In: Home > News > Stellungnahme zur Mitteilung C(2021)171 der Europäischen Kommission zur Bürgerinitiative "Minority SafePack"
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Bozen, Göttingen, 26. Februar 2021
Minority SafePack.
Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, sehr geehrte
Frau Dr. von der Leyen!
Am 14. Januar 2021 hat sich ihr Kabinett mit der
Bürgerinitiative "Minority SafePack" befasst. Die Antwort
der Europäischen Kommission wirft den Minderheitenschutz und
die Förderung der kulturellen sowie sprachlichen Vielfalt in
der Europäischen Union in eine tiefe Krise.
1,2 Millionen Europäerinnen und Europäer haben sich mit
der Bürgerinitiative an die EUKommission gewandt. Zweimal
mussten die Minderheiten vor den Europäischen Gerichtshof
(EuGH) treten, um überhaupt das Recht zu erhalten, ihre
Wünsche zu artikulieren. Beide Male setzte man sich
juristisch u.a. gegen die Europäische Kommission durch. Die
von den Minderheiten präsentierten Vorschläge, mit zum
Teil legislativem Charakter, sind maßvoll in ihrer
politischen Ausrichtung, für Verhandlungen im Detail
ausgelegt und inhaltlich schlüssig. Den Initiatorinnen und
Initiatoren gebührt ein großes Lob für die
politisch klug ausgearbeiteten Vorschläge. Dennoch hat ihr
Kabinett sich entschieden, alle Anregungen der Minderheiten
wortreich aber nichtssagend abzulehnen. Die nun vorliegende
Antwort der Europäischen Kommission ist ein Schlag ins
Gesicht, nicht nur der 1,2 Millionen Menschen, die diese
Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt haben, sondern
gegen die über 50 Millionen Menschen, die in der EU einer
autochthonen Minderheit angehören oder eine Regional- oder
Minderheitensprache sprechen. Gut können wir das Entsetzen
der Minderheitenangehörigen nachvollziehen, das sich aktuell
in verschiedenen Regionen Europas Bahn bricht.
Das verheerende an Ihrer Antwort ist das politische Signal, das
die Europäische Kommission damit setzt. Es wäre ein
leichtes gewesen, die Tür nicht ganz zuzuschlagen, sondern
durch kleinere Konzessionen einen Ausgleich mit den Minderheiten-
und Sprachgruppen zu suchen. Doch die Europäische Kommission
hat sich für eine unmissverständliche Botschaft
entschieden, die da nicht anders als wie folgt interpretiert
werden kann: "Die Minderheiten Europas und ihre Belange sind
keine Fragen, die in der Europäischen Union zu Hause sind.
Sie gehören in die Mitgliedsstaaten oder wenn überhaupt
in den Europarat." Das widerspricht nicht nur den Entscheidungen
des Europäischen Gerichtshofes, sondern auch wofür
unserer Meinung nach die Europäische Union stehen
müsste.
Im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker, der
zweitgrößten Menschenrechtsorganisation im
deutschsprachigen Raum, möchten wir auf vier zentrale
Probleme hinweisen, die aus der Verweigerungshaltung der
Europäischen Kommission erwachsen:
1) Die Minderheiten Europas, die in ihrer großen Mehrzahl
immer wieder ihre europäische Gesinnung in den Mittelpunkt
gestellt und acht Jahre der Solidarisierung, der
europäischen Zusammenarbeit und zivilgesellschaftlichen
Engagements in die Bürgerinitiative investiert haben, wenden
sich enttäuscht und frustriert ab. Mit der Antwort, daran
kann kein Zweifel herrschen, ist die Europäische
Bürgerinitiative als Instrument nicht nur ad absurdum
geführt, sondern buchstäblich gestorben.
2) Die Minderheiten, nicht nur in Mittelosteuropa, die im Kampf
um ihre politische, kulturelle und sprachliche Selbstbehauptung
immer wieder mit Hoffnung auf Unterstützung auf die EU
geblickt haben, sind desillusioniert. Nicht nur die ungarischen
Minderheiten werden somit in die Hände der Populisten
getrieben. Hilfe von der Europäischen Union wird nun wohl
niemand mehr erwarten.
3) Katalonien, Schottland, Südtirol, Szeklerland, Wallonien,
Nordirland etc.; der Riegen der Regionen, die sich darüber
Gedanken machen, wie sie ihre Zukunft gestalten, wächst und
diese haben ebenfalls eine klare Botschaft erhalten: die EU wird
uns erst ernst nehmen, wenn wir einen eigenen Staat vorweisen
können. Die Antwort der Kommission wird die Rufe nach
Selbstbestimmung in Europa in den nächsten Jahren lauter
werden lassen.
4) Die Europäische Union hat den Anspruch, in der Welt
für Menschrechte, für Minderheitenrecht, für den
zivilgesellschaftlichen "European Way of Life" einzutreten, als
Bannerführer der Demokratie. Mit der Positionierung den
eigenen Minderheiten und Sprachgruppen gegenüber, wird
dieses Argument zukünftig wenig Glaubwürdigkeit
zugerechnet werden können.
Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin, die Gesellschaft
für bedrohte Völker wird sich weiter für
Minderheitenschutz und Sprachenförderung - auch in der
Europäischen Union einsetzen; wir hoffen, dass sich die
Europäische Kommission besinnt und für die Minderheiten
und Sprachenvielfalt Europas die Rolle einnimmt, die in den
Europäischen Verträgen vorgesehen ist und den Grundkern
der europäischen Zusammenarbeit bestimmend mit ausmachen
sollte.
Mit freundlichen Grüßen,
Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender Gesellschaft für
bedrohte Völker Deutschland
Wolfgang Mayr, Präsident Gesellschaft für bedrohte
Völker International
Sehr geehrter Herr Diedrichsen, Sehr geehrter Herr Mayr,
Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 9. Februar an
Präsidentin von der Leyen und Vizepräsidentin
Jourová, in dem Sie Ihre Enttäuschung über die
Mitteilung der Kommission vom 14. Januar über die
Europäische Bürgerinitiative "Minority SafePack - one
million signatures for diversity in Europe" zum Ausdruck bringen.
Präsidentin von der Leyen hat mich gebeten, Ihnen in ihrem
Namen zu antworten.
Die Kommission hat betont, dass sie sich für die Achtung der
Rechte von Personen, die Minderheiten angehören, und der
reichen kulturellen und sprachlichen Vielfalt Europas einsetzt.
In ihrer Mitteilung vom 14. Januar über die Europäische
Bürgerinitiative "Minority SafePack - one million signatures
for diversity in Europe" hat die Kommission die Initiative daher
sorgfältig geprüft und dabei alle neun Vorschläge
unter Berücksichtigung der Grundsätze der
Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit
einzeln bewertet.
Die Kommission war zwar der Auffassung, dass zum
gegenwärtigen Zeitpunkt keine neuen Rechtsakte erforderlich
sind, doch enthält die Mitteilung eine Reihe bereits
ergriffener oder laufender Maßnahmen, einschließlich
bestehender und kürzlich verabschiedeter
EU-Rechtsvorschriften, um verschiedene Aspekte anzugehen, die in
der Initiative "Minority SafePack" hervorgehoben wurden. Die
Initiative wurde erstmals 2013 zur Registrierung eingereicht.
Seither gab es in den verschiedenen betroffenen Bereichen
zahlreiche Entwicklungen. In der Mitteilung erläutert die
Kommission die Maßnahmen, die auf EU-Ebene von der
Kommission, dem Rat und dem Europarat ergriffen wurden, und
erläutert, wie sie den Anliegen der Bürgerinitiative
Rechnung getragen haben. In der Mitteilung wird auch klar
dargelegt, welche Folgemaßnahmen in einer Reihe von
Bereichen ergriffen werden sollen. Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung (EU) 2019/788 lautet: "Die Kommission legt in einer
Mitteilung ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu
der Initiative, das von ihr gegebenenfalls zu ergreifende
Vorgehen und die Gründe für das Ergreifen oder
Nichteingreifen der Initiative dar." Die Kommission ist somit
ihren Verpflichtungen aus der Verordnung nachgekommen.
Die Kommission ist entschlossen, weiterhin politische
Unterstützung und Finanzmittel für Inklusion und die
Achtung der reichen kulturellen Vielfalt Europas bereitzustellen.
Die Kommission wird zu gegebener Zeit auch die Wirksamkeit der
jüngsten Legislativmaßnahmen überprüfen und
gegebenenfalls zusätzliche Folgemaßnahmen in
Erwägung ziehen.
Mit freundlichen Grüßen
William SLEATH
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2021/210122de.html
° www.gfbv.it/2c-stampa/2020/201014de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2018/180325de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2020/200619de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2020/200802de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2020/200619de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2020/200407de.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami1.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami2.html
in www: www.minority-safepack.eu |
www.fnp.frl/english/news/61/