die Präsidialrepublik wird seit 1990 vom Staatsoberhaupt Fujimori, dessen wichtigste Stützen die Geheimdienste und die Streitkräfte sind, mit autoritär Hand geführt.
Der Regierung Fujimoris werden laufend Menschenrechtsverletzungen, eine neoliberale Wirtschaftpolitik und eine demokratiefeindliche Haltung vorgeworfen.

Menschenrechtsorganisationen berichten von Folterungen von Festgenommenen durch Polizei, Militär und Geheimdienste, Unterlassungen der Regierung im Bereich der konstitutionellen Rechte sowie Einschüchterungsversuche und Drohungen gegen Oppositionspolitiker und kritische Journalisten .

Im Sommer 1999 urteilt der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, daß die bereits 1993 erfolgte Verurteilung vier chilenischer MRTA-Aktivisten zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe durch ein Militärgericht rechtswidrig und neu zu verhandeln sei. Obwohl die damalige Verfassung die Zuständigkeit der Militärgerichte auf Armeeangehörige begrenzte, weitete die Fujjimori -Regierung 1993 verfassungsgemäß die Zuständigkeit der Militärjustiz auf Fälle von "Terrorismus" und "Vaterlandsverrat" aus.
Terrorismus ist in Peru ein weiter Begriff (infra).
Im selben Jahr stattete der Kongreß in Form eines Ermächtigungsgesetzes die Regierung mit allen Vollmachten aus, um ohne parlamentarische Mehrheiten die Strafgesetzgebung in Fällen von Terrorismus ändern zu können.

"Die Anwälte der Beschuldigten bekommen nur beschränkten Zugriff auf die Anklageschrift. In vielen Fällen sind die Richter keine ausgebildeten Juristen und verfügen über wenig Gerichtserfahrung."

Jede Protestaktion gegen Ölkonzerne kann als "Terrorismus" inter-pretiert werden, wobei die Angeklagten von Militärgerichten in Schnellverfahren abgeurteilt werden können. Was dies für die Indígenas und - abgesehen von der Mißachtung der ILO 169 - für die Rechtsstaatlichkeit insgesamt bedeutet, ist offensichtlich.

Auf jeden Fall anerkennt und schützt Peru in der neuen Verfassung von 1993 die ethnische und und kulturelle Vielfalt genauso, wie die kulturellen Manifestationen der pueplos indígenas.

Die Politik Fujimoris richtet sich besonders auf zwei Themenbereiche: das Wirtschaftswachstum und die Guerilla-Bekämpfung.

Letztere Aufgabe dürfte ihm im Juli 1999 durch die Festnahme von Feliciano, dem Anführer des Sendero Luminoso gelungen sein. Wieviele Menschen heute infolge der Terrorbekämpfung unschuldig unter schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den berüchtigten peruanischen Gefägnissen dahinvegetieren, ist ein anderes Kapitel.

In den letzten Jahren wurde Peru durch eine Reihe von neoliberalen Grundsätzen und Bestimmungen zum Eldorado für Öl- und Gaskonzerne und zum Inferno für die Indígenas.
Folgendes wird "angeboten" :

- Erleichterungen und Ausnahmen im Zoll,
- Wettbewerbsfreiheit,
- der Auftragnehmer hat die Möglichkeit, Eigentümer des gesamten
geförderten Öls zu werden,
- Konsolidierung der Verträge aus Steuergründen;
- bei vertraglichen Schwierigkeiten jeglicher Art, besteht die
Möglichkeit vor ein internationales Schiedsgericht zu gehen;
- günstige Bedingungen im Bank- und Versicherungssektor;
- ein Anstieg der Konzessionen;
- die Beseitigung von arbeitsrechtlichen Schutznormen;
- 1995 wird ein Gesetz erlassen, das Privatinvestitionen im Landschaftssektor fördern und dabei auch die Restriktionen beim Verkauf von Ländereien der bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften lockert; usw.

Abgesehen von der staatsrechtlichen Auslegung von "Terrorismus", kommt für die Indígenas im "Gesetzesdekret für das Wachstum der privaten Wirtschaft" noch dazu, daß, wenn z.B. Umweltorganisationen im Interesse der Betroffenen gerichtliche Klagen einreichen, der Kläger, im Falle daß die Klage abgewiesen wird, 'für den zu verantwortlichen Schaden' haften kann.

Diese Bestimmungen bergen natürlich ein enormes Konfliktpotential hinsichtlich des Implementierungsprozesses der ILO169.

Dementsprechend bemängeln die Indígenas immer wieder:

"[...] la ausencia de consulta a las comunidades nativas, cuando se han firmado contratos con las impresas petroleras. Tomando en cuenta que el Peru ratificó el Convenio 169 de la OIT con la RESOLUCION LEGISLATIVA No. 26253 (LEY NACIONAL), y se comprometió a cumplirlo....

[...] Debemos procurar que sigan siendo las comunidades nativas las guardianes de nuestros bosques y de nuestra biodiversidad. Entendemos claramente que es necesario desarrollarnos como país a través de la inversion privada, por lo cual se han dictado normas basadas en la libre competencia y el libre acceso a la actividad economica, pero consideramos permitente que debemos hacerlo de manera sostenible con RESPETO; CONSULTA A PARTICIPCION (RESOLUCION LEGISLATIVA No. 26253 Art. 5, 7, 14, 26) respondiendo a las realidades y a las necesidades de los propios pueblos indígenas sin poner el riesgo a la subsistencia de nuestras generaciones futuras."

Wobei hinzukommt, daß laut IWGIA die Möglichkeit besteht, in Lima die aus der ILO169 resultierende Konsultationspflicht durch die Vorlage einer formaltechnischen Umweltverträglichkkeitsstudie zu umgehen.

Und trotzdem treten die indigenen NGOs immer organisierter auf und können in den letzten Jahren auf eine Reihe von Erfolgen zurückweisen:
- durch die starke Haltung, die die FENAMED (Federación de Comunidades Nativas de Madre Dios) in der Verteidigung der nichtkontaktierten Völker in Madre de Dios eingenommen hat;
- durch die strikte Ablehnung von Arco von seiten der Achuales. Der Ölkonzern war ohne Verhandlungen in ihr Land eingedrungen;
- durch die Aktionen der FECONACO (Federación de Comundidades Nativas del Río Corrientes), die den Ölkonzern OXY wegen der Verschmutzung ihrer Seen und Flüsse anklagte;
- der von den indigenen Organisationen koordinierte Prozeß der Landanerkennung geht - wie das Beispiel der Paranapura und der Ucayali zeigt - effektiv weiter;
- der legislative Versuch, indigene Landforderungen einzubremsen, hatte keinen Erfolg. Trotz Regierungsunterstützung ließ sich keine indigene Gemeinschaft von den latifundistas oder ähnlichen Interessenverbänden zu Verkauf, Landaufteilung oder Hypothek zu überreden;
- AIDESEP, eine Mutterorganisation der amazonischen Indígena-Bewegung, hat erfolgreich mehrere zweisprachige Lehrer ausgebildet und ihre Aktivitäten auf drei dezentralisierte Weiterbildungsprogramme ausgeweitet;

Letzteres trotz der forcierten Ineffizienz der Kommission für zweisprachige Erziehung. Durch die Einstellung von spanischsprechenden Lehrern in indigenen Schulen wurde die Kastilianisierung gefördert.

Zwei Fallbeispiele:

1. Fall: Ölförderung am Río de las Piedras
Am 26. März 1996 erhielt das Konsortium der Öl- und Mineralkonzerne Mobil/Exxon/Elf von der peruanischen Regierung die Konzession, in den Blöcken 77 und 78 Öl-Ressourcen zu erkunden und auszubeuten. Block 7 befindet sich am Río de las Piedras, nordöstlich vom Distrikt Madre de Dios. Block 78 in der zona reserva Tampopata-Candamo, die für ihre reiche Biodiversität bekannt ist. Konsultationen mit den Indígenas fanden keine statt: "Es curioso mencionar que no se realizó consulta alguna con las poblaciones locales, incumpliendo las disposiciones contenidas en el Convenio 169."

2. Fall: Das Camisea-Projekt
Das Camisea-Projekt ist ein von der GfbV-Österreich gut dokumentiertes Beispiel, um nicht nur sämtliche ILO169-Verletzungen aufzuzeigen sondern auch die Art, wie Mineralölkonzerne ihr skrupelloses Vorgehen weltweit rechtfertigen. Im Jahre 1997 führte Shell Probebohrungen in einer reserva der noch nomadisch und "unkontaktiert" lebenden Nahua und Kugapakori durch, die im zentralgelegenen Regenwald Perus seit altersher beheimatet sind. Das Projekt stellte eine enorme Gefahr für die Umwelt und die Gesundheit dieser Völker dar.

Im folgenden möchte ich - wegen des exemplarischen Charakters - auf die einzelnen Verletzungen der ILO 169 eingehen:
(1) Shells Kompensationszahlungen gehen an die peruanische Regierung, während die Nahua und Kugapakori leer ausgehen.

Verletzung der ILO169-Artikel:
15 § 2: "In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, [...] Die betreffenden Völker wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden."

(2) Auch im beim Camisea-Projekt kam es de facto und de jure nicht zu Konsultationen.
Ein Augenzeuge aus der Camisea-Region:
" [...] Sie (Shell) haben dazu beigetragen, interne Differenzen zu verstärken und benützen eine Gruppe, um sei gegen eine andere auszuspielen."
Enrique Ballesteros, Direktor der Comison Andina de Juristas :
"Die Dialoge der Firmen mit der indigenen Bevölkerung beruhen üblicherweise auf Bevormundung, die die Unternehmen begünstigt..."
Verletzung der ILO169-Artikel:
17 § 3: "Personen, die diesen Völkern nicht angehören, sind daran zu hindern, deren Bräuche oder deren Gesetzesunkenntnis auszunutzen, um Eigentums-, Besitz-, oder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu erwerben."

15 § 2: "In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen ihres Landes durchführen oder genehmigen. [..]"

(3) Wie bereits erwähnt, stellte das Projekt für die Bevölkerung eine Gefährdung der Umwelt und deshalb und wegen der eingeschleppten Infektionskrankheiten, auch eine Gefahr ihrer Gesundheit dar.

In einer 100-Seiten-dicken Umweltverträglichkeitsstudie, die von Organisationen erstellt wurde, die naturgemäß keine Erfahrungen mit nicht-kontaktierten Indianern haben und die vom Chef-Anthropologen der Shell mit einem zweifelhaften nulla osta abgesegnet wurde, versuchte die Shell, sämtliche Bedenken der betroffenen Völker zu relativieren.

Verletzung des ILO169-Artikels
7 § 3: "Die Regierungen haben sicherzustellen, daß in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern gegebenenfalls Untersuchungen durchgeführt werden, um die sozialen, geistigen, kulturellen und Umweltauswirkungen geplanter Entwicklungstätigkeiten auf diese Völker zu beurteilen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind als grundlegende Kriterien für die Durchführung dieser Tätigkeiten anzusehen."

(4) "Die Männer aus Camisea gaben an, 'daß es im Camisea-Fluß weniger Fiische gibt, weil die Bohrstelle von Cashiriari 2 das Wasser verschmutzt.' Die Frauen sagten:'Der Fluß ist voller Abfall, Holz und Sand." Shells Antwort darauf: ' Wir werden eine Studie über die sozio-ökonomische Wichtigkeit von Fisch für die eingeborene Gemeinde in Auftrag geben.'"

"Wir sind ein Unternehmen, keine soziale Einrichtung", lautet der O-Ton von Shell. Laut Glattau verstehen die Shell-Manager den immensen Zynismus nicht, daß sie erst die Menschen krank machen und ihnen dann vielleicht ein Spital bauen.

Verletzung der ILO169-Artikel:
2 §1: "Es ist Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung der betreffenden Völker koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen un die Achtung ihrer Unversehrtheit zu gewährleisten."

25 §1: "1.Die Regierungen haben dafür zu sorgen, daß den betreffenden Völkern ausreichende Gesundheitsdienste zugänglich gemacht werden [...]"

Laut neuesten Meldungen soll sich Shell aufgrund des internationalen Drucks aus dem Gebiet des Río Camisea zurückgezogen haben.

Das Oberste Gericht erklärt am 9.2.1998 eine erneute Kandidatur von Präsident Fujimori für eine dritte Amtszeit bei den Präsidantschaftswahlen 2000 für rechtmäßig, obwohl das Verfassungsgericht eine erneute Bewerbung für verfassungswidrig erklärt hatte.

"Peru ist kein Rechtsstaat mehr" Perez de Cuellar, peruanischer Ex-Uno- Generalsekretär, Wien, September 1997.

Quellen:
Glattau (FN220) S.7 ff
Fischer Weltalmanach '99: Peru, S.576
Tomei/Swepston (FN10)
Rossbach (Fn94)

7. Honduras .: oben :.
Mit dem Amtsantritt von Carlos Roberto Reina, ehemals Vorsitzender des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, scheint die Präsidialrepublik Honduras in eine neue Ära eingetreten zu sein, die seit Januar 1998 mit Präsident Carlos Roberto Flores Facussé fortgesetzt wird.
Unter der Regierung Reinas fanden eine Reihe menschenrechtsrelevanter Reformen statt: z.B. die Reform der Staatsanwaltschaft, die Auflösung der DNI (Dirección Nacional de Investigaciones), einer dem Militär unterstellten Kriminalpolizei, die in der Vergangenheit in zahlreichen Menschenrechtsverletzungen verwickelt war, eine verfassungsmäßige Stärkung des Mandats der Behörde des national Beauftragten für den Schutz der Menschenrechte und die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht.
Präsident Flores führte die Entmilitarisierungspolitik fort. Seit Januar 1999 steht die honduranische Armee unter dem Oberbefehl des Präsidenten. Um die Putschgefahr zu bannen, wurden höchstdiplomatisch auf militärischer Ebene einige wichtige personelle Veränderungen vorgenommen. In Honduras gehört das Militär, das auch im Waffen- und Drogenschmuggel aktiv ist, zu den größten Wirtschaftskonsortien des Landes.
Im Jahre 1995 kam die neue Verfassung heraus, die sich jedoch nur in einer allgemeinen Form an die Indígenas richtet:
Artikel 173 weist kurz auf die Pflicht des Staates hin, "die indigene Kultur zu schützen und zu fördern"

Honduras hat im März des Jahres 1995 die ILO 169 unterzeichnet.

Im selben Jahr hielten die Lencas einen Protestmarsch auf die Hauptstadt Tegucigalpa ab um eine Kampagne für die Rechte indigener Völker zu initiieren. Weitere indigene Völker schlossen sich dem Marsch an, der wegen seines friedlichen und christlichen Charakters eine "Wallfahrt" genannt wurde. Vor den Toren des Regierungsgebäudes begannen doe Indígenas mit einem Hungerstreik, wobei sie Land, Gesundheitsfürsorge, Ausbildung und Infrastrukturen forderten.
Postulate, die ihnen durch die Ratifizierung der ILO 169 zustehen. Die Regierung machte schließlich Zugeständnisse.
Da sie sich aber nicht an die Abmachungen hielt, folgten in den Jahren 1995 und 1996 weitere Protestmärsche, die unter Präsident Reina zur Schaffung des Öffentlichen Anklagebüros für ethnische Gruppen führte, eine Institution, die die Wahrung der Rechte indigener Völker überwachen sollte. Trotz guter Absicht zeigte sich in den darauffolgenden Jahren, daß dadurch kein wirklicher Schutz für die Indígenas gewährleistet wurde.

Zwei Fallbeispiele :
1.Fall
Im Jahre 1996 kam es zu ernsten Konflikten zwischen den Tawahkas, die im Tawahka Asangni Reservat, einem der wichtigsten mittelamerika-nischen Regenwälder leben und den ladinos und mestizos der Umgebung, die wiederholt die Grenzen des Reservats mißachtet hatten. Obwohl die Indígenas vom Öffentlichen Anklagebüro für ethnische Gruppen in ihren Landansprüchen unterstützt wurden, bekamen die Anführer der Tawahkas Morddrohungen.
Es gibt in der Region keine militärische oder zivile Präsenz, die den Indígenas Sicherheit und Schutz gewähren könnte.

2.Fall
Die Chortíes leben im Westen zur guatemaltekischen Grenze hin. Seit langer Zeit und zuletzt mit Unterstützung des Öffentlichen Anklagebüro für ethnische Gruppen, fordern die Indígenas, daß ihnen die latifundistas der Umgebung ihr Land zurückgeben. Für seinen Einsatz wurde einer ihrer Anführer durch mehrere Schüsse und Machetenhiebe am 17.April ermordet. Nicht genug, schnitt man ihm noch den langen Bart und die Haare ab. Ein feiger Mord, dem die Regierung machtlos gegenüberstand.

Vom 13. bis 14. Oktober 1997 fand in Tegucigalpa der erste Kongreß der Ureinwohner Zentralamerikas statt, an dem Vertreter von 56 Urein-wohnerverbänden und von Staaten der Region teilnehmen. Gefordert wurden vor allem die Einbeziehung der Ureinwohner in die Entwicklungsprogramme der Region, die Ratifizierung bzw. Umsetzung der ILO 169 und die friedliche Koexistenz unter gleichberechtigten Bedingungen.

Quellen:
- Fischer Weltalmanach '99: Honduras, S.327ff
- IWGIA, The Indigenous World 1997, S.64ff
- http://www.amnesty.de/berichte/amr37/anliegen.htm (28.11.99)
- Schönherr, V., "Kraftprobe vorerst bestanden" in: Lateinamerika
Nachrichten 303/304 (September/Oktober 1999)

8. Guatemala .: oben :.
In der Heimat von Rigoberta Menchú Tum , Friedensnobelpreisträgerin von 1992, sind 60 Prozent der Bevölkerung Indígenas, hauptsächlich Nachkommen der Maya. Die größten Völker sind die Kiché, die Mam, die Kekchí und die Kaqchikel.

Das Land zählt zu den ärmsten Lateinamerikas:
- 85% des Bodens gehören 2% der Bevölkerung;
- 82% der Kinder leiden an Unterernährung;
- 80% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze;
- 50% der Kinder werden kaum älter als fünf Jahre;

Die Geschichte der Indígenas Guatemalas ist die Geschichte ihrer Unterdrückung, die Mitte des 16. Jahrhunderts mit der spanischen Eroberung Mittel- und Südamerikas begann und nachwievor fortdauert.

Ende 20. Jahrhundert
Reiche ladinos aus der Kaffe-Branche rauben den Indígenas mit Unterstützung ausländischer Wirtschaftskreise das kommunale Land, das ihnen anch der Unabhängigkeit zugesprochen wurde.

1934
General Ubico (1931-1944) erläßt das Gesetz gegen Vagantentum:
Jeder Indígena ohne Land wird als "faul" erklärt und darf deshalb zur Zwangsarbeit in den Kaffeeplantagen der neuen Machthaber verurteilt werden. Dieses System hält sich bis in die Mitte des XX.Jahrhunderts

1944
Bürgerliche Revolution und knapp 10jährige demokratische Blütezeit Guatemalas. Es entstehen erste Volksorganisationen (Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Vereinigungen indigener campesinos) und das Gesetz zur Agrarreform beschließt die Umverteilung des Landes
Davon ist auch der US-Konzern "United Fruit Company" betroffen.

1954
Armeeputsch mit Hilfe der latifundistas, des amerikanischen Außenministeriums, der CIA und der US-Army .
DieAgrarreform und soziale Errungenschaften werden zurückgenommen.

1960
Beginn der Periode des Schreckens - "Politik der verbrannten Erde"

1985
Die neue Verfassung richtet sich an die Indígenas und bestimmt ihre Rechte

1994
Friedensprozeß von Oslo unter UN-Mediation

1995
31.März: das Abkommen über Identität und Rechte der Indigenen Völker wird von Regierung und URNG (Guatemaltekischen Nationalen Revolutionären Einheit) unterzeichnet. Die ILO nahm auf Wunsch der UNO an den Verhandlungen teil. Das Abkommen baut auf der ILO 169 auf.

1996
Juni: Ratifizierung der ILO 169
26.Dezember: Präsident Arzú und die vier in der URNG zusammengeschlossenen Guerillabewegungen beenden mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages 36 Jahre Bürgerkrieg. Die Angst vor einer militärischen Intervention bleibt aufrecht.
Ein Amnestiegesetz sichert - mit Ausnahme für Genozid - für alle Verbrechen Straffreiheit zu. (Die Wahrheitskommission wird sich später dagegenstellen)

1998
Aufgrund des begrenzten Mandats der Wahrheitskommission veranlaßt die katholische Kirche Guatemalas eine eigene Untersuchung "Guatemala: Nunca más!", deren Ergebnis am 24. April von Bischof Juan Gerardi vorgestellt wird. Dafür bezahlt er zwei Tage später mit dem Leben.

1999
25. Februar: die "Kommission für die historische Aufklärung", kurz Wahrheitskommission, die der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat sowie die Guatemalteken Alfredo Balsells und Otilia de Cotí im Auftrag der UNO leiten, legt ihre Ergebnisse vor:
- 200 000 Ermordete - über 80% Indígenas
- 93% der MR-Verletzungen wurden vom Militär verübt
- 3% von der Guerilla
Tomuschat spricht klar über die Verantwortung des Staates für den Völkermord an den Indígenas und über die Rolle der USA.

16. Juni: das Volksreferendum für ein "multiethnisches, plurikulturelles und vielsprachiges" Guatemala scheitert. Bei einer Wahlbeteiligung von 18,6 Prozent stimmen 53 Prozent gegen eine Reform.

7. November: Ironie des Schicksals!? Bei den Parlamentswahlen liegt die FRG (Republikanische Front) klar vorn. Es ist die Partei des früheren Diktators Efraín Ríos Montt, der die "Politik der verbrannten Erde" auf ihren Höhepunkt gebracht hatte. Alfonso Portillo, Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen FRG, war Juradozent und Guerillero.

Die ILO und die ILO169 spielen in Guatemala seit dem Beginn der Friedensverhandlungen ein wichtige Rolle:

Seit April 1995 unterstützt die ILO mit dem Kooperationsprojekt "Indigene und in Stämmen lebende Völker: Armutslinderung und Demokratisierung" indigene Organisationen und Gruppen in rechtlichen Belängen, in Ausbildungs- und Entwicklungsarbeit, um ihre Ansichten in Aktivitäten, die sich auf den Friedensprozeß beziehen, effizienter vorzubringen.

"Another goal of the project is to establish conditions and opportunitiesfor the analysis and debate between the State, indigenous peoples, and other social parties of issues of concern to indigenous peoples."

Doch allein das Scheitern des Plebiszits von 1999 zeigt, wie man von einer Verwirklichung der Prinzipien der ILO 169 noch weit entfernt ist.

Bei der Volksabstimmung, die 50 Verfassungsreformen betraf, ging es um die offizielle Anerkennung der guatemaltekischen Indígenas, um eine Reform der Legislative, Exekutive und Justiz und um die Machteinschränkung der Armee. Dei Verfassungsänderungen waren im Herbst 1998 bereits vom Kongreß verabschiedet worden und sollten jetz legalisiert werden.
Dabei gibt es für das Scheitern mehrere Gründe, die auch von der Mißachtung sämtlicher ILO160-Prinzipien zeugen:

(1) Der fehlende politische Wille der Regierung, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen.

(2) Auch wenn in den ländlichen Gebieten das "Ja" gesiegt hat, läßt sich die niedrige Wahlbeteiligung hauptsächlich auf die hohe Analphabetenrate (70%) zurückführen. Ein großer Teil der Indígenas ist des Spanischen nicht mächtig.

(3) Normalerweise werden die Leute gratis in die Wahlokale gebracht, die es nur in den Städten und größeren Ortschaften gibt. Beim Plebiszit wurde niemand zu den Urnen gebracht. Deshalb wählten die Indígenas lieber nicht, als ein, zwei Arbeitstage zu verlieren; dazu kommen die Ausgaben für Transport und Verpflegung.

(4) "Den Leuten hätte zuerst erklärt werden müssen, was die Verfassung überhaupt ist und was diese Veränderungen bedeuten, und zwar in einer allgemeinen, populären Form. Das bedeutet, daß das Wissen über die Vorteile der Reformen die Leute nicht erreichte."

(5) Noch immer ist ein beträchtlicher Teil der GuatemaltekInnen, die laut Verfassung wahlberechtigt wären, nicht in die Wählerverzeichnisse aufgenommen und sind somit ausgeschlossen.

Über OILWATCH bin ich auch auf ein "klassisches" Fallbeispiel gestoßen, wenn dies auch in dem eben gezeichneten Rahmen fast schon sarkastisch anmutet.

Fallbeispiel:
Die Regierung Guatemalas bestimmte im Juli 1998 zwei Gebiete, die sich in der reserva der Maya im Departemento Petén befinden und fast 300 000 ha umfassen, für Erdölbohrungen durch ausländische Unternehmen. Die Region beherbergt den größten und bedeutendsten tropischen Regenwald in Guatemala.
Dabei wurden bereits 65% der ursprünglichen Waldfläche Guatemalas in den 70er und 80er Jahren abgehozt und zerstört.
In einer Petition an die staatliche Umweltbehörde, an das Ministerium für Energie und Bergbau und an ausländische Erdölfirmen, haben die Gemeinden Carmelita und Uaxactun ein Informations- und Mitspracherecht gefordert.
Darauf hat nun das guatemaltekische Militär angekündigt, in den Gemeinden zwei Milizeinheiten zu stationieren.
Laut RFA/Oilwatch Wien verletzt dieser Schritt in Geist und Schrift das Friedensabkommen von 1996, wo festgehalten wurde, daß die Rolle des Militärs im Landesinnern eingeschränkt und auf die Kontrolle der Außengrenzen Guatemalas konzentriert werden soll.

Quellen:
- Rathgeber, T.,"Der Bericht der Wahrheitskommission" in: pogrom 203/ Juli/August 1999, S.39ff
- Turetschek, F., "Guatemala - ein Land auf dem Weg zum Frieden?" in: rainforest news Nr.1/1999, S.7ff
- Interview mit Frank LaRue vom CALDH (Centro de Acción Legal para los Derechos Humanos), "Durch den Friedensprozeß hat sich noch zu wenig geändert" in: Lateinamerika Nachrichten 298/April 1999, S.30ff
- Hatzky, Ch.,"Sonst läuft die Haushälterin davon" in: Lateinamerika Nachrichten 300/Juni 1999, S.43ff
- Tomei/Swepston, Indigenous and Tribal Peoples: A Guide o ILO Convention Nr. 169 (1996)
- Interview mit Nery Macz Koester vom Menschenrechtsbüro der Erzdiözese Guatemala - aus: Stimpfl, M., "Sehr abstrakte Sachen" in: SÜDWIND (Oktober 1999)
- Schönherr, V.,"Guatemala biegt rechts ab" in: Lateinamerika Nachrichten 306/Dezember 1999, S.16
- Fischer Weltalmanach 1999: Gautemala, S.328ff

9. Ecuador. Indigenen Emanzipation .: oben :.
Das Jahr 1998 war ein denkwürdiges Jahr für die indigenen Völker Ecuadors: nach jahrzehntelangen friedlichen Kämpfen und einem bemerkenswerten Prozeß der Emanzipation, die anfangs der 90er Jahre zu levantamientos und movilizaciónes mit Hunderttausenden Indígenas führten, die immer wieder gegen die Hauptstadt Quito marschierten und das ganze Land lahmlegten und nach all den leeren Versprechungen der Regierung, wurde in jenem Jahr endlich die neue Verfassung verabschiedet, die sich direkt an die Indígenas und ihre Rechte richteten.
Im Mai desselben Jahres hat Ecuador als vorerst letztes Land die ILO 169 ratifiziert.
Leider fehlt es noch überall an der Umsetzung der Reformen.

Dafür ist es nachwievor erstaunlich, daß "die Indígena-Organisationen trotz aller internen Schwierigkeiten und Widersprüche derzeit die bestorganisierte Oppositionskraft im Land sind."

Am 19. Mai1996 wurde Luis Macas, langjähriger Präsident der CONFENIAE (Confederación de Nacionalidades Indígenas de la Amazonía Ecuatoriana) als erster Indígena in Ecuadors nationales Parlament gewählt. Mit der Bewegung Pachakutik (Nuevo país) schafften drei weitere Indígenas den Sprung in drei Landesparlamente.

Die Rechte der Indígenas Ecuadors in der neuen Verfassung
Artikel 1
Neben dem Kastillianischen als offizielle Landessprache, werden Quichua, Shuar und die übrigen von altersher gesprochenen Sprachen offiziell anerkannt "en los términos que fija la ley"

Artikel 23, Abs. 3
garantiert die Gleichberechtigung ohne Unterschiede.

Artikel 24, Abs. 10
setzt ausdrücklich fest, daß der Staat "defensores Públicos para el patrocinio de las comunidades indígenas [...]" einstellt.

Artikel 44
anerkennt, respektiert und fördert die traditionelle und alternative Medizin.

Artikel 60
sieht eine spezielle Sozialversicherung für die campesinos, die pescadores artesanales und die Landbevölkerung vor.

Artikel 62
Schutz der plurikulturellen und multiethnischen Identität.

Artikel 68
bestimmt, daß das nationale Erziehungssystem durch eine dezentralisierte Verwaltung Unterrichtsprogramme vorsieht, die an die unterschiedlichen, kulturellen Gegebenheiten angepaßt werden.

Artikel 69
garantiert die zweisprachige Erziehung.

Artikel 83
bestimmt, daß die indigenen Völker, "que se autodefinen como nacionalidades de raíces ancestrales" und die schwarzen und afroecuatorianischen Völker einen Teil vom einzigen und unteilbaren Staat Ecuador formen.

Artikel 84
determiniert die kollektiven Rechte der Indígenas:
1. Schutz, Entwicklung und Stärkung der spirituellen, kulturellen, linguistischen, sozialen, politischen und ökonomischen Identität und Tradition.
2. Die gemeinsamen Länder der Indígenas sind unteilbar, unverjährbar, unveräußerlich und unbeschlagnahmbar - außer "la facultad del Estado para declarar su utilidad pública"
3. Die gesetzeskonforme, unentgeltliche Anerkennung der traditionellen Länder der Indígenas wird festgesetzt.
4. Das Partizipationsrecht an den natürlichen, erneuerbaren und unterirdischen Ressourcen wird garantiert.
5. Betrifft die ILO169-konforme Konsultationspflicht.
6. Betrifft den Erhalt und die Förderung der Biodiversität.
7. Erhalt und Förderung der traditionellen Formen des Zusammenlebens, der Verwaltung und der Organisation.
8. Verbot der Versetzung eines indigenen Volkes.
9. 10. und 12. Betreffen den Schutz und die Förderung des intellektuellen und historischen Eigentums
13. Verspricht die staatliche Unterstützung der ökonomischen und sozialen Position der Indígenas.
14. Garantiert die Bürgerbeteiligung der Indígenas.
15. Erlaubt den Gebrauch von Identifikationsmerkmalen.

Artikel 191, Paragraph 4
garantiert die traditionallen Rechtssprechung der Indígenas, sofern sie mit den nationalen Gesetzen kompatibel ist.

Artikel 240
determiniert ein spezielles Programm für die Amazonasregionen zur Unterstützung der regionalen Entwicklung und dem Erhalt der Biodiversität.

Artikel 224
Der Staat verspricht eigene indigene und afroecuatorianische Verwaltungsbezirke ("circunscripciones territoriales indígenas y afroecuatorianos") zu errichten.

Artikel 245
anerkennt und reguliert auch die Unternehmen die in gemeinschaftlicher Form gemäß der indigenen Tradition geführt werden.

Artikel 267 § 2
sieht Maßnahmen zur Ausmerzung der ländlichen Armut vor.

Der Fluch des schwarzen Goldes
Von allen Ländern Südamerikas verschwindet in Ecuador der Regenwald am schnellsten. Eine der Hauptursachen ist die Förderung von Erdöl im oriente, im östlichen Amazonasbecken des Landes. Mit der ersten Konzession zur Erdölausbeutung an das US-Konsortium Texaco-Gulf im Jahre 1964, nahm die Umweltkatastrophe ihren Anfang. Rund ein Drittel des oriente ist inzwischen in Blöcke aufgeteilt und an rund 30 hauptsächlich amerikanischen , aber auch an europäischen Konzernen wie Elf Aquitaine (F), Agip (I) und BP (GB) vergeben.

Die Folgen für die Chachí, Shuar, Achuar, Cofán, Awa, Quichua, Siona Secoya, Tsa'chila, Huaorani und Epera die im Regenwald seit jeher leben und an die 150.000 Menschen zählen, sind fatal.

"Im Herbst 1993 haben Us-Anwälte in Vertretung ecuatorianischer Regenwaldindianer vor einem New Yorker Bundesgericht 1 Milliarde Dollar eingeklagt, als Schadenersatz für die 25 Jahre währende Verseuchung des Regenwaldes mit Öl-Abfällen durch die Texaco. Die Texaco soll wissentlich und systematisch über 20 Jahre hindurch Ölabfälle in Seen und offenen Gruben deponiert haben. Die geförderten Formationswässer wurden direkt in die Flüsse geleitet (ca. 16 Mio l täglich) und mit den Wässern etwa um die 10.000 l Rohöl am Tag." (1 Liter Öl verseucht eine Million Liter Flußwasser und tötet darin alles Leben ab.)

Besonders Texaco hat durch die Verwendung von Billigtechnologie und der Unterlassung von Sanierungsmaßnahmen ein apokalyptisches Umweltszenario hinterlassen. Heute trifft man in den nördlichen Provinzen Sucumbíos und Napo fortlaufend auf schwarze Auffangbecken und verseuchte, dickflüssige Gewässer.

Um für die Erdölaubeutung die "Zustimmung" der Indígenas zu erlangen, werden heute oft noch säckeweise Lebensmittel, Wellblechdächer, Außenbordmotoren verschenkt, werden Fußballplätze und der Bau von Schulen versprochen. Oft kommt noch ein kleines Päckchen Dollarschein dazu. Migajas, Brotkrümel, sagen die kritischen Kreise Ecuadors dazu, denkt man an die Milliardengewinne, die die Konzerne einstreichen.

Nachwievor existieren für die Erdölexploration und -förderung keine international verbindlichen Standards. Von internationalen Organisationen wie dem E&p Forum (Exploration and Production Forum) der erdölfördernden Industrie wurden lediglich Richtlinien mit appellativen Charakter für eine umweltverträgliche Erdölförderung in den tropischen Regenwäldern aufgestellt. Für jede Stufe der Exploration und Produktion werden Maßnahmen eines umweltschonenden Erdölabbaus aufgezeigt.

Das nationale Erdölgesetz (Ley de Hidrocarburos), das seit 1932 öfters reformiert wurde, erklärt die Bodenschätze zum Staatseigentum und legt das System der Konzessionsvergabe fest.

"Der Staat, vertreten durch den Nationalbetrieb Petroecuador, authorisiert folgende Vertragsarten: Kooperationsverträge (joint venture), Risikoverträge (risk service) und Beteiligungsverträge (participating contracts). Firmen, die einen dieser Verträge mit Petroecuador unterschreiben, müssen Zugangsrechte, Ertragsanteile, Zuschüsse für den staatlichen Bildungssektor, Abgaben für die Pipeline, Benutzung und Beiträge zu öffentlichen Einrichtungen in den betroffenen Regionen leisten. Die ecuadorianische Regierung behält sich vor, Preis und Kosten für den einheimischen Verbrauch festzulegen. [...] Die Vertragsgestaltung erlaubt den transnationalen Erdölkonzernen eine kostengünstigere Produktion als in den meisten OPEC-Staaten."

Bis in die 90er Jahre waren die Umweltgesetze so allgemein formuliert, daß die mächtigste Industrie des Landes sie als faktisch nicht existent betrachten konnte.
Seit 1992 sind die Firmen verpflichtet, eine Umweltverträglich-keitsprüfung vor der Probebohrung erstellen zu lassen und einen Umweltmanagementplan abzufassen. Umweltrechtlich ist das Gesetz über Forst- und Naturschutzgebiete von 1990 zu erwähnen, das in den Naturschutzgebieten jede Art von Umweltverschmutzung unabhängig von ihrem Ziel verbietet.
Seit 1995 existiert auch das Umweltreglement für die Erdöloperationen in Ecuador (Reglamento Ambiental para las Operaciones Hidrocarburíferas en el Ecuador), das von der Umweltberatungsorganisation der Regierung und dem Sekretariat für Umwelt des Ministeriums für Energie und Minen herausgegeben wurde.
Aber nach dem, was ich vor Ort gesehen und gehört habe, ist man auch 1999 von einer Umsetzung der Reformen und der effektiven Beachtung von Umweltregeln noch meilenweit entfernt.

Heute schicken die Erdölkonzerne Anthropologen, Ethnologen und Psychologen in den Regenwald, die versuchen, die jeweilige Gemeinschaft zu spalten und irgendwann einen Verantwortlichen zu einer schriftlichen Zustimmung zu bewegen, die sein Schicksal und das seines Volkes besiegelt. Oft sind die Abkommen mit den Ölgesellschaften nicht einmal schriftlich festgehalten und diese fühlen sich nicht zur Einhaltung verpflichtet.

Nach der ersten Explorationsphase, für die schon viele Hektar Wald und die Tiere der Umgebung verschwinden (allein für einen Hubschrauberlandeplatz braucht es ca. 1ha Waldfläche), beginnt der Straßenbau. Das bereits verseuchte Ökosystem wird so unterbrochen. Siedler, Holzfäller, Spekulanten beginnen mit Waldrodungen.Krankheiten werden eingeschleppt. Gewalt kommt auf. Durch das Aufeinanderprallen der industriellen mit der indigenen Welt entstehen soziokulturelle konflikte. Miserable Arbeitsbedingungen, die häufige Unmöglichkeit, zur Gemeinschaft und zur traditionellen Subsistenzwirtschaft zurückzukehren tragen meist zur Entwurzelung, Abhängigkeit und Armut der Indígenas bei.

Obwohl Ecuador reiche Erdölvorkommen besitzt, zählt es heute zu den ärmsten Ländern Südamerikas. Warum?

1. Anfangs besaßen nur die Erdölkonzerne Technologie und ausreichend Kapital um das Öl zu fördern und hatten praktisch freie Hand bei der Gestaltug von Konzessionsverträgen.
2. Von den Erdöleinnahmen profitierten hauptsächlich die Armee und die staatliche Ölfirma Petroecuador. Der soziale Sektor und die Landwirtschaft wurden stark vernachlässigt.
3.Das faktische Scheitern der OPEC und die niedrigen Weltmarktpreise des Erdöls gaben der Wirtschaft den Rest und ließen die Wirtschaftsfalle zuklappen.

Eine Fallstudie: Yunganza - eine Shuar-Gemeinde und ihre Landrechte
Die Shuar stellen mit 60.000 Personen die größte nacionalidad des Amazonasraumes dar und wurden nie militärisch besiegt. Erst den Salesianern gelang es im 20.Jahrhundert, ihre traditionelle Kultur weitgehend zu zerstören und den weg für die Einflußnahme des Nationalstaates zu ebnen. Doch waren es auch die Salesianer, die 1964 die Federación Shuar-Achuar zu gründen halfen, deren Hauptanliegen heute die Legalisierung der Landtitel ist. Die Federación verfügt derzeit über globale Titel (d.h. gemeinschaftlichen Besitz) von 1,7 Mill. ha, sowie de facto über eine weitreichende juristische Autonomie.

Die Shuar-Gemeinde Yunganza, die in der Provinz Morona Santiago liegt, umfaßt 480 Bewohner und verfügt über ein eingetragenes Territorium von ca. 1.700 ha. Innerhalb einer Dekade hatte sie 70 Prozent ihres landes verloren, was für die Gruppe eine lähmende Erfahrung war.
Der Verlauf dieses Verlustes, der seine Ursache in der unterschiedlichen Konzeption von "Landrecht" zwischen Nationalstaat und indigenen Völkern hat, vollzieht sich mit geringen Variationen meist in fünf Schritten:

1. Der Indígena, der seit jeher über große Territorien verfügt, bebaut sein Land auf traditionelle, umweltschonende Weise. Er nutzt das Gebiet seit Jahrhunderten und der Besitz von Land ist in seiner Kosmovision nicht vorgesehen. Daher ist auch der Besitz von "Landtiteln" eine dem Indígena fremdes Gedankengut, dessen Notwendigkeit für sein (Über-)Leben im Nationalstaat er (beinahe) zu spät erkannt hat.

2. Teilweise von der Regierung unterstützt, nahmen die colónos, arme landlose Mestizen, das "Brachland" (tierras baldías) in Besitz und ließen dieses Land, das keineswegs brach lag, auf ihren Namen eintragen. Somit galten sie vor dem Staat als rechtmäßige Besitzer.

3. Wenn die Indígena-Familie, welche das Nutzungsrecht auf diese Gebiete hatte, ihre Ansprüche formulierte, erntete sie zumeist Verachtung. Der vom Staat verliehene Landtitel lautete auf den namen des colono.

4. Nun beginnt der für den Indígena ungewohnte Rechtsstreit gegen eine fremde "Zivilisation". Es gibt keine indigenen Anwälte, die Weißen lassen sich ihre Dienste hoch bezahlen und stehen oft "auf der anderen Seite". Die Prozesse sind langwierig und teuer, die Beweisfindung ist kompliziert und die Haltung der Gerichte und aller sonstigen Beteiligten permanent von der allgegenwärtigen Diskriminierung der lateinamerikanischen Ureinwohner geprägt.

5. Durch Fristversäumnisse, hohe Prozeß- und Verfahrenskosten sowie enorme psychische und physische Belastungen verlieren viele der Indígenas ihre Rechte. Die Verkehrsmittel sind schlecht oder inexistent, die Gerichtsständeoft in entlegenen Städten. Da der Shuar traditionell kaum Vorräte anlegt, stürzt er zudem durch eine lange Abwesenheit die Familie daheim in eine bedrohliche Lage.

So ensteht der Landverlust. Oft geht es viel schneller: Sprachbarrieren, mangelnde Ausbildung und Information, fehlende finanzielle Mittel lassen es oft gar nicht zu Punkt 5 kommen.

"Die Entwicklung des Volkes in sozialer, spiritueller und kultureller Hinsicht hängt von seinem Land ab und ein nicht gerechtfertigter, unverständlicher Verlust führt zu schwerwiegenden Folgen in der sozialen Struktur eines Volkes. Es ist, als sage man zum Shuar : ‘Du und die Wälder müssen von hier verschwinden!"

Um ihr Überleben zu sichern, hatte sich die Gemeinde Yunganza der FICSHA angeschlossen, um in einem "Mehrfrontenkampf" den externen Einfluß und die Besitznahme von Gemeindegründen durch Siedler zu verhindern.
In Sommer 1993 wurde Yunganza vor Gericht endlich der "Titulo Común y Global" zuerkannt; d.h. das Gemeindeland gehört nun allen ansässigen Shuar und ist nicht veräußerbar.
Für die Umsetzung bleibt jedoch ein langer bürokratischer und konfliktreicher Weg, zumal es mehrere Hemmfaktiren zu überwinden gilt: z.B. der Bau der Straße von Cuenca nach Macas.

Die Straße, die als fortschrittliches Kommunikationsmittel gepriesen wurde, hatte für die marginalisierte indigene Regenwaldbevölkerung nur negative Folgen:
- bei der Planung der Straße wurden weder die Anrainer (Shuar) befragt,
noch ökologische Gegebenheiten berücksichtigt;
- von den ursprünglich 5.000 ha Land gingen innerhalb zehn Jahre 70%
verloren;
- die Invasion der colonos führte zudem zu Abhozlung und Kahlschlag
des Regenwaldes, zu intensiver völlig inadäquater land- und
Viehwirtschaft;
- die einzelnen Faktoren führten oftmals zur Zerstörung der
soziokulturellen Familienstruktur der Shuar;

"Die Erhaltung des Amazonasbeckens ist eine moralische Verpflichtung der ganzen Menschheit. Um sie zu gewährleisten, müssen die indigenen Völker, welche Amazonien bewohnen, ihre (Land-)Rechte zuerkannt erhalten, denn sie sind die Garanten für ein Überleben Amazoniens."

Indigene Rechte, Ökologie und Erdölausbeutung. Einige Fallbeispiele .: oben :.
Was die Erdölausbeutung betrifft, so wird sich wohl eher schwerlich ein Beispiel finden, bei dem das Erdöl rechtmäßig und halbwegs umwelt- bzw. sozialverträglich ausgebeutet wurde.
Nimmt man den Zeitraum nach 1998 her, also die Zeit nach der neuen Verfassung und der Ratifizierung der ILO 169, so kann ich von einem Fall bezeugen, der sich in der Provinz Pastaza, im Shuar -Territorium Yavintz zugetragen hat: Unser Freund und Begleiter Tsamaraint Naychap' zeigte uns die Stelle, wo vor kurzem Arbeiter bzw. Geologen eines Erdölkonzerns illegal in ihr Land eingedrungen waren (Verstoß gegen Art.18 der ILO 169) und eine Schneise angelegt hatte, was auf einen Pipelinebau hindeutet. Natürlich wurden die Shuar nicht konsultiert (Verstoß gegen Art.17 der ILO 169).

Die Nachbarn der Shuar der Region Pastaza, die Huaorani, hatten - den Shuar zufolge - ein großes Landstück um ein paar Säcke Lebensmittel für die Erdölausbeutung hergegeben (Verstoß gegen Art. 17,3 der ILO 169). Anscheinend war auch Geld im Spiel.

"Schon James Yost, Anthropologe und Berater der Conoco hat aufgezeigt, daß die Huaorani zum Untergang verurteilt wären, wenn sie von ihrer traditionellen Wirtschaftsweise abgetrennt und gezwungen würden, sich der nationalen Kultur unterzuordnen...
Ich bin im oriente ein paar Mal auf Huaos gestoßen und kann die Prophezeiung traurigerweise bestätigen"

Erst im Herbst 1999 "verkauften" Vertreter der Siona-Secoya ihr Land an einen Erdölkonzern, obwohl die ecuadorianische Umwelt-NGO Acción Ecologica, die Oilwatch International angegliedert ist, die Indígenas auf die fatalen Folgen ihres Handelns hingewiesen hat. "Nun sind wir reich", war die Antwort.

Grenzkrieg Peru-Ecuador
Bei unserem Aufenthalt bei den Shuar wurden wir oft von zwei Soldaten begleitet, beide Shuar mit Kriegserfahrung im Grenzstreit gegen Peru. Der Kampf und die unmenschliche Ausbildung hatte diese Indígenas ziemlich abgestumpft. Im Urwaldkampf konnte Ecuador, ebenso wie Peru, nicht auf die Indígenas verzichten. In beiden Ländern leben Shuar. So kam es, daß die Shuar, denen Grenzen wenig bedeuten, auf ihre eigenen hermanos schiessen mußten. Als der Krieg vorbei war, bekamen die Indígenas nur einen Bruchteil der Entschädigungen, die den nichtindigenen Soldaten zuteil wurde. Daß sie überhaupt etwas bekamen, ist wohl auf die Angst des Staates vor einem Aufstand der Indígenas zurückzuführen. Im Herbst 1999 wurde der Grenzstreit beendet.


5. DIE ILO-KONVENTION NR.169 IN EUROPA .: oben :.
5.1 Chancen und Auswirkungen auf die internationale Entwicklungszusammenarbeit
Im Februar 1998 haben die Niederlande als erstes europäische Land ohne indigenous and tribal peoples die ILO 169 ratifiziert.
Damit stünde die Tür für weitere Anwärter offen, nachdem in früheren Jahren westliche Industrienationen, darunter auch die Bundesrepublik stets darauf verwiesen haben, daß sie von dem Abkommen nicht berührt würden, da auf ihrem Territorium keine indigenen Völker leben.
Verschiedene internationale Entwicklungen und Ereignisse wie das Jahr 1993, das unter dem Motto "Eine neue Partnerschaft" von der UNO zum "Jahr der indigenen Völker" ausgerufen wurde und das Jahr1994, in dem am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, der Startschuß für die "Internationale Dekade der Indigenen Völker" fiel, die "die internationale Kooperation forcieren soll", haben dazu beigetragen, einen neuen Sinneswandel einzuleiten:

"An objective of the Decade is the promotion and protection of the rights of indigenous people and their empowement to make choices which enable them to retain their cultural identity while participating in political, economic and social life, with full respect for their cultural values, languages, traditions and forms of social organization."

Dementsprechend wertet die ILO den ILO 169-Beitritt als einen Akt der Solidarität gegenüber indigenen Völkern:

"Ratification ... would mean an expression of solidarity towards indigenous and tribal peoples. The principles of the Convention could also guide and influence the aid or development policies and programmes promoted and implemented by these countries in support of indigenous and tribal peoples"

Für eine Ratifizierung durch europäische Staaten ohne indigenen Bevölkerungsanteil spricht grundsätzlich die Tatsache, daß die Beziehung indigener Völker zu ihrem Lebensraum eine menschenrechtliche Frage und somit nicht allein die innere Angelegenheit irgendeines Staates ist.
Im Rahmen der internationalen Vernetzung, der Globalisierung, können westliche Staaten sehr wohl den Lebensraum und das Schicksal indigener Völker beeinflussen.
Abgesehen von anderen internationalen wirtschaftlichen Kooperationsformen hat besonders die Ressourcenausbeutung in Form von Regenwaldrodung (Tropenholzexport), Erdöl- und Gasförderung und der Abbau der Edelmetalle fatale Folgen für die indigenen Völker in den Ländern des Südens. Durch die Zerstörung ihres Lebensraumes (Ökozid), ihrer Lebensweise (Ethnozid) oder gar Völkermord (Genozid) droht diesen Völkern der endgültige Untergang .
Die Rechte indigener Völker werden oftmals durch Infrastrukturmaßnahmen (z.B. der Bau von Kraftwerken) oder die wirtschaftliche Erschließung ihres Lebensraumes (Plantagenwirtschaft) auf internationaler Ebene verletzt. Die finanziellen Mittel und das technische Know-how für diese Projekte stammen meist aus europäischen Ländern.
Viele europäische Regierungen geben vor, die ökologische Vielfalt schützen zu wollen, weigern sich aber, auf internationaler Ebene ein Dokument zu unterzeichnen, das die Rechte der indigenen Völker, die wichtige Garanten weltweiter Biodiversität sind, anzuerkennen.
Und die ILO 169 ist das wichtigste Instrument zum völkerrechtlichen Schutz indigener Völker.
Im globalen Kontext könnte eine Ratifizierung europäischer Staaten nicht nur eine Reduzierung oder angemessene Reglementierung der materiellen sondern auch der kulturellen Ausbeutung bedeuten.
In diesem Zusammenhang sind die "derechos de propriedad intelectual y biodiversidad de los pueblos indigenas " erwähnenswert, die besonders in Südamerika immer mehr ins Zentrum des wirtschaftlichen und juridischen Interesses rücken.

In Wien fand Ende Oktober 1998 eine Tagung zum Thema "Indigene Völker und Ökologie" statt. Tagungsthemen wie "Die Wahrnehmung der Rechte indigener Völker im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit europäischer Länder" oder "Schutz der indigenen Umweltbewirtschaftungskenntnisse und -praktiken" sind u.a. auch ein Indiz für die Relevanz dieser Rechte im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Auch die Militärpolitik kann indigene Völker auf fatale Weise involvieren. Nicht umsonst fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker, daß die deutsche Bundesregierung den Export von Rüstungsgütern, die gegen indigene Völker gerichtet werden könnten, einstellen. Auch sollen Entwicklungshilfeprojekte, die indigene Völker betreffen, nur noch auf Anfrage von und in Abstimmung mit ihnen selbst durchgeführt werden. Dafür müßten die Außen- und Entwicklungshilfeministerien eine entsprechende Infrastruktur einrichten

Im Zuge der Globalisierung und nach dem ILO 169-Beitritt der Niederlande, eines Staates ohne indigenen Bevölkerungsanteils, wirkt heute eine Beitrittsablehnung mit Hinweis auf das Fehlen von indigenen Völkern im Staat unverständlich.
Zudem fordert das Europäische Parlament die EU-Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung auf.

5.2 Die ILO169 in der Europäischen Union .: oben :.
In einem vergleichsweise einstimmigen Votum ersuchte am 9. Februar 1994 das Europäische Parlament in einer "Entschließung zu den für einen wirksamen Schutz der eingeborenen Völker notwendigen internationalen Maßnahmen" die EU-Mitgliedstaaten "sich entschlossen für einen effektiven Schutz der eingeborenen Völker einzusetzen, dem Übereinkommen 169 der ILO beizutreten und andere Staaten ebenfalls zum Beitritt aufzufordern".

Zu den indigenen Völkern Europas zählen die Sami, die in Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland beheimatet sind und deren Zahl man auf 50.000 schätzt. Ein weiteres indigenes Volk sind die Inuit, die auf Grönland, Kalaallit Nunaat (=Land der Menschen) wohnen und die 55.000 Angehörige zählen.

Norwegen war im Juni 1990 das erste Land überhaupt, das die ILO169 ratifizierte. Dänemark, zu dessen Außengebiete Grönland zählt, wurde im Februar 1996 Konventionsmitglied. Im Frühjahr 1998 haben die Niederlande als erstes europäisches Land ohne indigene Bevölkerung vorbildlicherweise die ILo 169 ratifiziert und somit ihre Solidarität gegenüber diesen Völkern ausgedrückt.

Erwähnenswert an dieser Stelle und wichtig für die Diskussion rund um die ILO 169 ist auch Belgien, das 1958 als einer er ersten Staaten ohne indigenen Bevölkerungsanteil die Vorläuferkonvention Nr.107 unterzeichnet hat. Dafür blieb Belgien bislang die Ratifikation der ILO 169 schuldig. Grund dafür scheinen die in Belgien lebenden Sinti und Roma zu sein, deretwegen im Falle einer Ratifikation eine Flut von Gesetzesänderungen befürchtet wird.
Auch wenn die Sinti und Roma von einigen ILO-Experten als tribal peoples angesehen werden, so haben diese bisher nicht den Schutz der ILO 169 beansprucht. Vielmehr bevorzugen sie die Garantien, die im europäischen Menschenrechtsschutz verankert sind, ihnen aber unter manchen Aspekten verwehrt bleiben.

Infolge der UNCED-Konferenz in Rio und der Un-Menschenrechtskonferenz in Wien, angesichts der drammatischen Umweltzerstörungen weltweit und den internationalen Entwicklungen rund um die indigenen Völker, war auch die EU aufgerufen, sich für diese Völker einzusetzen.
Dementsprechend hat es in der Vergangenheit mehrere Initiativen auf Ministerratsebene gegeben:

1992 Im November betonte der Rat der Entwicklungsminister in
einer Entschließung die Bedeutung der Einbeziehung von Minderheiten in den Entwicklungsprozeß.

1996 Dänemark und Spanien regen den Rat der Entwicklungsminister an, die Europäische Kommission mit der Ausarbeitung eines eigenen Strategiepapiers zur Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern zu beauftragen.

Der niederländische Minister läßt die Kommission prüfen, ob eine Ratifizierung der ILO 169 durch die EU möglich wäre.
Leider ist dies laut ILO-Statut nicht möglich: nur Mitgliedstaaten können ILO-Konventionen unterzeichnen.

1998 Die EU-Kommission verabschiedet ein Arbeitsdokument zur "Unterstützung indigener Völker im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit".

Bezüglich EU-Politik und indigene Völker bin ich auf zwei Fälle gestoßen, die kein gutes Licht auf die EU-Entwicklungshilfe wirft und manche Fragen aufwerfen:

1. Fall: "EU-Hilfsprogramm" in Paraguay
Laut SURVIVAL INTERNATIONAL, einer INGO, hat die EU-Kommission ein kontroverses "Entwicklungs"-Projekt bewußt auf der Basis von falschen Informationen genehmigt. Das 15 Millonen Ecu-Projekt sollte den verarmten indígenas im Norden Paraguays zukommen und ihnen definitiv ihre Landansprüche zusichern - was sich zuletzt als Trugschluß herausstellte. In der Folge bereicherten sich hauptsächlich korrupte Regierungsbeamte, während die meisten Indígenas neben der Hauptstraße in der Misere weiterleben.

Eine unabhängige Untersuchung im Auftrag der EU, kam schließlich zum Schluß, daß
"- the Indians received virtually nothing so far
- the Commission's report contained 'flawed' and 'inflated' data
- only one out of 47 communities has actually got land title"

Es kommt schlimmer:
"Despite the fact that the Commission was supposed to present the report to member states in April, it has not done so."

Sogesehen hätte sich die EU grober Rechtsverletzungen schuldig gemacht. Ganz zu schweigen von Paraguay, Konventionsstaat der ILO 169, das zudem sämtliche Bestimmungen dieses Ubereinkommens mißachtet hat.
(supra (4.2) Paraguay)

2. Fall: "EU-Hilfsprogramm" in Kamerun
Im Jahre 1996 finanzierte die EU den Ausbau der 52 km langen Straße von Abong Mbang nach Lomié. Der Ausbau macht die Straße ganzjährig befahrbar. Die Straße, die offiziell die Entwicklung des Kaffee- und Kakao-Anbaus fördern sollte, führt am Dja-Reservat vorbei, ein Schutzgebiet, das von der UNO als Welterbe der Menschheit ausgezeichnet ist.
Die Afrikanische Entwicklungsbank hatte 1992 die Finanzierung der Straße abgelehnt, da sie ihrer Ansicht nach zu verstärktem Holzeinschlag, drastischer Abnahme der Wildtiere und zu großen Veränderungen für die rund 40.000 dort lebenden Baka-Pygmäen führen würde. Auch die Weltbank lehnte das Projekt aus Umweltgründen ab.
Trotzdem finanzierte die EU den Ausbau der Straße ohne eine einzige Umweltstudie anzufertigen.
Die Rainforest Foundation des Sängers Sting hat festgestellt, daß niemand die einheimische Bevölkerung ausreichend informiert hat. Sting's Organisation hatte 18 Monate lang Hunderte Entwicklungsprojekte der EU untersucht und im Bericht "Out of Comission" erschreckende Ergebnisse vorgelegt.
Seit dem Straßenbau hat die Wilderei im Reservat drastisch zugenommen, die Waldrodung hat sich verdoppelt, neun neue Abholzkonzessionen sind vergeben worden, Ölplantagen verdrängen den Wald.

Nach der bereits finanzierten Straßennetz von 2000 km, das zum großen Teil durch empfindliche Regenwälder führt, plant die EU einen weiteren Straßenausbau zu unterstützen.

5.3 Die drei europäischen Signatarstaaten .: oben :.
5.3.1 Dänemark
Dänemark gehört neben Norwegen, Schweden und Finnland zu den wenigen europäischen Ländern, in denen indigene Völker leben. Kalaallit Nunaat ("Land der Menschen") nennen die Inuit Grönland, wo zirka 55.000 Angehörige dieses Volkes leben. Grönland ist seit 1953 ein gleichberechtigter Teil Dänemarks und besitzt seit 1979 eine innere Autonomie (Greenlandic Nome Rule).

Aus den letzten Jahren ist vielleicht das verschärfte Ausländergesetz von 1998 erwähnenswert, das die Kriterien für eine Aufenthaltsgenehmigung einengt und soziale Leistungen an Flüchtlinge erheblich einschränkt.

Auch wenn auf dänischem Hoheitsgebiet ein indigenes Volk lebt, so hat sich die dänische Regierung zwar hauptsächlich, aber nicht nur deshalb zur Ratifizierung entschlossen, sondern auch im Hinblick auf die indigenen Völker in den "Entwicklungsländern".

Wie aus dem Bericht von Rossbach de Olmos hervorgeht, fand im November 1993 aus Anlaß des Internationalen Jahre der Indigenen Völker eine ausgiebige Parlamentsdebatte statt, in der die Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit ihre Zusammenarbeit im Bereich indigene Völker darstellte und dem Interesse Ausdruck verlieh, die dänischen Bemühungen zu erweitern. Die Erfahrungen mit den Inuit auf Grönland stellten dabei einen wichtigen Bezugspunkt für die internationale Arbeit dar.

Zu den Themen, zu denen das Parlament aus Anlaß dieser Debatte eine einstimmiges Votum abgab, gehörte u.a. die ILO 169. Die Regierung wurde aufgefordert, diesem Übereinkommen schnellstmöglich beizutreten.
Dieselbe Aufforderung war im Strategiepapier zur dänischen Unterstützung der indigenen Völker (Strategy for Danish Support to Indigenous Peoples) enthalten, das im Juli 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Im nächsten Jahr kam die Regierung der Aufforderung nach Ratifizierung nach. Das offizielle Dokument wurde in Form einer gemeinsamen Erklärung zwischen dem dänischen Außenminister und dem Premier der autonomen grönländischen Regierung verfaßt und im Jänner 1996 unterzeichnet. Am 22. Februar übergab der ständige Vertreter Dänemarks vor den Vereinten Nationen das Ratifizierungsdokument der Internationalen Arbeits-organisation.
In einer Presseerklärung aus Anlaß dieser Übergabe wurde auch auf ein zweijähriges Projekt hingewiesen, daß Dänemark im Zusammenhang mit der ILO zur Stärkung der ILO-Aktivitäten bei indigenen und in Stämmen lebenden Völkern unterstützt.
Das Projekt wurde von zwei indigenen Vertretern (aus Grönland und Bangladesh) initiiert und durchgeführt.

Laut Alfredsson, haben Grönland und Norwegen bei der Ratifizierung der ILO169 versucht "to introduce certain limitations":

"Denmark understands land rights as benefitting the permanent population of Greenland, presumably including non-Inuit, which is difficult to reconcile with article 14 of the Convention as well as the object and purpuse of the Convention as a whole."
5.3.2 Norwegen

Das Königreich Norwegen war nicht nur das erste europäische Land, sondern das erste Land überhaupt, das die ILO 169 ratifiziert und im Juni 1990 die entsprechende Urkunde bei der ILO hinterlegt hat.

In Norwegen leben an die 40.000 Sami, ein Nomadenvolk, das auch in Schweden, Finnland und Rußland beheimatet ist, aber nicht so zahlreich wie in Norwegen.

Die Sami, die ursprünglich bereits 500 a.C. im nordwestlichen Teil Rußland gelebt haben sollen, waren schon aufgrund mehrerer Invasionen fremder Völker und Kulturen zur steten Wanderung gezwungen: zuerst waren es die Völker aus dem Ural, später die Wikinger, im Mittelalter die Christianisierung, deren Vertreter die Sprache der Sami mit der des Teufels gleichsetzten, aber immerhin die bislang mündlich überlieferte Sprache codifizierten und die Bibel auf Samisch übersetzten. Von 1888 bis zum Zweiten Weltkrieg war die Sprache der Sami verboten. Der Schamanismus wurde wie in Rußland unterdrückt und ihre sakralen Objekte hatte man bereits im vorigen Jahrhundert entweder verbrannt oder in europäischen Museen untergebracht.

Heute können viele Sami ihre Sprache weder sprechen noch lesen.

1949 Gründung der ersten Sami-Organisation: Norwegische Verein der Rentierzüchter (NRL)

1956 Gründung des Sami-Rats, der das wichtigste Organ für die grenzüberschreitende Kooperation mit den Sami in anderen Staaten darstellt. Er setzt sich besonders für pädagogische, linguistische und andere kulturelle und nationale Belange der Sami ein .

1961 Entstehung des Sami Arts Centers, das besonders das duodji fördert, das Samische Kunsthandwerk fördert.

1969 ein Gesetz beschließt samisch als Unterrichtssprache in den ersten sechs Schuljahren; eine Revision gewährt auch eine Option für samisch als Ausbildungsssprache. In den sechs Gemeinden mit den meisten Sami, gilt samisch als Verwaltungssprache und ist vor Gericht bei Beweissuche und Anklage obligatorisch.

1973 große Bedeutung für die Sami hat das Nordische Sami-Institut mit Sitz in Kautokeino, das vom Nordischen Rat gefördert wird und kultureller, rechtlicher und politischer Bezugspunkt der Sami ist.

1975 das Storting (norwegische Parlament) beschließt den Sami Development Fond (SDF), der hauptsächlich für traditionelle Bereiche wie Rentierzucht und Fischerei sowie dem duodji finanzielle Zuschüsse gewährt.

3 wird zum ersten Mal das Sameting (Parlament der Sami) gewählt. Jeder über achtzehn Jahren, der sich als Same bezeichnet und dessen Eltern oder Großeltern samisch als Muttersprache sprechen, ist wahlberechtigt. "The scope of activity of the Sameting extends to all matters that, in the opinion of the Assembly, concern Sami peoples in particular. " Während dem Sami-Parlament ursprünglich nur konsultative Aufgaben zugedacht waren, spielt es heute auch verstärkt eine Rolle in der Verwaltung.*

1998 Schaffung der Ersten Nordischen Sami-Konvention

*Alfredsson schreibt über die Sami-Parlamente: "As to self-government, the Sami Parliaments are good examples of non-territorial or personal autonomies, but they do not fulfill the expectations generally attached to the term in international law because of their advisory or consultative roles without real legislative and executive powers over international affairs, as is the case with home rule governments in the Åland Islands, the Faroe Islands and Greenland."

Heute bedrohen vor allem Umweltprobleme die Existenz der Sami: der hydro-elektrische Damm am Fluß Alta, der weite Flächen, die von den Sami bewohnt werden, zu überschwemmen droht und die Verschmutzung der Flüsse infolge der Erdölausbeutung auf hoher See. Katastrophal die Folgen von Tschernobyl: Zwangsschlachtung von 100 000 Rentieren, während viele Tiere durch die Verseuchung der Flechte - ihrer Hauptnahrung - zugrundegehen.

Auf Anregung der ILO und im Rahmen ihres Monitoring sendet das Storting heute ihren Bericht zuerst ans Sameting zur Einsicht und übermittelt ihn dann als eigenen Bericht mit dem integrierten Kommentar der Sami an die ILO. Um die Umsetzung der ILO 169 zu optimieren, machte das Storting der ILO den Vorschlag, einen parallelen Dialog mit dem Sameting zu eröffnen und die Vertreter der Sami im Supervisionsprozeß formal teilnehmen zu lassen .

Ein interessanter Zusammenhang besteht in Norwegen auch zwischen Rentierwirtschaft und Gewohnheitsrecht:
"In Norway local custom is a general source of law. According to some of the desicions of the Norwegian Supreme Court, the usufruct of land by the Sami for reindeer husbandry is regarded as creating a right, although this principle has not been followed in all cases."

Für die rechtlichen Angelegenheiten hat das Justizministerium ein Rechtshilfeprojekt eingerichtet, das auf unentgeltlicher Basis zivilrechtliche und beratenden Funktionen anbietet.

Wie bereits bei Dänemark (supra 5.2.1), sei hier darauf hingewiesen, daß auch Norwegen versucht hatte, bei der Ratifizierung der ILO169 gewisse Einschränkungen einzufügen :
"In the official Norwegian translation of article 14, it would seem that the conditions for land rights have been made more difficult to achieve."

Quelle:
Tomei/Swepston (FN10) - ILO-Guide
Associazione per i Popoli Indigeni- Firenze (FN275) S.75

NIEDERLANDE .: oben :.
Anfang der 90er Jahre, im Vorfeld der UN-Aktivitäten rund um die indigenen Völker, wurde das parlamentarische "Beratungskomitte über Menschenrechte und Außenpolitik" von der niederländischen Regierung formal beauftragt, ein Memorandum über die Rechte und Interessen der indigenen Völker zu erstellen. Dieses Gremium, das mit illustren Menschenrechtsexperten wie z.B. Professor Van Bowen besetzt ist, legte der Regierung dann im Jänner des Jahres 1993 den Bericht vor, in dem es unter Punkt 15 heißt:

"Das Beraterkomitee hat Vorbehalte gegenüber den Argumenten der Niederlande, die ILO-Konvention Nr.169 nicht zu ratifizieren. Die Universalität der Menschenrechte und die kollektive Verantwortung aller Staaten, das diese eingehalten werden, beinhaltet, daß die Niederlande direkt und in einem allgemeinen Sinn betroffen sind. Durch eine Ratifizierung dr Konvention würden die Niederlande ein klares Zeichen setzen, daß sie den Problemen der indigenen Völker eine wesentliche Bedeutung beimißt. Das Beraterkomitee hält es auch für wesentlich, daß den in der Konvention enthaltenen Prinzipien so gewissenhaft wie möglich bei der Durchführung von Entwicklungsprojekten entsprochen wird, die durch die Niederlande finanziert werden ."

Im März 1993 übergaben das Außen- und Entwicklungshilfeministerium ein Memorandum an das niederländische Parlament, in dem sie über die Politik hinsichtlich indigener Völker im Kontext der Außen- und Entwicklungspolitik informierten und dabei die Meinung des Beraterkomitees für Menschenrechte und Außenpolitik wiedergaben. Trotzdem gab es innerhalb der Regierung Stimmen, die eine Ratifizierung der Niederlande wegen dem Mangel an indigenen Völkern ablehnten.
Doch darauf kam es den Befürwortern der Unterzeichnung laut Kuppe auch gar nicht an:

"Neben einem Bewußtsein um die kollektive Verantwortung für Menschenrechte, das offensichtlich aus der hier besonders sensiblen niederländischen politischen Kultur erwächst, stand die Relevanz des Abkommens für die Ausrichtung der niederländischen internationalen Kooperation durchaus im Vordergrund."

Auch wenn hinsichtlich der anfallenden Gesetzesänderungen Bedenken geäußert wurden, so setzten sich die Befürworter schließlich doch durch und im Februar 1996 beschloß die Regierung, die ILO169 zu ratifizieren.
In einer Presseerklärung gab der Außenminister zu verstehen, daß ein Beitritt die Bedeutung unterstreiche, die die niederländische Regierung diesem Teilbereich der Menschenrechtspolitik im Rahmen der internationalen Rechtsordung beimesse. Mit den positiven Entschließungen beider Kammern des niederländischen Parlamentes war damit im November 1997 offiziell die Entscheidung gefallen, daß die Niederlande die ILO-Lonvention ratifizieren.

Am 2. Februar 1998 wurden die Niederlande bei der ILO als Unterzeichnerstaat registriert und für die anderen europäischen Staaten ohne indigene Völker wurde ein Exempel statuiert.

Interessanterweise listet der Fischer Weltalmanach '99 bei der Bevölkerung der Niederländischen Antillen die Arawak-Indianer auf, was auf indigene Völker schließen läßt. Ich habe mich daraufhin an René Kuppe gewandt, der selbst überrascht war und mir folgendes mitgeteilt hat:

"1. Bei internen Gesprächen in den Niederlanden, die zur Ratifikation der Konvention geführt haben, ist niemals auf irgend eine indigene Gruppe auf den Antillen bezug genommen worden, noch ist die Ratifikation von derartigen Gruppen verlangt worden.
2. Ich habe kein einziges Mal bei irgend einem internationalen Treffen indigener Völker Vertreter derartiger Gruppen gesehen oder von irgendeiner Bezugnahme in der Literatur gelesen. Es mag sein, daß es heute Personen gibt, die sich als Arawak bezeichnen, denn im gesamten Karibikraum, bis hinaus hnach Florida, gibt es seit 1992 eine Art versuchter "prä-kolumbischer" Identitätsfindung [...]
Vielleicht spielt ein ganz anderer Faktor eine Rolle: in den NL Antillen gibt es eine verbreitete Landessprache namens Papiamento, die angeblich eine Mischung aus Spanisch, Holländisch, Englisch und karibischen Indianersprachen ist. Kein Mensch würde jedoch deswegen die Sprecher als Indigene bezeichnen [...]
3. Die Urbevölkerung der heutigen NL Antillen waren nicht Teile jenes Volkes, das heute als Arawak bezeichnet wird, (und das weiter östlich in Guyana und am Antillenbogen verbreitet war), sondern ein Volk, das auch im angrenzenden Küstengebiet Venezuelas lebte, nämlich die Caiquetío. Diese sind seit zwei Jahrhunderten kulturell ausgestorben.
Wenn es wirklich so wäre, daß es auf den NL Antillen indigene Gruppen gibt, würde dies den Argumentationsaufwand im Sinne der Ratifikation in Ländern wie Österreich erheblich erschweren."

Quelle:
Rossbach de Olmos (FN94) S.64ff
Kuppe (FN279)
Vortrag Kuppes (FN307)

5.4 Die Bemühungen um eine Ratifizierung in anderen europäischen Staaten .: oben :.
5.4.1 Österreich
In einer Informationsbroschüre der ILO wird Österreich neben Argentinien unter folgendem Punkt aufgelistet:
"Countries for which the decision to ratify Convention Nr. 169 has been taken by the legislature but the ratification document has not been yet received by the ILO"

In Österreich befaßte sich erstmals das Arbeits- und Sozialministerium in einem internen Schreiben mit der ILO 169, wobei es im Mai 1992 die Empfehlung aussprach, die Konvention nicht zu ratifizieren, da dies lediglich eine humanitäre Geste darstelle.
Contra-Argumente waren u.a., daß eine Ratifizierung gegen die "Gewohnheiten" im Rahmen der ILO sei.

Im selben Jahr übten mehrere NGOs und Einzelpersonen aus dem Menschenrechtsbereich öffentlichen Druck aus und betreiben verstärktes Lobbying. Der Österreichische Informationsdienst für Entwicklungspolitik rief seine zahlreichen Mitglieder zu einer Briefaktion auf.
Im Vorfeld der UNCED-Konferenz in Rio und der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien konnten mehrere Politiker durch informale Bande zu NGOs von der Ratifizierung und der Unteilbarkeit der Menschenrechte überzeugt werden.

Im Mai 1993 befaßte sich der Außenpolitische Ausschuß des Nationalrates mit der Angelegenheit, nachdem schon ein entsprechender Antrag im Juni 1992 in den Nationalrat eingebracht worden war. Mit dem Argument, daß zwar keine indigenen Völker in Österreich leben, es aber aus entwicklungspolitischer Sicht Berührungspunkte gebe, empfahl er der österreichischen Bundesregierung die ILO 169 als "Akt internationaler Solidarität" zu ratifizieren.

Offiziell und viel konkreter äußerte hingegen Jankowitsch seine Zustimmung, der in der Ratifizierung u.a. eine verstärkte Verankerung der ILO 169 im internationalen Rechtssystem sah.

Im Juni 1993, während der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien, beschloß das Parlament einstimmig, die Regierung mit der Ratifizierung zu beauftragen.
Die Zeit verstrich, während man "seufzend" auf 79 Gesetzesänderungen hinwies, die durch der Ratifizierung anfallen würden und darauf, daß die Rechte indigener Völker eine innere Angelegenheit der Staaten sei, in denen diese Völker leben.

Auch eine zwischenzeitliche Anfrage an das Arbeits- und Sozialministerium konnte schließlich die Hinfälligkeit des Nationalratsbeschlusses nicht abwenden.
Was die Argumente der Ministerien für die Blockierung der ILO 169 betrifft, resümiert Kuppe:

"1. El Convenio no tendría relevancias para el país, (excluyendo así por completo al aspecto de la cooperación técnica que afecta a pueblos indígenas y a su territorios).
2. En consecuencia, a la no-relevancia postulada, una ratificación es definida como un acto con significado puramente 'declarativo'."

1997 hatte sich u.a. auch das Klimabündnis Österreich infolge einer erneuten parlamentarischen Initiative, an den Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses und an die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien gewandt, um für eine Ratifizierung zu plädieren.
Wieder kam es zur Stagnation.

Vom 28. bis 30.Oktober 1998 fand im Wiener Juridicum eine Fachtagung über "Indigene Völker und Ökologie" statt. Die Konferenz wurde von Renè Kuppe, Leiter der Arbeitsgruppe für Rechtsanthropologie organisiert. Auf der Konferenz drängten die indigenen ReferentInnen besonders im Gespräch mit VertreterInnen des Bundesministeriums für wirtschaftlcihe Angelegenheiten, des Außenministeriums und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes auf die Unterzeichnung der Konvention. In der Folge versprach Nachtnebel im Namen des ÖGB im Vertretungskörper europäischer Gewerkschaften eine Initiative zu starten, die zur Ratifizierung durch die jeweiligen Regierungen führen soll.

DIe letzte Initiative fand im Sommer 1999 statt: von einer Organisationsplattform, der das Klimabündnis und die Arbeitsgruppe für Rechtsanthropologie angehören, wurde ein Brief an den österreichischen Bundeskanzler Klima gerichtet, mit der Bitte, im Sinne der Entschließung des österreichischen Nationalrats notwendige Schritte für die Ratifizierung der Konvention in die Wege zu leiten.
Das im Namen des Bundeskanzlers abgefaßte Antwortschreiben, das sich in puncto Ratifikation abermals nicht festlegt, sieht eine Ratifizierung aber unter verschiedenen Aspekten als eine höchst bedenkliche Angelegenheit. Auch wird wieder das alte Argument herausgezogen, daß es mangels eigener indigener Völker keine Anwendung für die ILO169 in Österreich gebe. Das Schreiben weist zudem auf scheinbar ähnliche Bedenken in anderen europäischen Staaten hin, da nur solche Staaten die Konvention unterzeichnet hätten, die sie im Hinblick auf eigene indigene Bevölkerungsgruppen erfüllen könnten. Dabei werden auch die Niederlande erwähnt, die ja als erstes Land ohne indigenen Bevölkerungsanteil die ILo160 ratifiziert hatten.
Wie Kuppe jedoch bemerkt,

"heißt es in dem Schreiben, daß die Niederlande das Abkommen offensichtlich im Hinblick auf die überseeischen Gebiete Aruba und die Niederländischen Antillen ratifiziert hatte. Diese Vermutung des BKA-Schreibens ist jedoch falsch. Auf den Niederländischen Antillen gibt es heute keine Bevölkerungsgruppen, die als indigene Völker angesehen werden könnten oder die von sich aus den Schutz des Abkommens in Anspruch nehmen."

Quelle:
Rossbach de Olmos (FN94) S.64ff
Kuppe (FN279)
Vortrag Kuppes (FN307)

5.4.2 Deutschland .: oben :.
In ihrer ersten Stellungnahme zur neugefaßten ILO 169 vom Februar 1992 gab die deutsche Regierung an, daß sie die Neuorientierung der genannten Konvention begrüße und die Umsetzung durch die Signatarstaaten im Rahmen der ILO aufmerksam beobachten werde. Da aber die Bundesrepublik - ebenso wie die ehemalige DDR - vom Gegenstand des Übereinkommens nicht berührt sei, weil in ihr keine indigenen Völker leben, komme eine Ratifizierung für sie nicht in Betracht. Im Herbst 1993 wurde dennoch ein Antrag auf Unterzeichnung und Ratifizierung der ILO 169 in den deutschen Bundestag eingebracht.
Als Begründung wurde angeführt, daß die Bundesregierung durch ihr außenpolitisches, außenwirtschaftliches und entwicklungspolitisches Handeln das Leben dieser Völker beeinflusse und daß eine Ratifizierung den öffentlichen Bekenntnissen der Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte entspräche. Es wurde zudem auf das einschlägige Kapital der Agenda 21 zu indigenen Bevölkerungsgruppen hingewiesen.

Obwohl sich der Ausschuß für entwicklungspolitische Zusammenarbeit 1992 positiv über die Prinzipien der Konvention geäußert hatte, kam es im Jahr 1993 zu einem ablehnenden Votum aufgrund der Nichtexistenz indigener Völker auf auf dem deutschen Territorium. Auch der Bundestag war anläßlich einer entwicklungspolitischen Debatte dieser Meinung. Der Minister für Entwicklungszusammenarbeit ging in der Debatte in seiner Rede mit keinem Wort auf die ILO 169 ein.
Dabei wird diese (die ILO169) im Rahmen eines eigenen Konzeptes, das das Ministerium für die Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungs-gruppen in Lateinamerika im November 1996 vorlegt, "ein wichtiger Referenzpunktfür die Neuausrichtung der Zusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen" genannt.

Im Gegensatz zu Österreich nahmen in Deutschland auch die Gewerkschaften gegenüber der Ratifizierung eine ablehnende Haltung ein.
So äußerte der Deutsche Gewerkschaftsbund entsprechende Vorbehalte:

"Werden ILO-Normen ratifiziert, ohne daß sie unmittelbare Bedeutung für die innerstaatliche Politik haben, stellt sich die Frage, ob so die Wirksamkeit internationaler Arbeits- und Sozialnormen verbessert oder nicht doch geschwächt werden könnte, wenn auch jene Übereinkommen ratifiziert werden könnte. Wir sehen die Gefahr, daß das ausgebaute Kontrollsystem der ILO eher unterhöhlt werden könnte, wenn auch jene Übereinkommen ratifiziert werden, die für die "unmittelbaren Belange" eines Landes keine größere Bedeutung haben [...] (Adams 1996)

Vom 13. bis 18. Mai radelten und warben Mitglieder der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und engagierte Weltenbummler auf ihrer Tour von der EXPO-Stadt Hannover nach Bonn für die deutsche Ratifizierung der ILO 169. Jeden Tag sammelten die "Radler für dei Menschenrechte" an der Strecke und bei den Abendveranstaltungen Unterschriften, die schließlich im Bundesarbeitsministerium übergeben wurden.
Unterstützung in ihrem Anliegen wurde ihnen nicht nur von Uschi Eid, der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zugesichert, sondern auch von Burkhard von Seggern , Referent des Deutschen Gewerkschaftsbundes und von Ulrike Mascher der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMA).

Die Deutsche Bundesregierung hat nun offiziell eine Anfrage an die ILO in Genf gerichtet, um zu prüfen, welch mittelbaren Folgen für Deutschland aus der Ratifizierung erwachsen würden. Wegen der Nichtexistenz indigener Völker gibt es keine unmittelbaren Folgen.

Laut Rathgeber kann man die Antwort der ILO nicht abschätzen, da es diesbezüglich keine Erfahrungen und vorgefertigte Kriterien gibt. Die ILO antwortet nach ihrem Belieben. Unterm Strich bedeutet die neue Bundesregierung aber sicher einen Fortschritt. In der Zwischenzeit betreibt die Gesellschaft für bedrohte Völker eifrig Lobbying.

Quelle:
- Rossbach de Olmos (FN94) S.62 ff
- Reiser Ursula /Rathgeber Theodor, "Radeln für die indigenen Völker" in: pogrom 203 (Juli-August 1999), S.46
- Rathgeber Theodor (Telefonat/anfangs Dezember 1999)

ITALIEN .: oben :.
Betrachtet man die Aktionen der Nachbarländer, hat es in Italien in den letzten Jahren keine vergleichbaren Aktivitäten bezüglich einer Ratifikation der ILO 169 gegeben.
Die GfbV-Südtirol (Gesellschaft für bedrohte Völker-Südtirol) versuchte 1995 erstmals auf nationaler Ebene eine gemeinsame Initiative mit anderen NGOs zu koordinieren. Die italienische Sektion von SURVIVAL hat grundsätzlich kein Interesse gezeigt.
Die Lega dei Diritti dei Popoli leitete die Anfrage an eine vereinsinterne Arbeitsgruppe weiter, die sich hauptsächlich mit indigenen Völkern befaßt. Damals stand der Gruppe ein Professor vor, der gute Kontakte zu Leuten der italienischen Partei PDS (Partito Democratico Socialista) pflegte. Aber auch der PDS zeigte kein Interesse mit dem "klassischen" Argument, daß es ja in Italien keine indigenen Völker gibt. Ein zweiter Grund für die Absage waren Bedenken gegenüber den italienischen Minderheiten. Man wies auf die Minderheiten Triests hin, die anläßlich der Genfer Tagungen über indigene Völker mit Protesten darauf aufmerksam machten, daß auch sie Rechte hatten/wollten wie die indigenen Völker.
Eine Ratifizierung der ILO 169 wäre demnach schon wegen der möglichen Proteste der Minderheiten nicht angebracht.

Kritisch zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß es Italien erst 51 Jahre nach dem Erlaß der Verfassung geschafft hat, ein Minderheitengesetz zu verabschieden; obwohl Artikel 6 der Verfassung einen entsprechenden Minderheitenschutz ausdrücklich vorsieht:
"La Repubblica tutela con apposite norme le minoranze linguistiche."

In den Jahren 1996/97 wurde wieder eine halbherzige Initiative lanciert. Aber da Reaktionen von seiten der italienischen NGOs ausblieben, blieb es beim Briefeversenden.

Erfreuliches kann ich nun vom Südtiroler Landtag berichten: in einem Beschlußantrag "spricht er sich grundsätzlich für den Schutz indigener Völker durch die Vereinten Nationen aus" und "verpflichtet deshalb die Landesregierung, sich bei der italienischen Regierung dafür einzusetzen, daß diese umgehend die ILO-Konvention 169 ratifiziert."

Vorausgegangen war diesem Akt die "3.Versammlung der Völker" mit abschließendem Friedensmarsch, die vom 20. bis 26.September 1999 in Assisi unter der Schirmherrschaft des UN-Generalsekretäriats stattfand. An dieser Veranstaltung nahm auch Frau Victoria Tauli-Corpuz vom phillippinischen Volk der Igorots teil, die im Vorfeld der Veranstaltung auf Einladung des Landtags in Südtirol weilte.
"Insbesondere unterrichtete Frau Corpuz die Südtiroler Delegation über den Widerstand der rund 600 000 Igorots, die auf den Philippinen in der Kordilleren.Region leben, gegen die geplante und teilweise auch durchgeführte Erschließung ihrer Bergwelt. [..] Unter dem Recht auf Selbstbestimmung versteht sie auch das Recht, verschieden und anders zu sein und zu bleiben. Ihr Volk wehrt sich gegen die Konzentration von Macht und Entscheidungsgewalt bei Körperschaften wie der Welthandelsorganisation, der Weltbank und dem IWF."

Anläßlich der internationalen Konferenz des Klimabündnises im Mai 2000 in Bozen, soll eine neue Initiative für eine italienische Ratifizierung der ILO 169 unternommen werden.

In der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten erschien kürzlich ein Artikel von Alfons Benedikter, einem der Gründerväter der SVP (Südtiroler Volkspartei) und ein kritischer Politikerbarde, in dem er das Südtiroler Volk als indigenes Volk bezeichnet.
Wie auch immer: Ich sehe uns eher als Minderheit, die das Risultat historischer Prozesse und der Willkür von Grenzziehungen ist - und der es heute ziemlich gut geht.

Quelle:
- Über vergangene Initiativen bezüglich ILO 169 in Italien, sprach ich mit Wolfgang Mayr, Gründungs- und aktives Vorstandsmitglied der GfbV-Südtirol.
- Beschlußantrag, der am 29. September1999 beim Landtagspräsidium eingegangen ist, Prot.Nr. 6278/ci/hz

Bibliographie .: oben :.
- Vgl. Heintze, Hans-Joachim,"Völkerrecht und Indigenous Peoples", in: Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht 50/1990, S.41ff.
- Alfredsson, G., Indigenous Populations, Protection, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 8/1985, S.311 - zitiert nach Heintze (FN1), S.41
- Søftestad ging in einem 1988 veröffentlichten Bericht über indigene Völker von 250 Millionen aus. - Franz Kressing geht in einem 1994 veröffentlichten Bericht von 300 bis 500 Millionen aus.
- Tauli-Corpuz, V.,"Wirtschaftliche Expansion gefährdet Völker und Zivilisationen", in: Grenzenlos?- Hrsg.:E.U. von Weizäcker (1997), S.228
- Vgl. Rathgeber, T.,"Vom Zwiespalt des Völkerrechts", in: pogrom 168/1992, S.26
- Kressing, H.,"Wer sind 'Indigene Völker'?" in: Ureinwohner und Industrienationen (1994), S.8
- Tomei M./Swepston L., Indigenous and Tribal Peoples: A Guide to ILO Convention Nr. 169 (1996), S.36
- Study of the Problem of Discrimination Against Indigenous Populations, UN Doc. E/CN/Sub.2/1983/21/Add.8, §379
- vgl. Brölmann C.M./Zieck M.Y.A.,"Indigenous Peoples" in: Peoples and Minorities in International Law (1993), S.191
- Stavenhagen, R., "Indigene Rechte. Einige konzeptuelle Probleme" in: TIERRA-indigene Völker, Umwelt und Recht (1994), S.25
- Hummer, W., "Schutz der indigenen Bevölkerung und des tropischen Regenwaldes. Definitions- und Einordnungsprobleme indigener Bevölkerungen" Innsbrucker Geographische Studien: Lateinamerika - Krise ohne Ende? Bd.21. 1994, S.102
- O. Kimminich, Rechtsprobleme der polyethnischen Staatsorganisation (1985), S.17 - zitiert nach Heintze (FN1), S.45
- vgl. Heinz, W.S.,"Minderheiten und Indigene" in: Wer ihr Land nimmt, zerstört ihr Leben - Wayasbah (Hrsg.) (1991), S.1ff
- Capotorti, F.,"Study on the Rights of Persons belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, in UN-Doc.E/CN.4/Sub.2/1997/384/Rev.I,para.209 - zitiert nach Heintze (FN1), S.41
- Neuhold, Hummer, Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I: Menschenrechtsschutz (1997) S.269ff
- Hannum H., "New Developments in Indigenous Rights" in: Virginia Journal of International Law Vol. 28/5 (1985), S. 649
- Kluge, O.,"20 Jahre indigene Völker vor der UNO" http:/www.chip.de/staff/kluge/bmag/uno/study/frm.index.html (27.5.97)
- Kluge, O., "Menschenrechte - internationale Instrumente" - http://www.chip.de/staff/kluge/bmag/uno/study/frm.index.html (27.7.97)
- vgl. Kuppe, R., "Die Demarkierung indianischer Territorien im Brennpunkt internationaler Kooperation" in: Land ist Leben (1993), S. 177
- Turetschek, F., "Guatemala - ein Land auf dem Weg zum Frieden?" in: rainforest news (Nr.1/1999), S.7ff - vgl. auch Bericht der Wahrheitskommission: http://hrdata.aaas.org/ceh
- Alfredsson, G., "The Rights of Indigenous Peoples with a Focus on the National Performance and Foreign Policies of the Nordic Countries" in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 59/2/1999


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/0608report-de.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/169.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-2/020528de.html | www.gfbv.it/3dossier/seattle.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html | www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-de.html | www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-conv-dt.html

* www: ILO 169, 1998 | www.survival-international.org | www.ilo.org

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