Bozen, Göttingen, Genf, 22. April 2005
Eine enttäuschende Bilanz hat die Gesellschaft für
bedrohte Völker International (GfbV) zum Abschluss der 61.
Jahrestagung der UN- Menschenrechtskommission in Genf gezogen.
Die internationale Menschenrechtsorganisation warf dem UN-Gremium
vor, bei der weltweiten Durchsetzung menschenrechtlicher
Mindeststandards völlig zu versagen. "Denn die Kommission
schweigt aus politischem Kalkül zu Völkermord und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit", kritisierte die GfbV in
einem Schreiben an die UN-Hochkommissarin für
Menschenrechte, Louise Arbour. "Weder im Falle des Kongo, noch
des Sudan, Russlands oder Chinas wurden die Verantwortlichen
für den gewaltsamen Tod von Hunderttausenden
unmissverständlich benannt." Statt politischen
Schaukämpfen eine Bühne zu geben, müsse die von
UN-Generalsekretär Kofi Annan geforderte Reform Verfolgten
in aller Welt mehr Möglichkeiten geben, ihre Klagen wirksam
vorzubringen. " Vor allem muss die Rolle unabhängiger
Nichtregierungsorganisationen in dem geplanten neuen
Menschenrechtsrat gestärkt werden", forderte die GfbV. Die
Hochkommissarin ist von Kofi Annan beauftragt worden, bis zum 20.
Mai einen Bericht mit Empfehlungen für die geplante Reform
vorzulegen.
China und andere Verfolgerstaaten versprechen sich von einer
Reform der Menschenrechtskommission einen weitgehenden Ausschluss
kritischer Nichtregierungsorganisationen. "Auf Druck dieser
schlimmsten Verfolgerstaaten wurden in den letzten Jahren immer
weniger kritische Resolutionen zur Menschenrechtslage in
einzelnen Staaten verabschiedet", sagte der GfbV-Beauftragte
für Internationales, Ulrich Delius, am Freitag in
Göttingen. Stattdessen würden nach politischen
Schaukämpfen immer häufiger nichts sagende
Willenserklärungen zur Abstimmung gebracht.
Verfolgerstaaten wie Russland instrumentalisierten die
Menschenrechtskommission, um von der katastrophalen
Menschenrechtslage im eigenen Land abzulenken. Es sei zynisch,
dass in diesem Jahr zwei von Russland vorgeschlagene Resolutionen
einstimmig angenommen wurden, in denen Geiselnahmen als
terroristische Verbrechen und Rassismus verurteilt werden. Denn
Russland müsse sich selbst vorwerfen lassen,
Entführungen und Geiselnahmen in Tschetschenien
durchführen zu lassen. Bis zu 5.000 Zivilisten sind seit
1999 auf diese Art und Weise "verschwunden". Der russische
Generalstaatsanwalt Vladimir Ustinov hatte während der
Geiselnahme in einer Schule in Beslan so genannte
"Gegengeiselnahmen" gefordert. Die Truppen und pro-russische
Einheiten in Tschetschenien setzen dieses Instrument mittlerweile
systematisch gegen Frauen und Kinder mutmaßlicher
Kämpfer ein. So wurden acht Verwandte des im März 2005
ermordeten tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow
Opfer einer solchen "Gegengeiselnahme". Ihr Schicksal ist bis
heute ungewiss.
Mit der Verurteilung des Rassismus wolle Russland zwar besonders
die baltischen Staaten treffen, meint die GfbV. Doch seit dem
Amtsantritt von Wladimir Putin seien Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus massiv angestiegen.
Allein 2004 habe sich die Zahl rassistisch motivierter Morde auf
mindestens 44 verdoppelt. 8.500 rassistisch motivierte Verbrechen
zählte die russische Polizei 2004. Straflosigkeit sei auch
in diesem Bereich weit verbreitet. Wenn Täter überhaupt
zur Verantwortung gezogen werden, werde ihnen lediglich
"Rowdytum" vorgeworfen.