Bozen, Göttingen, 11. März 2006
Mit seinem Tod ist Serbiens ehemaliger Diktator seiner
Verurteilung entkommen. Aber sein großserbisches Projekt
der ethnischen Säuberung, der Zerstörung des
achthundertjährigen Bosnien-Herzegowinas wurde bis heute
nicht rückgängig gemacht. Bosnien ist de facto ein
geteiltes Land. Die USA und Europa haben seinen Anhängern in
Dayton die Hälfte des Territoriums überlassen. Die von
dort vertriebenen nicht serbischen Bosnier konnten in ihrer
überwältigenden Mehrheit nicht dorthin
zurückkehren, leben gegenwärtig über vier
Kontinente zerstreut.
Milosevics Name bleibt verbunden mit den ersten
europäischen Konzentrations- und Vergewaltigungslagern, den
ersten Massenvertreibungen, den ersten Bombardements
europäischer Städte, den schrecklichsten Massakern seit
dem Grauen der 40-er Jahre. Milosevic kreierte den Begriff
ethnische Säuberung, der heute in der internationalen
Berichterstattung weitgehend den Terminus Genozid verdrängt
hat. Europa hat den Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic vier
Jahre lang als Verhandlungspartner hofiert, zwei europäische
Regierungschefs John Major und Francois Mitterand haben seine
Politik der ethnischen Säuberung kontinuierlich
begünstigt.
Bosniens tolerante Muslime stellten die große Mehrheit der
Opfer des von ihm initiierten Genozids, 1 186 ihrer Moscheen und
Medresen wurden zerstört. Europa gab dem multikulturellen
Bosnien keine Chance. Serbische und kroatische Bosnier, die
für das gemeinsame Bosnien eintraten, wurden allein
gelassen. Die Stimmen von General Divjak, dem serbisch-bosnischen
Verteidiger Sarajevos, von Mirko Pejanovic, dem Vorsitzenden des
Serbischen Bürgerrates und Alternativen
Nobelpreisträger, von Parlamentspräsident Miro Lazovic,
und den kroatisch- bosnischen Präsidiumsmitgliedern Ivo
Komsic und Stjepan Kljuic fanden kaum ein Echo. Auch Deutschlands
Regierung und Parteien versagten vier Jahre lang, schoben
schließlich 50 000 bosnische Flüchtlinge nach
Nordamerika und Australien ab, wohl wissend, dass ihre Heimatorte
ihnen de facto verschlossen blieben. Nur wenige deutsche
Abgeordnete traten rechtzeitig dafür ein, diese Aggression
und diesen Völkermord schnell zu beenden.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker dokumentierte den
Genozid vom ersten Kriegstag an (7.4.1992), publizierte das
weltweit erste Buch über den Genozid, mit dessen Inhalt dann
Christian Schwarz-Schilling seinen Rücktritt aus der
Regierung Kohl begründete und versorgte die
UN-Untersuchungskommission, das UN-Kriegsverbrechertribunal in
Den Haag und das deutsche BKA mit hunderten von
Augenzeugenberichten überlebender Genozidopfer, organisierte
mit dem Europäischen Forum für Bosnien-Herzegowina das
bosnische Exil und die Vereine der bosnischen Flüchtlinge in
Westeuropa und veranstaltete unter Schirmherrschaft von Simon
Wiesenthal, Rita Süssmuth und Haris Silajdzic den ersten und
bis Kriegsende einzigen internationalen Genozidkongress im August
1995 in Bonn. Die Sektion Bosnien-Herzegowina der GfbV, zu der
Persönlichkeiten aller ethnischen und religiösen
Gemeinschaften und aller Opfergruppen angehören
unterhält Büros in Srebrenica und Sarajevo.