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Russland

Russische Menschenrechtsorganisation Memorial: Ein neuer Schritt in der Kriminalisierung der Zivilgesellschaft

Bozen, Göttingen, 25. November 2021

Solidarität mit Memorial. Solidarität mit Memorial.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) schaut besorgt auf die für heute erwartete Urteilsverkündung im Fall russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Die zu erwartende Liquidierung kritisiert die GfbV aufs Schärfste: "Wenn Memorial aufgelöst wird, verschwindet die engagierteste Stimme für Menschenrechte in Russland. Das Gedenken an die Opfer zahlreicher Verbrechen würde ausgelöscht - in typisch autokratischer Manier", mahnt GfbV-Referentin Regina Sonk. Präsident Wladimir Putin verfolge einen Plan zur Wiederaufwertung der Stalin-Zeit. Eine Ära des staatlichen Terrors, während der etwa 20 Millionen vermeintliche Dissidenten in einem System aus Straflagern, den berüchtigten Gulags, interniert wurden. Diese Ära lobt Putin inzwischen öffentlich und lässt Leninstatuen durch Stalinstatuen ersetzen. "Bei dieser Kampagne steht ihm die international sehr renommierte Organisation natürlich im Wege: Memorial hat als russlandweite und international tätige Menschenrechtsorganisation einzigartige Aufarbeitung geleistet. Sie bewahrt und archiviert die Erinnerungen von geschätzt 20 Millionen Insassen, die zwischen 1929 und 1953 gefangen gehalten wurden", berichtet Sonk. Noch heute betreuten Mitarbeitende von Memorial die inzwischen sehr betagten Familienangehörigen von Opfern der Gulags. Viele von ihnen stünden am Rande der Gesellschaft.

Im heutigen Russland wird die Zivilgesellschaft systematisch kriminalisiert. Das absurde Gesetz über "Ausländische Agenten" ist dabei nicht das einzige Mittel. "Seit Anfang der 2000er Jahre verfolgt Russland die stückweite Austrocknung von NGOs und kritischen Medien mit scheinbar demokratischen oder rechtlichen Mitteln. Organisationen müssen viel überhöhte bürokratische Hürden und fast unmögliche Verwaltungswege einhalten. Die inländische Finanzierung wurde gestoppt, ausländische wird kriminalisiert", erklärt Sonk. "Nehmen Organisationen Geld aus dem Ausland an, gelten sie als ausländische Agenten und müssen dieses Label auch auf eigenen Publikationen platzieren." Hinzu käme eine überzogen breit auslegbare Anti-Terror-Gesetzgebung, durch die willkürlich hohe Strafen verhängt würden.

Russlands Modell der schrittweisen Kriminalisierung des öffentlichen Raumes wird in der Wissenschaft als "Shrinking Spaces" bezeichnet. Viele weitere Staaten haben diese Praktiken übernommen, darunter Indien, China, Brasilien oder Ecuador. Die Methoden sind eindeutig antidemokratisch und verwenden bürokratische Auflagen als Deckmantel.

"Sollte das Urteil auch aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit milder ausfallen, wäre leider wenig gewonnen. Die Regierung Putin wird andere Wege suchen und finden, ihre Ziele gegen die Zivilgesellschaft durchzusetzen. Memorial und alle anderen Menschenrechtsorganisationen Russlands brauchen verstärkte Unterstützung aus dem Ausland. Besonders auf politischer Ebene", so Sonk. Die Organisation Memorial wurde im Jahr 2009 mit dem Victor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker ausgezeichnet.