Bozen, Göttingen, Berlin, 22. Dezember 2004
Besorgt über die dramatische Zunahme der Zahl rechtloser
Flüchtlinge aus Nordkorea in China hat die Gesellschaft
für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch an
Außenminister Joschka Fischer appelliert, sich für
einen besseren Schutz dieser Menschen in ihrem Zufluchtsland
einzusetzen. Im Vergleich zum Vorjahr habe sich 2004 die Zahl der
Nordkoreaner, die in westliche Botschaften in Peking
flüchten, vervierfacht, berichtete der GfbV-Asienreferent
Ulrich Delius in Göttingen. "Der Massenexodus der
Nordkoreaner erinnert an die Flucht hunderter DDR-Bürger in
die bundesdeutsche Botschaft in Prag vor 15 Jahren. Er zeigt
nicht nur, wie schlimm die Verfolgung in der Diktatur Nordkorea
ist, sondern auch dass China die völkerrechtlich
garantierten Rechte der Flüchtlinge systematisch missachtet
und ihnen jeden Schutz verweigert.
Mit einem weltweiten Aktionstag machen daher am heutigen
Mittwoch Menschenrechtler auf vier Kontinenten auf die
dramatische Lage der nordkoreanischen Flüchtlinge in China
aufmerksam. Von Sydney bis Tokio, San Francisco bis London
fordern Menschenrechtler mit Protesten vor chinesischen
Botschaften oder durch die Verbreitung von Appellen einen
besseren Schutz der Flüchtlinge. Zu dem Aktionstag hatte die
Internationale Kampagne zur Verhinderung der Abschiebung
nordkoreanischer Flüchtlinge, aufgerufen, der 31
Menschenrechtsorganisationen angehören.
"In Nordkorea herrscht ein Menschen verachtendes stalinistisches
System, das seinen Bürgern grundlegende Rechte verwehrt",
kritisierte Delius. Bei ihrem illegalen Grenzübertritt
riskierten die Nordkoreaner ihr Leben, da Republikflucht mit
Arbeitslager, Folter und zum Teil sogar mit dem Tod bestraft
werde. Doch weder in China würden die Flüchtlinge
Aufnahme finden noch sei Peking ohne ausländische
Intervention bislang bereit, sie in ein Drittland ausreisen zu
lassen. Mit Rücksicht auf den Verbündeten Nordkorea
werden die Menschen als "Wirtschaftsflüchtlinge" in ihre
Heimat zurückgeschoben. Diese Praxis sei ein Bruch der
Genfer Flüchtlingskonvention, die Abschiebungen in den
Verfolgerstaat untersagt.
Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben mehr als
1.500 Menschen aus Nordkorea in westlichen Botschaften,
Konsulaten und Schulen in China, Vietnam und der Mongolei
Zuflucht gesucht. Während sich die Mongolei bereit
erklärt hat, keine Flüchtlinge nach Nordkorea
abzuschieben, sei dies vor allem in der Volksrepublik China
gängige Praxis. Im November 2004 sind 62 Menschen
zwangsweise aus China nach Nordkorea zurückgeführt
worden. Zuletzt suchten am 17. Dezember 2004 sieben Nordkoreaner
in der japanischen Schule in Peking Zuflucht. Nachdem am 1.
September bereits 29 Nordkoreaner auf das Gelände der Schule
gelangt waren, war ein zusätzlicher Sicherheitszaun
errichtet und die Bewachung des Gebäudes verstärkt
worden. Die chinesischen Behörden hatten die westlichen
Botschaften angesichts des Exodus ultimativ aufgefordert, den
Schutz ihrer Einrichtungen zu verbessern. Aus Angst vor einer
zwangsweisen Rückführung in ihre Heimat leben mehr als
300.000 nordkoreanische Flüchtlinge in China im Untergrund.
Gejagt von Polizisten, ausgenutzt von Menschenhändlern,
Bordellbesitzern und Arbeitgebern, sind sie weitestgehend
rechtlos.
Plädoyer für eine neue Chinapolitik der Europäischen Union. Menschenrechtsreport Nr. 36 der Gesellschaft für bedrohte Völker: >> www.gfbv.de/download/China1204.pdf [PDF, 252 KB].