Bozen, Göttingen, Kirkuk, 25. Januar 2008
Seit dem 22. Januar befindet sich eine Delegation
der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im
irakischen Bundesstaat Kurdistan. Der Delegation gehören an:
Tilman Zülch, Präsident der GfbV International, Fadila
Memisevic, Direktorin der GfbV-Sektion Bosnien-Herzegovina, Dr.
Heinz Nawratil, Emanuel Youkhana und Maria Sido.
Gestern traf die GfbV-Delegation mit 50 Repräsentanten von
kurdischen, arabischen, turkmenischen und assyrischen
Organisationen aus der Stadt Kirkuk sowie sechs Sprecherinnen der
assyrischen Frauenorganisation der Stadt zusammen. Alle
Gesprächspartner betonten dabei, dass Gewalt und Terror von
außen, nicht zuletzt von El Qaida und der Türkei, in
die umstrittene Provinz hinein getragen würden. Die
alteingesessene Bevölkerung würde ganz überwiegend
in Frieden miteinander leben und in zahlreichen Organisationen
und Institutionen zusammenarbeiten. Sie sprachen sich für
eine Realisierung des § 140 der irakischen Verfassung aus,
der ein Plebiszit über die Zugehörigkeit der Provinz
vorsieht. Seit dem Sturz des Baath-Regimes sollen bereits mehr
als 120.000 vertriebene Kurden, Turkmenen und
Assyro-Chaldäer in die Stadt Kirkuk und umliegende
Städte und Dörfer der Provinz zurückgekehrt sein.
Die Sicherheitslage habe sich kontinuierlich verbessert.
Heute besucht die Delegation das Barzan-Tal, das mehr als ein
halbes Jahrhundert Kristallisationspunkt des kurdischen
Widerstands gegen die irakische Diktatur bildete. Wie in
Srebrenica 1995 wurden dort 1983 8000 Knaben und Männer
dieser Region deportiert und erschossen. Die Delegation wird mit
der dortigen Frauenbewegung "Wiedergeburt" (Vejin) über die
Zusammenarbeit zwischen den Mütterbewegungen von Srebrenica
und Vejin sprechen. Eine Delegation aus dem Barzan-Tal nach
Srebrenica im Frühjahr ist geplant. Dabei soll es vor allem
um Fragen der Bewältigung des Genozids, der Exhumierung,
Identifizierung und Beerdigung der Opfer und die Form der
Erinnerung und Mahnung gehen. Beide Bewegungen möchten in
Zukunft auch gemeinsam auftreten.
Die GfbV-Delegation wird sich vom 26. bis 28. Januar an einem
Kongress über Genozid an der Bevölkerung im irakischen
Kurdistan beteiligen. Unter dem Regime der Baath Partei des
ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein hatten Kurden
(Muslime und Yezidi), Assyro-Chaldäer und Turkmenen von 1968
bis 2003 etwa 500.000 Opfer zu beklagen. Auch Tausende von
Angehörigen aller anderen irakischen Nationalitäten und
Religionsgemeinschaften sind Vernichtungs- und
Vertreibungsverbrechen zum Opfer gefallen.