In: Home > DOSSIER > Minderheiten in Israel: Zwischen staatlicher Fürsorge und langsamer Assimilierung
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Von Mordechai Zaken
Bozen, Göttingen, 14. Oktober 2016
Tänzerinnen und Tänzer der Tscherkessen, die mit etwa 4.000 Angehörigen zu den zahlenmäßig kleinsten Minderheiten in Israel gehören. Foto: Israeltourism/Flickr BY-SA 2.0.
Israel wird als Staat des jüdischen Volks
bezeichnet. 75 Prozent der Bevölkerung sind Juden,
während die restlichen Staatsbürger zu religiösen,
ethnischen und nationalen Minderheiten gehören. Die
Unabhängigkeitserklärung von Israel garantiert, dass
die Regierung "... volle soziale und politische
Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der
Religion, der Rasse und des Geschlechts gewähren
[wird]" (www.israelnet.de/unabhaengigkeitserklaerung.html).
Der Staat hat sich dazu verpflichtet, soziale und politische
Gleichberechtigung für all seine Bürger zu garantieren.
Zudem hat er die freie Religionsausübung, sowie den Schutz
heiliger Stätten aller Religionen versprochen. Allen
Bürgern Israels wird das aktive und passive Wahlrecht
zugesprochen. Ihnen stehen Sozialleistungen und
Gesundheitsvorsorgeleistungen, ein israelischer Reisepass sowie
ein Personalausweis zu. Momentan gibt es 17 arabische Mitglieder
in der Knesset, bei einer Gesamtzahl von 120 Abgeordneten. Neben
13 von 14 Mitgliedern der Vereinten Arabischen Liste gibt es vier
arabische Parlamentarier in zionistischen Parteien.
Arabisch ist eine der offiziellen Amtssprachen Israels. Der
Gebrauch der arabischen Sprache stieg in den 1990er Jahren in
Folge von Beschlüssen des Obersten Gerichtshofes wesentlich
an. Regierungsministerien veröffentlichen alle
öffentlichen Dokumente auf Hebräisch. Ausgewählte
Unterlagen werden in das Arabische übersetzt. Den
israelischen Arabern werden volle politische sowie
Bürgerrechte zugesprochen, um ihnen eine
uneingeschränkte Teilhabe an der israelischen Gesellschaft
zu ermöglichen. Sie nehmen aktiv an Israels sozialem,
politischem und bürgerlichem Leben teil und genießen
Repräsentanz im israelischen Parlament, Auslandsdienst und
Rechtssystem. Das Arbeitsrecht berücksichtigt alle
religiösen Feiertage der Minderheiten in Israel.
Die Minderheitengruppen in Israel, insbesondere die Muslime,
Christen und Drusen, genießen juristische Autonomie in
allen religiösen, familiären und kommunalen
Angelegenheiten. Zudem genießen sie in ihrer
religiösen Bildung Autonomie. Der Staat hat das
Gerichtswesen der Shari'a für Muslime eingeführt und
erkennt das interne Gerichtssystem der verschiedenen christlichen
Kirchen sowie der Drusen ebenfalls an.
Ein Alleinstellungsmerkmal der arabischen Minderheiten in Israel
ist, dass sie ein Teil der arabischen Welt sind, welche Israel
umgibt. Einige arabische Politiker haben ein Überdenken der
israelischen Flagge und der Nationalhymne gefordert mit dem
Argument, dass der Davidstern in der Mitte der Flagge ein
ausschließlich jüdisches Symbol sei, und dass der
Liedtext der Nationalhymne "Hatikvah" nur jüdische
Hoffnungen und Wünsche nach einer Rückkehr in ihr
Heimatland repräsentiere.
2009 erklärte der israelisch-arabische Journalist, Khaled
Abu Toameh, einem muslimischen Publikum während der Durban
Review Conference, dass, obwohl die Araber in Israel mit
ernsthaften Problemen konfrontiert seien, "Israel ein
wundervoller Ort zum Leben ist und wir froh sind, dort zu sein.
Israel ist ein freies und offenes Land.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber in Israel als
zweitklassiger Bürger leben, als ein
Erste-Klasse-Bürger in Kairo, Gaza, Amman oder Ramallah zu
sein." 2014 hat die Knesset neue Gesetze verabschiedet, welche
Christen und Muslime unterteilt. Das Ziel ist es, einen Vertreter
der Christen sowie einen der Muslime in ein Komitee für
Gleichberechtigung in der Arbeitswelt zu wählen.
Ebenso ermöglichte der Innenminister 2014 die Registrierung
der christlichen Bürger aramäischen Ursprungs unter dem
Artikel der religiösen Nationalität in ihren
Ausweisdokumenten. Die Entscheidung betrifft die meisten
Christen, die in Israel leben, obwohl sich nur ein paar Hundert
Familien selbst als "aramäisch" registriert haben. Einige
arabische Politiker haben diese Neuerung kritisiert, da so die
automatische Registrierung von Christen als "arabisch" beendet
wird.
Der arabische Markt in der Altstadt von Jerusalem. Foto: alexsi/istock.
Ungefähr 1,8 Millionen Menschen, das entspricht 24
Prozent der Bevölkerung, sind in Israel nicht jüdisch.
Obwohl man sie zusammenfassend als arabische Bürger Israels
bezeichnet, bestehen sie aus unterschiedlichen Gruppen, die
hauptsächlich arabisch sprechen, aber verschiedene ethnische
Merkmale aufweisen sowie unterschiedlichen Religionen
angehören.
Muslimische Araber, mehr als 1,2 Millionen Menschen und
mehrheitlich Sunniten, leben meistens in kleinen Städten
oder Dörfern. Geografisch sind dies größtenteils
drei Regionen: in Galiläa in Nordisrael, wo sie mehr als 50
Prozent der Bevölkerung ausmachen; in der Mitte Israels, in
einer Gegend, welche als "das Dreieck" bekannt ist; und in der
südlichen Wüstenregion, Negev, wo überwiegend
Beduinen leben. Zudem gibt eine größere Anzahl von
Arabern in den gemischten Großstädten, wie Haifa,
Jerusalem, Jaffa, Akkon, Lod und Ramla.
Die arabischen Beduinen sind Muslime. Die ungefähr 250.000
Beduinen waren zunächst Nomaden, die sich langsam von einer
nomadischen und stammes-sozialen hin zu einer ortsgebundenen
Lebensweise wandelten, sowohl in Galiläa als auch in Negev.
Ungefähr die Hälfte der beduinischen Bevölkerung
lebt in folgenden südlichen Städten: Rahat, Ar'arat
anNaqab, Bir Hadaj, Hura, Kuseife, Lakiya, Shaqib al-Salam (Segev
Shalom) und Tel as-Sabi' (Tel Sheva). Die übrigen Beduinen
leben hauptsächlich in der Negev-Wüste, in nicht
registrierten Dörfern, sodass ihr legaler Status und ihre
Planungsprogramme von den Autoritäten noch nicht anerkannt
wurden. Dies ist auch ein Streitpunkt zwischen der beduinischen
Gemeinschaft und den staatlichen Behörden. Die Beduinen in
Nordisrael leben in Dutzenden Dörfern in Galiläa,
wenngleich sich ihre Stammesstrukturen durch das Ende der
Nomadisierung und ihre dauerhafte Niederlassung in den
Städten und Dörfern langsam auflösen.
Die christlichen Araber, ungefähr 165.000 Menschen, leben
hauptsächlich in urbanen Gegenden, wie Nazareth, Shefar'am
und Haifa. Die Mehrheit der christlichen Araber ist der
griechischkatholischen, griechisch-orthodoxen oder der
römisch-katholischen Kirche angeschlossen. Historisch
gesehen gibt es einen großen Unterschied zwischen den
christlichen Arabern und den Muslimen in Israel. Allgemein
gesprochen waren die Christen für ihr hohes Bildungsniveau -
viele sind Physiker, Rechtsanwälte, Ingenieure,
Wissenschaftler -, für ihren hohen Lebensstandard und ihre
relativ geringe Anzahl an Kindern bekannt. Zudem waren sie
liberaler und eher bereit, die jüdische Idee von Israel zu
akzeptieren als die Muslime. Gleichwohl treffen einige dieser
Eigenschaften im Zeitalter des 21. Jahrhunderts und im Wege der
Globalisierung auch auf Muslime nach und nach zu.
Die größte Gruppe der Christen in Israel ist die
griechisch-katholische, welche sich hauptsächlich in
Nazareth befindet. Die Gemeinschaft hat viele Bildungs-, Sozial-,
Gesundheits-, Wohlfahrts- und Religionseinrichtungen für die
Öffentlichkeit geschaffen. Darauf folgt die
griechisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft. In OstJerusalem
befindet sich ihr Oberhaupt, das Patriachat. Das
griechisch-orthodoxe Establishment hat eine lange Tradition der
Beziehungen zur russischorthodoxen Kirche.
Die Latiner sind die drittgrößte Gruppe: Sie
gehören zur katholischen Kirche und erkennen die
Autorität des Papstes in Rom an. Die Gemeinschaft wird von
dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, welcher von dem
Heiligen Stuhl bestimmt wird, verwaltet und ist ebenso für
Zypern und Jordanien zuständig. Die Maroniten sind seit dem
Rückzug Israels aus dem Libanon im Jahr 2000 gewachsen.
Damals bot Israel den Familien christlicher Soldaten der
südlibanesischen Armee, die seit den frühen 1980er
Jahren mit Israel gegen Hisbollah kooperierte, Schutz. Ihre
Anzahl beträgt ungefähr 6.000.
Dazu kommen kleine Gemeinschaften der Aramäer, Armenier,
Kopten und Äthiopisch-Orthodoxen. Die Aramäer stellen
ungefähr 200 Familien, welche im nördlichen Teil
Israels leben. Sie wurden im September 2014 als israelische
Christen mit eigener ethnischer und nationaler Einheit anerkannt,
eng verbunden mit ihren aramäischen Wurzeln, politisch
verbunden mit dem Staat Israel und abgegrenzt von der
automatischen Zuordnung zu den Arabern, denen sie zuvor
zugerechnet wurden.
Die Armenier leben überwiegend im armenischen Viertel in
Ost-Jerusalem, manche in Jaffa und manche in Haifa. Ihre Zahl
liegt bei ungefähr 3.000. Die Kopten siedeln
überwiegend in Jerusalem, einige in Nazareth und einige in
Jaffa. Ihre Anzahl beträgt ungefähr 2.000. Die
Äthiopisch-Orthodoxen leben überwiegend in
Ost-Jerusalem sowie im westlichen Teil Jerusalems nahe der
Altstadt. Zudem gibt es eine steigende Anzahl von Protestanten,
die ursprünglich aus westlichen Ländern, insbesondere
Nordamerika und Europa, aber auch aus Fernost kamen. Beeinflusst
durch die evangelikale Bewe-gung machen sie Israel aus
religiösen Gründen zu ihrer Heimat.
Zwei der Minderheitengruppen dienen in der israelischen Armee
als Soldaten, da sie dem Wehrdienst verpflichtet sind. Dies sind
die Drusen und die Tscherkessen. Die Drusen, 134.000 Menschen,
leben in 22 Dörfern im Carmel Gebirge in Galiläa und in
vier Dörfern auf den Golanhöhen, in welchen Teile der
Bevölkerung sich noch Syrien zugehörig fühlen. Sie
gelten als eigene arabischsprechende Gemeinschaft. Eine Umfrage
aus dem Jahr 2008 zeigte, dass 94 Prozent der Drusen sich selbst
als Israelis sehen. Da die drusische Religion für
Außenstehende nicht zugänglich ist, ist eine bekannte
Ansicht ihrer Philosophie das Konzept der "taqiyya"
(wörtlich: Umsicht, Angst, Vorsicht).
Das bedeutet, dass die drusische Religion absolute Loyalität
ihrer Anhänger zum Regime des jeweiligen Landes, in dem sie
leben, fordert. Die Drusen sind demzufolge Israel gegenüber
loyal und dienen in der israelischen Armee - im Gegensatz zu den
meisten Muslimen - wo sie auch hohe Offiziersränge besetzen.
Viele arbeiten zudem in Regierungsministerien und bei
Behörden.
Die Drusen sind Teil einer Religion, welche sich aus dem
schiitischen Islam im 11. Jahrhundert entwickelte. Ihre
Anhänger siedeln hauptsächlich in Syrien, im Libanon
oder in Israel. Ihr Glaube ist monotheistisch und wird geheim
gehalten. Er ist nur den religiösen Drusen, welche sich
"Ougal" nennen, bekannt. Der Rest der drusischen Bevölkerung
nennt sich "Juhal". Ihnen ist es nicht erlaubt, sich in das
religiöse Leben der Gemeinschaft einzumischen. Der Glaube
besteht aus universalen Werten, wie Toleranz, Gerechtigkeit und
Loyalität der Gemeinschaft, des Staates und dem Oberhaupt
gegenüber. Zudem sind Männer und Frauen gleichgestellt
und es wird Frauen erlaubt, als religiöse Führerinnen
zu fungieren.
Die Tscherkessen sind nichtarabische Muslime. Sie umfassen
ungefähr 4.000 Menschen und kommen ursprünglich vom
Kaukasus. Die Tscherkessen nennen sich selbst "Adiga". Sie
immigrierten in das Osmanische Reich und manche kamen nach
Israel, wo sie zwei Dörfer errichteten: Rehaniya und Kafr
Kama. Während sie ihre eigene ethnische Identität
bewahren, nehmen sie an Israels Wirtschaft und nationalen
Angelegenheiten teil, ohne sich an die jüdische Gesellschaft
oder die muslimische Gemeinschaft anzupassen.
Die Ahmadiyya-Muslime sind Anhänger einer neuen Religion,
welche ihre Wurzeln in Indien des 19. Jahrhunderts hat. Es
handelt sich um eine Verbindung unterschiedlicher Religionen,
basierend vor allem auf dem Islam, aber auch auf hinduistischen
und christlichen Elementen. Der Schwerpunkt der Ahmadiyya-Muslime
ist Frieden und Liebe, was eine Ablehnung der
dschihadistisch-militanten Seite des Islam bedeutet. In Haifa
leben etwa 2.000 von ihnen.
Die Samaritaner schließlich sind Mitglieder einer
national-religiösen Gemeinschaft, derer Religion dem
Judentum sehr nahe steht. Ihre Gemeinschaft war im Altertum
groß und stark. Aber aufgrund der Konvertierungen zum Islam
nahm die Anzahl der Anhänger langsam ab. Heute gibt es noch
ungefähr 700 Samaritaner, von denen die Hälfte in
Nablus (Shkhem) und die andere Hälfte in Cholon lebt.
Israel betrachtet die Beziehung zu den Minderheiten als eine
wichtige Angelegenheit, trotz und gerade aufgrund der besonderen
Umstände und komplizierten Verbindungen zwischen dem
jüdischen Staat und den Minderheitengruppen. So gibt es ein
Amt für Minderheitenangelegenheiten, das dem Ministerium
für öffentliche Sicherheit angegliedert ist. In
Kooperation mit Vertretern der Minderheiten und öffentlichen
Personen wurden zwei Foren gebildet, welche regelmäßig
über die Belange der Minderheiten mit den
Regierungsbehörden diskutieren.
Das erste wurde 2013 gegründet und nennt sich Forum der
Regierung und der christlichen Organisation. Das zweite
heißt Forum der Regierung und der Araber und wurde 2016 ins
Leben gerufen. Die arabische Wochenzeitung alakhbar aus Nazareth
hat ihre Titelseite vom 11. März 2016 dem arabischen
Regierungsforum gewidmet. Dieses hatte sich zuvor im Ministerium
für öffentliche Sicherheit versammelt.
[Übersetzung] Lena Weber
Aus pogrom-bedrohte Völker 295 (4/2016).
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/gaza-de.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/dissens.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/stimme.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/frauer.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/watzal.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/avnery.html |
www.gfbv.it/3dossier/isr-pal/neudeck.html
in www: www.machsomwatch.org/en