Inhaltsverzeichnis |
1. Einleitung .:: oben ::.
Vom 6. - 12. Oktober 2003 hat in der chilenischen Küstenstadt Lota in der Nähe von Concepción der Kongress "Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" stattgefunden. 330 Mapuche-Delegierte aus ganz Chile haben an dieser Versammlung teilgenommen, um sich in einer einmaligen historischen Begegnung eine neue Struktur und eine eigene Vertretung zu geben. Vertreter der Mapuche-Untergruppen (Territoriale Identitäten) Lafkenche, Williche, Pewenche, die Picunche, Rañiche und die sogenannten Stadt-Mapuche sind aus Lago Ranco, Valdivia, Osorno, Panguipulli, Loncoche, La Union, Temuco, Arauco, Lebu, Cañete, Alto Bio-Bio, Valparaiso und Santiago angereist, um an diesem Kongress teilzunehmen. Rund 46% davon waren Frauen.
1.1. Hintergrund .:: oben ::.
Die Zahl der Mapuche
beläuft sich auf rund 1,2 Millionen im gesamten chilenischen
Territorium, die Mapuche in Argentinien nicht mit eingerechnet.
Das entspricht rund 8% der gesamten chilenischen Bevölkerung
und sie sind damit das größte indigene Volk Chiles mit
einer eigenen Sprachen, Kultur, Geschichte und Kosmovision. Die
meisten von ihnen leben nach wie vor in großer Armut und
für einige haben auch die Verfolgungen, die während des
Pinochet-Regimes begonnen haben, nie wirklich aufgehört. So
ist eines der zentralen Probleme der Mapuche nach wie vor die
ungeklärte Landfrage. Im Laufe der Pinochet-Diktatur wurde
das zuvor als unverkäuflich eingestufte Gemeinschaftsland
der Mapuche zum Verkauf freigegeben, riesige Ländereien
wurden zudem einfach geraubt und diejenigen, die sich für
die friedliche Rückgabe einsetzten, waren der Verfolgung
ausgesetzt. Zurzeit befinden sich 95 Mapuche als politische
Gefangene in chilenischen Gefängnissen. So wurden auch zur
gleichen Zeit, als in Lota der Kongress tagte, zwei Mapuche in
Temuco zu je fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie sich
für die Rückgabe ihres Landes eingesetzt hatten.
Die Probleme der Mapuche (was in Mapudungun, ihrer eigenen
Sprache, so viel wie "Menschen der Erde" bedeutet) sind jedoch
äußerst komplex und bis dato gibt es von der
chilenischen Regierung keinerlei ernsthafte Versuche für ein
Lösung. Die Rechte der Mapuche sind noch immer nicht in der
chilenischen Verfassung verankert. Es gibt zwar ein "Indigenes
Gesetz" (Ley Indígena N.19.253) und die Nationale
Körperschaft für Indigene Entwicklung (CONADI), die
aber beide nicht die erwarteten Verbesserungen gebracht haben und
zudem die rund 400.000 urbanen Mapuche völlig außer
Acht lassen. Auch das großangelegte staatliche Projekt
"Orígenes", das zur allgemeinen wirtschaftlichen,
gesundheitlichen und kulturellen Verbesserung der indigenen
Bevölkerung Chiles beitragen soll, hat bisher keine
wesentlichen Änderungen bewirkt und wird - im Gegenteil -
stark kritisiert.
Die Verwirklichung dieses Kongresses "Für eine strategische
Einheit des Mapuche-Volkes" hat nun erstmals die Möglichkeit
aufgetan, die Idee einer einheitlichen Organisation und einer
gemeinsamen Strategie für eine bessere Verteidigung der
eigenen Interessen in einem relativ breiten Forum zu diskutieren
und darauf aufbauend Entscheidungen für ein weiteres
Vorgehen zu treffen. Die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen/Deutschland hat
für diesen Kongress die Schirmherrschaft und die
Finanzierung übernommen.
2. Ziele des Kongresses .:: oben ::.
Die Ziele dieses Kongresses
"Für die strategische Einheit des Mapuche-Volkes" haben sich
im vorhinein wie folgt definiert:
- Gründung einer einheitlichen Organisationsstruktur
für das Mapuche-Volk, die der territorialen,
organisatorischen und sozialen Vielfalt ihrer Identität
Rechnung trägt.
- Fertigstellung eines Programms bzw. einer Agenda, die konkrete
Forderungen und Pläne für die Zukunft des
Mapuche-Volkes widerspiegelt. Dazu Erstellung eines Zeitrahmens,
in dem dieses Programm bzw. die Agenda realisiert werden
soll.
- Wahl einer gemeinsamen, einheitlichen Führung während
des Kongresses, die das ganze Mapuche-Volk repräsentieren
soll. Diese neue Führung wird die Legitimation haben, die
Mapuche gegenüber der Regierung und der chilenischen
Gesellschaft zu vertreten.
Im Vordergrund stand also die Frage, ob und wie man sich in
Zukunft gemeinsam organisieren würde, um den zahlreichen
Problemen dadurch besser entgegen treten zu können. Das
impliziert nicht nur eine zukunftsgerichtete Perspektive sondern
vielmehr auch einen Rückblick auf die gemeinsame Geschichte
sowie ein Erfassen der eigenen Ressourcen und Möglichkeiten
als Volk. So war die Tatsache, für diesen Kongress die
unterschiedlichsten Untergruppen an einen Verhandlungstisch zu
bringen, mindestens ebenso wichtig wie die Suche nach gemeinsamen
Strategien für die Zukunft.
3. Ablauf des Kongresses .:: oben ::.
An dieser Stelle erscheint
nur ein geraffter Überblick über die wichtigsten
Entwicklungen der einzelnen Kongresstage. Das genaue Programm ist
im Anhang dieses Abschlussberichtes zu finden.
Nach dem Empfang fast aller 330 Delegierten im Verlauf des
Montags, 6.10.2003, waren alle Anwesenden zu einem gemeinsamen
Abendessen geladen. Es waren Mapuche von allen sechs oben bereits
genannten Untergruppen erschienen, zudem die Machi, die
traditionelle spirituelle Autorität der Mapuche, und Don
Rosendo Huenuman García als Lonko, das ist die Bezeichnung
für das traditionelle regional-politische Oberhaupt der
Mapuche. Als Vertreter internationaler Organisationen waren
anwesend Iris Castro, die die Koordination der Arbeit vor Ort
für die GfbV - Deutschland übernommen hatte, Claudia
Schmidt als Vertreterin der GfbV - international von der
österreichischen Sektion, Sabrina Bussani von der GfbV
Südtirol sowie Eliane Alfaro, Vorsitzende der
französischen Menschenrechtsorganisation "Agir pour Tirua"
und Überbringerin eines Grußwortes von Danielle
Mitterrand an den Mapuche-Kongress.
Am Dienstag, 7. Oktober 2003 wurde der Kongress
im Theater von Lota eröffnet. Nach der spirituellen
Einweihungszeremonie durch die Machi, die Schamanin, wurde das
Organisationskomitee des Kongresses vorgestellt: Vicente Mariqueo
García (Lafkenche), Jaime Huenchuñir García
(Lafkenche), Gerardo Jaramillo Gualaman (Williche),
Augustín Correa Naupa (Pewenche), Guillermo Leñam
Ñanculeo (Lafkenche), Ana María Cheuquepan Quezada
(Williche) übernahmen den Vorsitz des Kongresses unter der
Leitung von Don Rosendo Huenuman García als
Präsident. Floriano Cariqueo Colpihueque (Pikunche)
übernahm als Generalsekretär des Kongresses die
Moderation der Eröffnung. Diese begann mit den Worten des
Bürgermeisters der 49.000 Einwohner-zählenden Stadt
Lota, Patricio Marchant. Es folgten die Grußworte von
Claudia Schmidt (GfbV-International, GfbV-Österreich),
Sabrina Bussani (GfbV-Südtirol) und Eliane Alfaro (Agir pour
Tirua). Zum Abschluss ernannte der Bürgermeister den
Kongress in der Person von Don Rosendo Huenuman García zum
Ehrenmitglied der Stadt Lota.
Am Nachmittag folgten zuerst Interviews und Stellungnahmen
gegenüber der nationalen und regionalen Presse und danach
sprach unter anderem Don Rosendo Huenuman García. Er hielt
einen Rückblick über die lange Geschichte des Leidens
und des Kampfes der Mapuche gegen Unterdrückung und
Diskriminierung und über die Entwicklung des Mapuche-Volks
bis heute. Danach folgte die Berichterstattung der Delegierten zu
den jeweiligen regionalen Problemen. Nach einer offenen
Diskussion endete der erste Tag mit der einstimmigen Wahl und
Zustimmung zur Strategischen Allianz.
Mittwoch, 8. Oktober, 2003: Dem Bericht der
einzelnen territorialen Identitäten der Mapuche und einem
Vortrag über Bio-Piraterie des Mapuche-Biologen Aldo Cariman
Linares (immer häufiger werden traditionelle Pflanzen und
Kenntnisse der Mapuche im Ausland patentiert) folgte die
Entscheidung, ein Komitee für die Ausarbeitung einer
institutionellen Vertretung der Mapuche zu ernennen. Dieses
Komitee präsentierte im Laufe des Tages den Entwurf eines
Mapuche-Parlamentes, das aus je vier Abgeordneten der Picunche,
Pewenche, Williche, Lafkenche, Rañiche und Stadt-Mapuche
zusammen gesetzt werden soll (siehe im Anhang "Modelo de
Desarrollo Mapuche"). Dieses Parlament soll einmal im Monat in
Concepción zusammentreten. Ein Organisationskomitee unter
der Leitung von Rosendo Huenuman würde dazu die Aufgabe
übernehmen, dieses Parlament juristisch und politisch in die
Realität umzusetzen. Die Aufgaben des Parlamentes sollen
sich auf die Bereiche Landwirtschaft und Ökonomie,
internationale Beziehungen, Recht, Gesundheit und
Lebensbedingungen sowie Bildung und Kultur erstrecken. Dieser
Entwurf wurde von den Anwesenden einstimmig angenommen. Noch am
Nachmittag desselben Tages wurden Arbeitsgruppen zu den einzelnen
Ressorts des Parlamentes gegründet, um deren Aufgaben zu
konkretisieren.
Donnerstag, 9.
Oktober, 2003: Am Donnerstag arbeiteten vor allem die
einzelnen Kommissionen bzw. Arbeitsgruppen zur Definition der
Arbeitsbereiche des Parlamentes. Die sieben Arbeitsgruppen
beschäftigten sich mit einem Aufgabenbereich, der von
wirtschaftlichen Themen, wie z.B. "Strategien zur
Kommerzialisierung von Mapuche-Produkten", bis hin zu sozialen
und kulturellen Themen ("Soziale Eingliederung der Mapuche",
"Erziehung und Kultur", "Gesundheitswesen") reichte. Noch am
selben Spät-Nachmittag wurden die Ergebnisse in
schriftlicher Version vorgelegt; diese Resolutionen wurden dann
am Abend im Plenum präsentiert und schließlich
einstimmig angenommen.
Zu den wichtigsten Ergebnissen zählen:
- Wiederentdeckung und Förderung der Identität und
Kultur - Ausbau der Kommunikation zwischen Mapuche-Gemeinschaften
mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel (Radio, e-mail,
usw.), die auf schnelle Weise die entfernten Distanzen
überbrücken können. Die selben Mittel sollen auch
verwendet werden, um das schlechte Image, das die Mapuche in der
chilenischen Gesellschaft haben, zu korrigieren, und deren
kulturelle Vielfalt als Reichtum für alle richtig zu
stellen. - Aufbau eines Netzwerks, das die Kommunikation, den
Erfahrungsaustausch und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
den Gemeinschaften fördern soll. Dies soll außerdem
einen Austausch zwischen jungen Stadt-Mapuche und Land-Mapuche
ermöglichen, damit die einen die Möglichkeit haben, die
eigenen Traditionen und Kultur kennen zu lernen und die anderen,
sich im "modernen Leben" zurechtzufinden. - Förderung der
eigenen Sprache (Mapudungun). - Unterstützung und konkrete
Hilfe bei Landrechtsfragen - Förderung der Landwirtschaft
durch den Gebrauch traditioneller Techniken und Integration von
neuen wissenschaftlichen Kenntnissen im Sinne einer nachhaltigen
und umweltfreundlichen Entwicklung - Förderung der
Weiterbildung in den Sektoren Management, Landwirtschaft,
traditionelles Handwerk, technologische Innovationen, usw. -
Einführung eines Markenzeichens, das die Authentizität
von Mapuche-Handwerk kennzeichnet und somit vor billigen und weit
verbreiteten Nachahmungen schützt - Schöpfung von
interdisziplinären "Gesundheits-Teams", die traditionelle
Kenntnisse und Heilmethoden mit "moderner" Medizin vereinen.
Dabei soll ganz im Sinne der Mapuche-Kosmovision der Gebrauch von
Heilpflanzen bevorzugt werden. - Traditionelle Pflanzen und
Kenntnisse vor Biopiraterie schützen.
Freitag, 10. Oktober, 2003: Am Freitag Vormittag
sprachen unter anderem Ana María Cheuquepan, die einzige
weibliche Mapuche-Stadträtin Chiles und der auf indigenes
Recht spezialisierte Anwalt Reynaldo Mariqueo, der in seinem
Vortrag die rechtliche Lage der Landbesitzproblematik schilderte
und eine Bilanz über die aktuelle Situation zog. Nach einem
gemeinsamen Ausflug aller 330 Teilnehmer nach
Talcahuán/Concepción ging die Woche
schließlich mit den Verabschiedungen und den Dankesworten
der wichtigsten Vertreter zu Ende.
Samstag, 11. und Sonntag, 12. Oktober: Dank der
beispielhaften Arbeit der Delegierten konnten alle im Kongress
behandelten Schwerpunkte bereits am Freitag, also viel
früher als erwartet, abgeschlossen werden. Ein weiterer
Grund die für den schnellen Abschluss der Arbeiten liegt
sicherlich in der Tatsache, dass alle Argumente, nach einer
ausgiebigen Diskussion, meist einstimmig angenommen wurden und
sich so weitere Debatten erübrigten. Zwischen Samstag und
Sonntag galt es dann, die Abfahrt der über 300 Teilnehmer zu
koordinieren und sämtliche schriftlichen Dokumentation
(Vorschläge, Entscheidungen, usw.), die während des
Kongresses produziert wurde, zu ordnen und fachgerecht aufs
Papier zu bringen. Es hat Freude gemacht, zu sehen, dass einige
Teilnehmer am Kongress, wie z.B. der Biologe Aldo Cariman
Linares, ehrenamtlich bei dieser Arbeit mitgeholfen haben, und
zeugt auch vom Beteiligungsgefühl, mit dem an diesem
Kongress teilgenommen wurde.
4. Ergebnisse des Kongresses .:: oben ::.
Die Ergebnisse des Kongresses sind im
Anhang unter "Resoluciones", S. 7-10, nachlesbar, zusammenfassend
aber sind die wichtigsten Ergebnisse folgende:
- Einstimmig ist die strategische Allianz der verschiedenen
Territorialen Identitäten des Mapuche-Volkes zur Erhaltung
der eigenen Sprache und Kultur, Lösung der Konflikte (unter
anderem auch Landfragen) und zur Verbesserung der allgemeinen
Lebensbedingungen der Mapuche akzeptiert und gewählt
worden;
- Die Delegierten haben die Gründung eines
Mapuche-Parlaments (Parlamento Nación Mapuche)
beschlossen. Dieses Parlament wird die Aufgabenbereiche
Wirtschaft, Internationale Beziehungen, Justiz, Gesundheit und
Unterkunft, Erziehung und Kultur haben und aus je 4 Delegierten
jeder Territorialen Identität zusammengesetzt sein;
- Es soll auf eine verfassungsverankerte Anerkennung des
Mapuche-Volkes seitens der chilenischen Regierung und den
politischen Parteien des Landes hingearbeitet werden;
- Die Unterzeichnung der Konvention ILO 169 seitens des
chilenischen Staates soll gefördert und verlangt
werden.
- Eine schnelle Lösung zugunsten der Mapuche in den
Konfliktzonen soll unterstützt werden.
- Solidarität mit den politischen Gefangenen der
Mapuche;
- Eine Wiedergutmachung der historischen Schuld soll verlangt
werden.
5. Evaluierung .:: oben ::.
Vergleicht man die Ziele,
die man sich vor dem Kongress vorgenommen hat mit denen, die
tatsächlich erreicht worden sind, so kann man feststellen,
dass der Kongress sehr positiv verlaufen ist. Es steht nicht nur
die institutionelle Vertretung der Mapuche sondern auch die
Agenda, die das Mapuche-Parlament zu realisieren hat, festgelegt
worden. Insofern ist in diesen wenigen Tagen des Kongresses, der
letztendlich kürzer gedauert hat als angenommen, vieles
erreicht worden. So gibt es bereits einen Präsidenten des
Parlamentes, die Ressorts und ihre Aufgabenbereiche sind
definiert und bilden einen Rahmen für die weitere
Arbeitsweise. Ein eigenes Organisationskomitee ist mit der
Umsetzung des Parlamentes, also mit der Einführung als
juristische Person und der Frage der Finanzierung, betraut. Es
bleibt natürlich noch viel zu tun, aber mit dem Kongress ist
ein äußerst wichtiger Schritt zu einer echten Einheit
der Mapuche getan.
Positive Entwicklungen:
Mehrere Dinge waren für uns als Vertreterinnen von
Menschenrechtsorganisationen von zentraler Bedeutung bei diesem
Kongress.
- Der Kongress ist auf den Wunsch der Mapuche selbst hin zustande
gekommen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die
Finanzierung des Kongresses sowie die Schirmherrschaft
übernommen. Aber weder die Idee noch die Umsetzung stammen
von der GfbV sondern von den Mapuche selbst. Diese Tatsache ist
auch von den vielen Mapuche-Delegierten öfters angesprochen
und äußerst positiv bewertet worden.
- Insofern kann festgelegt werden, dass dieser Kongress ohne die
Einflussnahme von politischen Parteien oder sonstigen
Vertretungen zustande gekommen ist. Das ist ein zentraler Schritt
hinsichtlich von Autonomie und Selbstorganisation.
- Die Organisatoren haben trotz gegenteiliger Anschuldigungen
einen ernsthaften Versuch unternommen, Vertreter aller
Mapuche-Untergruppen an einen Tisch zu bringen und so viele
Mapuche-Organisationen wie möglich einzuladen.
- Der Verlauf des Kongresses war äußerst angenehm und
diszipliniert. Trotz der anstrengenden Arbeitswoche und den
schwierigen Themen ist es zu keinem internen Bruch der
Delegierten gekommen. Im Gegenteil, es hat sich im Laufe der
Woche immer mehr herauskristallisiert, dass nur ein gemeinsames
Vorgehen diesem Prozess nützlich sein kann.
- Auch von außen ist es zu keinerlei Störungen des
Ablaufes gekommen. Weder andere Mapuche-Organisationen noch der
chilenische Staat haben den Versuch unternommen, den Kongress zu
torpedieren, was, wie wir meinen, ein wichtiger Erfolg ist.
- Des weiteren ist der Kongress hinsichtlich von Demokratie und
Transparenz vorbildlich abgelaufen. Die Entscheidungen sind von
allen gefällt worden, vorbereitet war nur die Agenda des
Kongresses. Selbst die Aufgabenbereiche des Parlamentes sind von
allen mitbestimmt und nicht etwa vom Organisationskomitee des
Kongresses bestimmt worden.
Lernprozesse:
Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten und Hindernisse, die
diesen Kongress bis jetzt begleitet haben und wohl auch noch
weiter begleiten werden.
Von weiterem Interesse wird die Frage sein, wie rasch und wie gut
sich die Ergebnisse des Kongresses umsetzen lassen und ob sich
somit ein Integrationsprozess entwickelt, der auch diejenigen
erfasst, die diesmal nicht beim Kongress anwesend waren. Bereits
in der Vorbereitungsphase des Kongresses hat sich abgezeichnet,
dass es zu Differenzen innerhalb der Mapuche gekommen ist. Trotz
der Versuche möglichst viele und unterschiedliche
Organisationen einzuladen, wollten und konnten einige nicht an
diesem Kongress teilnehmen. Inwiefern dieses Parlament es
schaffen wird, sich nach innen und nach außen hin zu
behaupten, wird einerseits von seiner Kapazität
abhängen, die demokratischen Entscheidungsprozesse, die
diesen ersten Kongress charakterisiert haben, beizubehalten, und
andererseits von seinem Erfolg, seine Vorhaben tatsächlich
in die Realität umzusetzen.
Etwas, das bei der oberflächlichen Betrachtung des
Kongresses verloren gehen könnte, das aber dennoch von
zentraler Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass das
Hauptaugenmerk der Veranstalter und der Teilnehmer auf der
wirtschaftlichen Entwicklung der Mapuche liegt. Mehr noch als ein
politischer und spiritueller Kongress war dieses Treffen von der
Überzeugung getragen, dass die ökonomische
Besserstellung der Mapuche - sowohl am Land als auch in der Stadt
- von absoluter Priorität ist. Wenn es dieses Parlament
schafft, Ressourcen für die Mapuche aufzustellen, wird sich
einerseits die Legitimation festigen und andererseits der
Fortbestand gesichert sein.
6. Abschließende Stellungnahme .:: oben ::.
"Este congreso es especial" (Dieser Kongress ist etwas
Besonderes), haben wir internationale Beobachterinnen im Laufe
der Kongresswoche oftmals gehört. Auf die Rückfrage,
warum denn dieser Kongress so besonders sei, war die Antwort
immer wieder dieselbe: "Weil dies zum ersten mal wirklich unser
Kongress ist. Hier können wir sagen, was wir denken, frei
diskutieren, und selbst bestimmen, was unsere Probleme und
Prioritäten sind und wie wir arbeiten wollen. Dieser
Kongress wurde weder von einer politischen Partei noch von
sonstigen Interessensvertretern finanziert. Wir selbst haben die
Organisation und die Durchführung in die Hände
genommen. Hier hängt das Ergebnis ganz von uns ab, und das
gibt enorm viel Hoffnung für die Zukunft."
Als Internationale Beobachterinnen haben wir es als unsere
Aufgabe betrachtet, den Ablauf des Kongresses vor allem zu
"beobachten", und der erste Eindruck war auch sofort von der oben
zitierten großen Zuversicht der Delegierten geprägt:
am Montag, den 6. Oktober, kamen aus verschiedenen Landteilen
Chiles die Busse mit den über 300 Delegierten in Lota an.
Aus den Bussen stiegen vor allem müde Gesichter - Frauen,
Männer unterschiedlichsten Alters, sogar Kinder, die
teilweise 12 bis 15 Stunden Anreise hinter sich hatten. Vor allem
für die Kinder und die Alten war das eine Anstrengung, die
allein wegen der Hoffnung auf eine tatsächliche Verbesserung
unternommen wurde. Die Herkunft der Delegierten (von Viña
del Mar und Valparaíso in der V Region, über Santiago
in der Region Metropolitana bis hin zu Osorno und San Juan de la
Costa, X Region, und Comuna de Freire in der XI Region) zeugt
auch von der Kontaktarbeit mit den verschiedenen Territorialen
Identitäten, Strukturen und Organisationen, die dem Kongress
in seiner Vorbereitung vorausgegangen war. Viele der Delegierten
- vor allem des Organisationskomitees - sind bereits in anderen
Mapuche-Vereinen tätig.
Beispielhaft war auch die Organisation der Rahmenbedingungen
für den Kongress: in einem Land, in dem das Transportwesen
mit dem unseren nicht vergleichbar ist, standen genügend
Busse bereit, die die Delegierten von ihren Heimatorten nach Lota
und zurück brachten. Für mehr als 300 Personen waren
Unterkünfte und Mahlzeiten organisiert und kleinere Busse,
die die Delegierten vom Kongresshaus zu ihren Unterkünften,
zum Restaurant, usw. brachten. Kleinere organisatorische
Probleme, die bei solch einer Veranstaltung unweigerlich
auftreten, wurden schnell und einfach gelöst. Auch war im
Vorfeld des Kongresses die Stadt Lota selbst und deren
Stadtverwaltung miteinbezogen worden: die Delegierten sind in der
Kleinstadt sehr freundschaftlich aufgenommen worden. Rassistische
oder diskriminierende Bekundungen den Mapuche gegenüber sind
ausgeblieben und haben die Kongresswoche nicht getrübt. Im
Gegenteil zeugten in den Tagen unmittelbar vor und während
dem Kongress die vielen Interviews in den lokalen Fernseh- und
Radiostationen vom allgemeinen Interesse der Stadt.
Als Beobachterinnen waren wir dann vor allem von der Disziplin
und der Zielstrebigkeit der Teilnehmer während des
Kongresses beeindruckt. Die Diskussionen über die jeweiligen
Themen waren offen, gegenteilige Stimmen wurden nicht
unterbrochen sondern angehört und diskutiert. Wie bereits
erwähnt, sind die Entscheidungen von allen getroffen worden.
Die Abstimmungen erfolgten in der traditionellen Weise der
Mapuche (durch Aufstehen oder eine lautstarke Zustimmung). Auch
die Teilnahme an den verschieden Arbeitsgruppen war aktiv und
zielbewusst. Menschen verschiedener geografischer und sozialer
Herkunft haben sich bemüht, gemeinsam zu kommunizieren und
zu arbeiten. Zudem hatten wir immer wieder den Eindruck, dass die
Delegierten ihre Probleme sehr genau kennen und dazu auch klare
Vorstellungen über mögliche Strategien und
Lösungen haben. Es handelt sich also in keiner Weise um
Bitten zu Lösungen von außen sondern um eine
Starthilfe, damit sie endlich autonom über ihre eigene
Zukunft bestimmen können. Dass es dazu Einigkeit und eine
zukunftsgerichtete und aktive Perspektive braucht, die sich dabei
auf die Geschichte, die Kultur und die eigenen Ressourcen
besinnt, war für alle Teilnehmer mehr ein Ausgangspunkt
für die weitere Arbeit als ein Ziel des Kongresses. So
stimmte man auch bereits am ersten Tag des Kongresses einstimmig
für die strategische Allianz.
Zusammenfassend möchten wir sagen, dass dieser "Kongress
für die Strategische Einheit des Mapuche-Volkes"
tatsächlich eine konkrete Basis für eine
zukunftorientierte und autonome Arbeit geschaffen hat.
Natürlich kann keiner den definitiven Erfolg dieses soeben
erst gestarteten Prozesses garantieren. Angesichts der bisher
geleisteten Arbeit sollte dem neuen Mapuche-Parlament jedoch
zumindest die Möglichkeit gewährt werden, frei zu
arbeiten und aus den Schwierigkeiten zu lernen, um die Teilnahme
anderer Vereine, Organisationen und auch einzelner auszubauen,
damit der Kongress hoffentlich einmal tatsächlich im Namen
aller Mapuche sprechen kann.
Der Kongress wurde unterstützt aus Mitteln
der:
- Niedersächsischen Lottostiftung. Diese Zuwendung wurde
ermöglicht aus Mitteln der Lotterie Bingo! Die
Umweltlotterie.
- Aktion Selbstbesteuerung (asb).
- Stiftung Vielfalt.