Von Wolfgang Mayr
Bozen, 6. März 2006
INDEX
Allgemeiner Überblick | Gefährdete Sprachgruppen | Italienische Rechte contra Slowenen | Ständige Konferenz der Sprachminderheiten - Nur
ein Alibi? | Sinti und Roma - ausgegrenzt und
diskriminiert | Alter und neuer
Antisemitismus | Islamophobie und Angst vor
Terror | Löchriges Asyl | RAI und Minderheiten - die Ausgesperrten | Armonizzare Babele: Dokumente
Ein Wolf im Schafspelz? Alleanza Nazionale und
ihr ungebrochenes Verhältnis zum faschistischen Erbe,
von Günther Pallaver
Noch lange nicht am Ziel. Nach dem ersten Schritt
hat AN-Chef Gianfranco Fini noch viel zu tun: Antisemitische
Bodensätze in Alleanza Nazionale, von Günther
Pallaver
Für die Mitte-Rechts-Regierung sind Minderheitenrechte
nicht einmal ein Randthema. Die rechte Regierung lässt die
Sprachminderheiten links liegen. Die Mitte-Rechts-Regierung kann
nur eine dünne Bilanz ihrer Minderheitenpolitik vorlegen. Es
war auch nichts anderes zu erwarten. Die Mitte-Rechts-Parteien
zeigten und zeigen wenig Verständnis und kaum
Sensibilität für die Anliegen von Sprachminderheiten.
Die italienischen Mitte-Rechts-Parteien unterscheiden sich kaum
von ihren politischen Verwandten beispielsweise in
Österreich, wo Minderheitenrechte trotz Verfassungsauftrages
meistens verschleppt, im besten Fall verwässert oder aber
auch gar nicht umgesetzt werden.
Die Berlusconi-Regierung stellte für die kleinen
Sprachgruppen zwar die notwendigen Geldmittel gemäß
dem Rahmengesetzt zur Verfügung. Laut dem
Minderheitengesetz, erlassen von der Mitte-Links-Regierung,
erhalten die Sprachminderheiten für die Förderung ihrer
Sprachen an den Schulen und für die Anwendung ihrer Sprache
bei den Behörden entsprechende Finanzen. 2001 finanzierte
die Regierung 47 minderheitensprachliche Schulprojekte in der
Höhe von 5,5 Millionen Euro. Die Sprachminderheiten reichten
insgesamt 180 Projekte ein. Im Schuljahr 2002/03 finanzierte der
Staat 92 von insgesamt 112 eingereichten Projekten. Der
Vorsitzende des Confemili, Domenico Morelli, kritisiert aber die
teilweise späte Auszahlung.
Die Berlusconi-Regierung setzte letztendlich - und nicht aus
eigenem Interesse heraus - Vorgaben der
Mitte-Links-Vorgängerregierung um. Italien ist in der
Minderheitenpolitik säumig, äußerst
nachlässig. Es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis
eine Regierung endlich den Verfassungsauftrag laut Artikel 6
(Schutz der Minderheiten) umsetzte. Mit diesem Rahmengesetz als
Durchführungsbestimmung zum Artikel 6 bekennt sich die
Republik zu den Sprachminderheiten und damit auch zur zur
autochthonen Mehrsprachigkeit.
Diese ist aber mehr als gefährdet. Das ergab die Studie
Euromosaic der EU-Kommission von 1996. Von den 13
Sprachminderheiten Italiens sind weit mehr als die Hälfte in
ihrer Substanz gefährdet und bedroht. Laut "euromosaic"
gelten die albanische, griechische (Apulien und Kalabrien), die
katalanische (Sardinien), die kroatische (Molise), die
okzitanische Sprachminderheit (Piemont) und die sardische Sprache
als "begrenzt" bzw. "nicht überlebensfähig". Als
"bedroht" gelten Französisch (Aosta), Friulanisch und
Slowenisch (Friaul).
Die Studie zeigt auch, dass dort, wo es Autonomie und
Sprachenrechte gibt, die Minderheitensprachen gesichert sind. So
gilt das Ladinisch als "relativ überlebensfähig",
Deutsch in Südtirol als "vollkommen vital". "Euromosaic"
stellt der Republik für ihre Minderheitenpolitik eine
negative Note aus. Es braucht mehr als Absichtserklärungen
des Regionenministers Enrico La Loggia. Immerhin sprach sich aber
La Loggia für die Verwendung der Minderheitensprachen bei
Behörden und an den Schulen aus. Für den
Regionenminister ist die Sprachenvielfalt ein Reichtum für
Italien.
Erfolgreich hinausgezögert hat Alleanza Nazionale die
Umsetzung des Slowenen-Gesetzes. Auf Druck der
extrem-nationalistischen anti-slowenischen Triestiner Alleanza
Nazionale ließ die Berlusconi-Regierung das
Slowenen-Gesetz, vom Parlament bereits 2001 verabschiedet,
unangetastet. Seit Jahrzehnten tragen italienische Nationalisten,
allen voran die Lega Nazionale, auf dem Rücken der
slowenischsprachigen Staatsbürger eine Revanchepolitik aus.
Die Vertreibung der italienischen Bevölkerung aus Istrien
und Dalmatien durch Tito-Partisanen, slowenische und kroatische
Nationalisten kurz nach dem 2. Weltkrieg lastet die italienische
Rechte der slowenischen Sprachminderheit an.
Die Rechte wehrt sich vehement gegen die Umsetzung der
Zweisprachigkeit, wie im Slowenen-Gesetz (Nr. 38) aber auch im
Rahmengesetz (Nr. 482 vom 15. Dezember 1999) vorgesehen. In
einigen Dörfern und Weilern in der Umgebung von Triest,
Gorizia und Muggia und in weiteren 29 Gemeinden entlang der
italienisch-slowenischen Grenze können zweisprachige
Ortstafeln errichtet werden. Die beiden Gesetze sehe auch die
Ausgabe von zweisprachigen Dokumenten vor. Einige Ämter
sollen zur Zweisprachigkeit verpflichtet werden.
Bereits bei der Debatte um die beiden Gesetze versuchte das
Mitte-Rechts-Bündnis die Verabschiedung zu verhindern. Seit
dem Amtsantritt setzte die Mitte-Rechts-Regierung nur Teile des
Rahmengesetzes um, das Slowenen-Gesetz wurde aus
ethnisch-ideologischen Gründen erst gar nicht aus der
Schulbade geholt. Beide Gesetze müssen in Kraft treten, wenn
15 Prozent der Bevölkerung oder ein Drittel der
Gemeinderäte die Schutzartikel beanspruchen. In Triest
beanspruchten 14 Gemeinderäte des
Mitte-Links-Bündnisses für Triest die
Zweisprachigkeits- und Minderheitenbestimmungen. Für die
Beanspruchung der Rechte aus dem Slowenen-Gesetz (Nr. 8), konkret
für die Schaffung einer zweisprachigen Zone in der
näheren Umgebung von Triest, muß der Regionalrat seine
Zustimmung geben.
Die Rechtsparteien sperren sich gerade deshalb gegen die restlose
Umsetzung des Minderheiten- und des Slowenengesetzes. Die Zwei-
und Mehrsprachigkeit wird als ein Anschlag auf die Einheit des
Staates empfunden. Gerade das Slowenen-Gesetz weist eine Reihe
von Mängel auf, betont beispielsweise der slowenische
Intellektuelle Samo Pahor. Die Bevölkerungsmehrheiten
können jederzeit das Gesetz aushebeln. Das ist in der
Gemeinde Görz in der Provinz Udine mit dem
Minderheitenschutzgesetz (482) passiert. Außerdem
verweigert das Gesetz die amtliche Anerkennung für die
slowenische Sprache. Das Gesetz verweigert auch die Verwendung
der slowenischen Sprache mit den Behörden und deren
Zentralstellen in Cividale, Gorizia und Triest. Das kommt einer
totalen Verweigerung des minimalsten Schutzes gleich, der laut
eines Verfassungsgerichtsurteils (28/1982) direkt aus dem Artikel
6 der Verfassung abzuleiten ist.
Pahor kommt zum Schluß, dass das Slowenengesetz nicht den
Minderheitenschutzbestimmungen nachkommt, die im Vertrag von
Osimo 1954 (Artikel 8) garantiert sind und die auch im regionalen
Sonderstatut von 1954 enthalten sind. Das Gesetz Nr. 38 ist
für Pahor ein Rückschritt und nimmt nicht zur Kenntnis,
dass es bereits Schutzbestimmungen gibt, die - wie auch vom
Verfassungsgericht 1966 (Nr. 15) gefordert - berücksichtigt
werden müssen.
Die Nichtumsetzung des Slowenengesetzes wird auch nicht
wettgemacht mit der Einsetzung der Ständigen Konferenz der
Sprachminderheiten. Es war löblicherweise Regionenminister
La Loggia, der im Jänner 2006 die Konferenz - bestehend auch
aus Vertretern der Sprachminderheiten - einberief. Am Ende der
Legislatur. Diese Regierung nahm die Minderheiten nicht
sonderlich ernst.
Weitere Beispiele gibt es noch genügend. Die Regierung
erklärte die ratifizierte Rahmenkonvention zum Schutz
für nationale Minderheiten des Europarates kurzerhand
für erfüllt - weil die Schutzbestimmungen bereits im
Minderheitenschutzgesetz enthalten sind. Die Haushaltskommission
des Parlaments konnte sich in der Woche der
Parlamentsauflösung nicht dazu durchringen, die Charta der
Regional- und Minderheitensprachen des Europarates zur
Ratifizierung zu empfehlen. Finanzgründe machte die
Kommission geltend. Die Förderung der Minderheitensprachen
darf nichts kosten.
Das European Roma Rights Centre (ERRC) hat dem
Berlusconi-Staat vorgeworfen, die Angehörigen der Sinti und
Roma aus ethnischen Gründen zu diskriminieren. Allein deren
"Unterbringung" in "campi nomadi" ist laut ERRC eine eklatante
Verletzung der Menschenrechte, weil eine offensichtliche und
totale Ausgrenzung. Die meisten "Camps" befinden sich an
Mülldeponien, Autobahnen, auf Ödland. Drei Viertel
dieser "Camps" sind ohne hygienische Einrichtungen. Die Bewohner
sind laut ERRC behördliche und polizeilicher Willkür
und Zwangsräumungen ausgesetzt. Immer wieder kommt es zu
mutwilligen Zerstörungen der menschenunwürdigen
Behausungen. Darunter leiden besonders die Kinder.
Italien ist das einzige EU-Land mit einem öffentlich
organisiertes Netz an Ghettos. Damit wird den Roma die Teilnahme
an der Gesellschaft oder auch nur den Kontakt mit ihr oder die
Integration unmöglich gemacht. Das ERRC (siehe: www.gfbv.it/3dossier/errc-dt.html, www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/20041026-de.html)
richtete deshalb auch entsprechende Schreiben an internationale
Gremien. In einem Brief an Innenminister Pisanu beklagte das ERRC
die Lage der Sinti und Roma.
Laut offiziellen Angaben leben 130.000 Sinti und Roma in Italien.
Einige NGO's (siehe - "rapporto alternativo": www.december18.net/web/docpapers/doc2654.pdf,
Seite 30 und 31) schätzen die Zahl der Roma mit
italienischer Staatsbürgerschaft auf 90.000, die Zahl der im
Ausland geborenen Roma (oder derer, die in Italien von
eingewanderten Eltern geboren wurden), zwischen 45.000 und 70.000
(es handelt sich da bei besonders um Personen aus
Ex-Jugoslawien). Roma mit ordentlichen Aufenthaltspapieren
erhalten meist kurze Aufenthaltsgenehmigungen. Der weitaus
größte Teil der an Roma vergebenen Genehmigungen hat
die Dauer von einem bis zu sechs Monaten.
Die lange unter Verschluss gehaltene Studie des
EU-Beobachtungszentrums zu Fremdenhaß und
Ausländerfeindlichkeit (siehe: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/jued-ant.html)
bestätigte auch starke antisemitischer Tendenzen in Italien.
Rechtsradikale Schmierereien sind die sichtbaren Zeichen
dafür. Das minderheiten- und ausländerfeindliche Klima
fördert laut Studie auch den "Hass auf Juden". Ein
italienischer Antisemitismus blüht, obwohl es kaum
italienische Juden gibt. Antisemitismus ohne Juden, polnische
Verhältnisse in Italien. Alte antijüdische Klischees
halten sich hartnäckig.
So glauben 35 Prozent befragter Jugendlicher, dass "Juden das
Kapital" kontrollieren. Auch unter Erwachsenen festigen sich
wieder antisemitische Stereotypen (siehe "rapporto alternativo"
2004 - www.december18.net/web/docpapers/doc2654.pdf,
Seite 25 bis 27). Zwölf Prozent gehen davon aus, dass den
deutschen und österreichischen Nazis sowie deren
europäischen Helfershelfer weniger Juden zum Opfer gefallen
sind. Mehr als die Hälfte vermutet, dass die Mehrheit der
italienischen Juden Israel loyaler gegenüberstehen als
Italien. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern ist der
Prozentsatz von erklärten italienischen Antisemiten von 23
auf 15 Prozent abgesunken. Außerdem kann Israel in Italien
auf weitaus größere Sympathiewerte zählen in den
meisten anderen EU-Staaten.
Die Mitte-Rechts-Allianz von Ministerpräsident Silvio
Berlusconi, auf israelfreundliche Politik bedacht, weist aber
auch in den eigenen Reihen erklärte Antisemiten auf. Bei
einer Debatte im Regionalrat der Marchen 2004 kritisierte der
Fraktionssprecher von Forza Italia einen Regionalassessoren der
regierenden Mitte-Links-Koalition mit antisemitischen
Untertönen. Der Assessor sei aufgrund seiner
Zugehörigkeit zur jüdischen Kultusgemeinde nur Gast in
Italien und sollte sich deshalb als solcher verhalten. Ein Fall
von vielen. Auch innerhalb der Regierungspartei Alleanza
Nazionale, deren Vorsitzender Gianfranco Fini auf respektabler
Weise auf Distanz zur eigenen antisemitischen Vergangenheit ging,
ist der alte Antisemitismus noch immer recht lebendig.
Amos Luzzatto von der Vereinigung der jüdischen
Kultusgemeinden (Unione Comunità Ebraiche) wirft dem
demokratischen Italien vor, sich nie mit dem eigenen
Antisemitismus auseinandergesetzt zu haben. Es ist ein Mythos, so
Luzzatto, dass es in Italien keinen Antisemitismus gibt. Laut
Luzzatto glauben die Italiener an das Klischee, brave Leute zu
sein, mit großem Herzen, in dem kein Platz für
Antisemitismus ist. Die Aufarbeitung der faschistischen
Vergangenheit drang nicht tiefer in die öffentliche Meinung
ein, ist sich Luzzatto sicher. Deshalb gibt es nicht nur wieder
den traditionellen Antisemitismus der Rechten, auch ein Teil der
Linken ist antisemitisch vergiftet.
Auf dem Umweg der romantischen Verklärung der
Palästinenser, mitsamt Verharmlosung oder Rechtfertigung des
Terrorismus und einer geradezu religiösen Verehrung für
Yassir Arafat, gelangt die Partei Rifondazione Comunista auch auf
das Terrain des einschlägigen Antisemitismus, wie er bei
Neonazis und arabischen Extremisten vorzufinden ist. Die Jugend
von Rifondazione Comunista hatte im Juli 2005 in Mailand eine
symbolische Mauer aufgebaut, um gegen den Mauerbau zwischen
Israel und den autonomen Gebieten zu demonstrieren. Diese Mauer
wurde mit Karikaturen geschmückt, in denen Juden –
ganz wie in der NS-Propaganda – mit gekrümmerter Nase
als gewalttätige Bösewichte dargestellt werden.
"Solche Bilder fand man in den NS-Zeitungen", sagt Yasha
Reibmann, Sprecher der jüdischen Kultusgemeinde Mailand. Auf
einem von den Kommunisten verteilten Flugblatt war zudem eine
Karte von Nahost abgebildet, auf der es nur einen
palästinensischen Staat gibt, aber kein Israel. "Wo ist da
der Unterschied zum Jihad", fragt Yasha Reibman. Rifondazione
Comunista reagierte ausweichend auf die Kritik, um eine deutliche
und bedingungslose Verurteilung des Antisemitismus in den eigenen
Reihen drückte man sich. Die antisemitischen Tendenzen in
Rifondazione Comunista sind seit längerem bekannt. Reibmann
hatte mit Parteichef Fausto Bertinotti auch einen Kurs
abgesprochen, um die jungen Leute über die jüdische
Welt zu informieren. Abgehalten wurde der Kurs bisher aber nicht.
Nach den jüngsten Vorfällen wurde ein neuer Anlauf
versprochen.
Die Beteiligung Italiens am US-Krieg gegen den islamistischen
Terror förderte eine anti-islamische Grundhaltung in der
italienischen Öffentlichkeit. Von den mehr als 2,3 Millionen
Einwanderern (siehe:
www.migration-info.de/migration_und_bevoelkerung/artikel/050401.htm)
stammt ein großer Teil aus arabischen und islamischen
Ländern. Eine Befragung von 1.000 Bürgern ergab, dass
mehr als die Hälfte dem Islam fundamentalistische Tendenzen
unterstellen. Ein Fünftel der Befragten sieht gar keinen
Unterschied zwischen dem gemäßigten und dem radikalen
Islam. Diese Aussagen bestätigt auch eine Studie des
EU-Beobachtungszentrums gegen Rassimus und Fremdenfeindlichkeit
(siehe: http://eumc.eu.int/eumc/index.php).
Es verwundert deshalb auch nicht, dass sich fast die Hälfte
der Befragten vor dem Islam fürchten. Die teilweise
undifferenzierte Berichterstattung über arabische und
moslemische Länder führt zu Frontstellungen, der Westen
gegen den Islam, es wird der Kampf der Kulturen beschworen. Dabei
wird vergessen, dass sich beispielsweise in Algerien laizistische
Kräfte gegen den Islamismus zur Wehr setzten, ohne jede
westliche Hilfe. Die Angst vor dem Islam fördert Angriffe
auf Moscheen, Sicherheitskräfte gehen bei Demonstrationen
mit unverhältnismäßiger Härte gegen
arabische und moslemische Einwanderer vor (siehe "rapporto
alternativo": www.december18.net/web/docpapers/doc2654.pdf,
Seite 24 und 5). Auch Senats-Präsident Pera beschreibt in
einem seiner neuen Bücher den notwendigen Kampf der Kulturen
zwischen dem Westen und der islamischen Welt.
Pera vergaß zu erwähnen, dass das italienische
Königreich und dessen faschistischen Erben das arabische und
islamische Libyen mit brutalem Terror überzogen hatten. Ein
gern verdrängte Kampf der Kulturen (siehe: www.gfbv.it/2c-stampa/2005/051005de.html).
Die Caritas (siehe: www.caritas.bz.it/ge/searchResult.asp),
katholische Laienorganisationen und Menschenrechtsorganisationen
(siehe: www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050617de.html)
kritisieren die Asyl-Politik der Berlusconi-Regierung (siehe
auch:
www.migration-info.de/migration_und_bevoelkerung/artikel/030704.htm).
Mit dem umstrittenen Bossi-Fini-Gesetz und der entsprechenden
Durchführungsbestimmung wurde die restriktive
Flüchtlingspolitik noch verschärft. In Italien
gestrandete Flüchtlinge können um Asyl ansuchen. Die
Grenzpolizei überprüft die Anfragen. In
Zweifelsfällen werden Flüchtlinge in
"Identifikationszentren" eingewiesen und "kaserniert". Sie
erhalten keine Aufenthaltsgenehmigung. Verlassen Flüchtlinge
ohne Erlaubnis diese Zentren, wird der Asylantrag annulliert.
Dies ist ein Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta, die
Genfer Flüchtlingskonvention aber auch gegen die
Freizügigkeit für Flüchtlinge. Die Internierung in
diesen Identifikationszentren verletzt die Menschenwürde.
Das US-Komitee für Flüchtlinge wie auch Amnesty
international kritisierten diese Zentren als
"Lagerhaltung".
Künftig übernehmen sieben Gebietskommissionen die
bisherige Aufgabe der zentralen Asylkommission in Rom. Innerhalb
eines Monats müssen die Asylverfahren abgewickelt werden.
Dies kommt zwar der Bürokratie zugute, nicht aber
Flüchtlingen, die meist vor Gewalt flüchten,
Vertriebene sind oder Opfer von Kriegen. Die knapp bemessene Zeit
reicht nicht aus, die Fluchtursachen zu recherchieren. Lehnt die
Gebietskommission zweimal den Asylantrag ab, kann sich der
Flüchtling mit einem Rekurs an ein Zivilgericht wenden. In
der Zwischenzeit muß der Flüchtling aber Italien
verlassen. Eine zynische Regelung. Wohin wird der Flüchtling
ausgewiesen?
Von den mehr als 13.000 Flüchtlingen, die jährlich in
Italien um Asyl ansuchen, dürfen 3000 auf italienischem
Staatsgebiet bleiben. 2004 wurden laut Angaben der
Zentralkommission 9019 Entscheidungen gefällt. Von diesen
wurden nur 781 als Flüchtlinge im Sinne der Genfer
Konvention anerkannt. 2350 Personen erhielten zwar nicht die
Anerkennung, dennoch einen indirekten Schutz durch die Empfehlung
an die zuständige Quästur, eine befristete
Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen
auszustellen. Offensichtlich will die Regierung das Problem
Kleinreden.
Diese Praxis prangerte die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty
International als menschenunwürdig an. Besonders die
Rückweisung von Flüchtlingen auf hoher See widerspricht
laut AI völkerrechtlichen Normen. Seit Amtsantritt der
Mitte-Rechts-Regierung verschärfte sich die Lage der
Asylbewerber. Die Lega Nord, Teil der Mitte-Rechts-Allianz,
empfahl angesichts der immer wieder strandenden
Flüchtlingsboote den Einsatz des Militärs. Die Boote,
überfüllt mit Flüchtlingen, sollten laut Lega von
der Marine versenkt werden (siehe "rapporto alternativo": www.december18.net/web/docpapers/doc2654.pdf,
Seiten 27, 28 und 29).
Für die italienische Minderheitenpolitik braucht es mehr
als Absichtserklärungen des Regionenministers Enrico La
Loggia. Immerhin sprach sich aber La Loggia für die
Verwendung der Minderheitensprachen bei Behörden und an den
Schulen aus. Für den Regionenminister ist die
Sprachenvielfalt ein Reichtum für Italien. Nicht alle
scheinen davon überzeugt zu sein, beispielsweise das
Telekommunikationsministerium und der öffentlich-rechtliche
Rundfunk Rai. Völlig enttäuscht reagiert deshalb
Confemili-Vorsitzender Domenico Morelli auf die Aussperrung der
Sprachminderheiten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Morelli wirft Telekommunikationsminister Gasparri und der
RAI-Führung vor, die Medienbestimmungen aus dem
Minderheitenschutzgesetz ignoriert und boykottiert zu haben. Nur
die deutschsprachigen Südtiroler und die Angehörigen
der slowenischen Sprachgruppe in Friaul-Julisch-Venetien
verfügen über ein akzeptables, weil fast
vollständiges, Radioprogramm in ihren Sprachen. Die
große Mehrheit der Sprachminderheiten ist von der RAI
ausgesperrt. Trotz anderslautender gesetzlicher Regelung.
Eine Umfrage der Europäischen Akademie Bozen ergab, dass der
Großteil der kleinen Sprachgruppen bereits mit einem
Minimalangebot der RAI zufrieden wäre. Laut Eurac-Umfrage
soll die RAI im Fernsehen wöchentlich knappe sieben Minuten
in den jeweiligen Minderheitensprachen ausstrahlen, im Radio eine
knappe halbe Stunde. Keine Forderungen, die als überzogen
zurückgewiesen werden können. Die Studie war auf der
Tagung "armonizzare Babele" der RAI-Journalistengewerkschaft
Usigrai, des Confemili, der Europäischen Akademie und des
Südtiroler Volksgruppen-Instituts im März 1999 in Bozen
vorgestellt worden.
An der Aktualität hat sich nichts geändert. Im
Schlussdokument wurde die damalige Mitte-Links-Regierung
aufgefordert, "Maßnahmen zu ergreifen, damit alle
Sprachminderheiten eine angemessene Präsenz im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten und zwar zur
Sicherung des Rechts zu informieren und informiert zu werden".
Die gesetzliche Grundlagen dafür sind gegeben, durch das
Minderheitenschutzgesetzt (Nr. 482), durch die ratifizierte
Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des
Europarates und durch den EU-Vertrag von Maastricht, der in den
Artikeln 126 und 128 im sprachlichen und kulturellen Pluralismus
eine Grundlage für das gemeinsame europäische Haus
sieht.
Die Sprachminderheiten und die Rai, ein klarer Fall von
Diskriminierung.
Um die oben genannte Tagung angemessen vorbereiten zu können, wird Confemili in Zusammenarbeit mit der Europäischen Akademie Bozen ein Dokument mit Informationen über folgende Punkte ausarbeiten:
Der folgende Fragebogen wird allen Confemili-Mitgliedern und allen interessierten Personen, die einer Sprachminderheit angehören, zugeschickt. Die Antworten müssen sich natürlich auf die Sendungen in der Minderheitensprache beziehen.
INFORMATIONSKARTE
I. DIE AKTUELLE SITUATION
a) Minderheiten und RAI
1. Sendet die RAI Programme in der Sprache der Minderheit?
2. Wenn ja, wie oft:
Wöchentliche Dauer (in Stunden) der Programme
b) Minderheiten und private Sender
1. Übertragen private Sender Programme in der
Minderheitensprache?
2. Wenn ja, wie oft:
Wöchentliche Dauer (in Stunden) der Programme
c) Andere Dienste
Empfangen Sie Sendungen - in einer Minderheitensprache - von
Radio/TV-Sendern, die NICHT vom Territorium der selben Minderheit
aus senden?
Wenn ja, verfügen diese Sendungen über ein breiteres
Publikum (natürlich nur Schätzungen)
Wenn nein, braucht Ihre Gemeinschaft einen Verstärker, um
TV/Radio-Programme in der eigenen Sprache empfangen zu
können?
II. RADIO-TV UND DIE EUROPÄISCHE CHARTA
Die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des
Europarates sieht für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunkdienst verschiedene Schutzstandards der
Minderheitensprache vor. Der bei Punkt 1 angeführte Standard
würde einem maximalen Schutz entsprechen, der im konkreten
Fall leider nicht immer durchführbar ist. Geben Sie deshalb
die wirklichkeitsnächste Lösung an (nur eine).
Die verschiedenen Standard sind wie folgt definiert:
III. DIE FORDERUNGEN DER MINDERHEITEN
In Bezug auf Punkt II, geben Sie an:
1. Mindestens wie viel Zeit wöchentlich sollten die
Programme in der Minderheitensprache dauern?
2. Wer sollte diese Sendungen erarbeiten?
Anläßlich der Studientagung "Armonizzare Babele",
veranstaltet von Confemili und Usigrai in Zusammenarbeit mit der
Europäischen Akademie Bozen und dem Südtiroler
Volksgruppeninstitut, verabschieden die Teilnehmer folgendes
Schlußdokument:
ANGESICHTS der Bedeutung, die einer angemessenen
Medienpräsenz für die verschiedenen europäischen
Kulturgemeinschaften zukommt, auch im Lichte des Vertrages von
Maastricht, der in den Artikeln 126 und 128 im sprachlichen und
kulturellen Pluralismus eine Grundlage für das gemeinsame
europäische Haus sieht;
HERVORGEHOBEN, daß die vom italienischen Parlament bereits
ratifizierte Rahmen-konvention zum Schutz der nationalen
Minderheiten geeignete Maßnahmen vorsieht, um den
Minderheiten selbst den Zugang zu den Medien zu
erleichtern;
FESTGESTELLT, daß bedauerlicherweise das Rahmengesetz
für den Schutz der Sprachminderheiten und jenes für die
slowenische Minderheit zur Zeit zwar im Parlament diskutiert
wird, aber deren Genehmigung immer noch auf sich warten
läßt, so daß die gegenwärtige
Rechtsunsicherheit fortbesteht, wird der
DRINGENDE APPELL
an das MINISTERRATSPRÄSIDIUM und an die RAI
gerichtet:
- Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Sprachminderheiten
Italiens eine angemessene Präsenz im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten und zwar zur
Sicherung des Rechtes zu informieren und informiert zu
werden;
- sich im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten für die
Erarbeitung eines technisch-redaktionellen Gesamtprojektes
einzusehen, um die derzeitigen bruchstückhaften und
unzulänglichen Ansätze zu überwinden, auch durch
eine rasche Überarbeitung und Ergänzung der bestehenden
Konventionen;
DAS PARLAMENT
- hingegen wird ersucht, ehestens die beiden erwähnten
Gesetzentwürfe zu verabschieden uns auf diesem Wege den
Minderheiten jenes Mindestmaß an Schutz zu sichern, wie es
der Art. 6 der Verfassung vorsieht.
Die Vertreter der sprachlichen Minderheiten der Gemischten Gruppe
des Abgeordnetenhauses werden ersucht, soweit als möglich
einvernehmlich mit anderen parlamentarischen Gruppen weitere
gesetzliche Maßnahmen zur Absicherung der sprachlichen
Minderheiten zu erarbeiten, auch auf der Grundlage von
entsprechenden Vereinbarungen zwischen Regierung und RAI.
Bozen, 20. März 1999
Von Günther Pallaver
Hat sich die neofaschistische Partei MSI mit der Umwandlung in
Alleanza Nazionale nur ein neues Fell übergezogen, unter dem
sich immer noch der rechte Wolf verbirgt? Oder muss man
einräumen, dass die Partei von Gianfranco Fini einen echten
Wandel vollzogen hat? Dieser Frage gehen sieben Autoren im Buch
"La destra allo specchio" nach. Zweifelsohne, Alleanza Nazionale
hat einen Wandel durchgemacht. Am augenfälligsten in ihrer
Wirtschaftspolitik. Die allseitige Präsenz des Staates, vom
MSI wie vom Faschismus zum Dogma erhoben, ist zu Gunsten einer
liberalistischen Politik ersetzt worden, die der italienische
Ministerpräsident Silvio Berlusconi diktiert. Und dennoch
wird auch heute noch versucht, an einen korporativen Staat
anzuknüpfen, wie ihn der Faschismus konzipiert hatte.
Immerhin träumen noch 77 Prozent davon.
Im Gegensatz dazu ist der Wertekatalog von AN nicht weit entfernt
von jenem unter Giorgio Almirantes MSI. Allerdings mit dem
Unterschied, dass früher der Bezug zum Faschismus
öffentlich war und zur Identität des MSI gehörte.
Noch 1994 hatte Fini Mussolini als den größten
Staatsmann des Jahrhunderts bezeichnet. Heute ist dieser
faschistische Bezug sozusagen ins Private abgedrängt worden.
Wie Roberto Chiarini schreibt, ist die faschistische
Identität von AN nicht ausgelöscht, als vielmehr in die
eigenen Reihen zurückgedrängt worden. Eine kritische
Aufarbeitung der Vergangenheit hat es nicht gegeben, die
Distanzierung vom Faschismus durch die Tür ist mit der
Rückkehr durchs Fenster wieder ausgeglichen worden. Und was
besonders alarmierend ist: Unter den jüngsten AN-Mitgliedern
nimmt die Sympathie für Mussolini wieder rapide zu. Immerhin
sind nach wie vor 64 Prozent der AN-Funktionäre der Meinung,
dass der Faschismus auch heute noch das beste politische System
wäre (3 %)oder zumindest ein gutes politisches System war
(61 %).
Und in der Rangordnung der beliebtesten Autoren nimmt Giovanni
Gentile, Unterrichtsminister unter dem Duce (88,6%), Platz eins
vor seinem Meister Mussolini (76,2 %) und dem Naziverehrer Julius
Evola (68,7%) ein. Der Wandel zur Regierungspartei an der Seite
der liberal-nationalen Forza Italia hat Alleanza Nazionale aus
der Ächtung hervortreten lassen, an der die neofaschistische
Vorgängerpartei MSI noch zu leiden hatte. Hinter dem neuen
Image sieht auch das österreichische Nachrichtenmagazin
"Format" die alten Werte -bis hin zur offenen
Mussolini-Huldigung. Seit Juni 2001, unmittelbar nach Berlusconis
und Finis Wahlsieg, wird vor der Gruft Mussolinis in seinem
Geburtsort Predappio wieder Ehrenwache gehalten. Dem Verein
"Associazione Guardia d'onore" gehören auch Jugendliche von
Alleanza Nazionale an. Die Sprüche, die Format am Grab
Mussolinis auffangen konnte, gingen von der Mussolini-Verehrung
bis zu Tiraden des "Kulturimperialismus der Linken".
Die ideologische Substanz von AN, bestätigt auch das Buch
über "die Rechte im Spiegel", ist dieselbe geblieben, die
Ziele wurden nur anders formuliert. An die Stelle des Kampfes
gegen das demokratische System ist der Kampf gegen die
Parteienherrschaft getreten. Bei der Reform des Staates forciert
AN den starken Staatspräsidenten, um darunter den "ducismo"
zu verstecken. An die Stelle von "Recht und Ordnung" ist heute
"Freiheit und Ordnung" getreten, wobei die Freiheit, so Chiarini,
meist nur an der Spitze der Partei hängen geblieben ist,
während das postfaschistische Fußvolk mit der
"Ordnung" mehr anzufangen weiß, die seit jeher dem
genetischen Kodex der italienischen Rechten angehört. Auch
der wohl anerkannteste Forscher zu MSI und AN, Piero Ignazi, ist
überzeugt, "dass derzeit die ideologische Substanz nach wie
vor dieselbe ist". Der kulturelle Unterbau, ergänzt Rinaldo
Vignati, führt zu einer Politik des Nationalismus und
Autoritarismus. Nicht von ungefähr ist auch die Partei durch
eine ausgeprägte autoritäre Hierarchie
gekennzeichnet.
Günther Pallaver (Südtiroler Wochenmagazin FF 37/2001); Roberto Chiarini - Marco Maraffi (Hg.): La destra allo specchio. La cultura politica di Alleanza nazionale (Marsilio Editori, Venezia 2001. 239 Seiten, 13 Euro).
Von Günther Pallaver
Zehn Jahre lang hatte sich Gianfranco Fini um eine politische
Reise nach Israel bemüht, nachdem er 1995 Alleanza Nazionale
gegründet hatte und nach Auschwitz gefahren war, um sich auf
dem Weg zur Regierungspartei von der faschistischen Tradition
schrittweise zu entfernen. Als er dann am 24. November 2003 das
Holocoust-Museum Yad Vashem besuchte, erklärte er
wörtlich: "Die Rassengesetze waren eine vom Faschismus
gewollte Schande" (..) Es gibt keine Rechtfertigung für die
Peiniger von gestern, nicht nur für jene, die getötet
haben, sondern auch für jene, die einen unschuldigen
Menschen hätten retten können und es nicht getan
haben." In seine Kritik der Rassengesetze bezog Fini erstmals
explizit den Faschismus und die blutige Politik der Repubblica di
Salò mit ein, wie der Präsident der jüdischen
Gemeinschaft Italiens, Amos Luzzatto, anerkennend
vermerkte.
Eine ähnlich lautende Verurteilung von Rassismus und
Antisemitismus hatte die Partei Finis erstmals beim Parteitag von
Fiuggi (1995) vorgenommen, als sich der Movimento Sociale
Italiano (MSI) mit der Umwandlung in Alleanza Nazionale auch ein
neues Parteiprogramm gab. Fast einstimmig wurde folgende
Grundsatzerklärung zu den Rassengesetzen von 1938
verabschiedet: "Als Menschen und Italiener werden wir immer die
unmenschliche Schande der Rassengesetze wie ein brennendes Feuer
in unserem Gewissen verspüren". Zum Antisemitismus insgesamt
drückte AN ihre "ausdrückliche, endgültige und
berufungsunfähige Verurteilung" jeder Form von
Antisemitismus und Antijudaismus aus. Dasselbe gilt laut AN
für den Rassismus, der als Form des Totalitarismus
verurteilt wird.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der MSI die Rassengesetze entweder
bagatellisiert oder darauf verwiesen, dass Mussolini dem Druck
Hitlerdeutschlands habe nachgeben müssen, der Faschismus in
der Praxis die Rassengesetze aber so gut wie nicht angewandt
habe. An dieser Lebenslüge hielt auch das demokratische
Nachkriegsitalien fest. Obgleich es deutliche Unterschiede in der
"Judenpolitik" zwischen NS-Deutschland und dem faschistischem
Italien gab, waren die Rassengesetze in Italien nicht toter
Buchstabe geblieben. Schon vor Verabschiedung der Gesetze
erschien die faschistisch-antisemitische Zeitschrift "La difesa
della Razza" (Die Verteidigung der Rasse).
Redaktionssekretär war Giorgio Almirante, der nach 1945 den
MSI gründete und später zum unumstrittenen Leader des
italienischen Neofaschismus aufstieg.
Das Gesetz selbst erinnert stark an die Nürnberger
Rassengesetze. Den jüdischen Bürgern wurde das Leben
unter den Füßen weggezogen: Aberkennung der
italienischen Staatsbürgerschaft, Ausschluss aus den
Schulen, den Berufskammern, öffentlichen Ämtern, Verbot
von "Mischehen", Streichung aus dem Telefonverzeichnis, Verbot
der Anstellung in "arischen Häusern", bis hin zur
Untersagung von Aufenthalten an Meeres- und Ferienorten, um nur
die wichtigsten Maßnahmen zu erwähnen. Kurz bevor
Mussolini am 25. Juli 1943 verhaftet wurde, hatte er noch seine
Minister beauftragt, Konzentrationslager für Juden zu
errichten. Dank der Vorarbeiten des Faschismus, der eigene Listen
jüdischer BürgerInnen angelegt hatte, konnte die SS ab
1943 in Zusammenarbeit mit der Repubblica di Salò Tausende
von Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager
verschleppen.
Fini hatte in Israel Rassengesetz und Salò eindeutig
verurteilt, aber auch in die Zukunft geblickt, wenn er meinte:
"Rassismus und Antisemitismus liegen nicht hinter uns, sie
gehören nicht einer abgeschlossenen historischen Epoche an,
sondern existieren in unterschiedlichen und versteckten Formen."
Vielleicht wollte Fini mit dieser Feststellung auf die
Umfrageergebnisse des "Eurobarometers" Bezug nehmen, nach denen
für mehr als die Hälfte der UnionsbürgerInnen
Israel eine "Gefahr für den Frieden" darstellt. Aber genauso
gut könnte man Fini einen Hinwies auf den Antisemitismus in
Italien und insbesondere in seiner Partei unterstellen.
Aus einer vom Corriere della Sera am 10. November 2003
veröffentlichten Umfrage geht hervor, dass 22% der Italiener
der Meinung sind, Juden seien nicht echte Italiener und sollten
Italien verlassen (8%). 11% (doppelt so viele mit
Grundschulabschluß) haben zu Juden kein Vertrauen, 20%
behaupten, die jüdische Religion sei intolerant, 39% sind
überzeugt, Juden hätten ein besonderes Verhältnis
zum Geld, 38% finden es an der Zeit, dass die Juden endlich
aufhören sollten, sich als Opfer des Holocoust und der
Verfolgung aufzuspielen. 51% sind der Meinung, dass Juden im
Vergleich zu den Italienern eine andere Mentalität und
andere Lebensformen hätten (im April 2002 waren es noch 43%
gewesen). Die Verurteilung von Faschismus und Rassismus durch
Parteichef Fini hat die Basis von AN mit zwiespältigen
Gefühlen aufgenommen. Trotz ähnlicher, wenn auch nicht
so eindeutiger Aussagen hatten die meisten Anhänger Finis
das Programm von Fiuggi noch eher als strategische Variante
für die Regierungsfähigkeit bebrachtet: Am Vormittag
verurteilten die Parteitagsdelegierten Faschismus und
Antisemitismus, am Nachmittag fuhren sie nach Predappio zur
Huldigung Mussolinis.
Diese Doppelbödigkeit drückt sich auch in der
Einstellung zu neofaschistischen Ideologen aus. In einer 2001
veröffentlichten Umfrage unter Parteitagsdelegierten wurde
eine Rangordnung von Autoren erstellt, die nach Meinung der
Befragten für die Sozialisation der Jugendlichen besonders
wichtig sind. Nach dem faschistischen Unterrichtsminister und
Philosophen Giovanni Gentile (90%) und Benito Mussolini (82%)
finden wir Julius Evola (70%). Dieser propagierte eine
aristokratische, militärisch aufgebaute Gesellschaft und war
als Bewunderer des Nationalsozialismus Theoretiker der
Rassenideologie. Seine Bücher wie "Indirizzi per una
educazione razziale" (Anweisungen für eine rassische
Erziehung), "Il mito del sangue" (Der Mythos des Blutes) oder
"Sintesi di dottrina della razza" (Kleine Rassenlehre) sind in
den letzten Jahren immer wieder neu aufgelegt worden.
Den antisemitischen Bodensatz unter den Anhängern von Finis
Parteigängern belegten in der ersten Hälfte der 90er
Jahre eine Reihe von Umfragen. Aber auch in Ermangelung von
gezielten Untersuchungen zu diesem Thema kommen die
Widersprüchlichkeiten zwischen Finis Verurteilung des
Antisemitismus in Israel und den Vorbehalten eines Teils seiner
Anhänger in Italien immer wieder an die politische
Oberfläche, wie dies wahllos herausgefischte Beispielen
belegen. In der toskanischen Stadt Lucca hat sich der gesamte
Mitte-Rechts-Block bei einem Beschlussantrag über den
Holocaust der Stimme enthalten, nur weil darin vom
"faschistischen Regime" die Rede war. In der Stadt Latina wollen
die Vertreter von Alleanza Nazionale den Gemeinderatssaal nach
Benito Mussolini benennen. In Mailand wurde Fini wegen seiner
Israelpolitik von jungen Gefolgsleuten mit den Worten empfangen:
"Unser Traum ist es, eines morgens aufzuwachen und zu sehen, dass
aus Israel Palästina geworden ist".
Wenn Fini die Verurteilung von Rassismus und Antisemitismus nicht
nur als notwendigen Obulus betrachtet, den er zu bezahlen hat, um
in die Familie der cristdemokratischen Parteien aufgenommen zu
werden, wird es mit der Fahrt nach Israel allein nicht getan
sein. Wenn er alles ernst nimmt, was er gesagt hat, so beginnt
erst jetzt die tägliche Knochenarbeit in seiner eigenen
Partei. Und wenn Fini es wirklich erst nimmt mit dem, was er in
Yad Vashem gesagt hat, dann hätte er als derzeit
stellvertretender Regierungschef Italiens die moralische Pflicht,
dass nach fast 50 Jahren das Terracini-Gesetz aus dem Jahre 1955
endlich angewandt wird. Dieses sieht die Auszahlung von monatlich
350 Euro für die Opfer politischer und rassischer Verfolgung
vor. Eine Reihe von abstrusen bürokratischen Hürden,
die in erster Linie von den Beamten des Finanz- und
Schatzministeriums erfunden wurden, hat bislang fast immer
verhindert, dass die entsprechenden Anträge angenommen
wurden.
Die Bürokratie behauptet nämlich, dass das
Rassengesetz von 1938 allein keine spezifische Diskriminierung
darstellt und es deshalb seitens der AntragstellerInnen
ergänzender Beweise für erlittenes Unrechts bedarf. Die
zweite bürokratische Hürde betrifft den
Wirkungszeitraum. Das Gesetz setzt den Anspruchsbeginn mit dem
Jahr 1922 für die politisch und das Jahr 1938 für die
rassisch Verfolgten an, das Ende mit "dem Fall des Faschismus".
Der "Fall des Faschismus" wurde absurderweise mit dem Fall
Mussolinis am 25. Juli 1943 angesetzt, wodurch die Repubblica di
Salò ausgespart blieb, also genau jene Zeit, in der die
schrecklichsten Gräueltaten begangen wurden. Es bedurfte des
Urteils des Verfassungsgerichtshofes und des Rechungshofes
(2003), um diese absurden Hürden zu beseitigen. Dem zum
Trotze hat das Präsidium des Ministerrats im Dezember 2002
eine Studienkommission zur "Festlegung von Maßnahmen zur
Beschleunigung der bürokratischen Abwicklung" eingesetzt,
die nach wie vor tagt. Die Bürokratie wiederum verlangt in
der Zwischenzeit nach wie vor unmögliche Dokumente und
blockiert jedes Verfahren mit dem Hinweis, auf das Ergebnis der
Studienkommission zu warten.
Seit Einführung der Rassengesetze im November 1938 sind
jetzt 65 Jahre vergangen. Wenn noch ein bisschen zugewartet wird,
werden auch die wenigen, die heute noch leben und einen Anspruch
auf diese kleine Entschädigung haben, gestorben sein. Die
Worte Finis in Israel waren ein wichtiger symbolischer Schritt,
die konkreten Schritte in Italien stehen noch aus.
Günther Pallaver, Journalist und Univ.-Prof am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.
Wolfgang Mayr