Bozen, Berlin, Göttingen, 8. Mai 2003
Am 11. Mai wird der deutsche
Bundestagspräsident Thierse nach Moskau reisen. Die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) appelliert an
die EU, diese Gelegenheit zu ergreifen, um sich nach dem
Schicksal verschwundener tschetschenischer Zivilisten zu
erkundigen. Die EU darf das brutale Vorgehen der Militärs
gegen die Zivilbevölkerung nicht einfach hinnehmen, sondern
muss es als schwere Menschenrechtsverletzung werten. Herr
Thierse, bitte nehmen Sie die Opfer in Schutz!
Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres seien in
Tschetschenien 70 Zivilisten ermordet worden und 145 seien
spurlos verschwunden, sei sogar offiziell von russischer Seite
bestätigt worden, berichtete die GfbV. Im Jahr 2000 seien
dem Informationsdienst des russischen Innenministeriums zufolge
141 Zivilisten, im darauf folgenden Jahr 279 und in den ersten
neun Monaten 2002 seien 654 Personen verschwunden.
Eindringlich schilderte die GfbV dem Bundestagspräsidenten,
der am kommenden Sonntag begleitet von drei Parlamentariern nach
Moskau aufbricht, die jüngsten Vorfälle: So hätten
betrunkene russische Soldaten in Aldy, einem Vorort von Grosny,
am Morgen des 4. Mai den Tschetschenen Mussa Banschajew
(Pseudonym) willkürlich verhaftet. Sie hätten ihn
einfach mitgenommen, weil sie seinen Nachbarn, einen Angestellten
der tschetschenischen Nationalbank, nicht angetroffen
hätten, berichteten Augenzeugen. Die Soldaten hätten
angegeben, sie unterstünden dem Militärkommando des
Bezirks Oktjabrskoe. Dort hätten Verwandte von Banschajew
nach dem Verhafteten gefragt, jedoch keine Informationen
über seinen Verbleib erhalten.
Ein ähnliches Schicksal habe Achmed Israilow (Pseudonym) aus
dem Dorf Tschernorechie erlitten. Er sei am 3. Mai mit seiner
Mutter zur örtlichen Militärkommandantur bestellt und
dort sofort festgenommen worden. Seine Mutter habe die Auskunft
erhalten, ihr Sohn würde den Vertretern des russischen
Innenministeriums in Grosny überstellt. Auf Nachfrage habe
dort jedoch niemand von der Verhaftung Israilows gewusst.