Bozen, Göttingen, Sarajevo, Srebrenica, 22. Juli 2008
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist
für die bosnischen Opfer des Genozids seit 1992
kontinuierlich eingetreten. Sie hat die Verbrechen dokumentiert.
Gemeinsam mit Zehntausenden bosnischen Flüchtlingen und
Exilbosniern hat sie sich gegen das internationale Schweigen
gewehrt. Entgegen dem Plädoyer zahlreicher jüdischer
Überlebender des Holocaust haben Westeuropa und die USA dem
Verbrechen von Radovan Karadzic, Ratko Mladic und Slobodan
Milosevic vier jahrelang tatenlos zugesehen, statt den Genozid
sofort zu beenden. "Radovan Karadzic wurde festgenommen, doch
sein Werk, die "ethnische Säuberung", der Genozid und die
Vertreibung wurden in Dayton durch die Teilung Bosniens
bestätigt und zementiert", erklärte der Präsident
der GfbV-International Tilman Zülch.
Hunderttausende konnten bis heute nicht zurückkehren. Eine
autoritäre dem großserbischen Modell verpflichtete
Teilrepublik ("Republika Srpska") existiert auf der Hälfte
des bosnischen Territoriums. Nur 8% der etwa 60% vor dem Krieg
dort ansässigen nichtserbischen Bevölkerung konnte
zurückkehren. Eine echte Versöhnung steht aus, obwohl
auch Zehntausende serbische Bosnier unter Führung des
Serbischen Bürgerrates für das Ziel eines gemeinsamen
Bosniens gekämpft und gelitten haben. Seit 500 Jahren ist
Bosnien Herzegowina multiethnisches, multireligiöses und
multikulturelles Land. Die beiden Teilungsstaaten, "Republika
Sprska und "bosnisch-kroatische Föderation" müssen
aufgelöst und die gemeinsame Republik wiederhergestellt
werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert
weiter die Verhaftung des dritten Hauptkriegsverbrechers Ratko
Mladic. Dem Verbrechen in Bosnien-Herzegowina sind
100.000-150.000 Zivilisten zum Opfer gefallen. Angesichts der
Kriegsverbrechen in Bosnien erklärte Marek Edelmann, letzter
überlebender Kommandeur der Widerstandskämpfer des
Warschauer Ghettos: "Europa hat aus dem Holocaust nichts gelernt,
Bosnien ist ein posthumer Sieg für Hitler". Simon Wiesenthal
fühlte sich "an Bestandteile des Holocaust" erinnert. Beide
haben die GfbV-Arbeit begleitet und selbstlos unterstützt.
Die Opfer des Genozids in Bosnien waren zu über 90%
Bosniaken (Muslime), aber ebenso unvergessen sind die Opfer der
kroatischen, serbischen, jüdischen und
Roma-Nationalitäten Bosniens.
Nachstehend einige Fakten zum Genozid in Bosnien-Herzegowina:
Zur Arbeit der Gesellschaft für bedrohte
Völker International für Bosnien:
- 1991/1992 Dokumentation serbischer Kriegsverbrechen in
Ostslawonien mit Mahnwachen und humanitären
Initiativen
- 1992 der UN-Untersuchungskommission von Cherif Bassiouni, und
später dem Jugoslawien-Tribunal Listen von Namen von etwa
25.000 Ermordeten und 1.300 mutmaßlichen Kriegsverbrechern
in New York übergeben.
- 1992-1995 den nationalen Medien in Nordamerika und Westeuropa
überlebende Augenzeugen von Massakern, Deportationen, aus
Konzentrations- und Vergewaltigungslagern sowie Bombardements
vermittelt
- September 1992 Einberufung eines internationalen "Hearing" in
Frankfurt: "Ethnische Säuberung" und Massenvertreibung in
Bosnien und Kroatien mit fünf Völkerrechtlern - mit den
Funkamateuren der eingeschlossenen Enklaven von Gorazde, Bihac
und Zepa jahrelang Verbindung gehalten und für sie
internationale Telefonkonferenzen organisiert
- Im Frühjahr 1993 Teilnahme am Bosnien-Kongress in New
York, initiiert von Simon Wiesenthal
- Juni 1993 Mahnwache vor dem ehemaligen KZ-Dachau,
unterstützt von Simon Wiesenthal während des Deutschen
Evangelischen Kirchentages: "Juden 1933 - Bosnische Moslems 1993
- EKD neutral!"
- auf der ersten Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen
im Juni 1993 in Wien gemeinsam mit bosnischen Flüchtlingen
ein symbolisches Konzentrationslager errichtet;
- Im Juli 1993 Verhaftung von Zülch und drei weiteren
GfbV-Mitgliedern auf dem "Jelacic-Platz" in Zagreb und im
September 1993 Besetzung der kroatischen Botschaft in Bonn, aus
Protest gegen den Einmarsch kroatischer Truppen in Bosnien
- Dezember 1993 Organisierung eines Hungerstreiks von sechs
bosnischen Frauen, ehemaligen Häftlingen des serbischen
Konzentrationslagers "Omarska"
- Im Februar 1994 Besetzung des griechischen Standes auf der
Tourismusmesse in Berlin gegen das Engagement Athens für
Karadzic und Milosevic
- 1993-1996 Koordination der Arbeit von über 100 bosnischen
Vereinen der Flüchtlinge und Gastarbeiter
- Mit der größten Demonstration außerhalb
Sarajevos im April 1994 in Bonn mit 30.000 Teilnehmern gegen den
Genozid protestiert; mit dem später ermordeten bosnischen
Außenminister Irfan Ljubijankic und Christian
Schwarz-Schilling
- Den einzigen Internationalen Kongress über den Genozid im
August 1995 in Bonn mit 150 Experten aus vier Erdteilen
organisiert (Schirmherrschaft: Simon Wiesenthal, Rita
Süssmuth, Haris Silajdzic)
- Das erste Buch über den Genozid in Bosnien im Herbst 1992
publiziert;
- In der Gedenkstätte des KZ Buchenwald gemeinsam mit
Überlebenden der serbischen Konzentrationslager und dem
letzten Kommandeur der Freiheitskämpfer des Warschauer
Ghettos, Marek Edelman an die Weltöffentlichkeit appelliert
(14. November 1993)
- 18. Juli 1995 Errichtung eines Gräberfeldes vor der Villa
von Bundeskanzler Kohl, sieben Tage nach Beginn des Massenmordes
in Srebrenica
- 27. Juli 1995 "Besetzung" der Gedenkstätte Buchenwald mit
überlebenden bosnischen KZHäftlingen
- Die Verhaftung von serbischen Kriegsverbrechern in Deutschland
initiiert; - August 1995 "Den Opfern eine Stimme geben" - GfbV
fordert vergeblich bosnische Radiosendungen des WDR für
360.000 Flüchtlinge in Deutschland
- im August 1995, drei Tage nach dem kroatischen Einmarsch in der
Krajina, die Vertreibung kroatischer Serben vor Ort
dokumentiert;
- 1996 gemeinsam mit den Flüchtlingen aus Prijedor und 20
internationalen Journalisten einen Rückkehrversuch nach
Prijedor organisiert;
- Den großen nationalen Zeitungen und Fernsehsendern der
westlichen Welt vier Jahre lang Gespräche mit
überlebende Augenzeugen von Kriegsverbrechen
vermittelt;
- seit 1996 die Verbände der Genozidopfer, der Minderheiten,
der Häftlinge der Vergewaltigungslager, der Rückkehrer
nach Srebrenica durch unsere Büros in Sarajevo und
Srebrenica durch Vermittlung von Kontakten, Beratung, Vermittlung
von logistischer und humanitärer Hilfe unterstützt und
Treffen und Begegnungen von Friedensinitiativen
gefördert.
Seit 1996 ist die GfbV mit zwei Büros in Sarajevo und
Srebrenica präsent. Der nationalen Sektion gehört ein
Beirat von Mitgliedern der Opferverbände sowie
Angehörige aller ethnischen und religiösen
Gemeinschaften Bosnien Herzegowinas an. Im Göttinger
Bundesbüro der GfbV besteht bis heute ein
Südosteuropa-Referat. Seit 1996 Unterstützung der
Rückkehrer in Srebrenica und die 52 umliegenden Dörfer
der ehemaligen UN-Schutzzone, Mobilisierung von Agrar-Hilfe
für die zurückgekehrten Bauern, sowie enge
Zusammenarbeit mit den bosnischen Opferverbänden.
Tilman Zülch, Präsident der GfbV-International,
Herausgeber des ersten deutschsprachigen Buches "Ethnische
Säuberung - Völkermord für Großserbien"
(Luchterhand 1992, dessen Texte Christian Schwarz-Schilling zum
Anlass nahm aus der Bundesregierung auszutreten) und "Die Angst
des Dichters vor der Wirklichkeit" über die Agitation des
Schriftstellers Peter Handke für Milosevic und Karadzic
(erschienen 1996 bei Steidl) sowie weitere Dokumentationen
über den Krieg und Genozid in Bosnien. Zülch wurde mit
der Silbernen Lilie des bosnischen Staatspräsidiums (1999)
ausgezeichnet, erhielt den "Srebrenica Award Against Genocide"
der vier Mütterbewegungen von Srebrenica (2006) und den
Preis "Sloboda" (Freiheit) des Antikriegszentrums Sarajevo
(2007). Er ist außerdem Ehrenmitglied des Verbandes der
weiblichen Lagerhäftlinge in Sarajevo.