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Mapuche (Chile)

Kongress für eine strategische Allianz der Mapuche, Lota 2003

Abschlussbericht der Internationalen BeobachterInnen (Sabrina Bussani, Claudia Schmidt, Iris Castro, Eliane Alfaro)

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung | 1.1. Hintergrund | 2. Ziele des Kongresses | 3. Ablauf des Kongresses | 4. Ergebnisse des Kongresses | 5. Evaluierung | 6. Abschließende Stellungnahme

1. Einleitung .:: oben ::.

Schlusstag des Kongresses in Lota.Vom 6. - 12. Oktober 2003 hat in der chilenischen Küstenstadt Lota in der Nähe von Concepción der Kongress "Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" stattgefunden. 330 Mapuche-Delegierte aus ganz Chile haben an dieser Versammlung teilgenommen, um sich in einer einmaligen historischen Begegnung eine neue Struktur und eine eigene Vertretung zu geben. Vertreter der Mapuche-Untergruppen (Territoriale Identitäten) Lafkenche, Williche, Pewenche, die Picunche, Rañiche und die sogenannten Stadt-Mapuche sind aus Lago Ranco, Valdivia, Osorno, Panguipulli, Loncoche, La Union, Temuco, Arauco, Lebu, Cañete, Alto Bio-Bio, Valparaiso und Santiago angereist, um an diesem Kongress teilzunehmen. Rund 46% davon waren Frauen.

1.1. Hintergrund .:: oben ::.

Patricio Marchant, der Bürgermeister von Lota, mit dem Poncho, der ihm von den Mapuche überreicht wurde.Die Zahl der Mapuche beläuft sich auf rund 1,2 Millionen im gesamten chilenischen Territorium, die Mapuche in Argentinien nicht mit eingerechnet. Das entspricht rund 8% der gesamten chilenischen Bevölkerung und sie sind damit das größte indigene Volk Chiles mit einer eigenen Sprachen, Kultur, Geschichte und Kosmovision. Die meisten von ihnen leben nach wie vor in großer Armut und für einige haben auch die Verfolgungen, die während des Pinochet-Regimes begonnen haben, nie wirklich aufgehört. So ist eines der zentralen Probleme der Mapuche nach wie vor die ungeklärte Landfrage. Im Laufe der Pinochet-Diktatur wurde das zuvor als unverkäuflich eingestufte Gemeinschaftsland der Mapuche zum Verkauf freigegeben, riesige Ländereien wurden zudem einfach geraubt und diejenigen, die sich für die friedliche Rückgabe einsetzten, waren der Verfolgung ausgesetzt. Zurzeit befinden sich 95 Mapuche als politische Gefangene in chilenischen Gefängnissen. So wurden auch zur gleichen Zeit, als in Lota der Kongress tagte, zwei Mapuche in Temuco zu je fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie sich für die Rückgabe ihres Landes eingesetzt hatten.

Die Probleme der Mapuche (was in Mapudungun, ihrer eigenen Sprache, so viel wie "Menschen der Erde" bedeutet) sind jedoch äußerst komplex und bis dato gibt es von der chilenischen Regierung keinerlei ernsthafte Versuche für ein Lösung. Die Rechte der Mapuche sind noch immer nicht in der chilenischen Verfassung verankert. Es gibt zwar ein "Indigenes Gesetz" (Ley Indígena N.19.253) und die Nationale Körperschaft für Indigene Entwicklung (CONADI), die aber beide nicht die erwarteten Verbesserungen gebracht haben und zudem die rund 400.000 urbanen Mapuche völlig außer Acht lassen. Auch das großangelegte staatliche Projekt "Orígenes", das zur allgemeinen wirtschaftlichen, gesundheitlichen und kulturellen Verbesserung der indigenen Bevölkerung Chiles beitragen soll, hat bisher keine wesentlichen Änderungen bewirkt und wird - im Gegenteil - stark kritisiert.

Die Verwirklichung dieses Kongresses "Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" hat nun erstmals die Möglichkeit aufgetan, die Idee einer einheitlichen Organisation und einer gemeinsamen Strategie für eine bessere Verteidigung der eigenen Interessen in einem relativ breiten Forum zu diskutieren und darauf aufbauend Entscheidungen für ein weiteres Vorgehen zu treffen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen/Deutschland hat für diesen Kongress die Schirmherrschaft und die Finanzierung übernommen.

2. Ziele des Kongresses .:: oben ::.

Einweihung des Kongresses mit der Machi im Theater von Lota.Die Ziele dieses Kongresses "Für die strategische Einheit des Mapuche-Volkes" haben sich im vorhinein wie folgt definiert:

- Gründung einer einheitlichen Organisationsstruktur für das Mapuche-Volk, die der territorialen, organisatorischen und sozialen Vielfalt ihrer Identität Rechnung trägt.
- Fertigstellung eines Programms bzw. einer Agenda, die konkrete Forderungen und Pläne für die Zukunft des Mapuche-Volkes widerspiegelt. Dazu Erstellung eines Zeitrahmens, in dem dieses Programm bzw. die Agenda realisiert werden soll.
- Wahl einer gemeinsamen, einheitlichen Führung während des Kongresses, die das ganze Mapuche-Volk repräsentieren soll. Diese neue Führung wird die Legitimation haben, die Mapuche gegenüber der Regierung und der chilenischen Gesellschaft zu vertreten.

Im Vordergrund stand also die Frage, ob und wie man sich in Zukunft gemeinsam organisieren würde, um den zahlreichen Problemen dadurch besser entgegen treten zu können. Das impliziert nicht nur eine zukunftsgerichtete Perspektive sondern vielmehr auch einen Rückblick auf die gemeinsame Geschichte sowie ein Erfassen der eigenen Ressourcen und Möglichkeiten als Volk. So war die Tatsache, für diesen Kongress die unterschiedlichsten Untergruppen an einen Verhandlungstisch zu bringen, mindestens ebenso wichtig wie die Suche nach gemeinsamen Strategien für die Zukunft.

3. Ablauf des Kongresses .:: oben ::.

Don Rosendo Huenuman García, der Präsident des Parlamento Nación Mapuche.An dieser Stelle erscheint nur ein geraffter Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der einzelnen Kongresstage. Das genaue Programm ist im Anhang dieses Abschlussberichtes zu finden.

Nach dem Empfang fast aller 330 Delegierten im Verlauf des Montags, 6.10.2003, waren alle Anwesenden zu einem gemeinsamen Abendessen geladen. Es waren Mapuche von allen sechs oben bereits genannten Untergruppen erschienen, zudem die Machi, die traditionelle spirituelle Autorität der Mapuche, und Don Rosendo Huenuman García als Lonko, das ist die Bezeichnung für das traditionelle regional-politische Oberhaupt der Mapuche. Als Vertreter internationaler Organisationen waren anwesend Iris Castro, die die Koordination der Arbeit vor Ort für die GfbV - Deutschland übernommen hatte, Claudia Schmidt als Vertreterin der GfbV - international von der österreichischen Sektion, Sabrina Bussani von der GfbV Südtirol sowie Eliane Alfaro, Vorsitzende der französischen Menschenrechtsorganisation "Agir pour Tirua" und Überbringerin eines Grußwortes von Danielle Mitterrand an den Mapuche-Kongress.

Am Dienstag, 7. Oktober 2003 wurde der Kongress im Theater von Lota eröffnet. Nach der spirituellen Einweihungszeremonie durch die Machi, die Schamanin, wurde das Organisationskomitee des Kongresses vorgestellt: Vicente Mariqueo García (Lafkenche), Jaime Huenchuñir García (Lafkenche), Gerardo Jaramillo Gualaman (Williche), Augustín Correa Naupa (Pewenche), Guillermo Leñam Ñanculeo (Lafkenche), Ana María Cheuquepan Quezada (Williche) übernahmen den Vorsitz des Kongresses unter der Leitung von Don Rosendo Huenuman García als Präsident. Floriano Cariqueo Colpihueque (Pikunche) übernahm als Generalsekretär des Kongresses die Moderation der Eröffnung. Diese begann mit den Worten des Bürgermeisters der 49.000 Einwohner-zählenden Stadt Lota, Patricio Marchant. Es folgten die Grußworte von Claudia Schmidt (GfbV-International, GfbV-Österreich), Sabrina Bussani (GfbV-Südtirol) und Eliane Alfaro (Agir pour Tirua). Zum Abschluss ernannte der Bürgermeister den Kongress in der Person von Don Rosendo Huenuman García zum Ehrenmitglied der Stadt Lota.

Am Nachmittag folgten zuerst Interviews und Stellungnahmen gegenüber der nationalen und regionalen Presse und danach sprach unter anderem Don Rosendo Huenuman García. Er hielt einen Rückblick über die lange Geschichte des Leidens und des Kampfes der Mapuche gegen Unterdrückung und Diskriminierung und über die Entwicklung des Mapuche-Volks bis heute. Danach folgte die Berichterstattung der Delegierten zu den jeweiligen regionalen Problemen. Nach einer offenen Diskussion endete der erste Tag mit der einstimmigen Wahl und Zustimmung zur Strategischen Allianz.

Mittwoch, 8. Oktober, 2003: Dem Bericht der einzelnen territorialen Identitäten der Mapuche und einem Vortrag über Bio-Piraterie des Mapuche-Biologen Aldo Cariman Linares (immer häufiger werden traditionelle Pflanzen und Kenntnisse der Mapuche im Ausland patentiert) folgte die Entscheidung, ein Komitee für die Ausarbeitung einer institutionellen Vertretung der Mapuche zu ernennen. Dieses Komitee präsentierte im Laufe des Tages den Entwurf eines Mapuche-Parlamentes, das aus je vier Abgeordneten der Picunche, Pewenche, Williche, Lafkenche, Rañiche und Stadt-Mapuche zusammen gesetzt werden soll (siehe im Anhang "Modelo de Desarrollo Mapuche"). Dieses Parlament soll einmal im Monat in Concepción zusammentreten. Ein Organisationskomitee unter der Leitung von Rosendo Huenuman würde dazu die Aufgabe übernehmen, dieses Parlament juristisch und politisch in die Realität umzusetzen. Die Aufgaben des Parlamentes sollen sich auf die Bereiche Landwirtschaft und Ökonomie, internationale Beziehungen, Recht, Gesundheit und Lebensbedingungen sowie Bildung und Kultur erstrecken. Dieser Entwurf wurde von den Anwesenden einstimmig angenommen. Noch am Nachmittag desselben Tages wurden Arbeitsgruppen zu den einzelnen Ressorts des Parlamentes gegründet, um deren Aufgaben zu konkretisieren.

Organisationskomitee des Kongresses: (von rechts n. links) Floriano Cariqueo, Vicente Mariqueo García, Augustín Correa Naupa, Ana María Cheuquepan Quezada, Rosendo Huenuman García, Benedicto Melin Paillalí, Gerardo Jaramillo Gualaman.Donnerstag, 9. Oktober, 2003: Am Donnerstag arbeiteten vor allem die einzelnen Kommissionen bzw. Arbeitsgruppen zur Definition der Arbeitsbereiche des Parlamentes. Die sieben Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit einem Aufgabenbereich, der von wirtschaftlichen Themen, wie z.B. "Strategien zur Kommerzialisierung von Mapuche-Produkten", bis hin zu sozialen und kulturellen Themen ("Soziale Eingliederung der Mapuche", "Erziehung und Kultur", "Gesundheitswesen") reichte. Noch am selben Spät-Nachmittag wurden die Ergebnisse in schriftlicher Version vorgelegt; diese Resolutionen wurden dann am Abend im Plenum präsentiert und schließlich einstimmig angenommen.

Zu den wichtigsten Ergebnissen zählen:
- Wiederentdeckung und Förderung der Identität und Kultur - Ausbau der Kommunikation zwischen Mapuche-Gemeinschaften mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel (Radio, e-mail, usw.), die auf schnelle Weise die entfernten Distanzen überbrücken können. Die selben Mittel sollen auch verwendet werden, um das schlechte Image, das die Mapuche in der chilenischen Gesellschaft haben, zu korrigieren, und deren kulturelle Vielfalt als Reichtum für alle richtig zu stellen. - Aufbau eines Netzwerks, das die Kommunikation, den Erfahrungsaustausch und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Gemeinschaften fördern soll. Dies soll außerdem einen Austausch zwischen jungen Stadt-Mapuche und Land-Mapuche ermöglichen, damit die einen die Möglichkeit haben, die eigenen Traditionen und Kultur kennen zu lernen und die anderen, sich im "modernen Leben" zurechtzufinden. - Förderung der eigenen Sprache (Mapudungun). - Unterstützung und konkrete Hilfe bei Landrechtsfragen - Förderung der Landwirtschaft durch den Gebrauch traditioneller Techniken und Integration von neuen wissenschaftlichen Kenntnissen im Sinne einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Entwicklung - Förderung der Weiterbildung in den Sektoren Management, Landwirtschaft, traditionelles Handwerk, technologische Innovationen, usw. - Einführung eines Markenzeichens, das die Authentizität von Mapuche-Handwerk kennzeichnet und somit vor billigen und weit verbreiteten Nachahmungen schützt - Schöpfung von interdisziplinären "Gesundheits-Teams", die traditionelle Kenntnisse und Heilmethoden mit "moderner" Medizin vereinen. Dabei soll ganz im Sinne der Mapuche-Kosmovision der Gebrauch von Heilpflanzen bevorzugt werden. - Traditionelle Pflanzen und Kenntnisse vor Biopiraterie schützen.

Freitag, 10. Oktober, 2003: Am Freitag Vormittag sprachen unter anderem Ana María Cheuquepan, die einzige weibliche Mapuche-Stadträtin Chiles und der auf indigenes Recht spezialisierte Anwalt Reynaldo Mariqueo, der in seinem Vortrag die rechtliche Lage der Landbesitzproblematik schilderte und eine Bilanz über die aktuelle Situation zog. Nach einem gemeinsamen Ausflug aller 330 Teilnehmer nach Talcahuán/Concepción ging die Woche schließlich mit den Verabschiedungen und den Dankesworten der wichtigsten Vertreter zu Ende.

Samstag, 11. und Sonntag, 12. Oktober: Dank der beispielhaften Arbeit der Delegierten konnten alle im Kongress behandelten Schwerpunkte bereits am Freitag, also viel früher als erwartet, abgeschlossen werden. Ein weiterer Grund die für den schnellen Abschluss der Arbeiten liegt sicherlich in der Tatsache, dass alle Argumente, nach einer ausgiebigen Diskussion, meist einstimmig angenommen wurden und sich so weitere Debatten erübrigten. Zwischen Samstag und Sonntag galt es dann, die Abfahrt der über 300 Teilnehmer zu koordinieren und sämtliche schriftlichen Dokumentation (Vorschläge, Entscheidungen, usw.), die während des Kongresses produziert wurde, zu ordnen und fachgerecht aufs Papier zu bringen. Es hat Freude gemacht, zu sehen, dass einige Teilnehmer am Kongress, wie z.B. der Biologe Aldo Cariman Linares, ehrenamtlich bei dieser Arbeit mitgeholfen haben, und zeugt auch vom Beteiligungsgefühl, mit dem an diesem Kongress teilgenommen wurde.

4. Ergebnisse des Kongresses .:: oben ::.

Eliane Alfaro und andere Kongressteilnehmer.Die Ergebnisse des Kongresses sind im Anhang unter "Resoluciones", S. 7-10, nachlesbar, zusammenfassend aber sind die wichtigsten Ergebnisse folgende:

- Einstimmig ist die strategische Allianz der verschiedenen Territorialen Identitäten des Mapuche-Volkes zur Erhaltung der eigenen Sprache und Kultur, Lösung der Konflikte (unter anderem auch Landfragen) und zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der Mapuche akzeptiert und gewählt worden;
- Die Delegierten haben die Gründung eines Mapuche-Parlaments (Parlamento Nación Mapuche) beschlossen. Dieses Parlament wird die Aufgabenbereiche Wirtschaft, Internationale Beziehungen, Justiz, Gesundheit und Unterkunft, Erziehung und Kultur haben und aus je 4 Delegierten jeder Territorialen Identität zusammengesetzt sein;
- Es soll auf eine verfassungsverankerte Anerkennung des Mapuche-Volkes seitens der chilenischen Regierung und den politischen Parteien des Landes hingearbeitet werden;
- Die Unterzeichnung der Konvention ILO 169 seitens des chilenischen Staates soll gefördert und verlangt werden.
- Eine schnelle Lösung zugunsten der Mapuche in den Konfliktzonen soll unterstützt werden.
- Solidarität mit den politischen Gefangenen der Mapuche;
- Eine Wiedergutmachung der historischen Schuld soll verlangt werden.

5. Evaluierung .:: oben ::.

Musikgruppe der Williche.Vergleicht man die Ziele, die man sich vor dem Kongress vorgenommen hat mit denen, die tatsächlich erreicht worden sind, so kann man feststellen, dass der Kongress sehr positiv verlaufen ist. Es steht nicht nur die institutionelle Vertretung der Mapuche sondern auch die Agenda, die das Mapuche-Parlament zu realisieren hat, festgelegt worden. Insofern ist in diesen wenigen Tagen des Kongresses, der letztendlich kürzer gedauert hat als angenommen, vieles erreicht worden. So gibt es bereits einen Präsidenten des Parlamentes, die Ressorts und ihre Aufgabenbereiche sind definiert und bilden einen Rahmen für die weitere Arbeitsweise. Ein eigenes Organisationskomitee ist mit der Umsetzung des Parlamentes, also mit der Einführung als juristische Person und der Frage der Finanzierung, betraut. Es bleibt natürlich noch viel zu tun, aber mit dem Kongress ist ein äußerst wichtiger Schritt zu einer echten Einheit der Mapuche getan.

Positive Entwicklungen:
Mehrere Dinge waren für uns als Vertreterinnen von Menschenrechtsorganisationen von zentraler Bedeutung bei diesem Kongress.

- Der Kongress ist auf den Wunsch der Mapuche selbst hin zustande gekommen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die Finanzierung des Kongresses sowie die Schirmherrschaft übernommen. Aber weder die Idee noch die Umsetzung stammen von der GfbV sondern von den Mapuche selbst. Diese Tatsache ist auch von den vielen Mapuche-Delegierten öfters angesprochen und äußerst positiv bewertet worden.
- Insofern kann festgelegt werden, dass dieser Kongress ohne die Einflussnahme von politischen Parteien oder sonstigen Vertretungen zustande gekommen ist. Das ist ein zentraler Schritt hinsichtlich von Autonomie und Selbstorganisation.
- Die Organisatoren haben trotz gegenteiliger Anschuldigungen einen ernsthaften Versuch unternommen, Vertreter aller Mapuche-Untergruppen an einen Tisch zu bringen und so viele Mapuche-Organisationen wie möglich einzuladen.
- Der Verlauf des Kongresses war äußerst angenehm und diszipliniert. Trotz der anstrengenden Arbeitswoche und den schwierigen Themen ist es zu keinem internen Bruch der Delegierten gekommen. Im Gegenteil, es hat sich im Laufe der Woche immer mehr herauskristallisiert, dass nur ein gemeinsames Vorgehen diesem Prozess nützlich sein kann.
- Auch von außen ist es zu keinerlei Störungen des Ablaufes gekommen. Weder andere Mapuche-Organisationen noch der chilenische Staat haben den Versuch unternommen, den Kongress zu torpedieren, was, wie wir meinen, ein wichtiger Erfolg ist.
- Des weiteren ist der Kongress hinsichtlich von Demokratie und Transparenz vorbildlich abgelaufen. Die Entscheidungen sind von allen gefällt worden, vorbereitet war nur die Agenda des Kongresses. Selbst die Aufgabenbereiche des Parlamentes sind von allen mitbestimmt und nicht etwa vom Organisationskomitee des Kongresses bestimmt worden.

Lernprozesse:
Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten und Hindernisse, die diesen Kongress bis jetzt begleitet haben und wohl auch noch weiter begleiten werden.

Von weiterem Interesse wird die Frage sein, wie rasch und wie gut sich die Ergebnisse des Kongresses umsetzen lassen und ob sich somit ein Integrationsprozess entwickelt, der auch diejenigen erfasst, die diesmal nicht beim Kongress anwesend waren. Bereits in der Vorbereitungsphase des Kongresses hat sich abgezeichnet, dass es zu Differenzen innerhalb der Mapuche gekommen ist. Trotz der Versuche möglichst viele und unterschiedliche Organisationen einzuladen, wollten und konnten einige nicht an diesem Kongress teilnehmen. Inwiefern dieses Parlament es schaffen wird, sich nach innen und nach außen hin zu behaupten, wird einerseits von seiner Kapazität abhängen, die demokratischen Entscheidungsprozesse, die diesen ersten Kongress charakterisiert haben, beizubehalten, und andererseits von seinem Erfolg, seine Vorhaben tatsächlich in die Realität umzusetzen.

Etwas, das bei der oberflächlichen Betrachtung des Kongresses verloren gehen könnte, das aber dennoch von zentraler Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass das Hauptaugenmerk der Veranstalter und der Teilnehmer auf der wirtschaftlichen Entwicklung der Mapuche liegt. Mehr noch als ein politischer und spiritueller Kongress war dieses Treffen von der Überzeugung getragen, dass die ökonomische Besserstellung der Mapuche - sowohl am Land als auch in der Stadt - von absoluter Priorität ist. Wenn es dieses Parlament schafft, Ressourcen für die Mapuche aufzustellen, wird sich einerseits die Legitimation festigen und andererseits der Fortbestand gesichert sein.

6. Abschließende Stellungnahme .:: oben ::.

"Este congreso es especial" (Dieser Kongress ist etwas Besonderes), haben wir internationale Beobachterinnen im Laufe der Kongresswoche oftmals gehört. Auf die Rückfrage, warum denn dieser Kongress so besonders sei, war die Antwort immer wieder dieselbe: "Weil dies zum ersten mal wirklich unser Kongress ist. Hier können wir sagen, was wir denken, frei diskutieren, und selbst bestimmen, was unsere Probleme und Prioritäten sind und wie wir arbeiten wollen. Dieser Kongress wurde weder von einer politischen Partei noch von sonstigen Interessensvertretern finanziert. Wir selbst haben die Organisation und die Durchführung in die Hände genommen. Hier hängt das Ergebnis ganz von uns ab, und das gibt enorm viel Hoffnung für die Zukunft."

Als Internationale Beobachterinnen haben wir es als unsere Aufgabe betrachtet, den Ablauf des Kongresses vor allem zu "beobachten", und der erste Eindruck war auch sofort von der oben zitierten großen Zuversicht der Delegierten geprägt: am Montag, den 6. Oktober, kamen aus verschiedenen Landteilen Chiles die Busse mit den über 300 Delegierten in Lota an. Aus den Bussen stiegen vor allem müde Gesichter - Frauen, Männer unterschiedlichsten Alters, sogar Kinder, die teilweise 12 bis 15 Stunden Anreise hinter sich hatten. Vor allem für die Kinder und die Alten war das eine Anstrengung, die allein wegen der Hoffnung auf eine tatsächliche Verbesserung unternommen wurde. Die Herkunft der Delegierten (von Viña del Mar und Valparaíso in der V Region, über Santiago in der Region Metropolitana bis hin zu Osorno und San Juan de la Costa, X Region, und Comuna de Freire in der XI Region) zeugt auch von der Kontaktarbeit mit den verschiedenen Territorialen Identitäten, Strukturen und Organisationen, die dem Kongress in seiner Vorbereitung vorausgegangen war. Viele der Delegierten - vor allem des Organisationskomitees - sind bereits in anderen Mapuche-Vereinen tätig.

Beispielhaft war auch die Organisation der Rahmenbedingungen für den Kongress: in einem Land, in dem das Transportwesen mit dem unseren nicht vergleichbar ist, standen genügend Busse bereit, die die Delegierten von ihren Heimatorten nach Lota und zurück brachten. Für mehr als 300 Personen waren Unterkünfte und Mahlzeiten organisiert und kleinere Busse, die die Delegierten vom Kongresshaus zu ihren Unterkünften, zum Restaurant, usw. brachten. Kleinere organisatorische Probleme, die bei solch einer Veranstaltung unweigerlich auftreten, wurden schnell und einfach gelöst. Auch war im Vorfeld des Kongresses die Stadt Lota selbst und deren Stadtverwaltung miteinbezogen worden: die Delegierten sind in der Kleinstadt sehr freundschaftlich aufgenommen worden. Rassistische oder diskriminierende Bekundungen den Mapuche gegenüber sind ausgeblieben und haben die Kongresswoche nicht getrübt. Im Gegenteil zeugten in den Tagen unmittelbar vor und während dem Kongress die vielen Interviews in den lokalen Fernseh- und Radiostationen vom allgemeinen Interesse der Stadt.

Als Beobachterinnen waren wir dann vor allem von der Disziplin und der Zielstrebigkeit der Teilnehmer während des Kongresses beeindruckt. Die Diskussionen über die jeweiligen Themen waren offen, gegenteilige Stimmen wurden nicht unterbrochen sondern angehört und diskutiert. Wie bereits erwähnt, sind die Entscheidungen von allen getroffen worden. Die Abstimmungen erfolgten in der traditionellen Weise der Mapuche (durch Aufstehen oder eine lautstarke Zustimmung). Auch die Teilnahme an den verschieden Arbeitsgruppen war aktiv und zielbewusst. Menschen verschiedener geografischer und sozialer Herkunft haben sich bemüht, gemeinsam zu kommunizieren und zu arbeiten. Zudem hatten wir immer wieder den Eindruck, dass die Delegierten ihre Probleme sehr genau kennen und dazu auch klare Vorstellungen über mögliche Strategien und Lösungen haben. Es handelt sich also in keiner Weise um Bitten zu Lösungen von außen sondern um eine Starthilfe, damit sie endlich autonom über ihre eigene Zukunft bestimmen können. Dass es dazu Einigkeit und eine zukunftsgerichtete und aktive Perspektive braucht, die sich dabei auf die Geschichte, die Kultur und die eigenen Ressourcen besinnt, war für alle Teilnehmer mehr ein Ausgangspunkt für die weitere Arbeit als ein Ziel des Kongresses. So stimmte man auch bereits am ersten Tag des Kongresses einstimmig für die strategische Allianz.

Zusammenfassend möchten wir sagen, dass dieser "Kongress für die Strategische Einheit des Mapuche-Volkes" tatsächlich eine konkrete Basis für eine zukunftorientierte und autonome Arbeit geschaffen hat. Natürlich kann keiner den definitiven Erfolg dieses soeben erst gestarteten Prozesses garantieren. Angesichts der bisher geleisteten Arbeit sollte dem neuen Mapuche-Parlament jedoch zumindest die Möglichkeit gewährt werden, frei zu arbeiten und aus den Schwierigkeiten zu lernen, um die Teilnahme anderer Vereine, Organisationen und auch einzelner auszubauen, damit der Kongress hoffentlich einmal tatsächlich im Namen aller Mapuche sprechen kann.

Der Kongress wurde unterstützt aus Mitteln der:
- Niedersächsischen Lottostiftung. Diese Zuwendung wurde ermöglicht aus Mitteln der Lotterie Bingo! Die Umweltlotterie.
- Aktion Selbstbesteuerung (asb).
- Stiftung Vielfalt.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapuche.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapuche-de.html | www.gfbv.it/3dossier/pinochet.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-00/12a-1-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/seattle.html | www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-conv-dt.html

* www: liwen_temuko.tripod.com/map.interest.html | www.mapuche-nation.org/ | www.universidadmapuche.org/ | www.congresomapuchelota2003.dm.cl | www.geocities.com/CapitolHill/5443/index.html | www.iidh.ed.cr/ | www.derechosindigenas.cl | members.aol.com/mapulink | www.relca.net/oca/index.html | www.soc.uu.se/mapuche/

Letzte Aktual.: 12.12.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/lota2003.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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