Bozen, Göttingen, 4. April 2007
Der von Wladimir Putin zum neuen Präsidenten
Tschetscheniens ernannte mutmaßliche Kriegsverbrecher
Ramsan Kadyrow wird nach Auffassung der Gesellschaft für
bedrohte Völker (GfbV) die tschetschenische
Zivilbevölkerung weiterhin diktatorisch regieren. "Als
eiskalte Marionette Putins wird Kadyrow eine gerechte politische
Lösung des Tschetschenienkonfliktes mit Morden, Folter,
Verschleppungen und anderen Willkürakten seiner Truppen
verhindern", kritisierte die GfbV- Referentin für die
GUS-Staaten, Sarah Reinke, am Mittwoch zur bevorstehenden
Amtseinsetzung von Kadyrow. Sie warnte vor der Unberechenbarkeit
des neuen Gewaltherrschers, dem alle Mittel recht seien, um seine
Machtposition zu halten.
Die als "Kadyrowtsy" bezeichneten Milizen des neuen
tschetschenischen Präsidenten seien gefürchtet, denn
sie seien für zahllose Gräueltaten unter der
Zivilbevölkerung verantwortlich, erinnerte Reinke. "Die
öffentliche Rüge, die Russland von der
Europarats-Kommission zur Verhütung von Folter zum dritten
Mal im März 2007 erteilt wurde, zeigt nur die Spitze des
Eisberges in Tschetschenien." Dort werde systematisch in der
Untersuchungshaftanstalt ORB-2 in Grosny gefoltert, aber auch in
den Zellen, die von den Kadyrowtsy in Ramzan Kadyrows Heimatdorf
Tsenteroi bzw. im Dorf Dschalka unterhalten werden. Opfer seien
oft mutmaßliche Kämpfer bzw. deren Angehörige.
Diese hätten Angst davor, Verschleppungen oder Folterungen
anzuzeigen, weil sie damit sowohl ihre verschleppten Verwandten
als auch sich selbst gefährdeten.
Große Fortschritte beim Wiederaufbau dürften nicht
über die erschreckende Menschenrechtssituation in
Tschetschenien hinwegtäuschen. Nach UN-Angaben leben
über 80% der Tschetschenen unter dem Existenzminimum. Noch
immer gäbe es bis zu 200.000 Binnenflüchtlinge, sie
stellten 20% der Gesamtbevölkerung. 150.000 Tschetschenen
lebten in Notunterkünften. Die Mütter- und
Kindersterblichkeit sei bis zu viermal so hoch wie im russischen
Durchschnitt. 40% der Neugeborenen kämen schon krank auf die
Welt. Durch den Krieg seien mindestens 26.000 Kinder zu Waisen
geworden. 86% der Bevölkerung litten unter psychischen
Problemen.